Sonntag, 31. März 2019

William Marshal: Teil 2 - Gefeierter Turnierritter und Vertrauter Heinrichs des Jüngeren

Abbildung von William Marshal in der Historia Major von Matthew Paris (um 1200-1259), https://commons.wikimedia.org/wiki/William_Marshal,_1st_Earl_of_Pembroke#/media/File:Matthew_Paris_-_William_Marshal.jpg
Diese Abbildung zeigt den anglonormannischen Ritter William Marshal (um 1147-1219), den schon mittelalterliche Chronisten als „größten aller Ritter” bezeichneten. Über sein Leben wissen wir heute vor allem das, was in der Histoire de Guillaume le Maréchal, einer Versbiografie, steht, die kurz nach seinem Tod basierend auf den Erinnerungen seines Knappen verfasst und erst im ausgehenden 19. Jahrhundert wiederentdeckt wurde. Die Histoire beschreibt das außergewöhnliche Leben eines Mannes, dem es gelang, vom einfachen Ritter zum Vertrauten der englischen Könige aufzusteigen. Mit diesem bemerkenswerten Leben wollen wir uns in dieser kurz!-Reihe beschäftigen. Dabei soll es im zweiten Teil um William Marshals Zeit im Gefolge Heinrichs des Jüngeren (1155-1183) gehen, in der er unter anderem zum erfolgreichen Turnierritter aufstieg.

Wie im ersten Teil der Reihe dargestellt, war es William Marshal gelungen, vom unbedeutenden und mittellosen Ritter bis ins Gefolge der englischen Königin, Eleonore von Aquitanien (1122-1204, mehr zu ihr gibt es hier) aufzusteigen. An ihrer Seite kehrte er 1170 vom Kontinent nach England zurück, um der Krönung ihres Sohnes, Heinrich dem Jüngeren, zum Mitkönig beizuwohnen. Dessen Vater, König Heinrich II. (1133-1189), brach bald nach der Zeremonie wieder in die Normandie auf und stellte seinem 15-jährigen Sohn Berater und Vertraute zur Seite, die ihm helfen sollten, die Geschickte Englands zu lenken. Unter ihnen war auch William Marshal, der dem jungen König als Kampf- und Waffenlehrer dienen stehen sollte. Nur acht Jahre älter als Heinrich, wurde er für ihn außerdem schnell zu einem Freund und Vertrauten. 

Heinrich der Jüngere war zwar von seinem Vater zum Mitkönig gekrönt worden, allerdings hatte dieser ihm bislang keine Güter und Ländereien zugewiesen, sodass der junge König nicht über das nötige Einkommen verfügte, seinen königlichen Lebensstil zu finanzieren und seine Getreuen standesgemäß zu entlohnen. Zudem war ein tatsächlicher Machtwechsel vom Vater auf den Sohn in naher Zukunft nicht in Aussicht. Generell zögerte Heinrich II. es immer wieder hinaus, Macht an einen seiner Söhne abzugeben. Ende 1172 wurden unter Rittern im Gefolge des jungen Heinrich sStimmen laut, er solle die Herrschaft des alten Königs beenden, um selbst die volle Macht zu erlangen. Ob William Marshal sich an diesen Intrigen beteiligte, ist nicht ganz klar. Als Heinrich II. jedoch von den Machenschaften erfuhr, wurden einige Ritter aus dem Haushalt seines Sohnes entfernt, Marshal war jedoch nicht darunter. 

Als Heinrich der Jüngere von seinem Vater ganz offen eine faktische Übertragung der Macht über das Anjou, die Normandie oder England forderte, was der König ihm jedoch verweigerte, kam es im Februar 1173 zum Bruch zwischen den beiden. Bald wurde dem alten König auch noch zugetragen, dass nicht nur sein ältester Sohn, sondern auch zwei weitere Söhne, Richard (1157-1199) und Gottfried (1158-1186), sowie gerüchteweise auch die Königin selbst seinen Umsturz anstrebten. Er befahl Heinrich dem Jüngeren, in dessen Gefolge sich auch William Marshal befand, mit ihm nach Norden zu ziehen. Bis Chinon begleitete dieser seinen Vater tatsächlich, ergriff dann aber bei Nacht und Nebel gemeinsam mit seinen treuesten Anhängern die Flucht. Spätestens jetzt wurde deutlich, dass der junge König eine Rebellion gegen Heinrich II. anstrebte. Von seinen engsten Gefolgsleuten verlangte er einen Treueid. William Marshal zählte zu denjenigen, die blieben und Heinrich dem Jüngeren ihre Treue zusicherten. Bedenkt man, dass er zuvor dem Gefolge von Königin Eleonore angehört hatte und diese oft als treibende Kraft hinter dem Aufstand ihres Sohnes gegen den eigenen Vater gesehen wird, wäre es sogar denkbar, dass er als eine Art Agent in ihrem Auftrag handelte. Marshals genaue Rolle bei der Planung der Rebellion lässt sich jedoch kaum noch rekonstruieren, auch die Histoire de Guillaume le Maréchal schweigt sich darüber aus. Der junge Heinrich schmiedete eine breite Allianz gegen Heinrich II., der unter anderem die Könige von Frankreich und Schottland angehörten, und bereits im Sommer 1173 befand sich das angevinische Reich im Bürgerkrieg. Zweifellos stand William Marshal seinem Waffenschüler in den Kämpfen mit Rat und Tat zur Seite. Heinrich II. gelang es schließlich jedoch, die Rebellion seines Sohnes niederzuschlagen und im Herbst 1174 musste dieser sich zu den Bedingungen seines Vaters unterwerfen. 

Von da an behielt Heinrich II. seinen Sohn genau im Auge und William Marshal wie auch die übrigen Ritter im Gefolge des jungen Königs waren zur Inaktivität verdammt. Erst 1176 gestattete der König es dem jungen Heinrich, sich aus dessen Reichweite zu entfernen, um seinem Bruder Richard, der inzwischen Graf von Poitou und Herzog von Aquitanien war, bei der Niederschlagung eines Aufstandes zur Seite zu stehen. So kehrte auch William Marshal nach Aquitanien zurück. Gemeinsam mit seinem Herrn und Waffenschüler sowie weiteren Rittern aus dessen Gefolge wandte er sich nun wieder zunehmend dem Turnierwesen zu.

Sowohl der junge König als auch William Marshal genossen die Anerkennung, die sie durch die erfolgreiche Teilnahme an den Turnieren erhielten. Für Marshal muss es wohl eine der erfüllendsten Zeiten seines Lebens gewesen sein, was sich unter anderem daran zeigt, dass ihr ein verhältnismäßig großer Teil der Histoire de Guillaume le Maréchal gewidmet ist. Auch wenn er bereits zuvor an Turnieren teilgenommen hatte, war er bislang keinesfalls eine Berühmtheit unter den Turnierrittern und auch nun mussten er und sein Herr zu Beginn einige Niederlagen einstecken. Zunächst ließ die Disziplin in der Gruppe stark zu wünschen übrig, doch nach und nach formte sich aus ihr ein Team, dessen Angehörige ihre Fähigkeiten kontinuierlich verbesserten. Marshal übernahm zunehmend die Rolle des Strategen und Taktikers, wenngleich er dazu teilweise die Turnierregeln zu seinen Gunsten auslegte und zurechtbog. So erzielte das Team des Königs seinen ersten großen Turniererfolg, indem man behauptete, gar nicht an den Kämpfen teilnehmen, sondern nur zusehen zu wollen, nur um dann ganz unerwartet doch noch anzugreifen: „Danach kam der König zu keinem [Turnier] mehr, ohne von diesem Trick oder Schwindel Gebrauch zu machen”, berichtet Williams Biograf in der Histoire. Dieses Vorgehen schien von den Zeitgenossen wohl akzeptiert worden zu sein. Heinrich, William Marshal und ihre Kampfgenossen erzielten mehr und mehr Erfolge und galten bald als ernstzunehmende Gegner im Turnierwesen. Diese Zeit festigte auch das Band der Freundschaft zwischen den beiden Männern und so schreibt Marshals Biograph in der Histoire de Guillaume le Maréchal, dass „der König [William] von Herzen liebte, mehr als irgendeinen anderen Ritter”. Diese herausragende Position Marshals wird auch dadurch gezeigt, dass er in Urkunden Heinrichs auf der Zeugenliste an erster Stelle unter dem militärischen Gefolge zu finden ist. Doch Marshal nahm nicht nur gemeinsam mit dem jungen König an Turnieren teil, sondern war auch auf eigene Faust erfolgreich. So machte er durch die Gefangennahme zahlreicher Gegner reiche Beute, erwarb großen Ruhm und machte sich einen Namen als gefeierter Turnierritter. Als Höhepunkt von Williams Turnierkarriere ist wohl seine Teilnahme am Turnier in Lagny (1179) anlässlich der Krönung des französischen Thronfolgers Philipp II. von Frankreich (1165-1223) zu sehen, das zu den prachtvollsten und spektakulärsten Veranstaltungen seiner Zeit zählte.

Doch nach über zehn Jahren als enger Vertrauter des jungen Königs Heinrich kam es schließlich zum Zerwürfnis zwischen den beiden: In Heinrichs Gefolge breiteten sich Gerüchte aus, William Marshal habe ein Verhältnis mit dessen Ehefrau Marguerite. Diese kamen natürlich auch dem jungen König zu Ohren und Marshal verlor die Gunst und Freundschaft seines Herrn. Ob die Gerüchte der Wahrheit entsprachen oder nicht, lässt sich nur schwer überprüfen. Weder über das Sexualleben William Marshals noch Marguerites überliefern die Quellen Informationen. Die Histoire de Guillaume le Maréchal erhebt gar Anschuldigungen gegen andere Ritter aus dem Gefolge des Königs, diese Gerüchte absichtlich und aus Neid gestreut zu haben, um einen Keil zwischen William und seinen Herrn zu treiben. Die verhältnismäßig milde Reaktion Heinrichs, der seinen ehemaligen Vertrauten lediglich mit Verachtung strafte, spricht dafür, dass Zweifel an den Gerüchten angebracht sind. Im Rahmen des Weihnachtshofes 1182 versuchte Marshal, eine Versöhnung mit dem jungen Heinrich herbeizuführen und seine Unschuld in einem Gerichtskampf zu beweisen, was dieser jedoch strikt ablehnte, sodass William den Hof verlassen musste. 

William Marshal war nun Mitte Dreißig und wieder ohne Dienstherrn. Er besaß jedoch einen guten Ruf als Turnierkämpfer und schlug sich eine Weile auf eigene Faust durch, unternahm eine Pilgerreise nach Köln und kehrte wohl im April 1183 nach Frankreich zurück. Dort erreichte ihn eine Nachricht des jungen König Heinrich: Er habe Zweifel an Marshals Affäre mit Marguerite und wolle ihn wieder in sein Gefolge aufnehmen. Dieser Sinneswandel lag möglicherweise in der Tatsache begründet, dass Heinrich sich inzwischen im Krieg mit seinem eigenen Bruder, Richard, dem Herrscher von Aquitanien, befand und jede Hilfe brauchen konnte. William nahm das Versöhnungsangebot seines alten Herren an und stieß wohl im Laufe des Mai zu ihm und seinen Truppen. Ende desselben Monats erkrankte der junge Heinrich jedoch zunächst an Fieber, und sein Zustand wurde zunehmend kritisch. Am 11. Juni 1183 starb Heinrich der Jüngere und noch auf dem Totenbett bat er William Marshal seinen Umhang “zum Heiligen Grab zu tragen und damit [s]eine Schulden vor Gott zu zahlen”.

Mit dem Tod seines langjährigen Freundes und Herren hatte Marshal einen Auftrag erhalten. Um seine Reise ins Heilige Land wird es im nächsten Teil dieser kurz!-Reihe gehen.

Zum Weiterlesen:


Asbridge, Thomas, Der Größte Aller Ritter und die Welt des Mittelalters, Stuttgart 2015.
Duby, Georges, Guillaume le Maréchal oder der beste aller Ritter, Frankfurt am Main 1986.

Sonntag, 17. März 2019

Frauenhäuser in spätmittelalterlichen deutschen Städten

Seit dem 14. Jahrhundert entstanden in den deutschen Städten die ersten Bordelle, die zeitgenössisch auch euphemistisch als frowenhus (Frauenhaus) bezeichnet wurden. Da auch beispielsweise Frauenklöster als Frauenhäuser bezeichnet wurden, suggeriert die Bezeichnung frowenhus zunächst, dass es sich dabei um Herbergen handelte, in denen alleinstehende Frauen Zuflucht finden konnten. Die in einer Stiftungsurkunde aus dem 14. Jahrhundert für ein Frauenhaus in Wien verwendete Bezeichnung vanchnusse leibs vnd sels macht jedoch ganz deutlich, dass solche Frauenhäuser keine Herbergen, sondern vielmehr Zwangseinrichtungen waren, die von Frauenwirten und Frauenwirtinnen unterhalten wurden und in die die in den Städten lebenden Prostituierten häufig gegen den eigenen Willen und mit Gewalt ‚eingewiesen‘ wurden. Im Mittelpunkt dieses kurz!-Artikels sollen die Frauenhäuser in den mittelalterlichen Städten, die Frauen, die in diesen lebten, sowie die Umstände, unter denen die Frauen leben mussten, stehen.

Joachim Beuckelaer: Bordell (1562)
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/6/6b/Joachim_Beuckelaer_-_Brothel_-_Walters_371784.jpg

Sonntag, 3. März 2019

Frühneuzeitliche ‚Steinkinder’


Bis zum heutigen Tag kennt die medizinische Forschung weniger als 300 Fälle von sogenannten Lithopädia: um 1880 waren gerade einmal 47 Fälle beschrieben worden. Bei einem Lithopädion handelt es sich um einen abgestorbenen Fötus, der meistens im Mutterleib durch die Aufnahme von Kalk zunächst eingekapselt und anschließend mumifiziert wird. In diesem Artikel soll es zunächst um das Phänomen, seine Ursachen und seine Ausprägungen an sich gehen, bevor dann die Vorstellung dreier frühneuzeitlicher Fälle erfolgt, die im Volksmund häufig als ‚Steinkinder’ bezeichnet werden: das ‚Steinkind von Sens’ in Frankreich (1554 bzw. 1582), das ‚Steinkind von Leinzell’ im heutigen Baden-Württemberg (1674 bzw. 1720) und das ‚Nebelsche Steinkind’ (1713 bzw. 1767), welches nach seinem Entdecker, dem Mediziner und Rektor der Universität Heidelberg Daniel Wilhelm Nebel (1735-1805) benannt wurde.