Sonntag, 3. Mai 2015

Bube, Dame, König, Ass? - Kartenspiele im Mittelalter

Als im März 1376 in Florenz der „ludus, qui vocatur naibbe“ (das Spiel, das naibbe genannt wird) unterbunden wurde, war dies nicht nur das erste Verbot für Spielkarten in Europa sowie die erste und damit älteste Erwähnung eines Kartenspiels im europäischen Raum, sondern auch der Beginn dessen, was Hellmut Rosenfeld später als „Kartenspiel-Invasion“ bezeichnen sollte. Allerdings darf dieses florentinische Verbot nicht zu der Annahme verleiten, dass das Kartenspiel in Florenz erfunden wurde. Schon die Bezeichnung naibbe weist auf den Orient hin und führt uns bei der Frage des Ursprungs direkt nach Ägypten. 


Bis etwa 1517 hatten in Ägypten die aus den Kaufsklaven hervorgegangenen Elitekrieger der Mameluken, die ihre militärischen Befehlshaber nā'ib (Gouverneur) bzw. nā'ib thāni (Vize-Gouverneur) nannten, die Macht inne. Ebenjene militärischen Ränge fanden auch innerhalb des mamelukischen Kartenspiels ihren Widerhall: Nach der besten Karte im Spiel, die mit dem veralteten arabischen Wort malik (König) beschrieben war, trug die zweitbeste Karte den Namen nā'ib, während die drittbeste als nā'ib thāni bezeichnet wurde. Diese beiden nā'ib-Karten waren wohl der Auslöser dafür, dass die Florentiner, nachdem Händler aus dem Orient ihr aus verschiedenen Karten bestehendes Spiel nach Italien gebracht hatten, das Kartenspiel naibbe nannten. Da die Spielkarten jedoch als Papierware nach Italien gekommen waren, setzte sich spätestens in der Mitte des 15. Jahrhunderts die Bezeichnung carte, cartae oder caricellae für die Spielkarten durch. 

Drei Spielkarten aus einem mamelukischen Kartenspiel* 

Grund für das erwähnte florentinische Verbot war die Tatsache, dass das Kartenspiel als Glücksspiel seinen Weg nach Europa gefunden hatte und die Höhe der Einsätze innerhalb des Spiels vielfach zu Armut und Ausschreitungen führten. Nicht nur in Florenz reagierte man auf diese Gefahr, denn in den 70er und 80er Jahren des 14. Jahrhunderts lassen sich neben dem florentinischen Verbot noch zahlreiche weitere Kartenspielverbote und -verordnungen ausmachen: 1377 reagierten Paris, Basel und Siens, 1378 Regensburg und Viterbo, 1379 intervenierten Bern, St. Gallen, Konstanz und Brabant, 1380 Barcelona und Perpignan sowie bis kur vor 1400 zahlreiche weitere europäische Städte. Aus dem Pflichtbuch der Stadt Nürnberg heißt es etwa: „Auch haben die burger gesatzt daz niemand dhein spil nicht tun sol wie daz genannt ist, es sey fraw oder man, das man pfennigk verliesen oder gewinnen mag, [...] awzgenomen rennen mit pferden, schiessen, mit armbrusten, carten, Schachzagel, pretspiel und kugeln umb einen pfeninck zwen zu vir poten.“ Auch von kirchlicher Seite wurde das Kartenspiel für sündhaft erklärt. Innerhalb von Predigten wurde das Spiel mit den Karten verurteilt und es wurden ganze Traktate verfasst, um die Sündhaftigkeit dessen herauszustellen. Um 1432 schrieb etwa der Dominikaner Meister Ingold in Anlehnung an die Gesamtzahl der Karten eines Kartenspiels, dass diese stellvertretend seien für „zwuo und fünftzig wuchen in dem jar, dar in man die sünd volbringt“.
Diese zahlreichen Verbote zeigen zum einen, dass das Kartenspiel sich innerhalb kürzester Zeit verbreitet hatte und dass es sich schnell in vielen Ländern großer Beliebtheit – wie die Verordnung aus Nürnberg zeigt, sowohl bei Männern und Frauen – erfreute. Zum anderen deuten die Verordnungen und Verbote darauf hin, dass auch die Steuerbehörden anderer Länder und Städte sowie Kirchen eingriffen, um die Verarmung und die Ausschreitungen einzudämmen. Zudem zeigen die Maßnahmen, dass das Kartenspiel aufgrund seiner enormen Verbreitung zur Massenware geworden war. 
Das Kartenspiel entwickelte sich von Land zu Land unterschiedlich und immer in engem Zusammenhang mit der jeweiligen Kultur. In seinem Guldîn spil macht der bereits genannte Dominikaner Meister Ingold Angaben zur Gestalt eines Kartenspiels: Insgesamt habe er gezählt, dass „zwuo und fünftzig karten sind auf dem kartenspil“ und dass „sind auf dem kartenspil fier küng mit iren wauppen, und hat ieglicher under im XIII karten, das macht an ainer sum LII, und hat ieglichü das zaychen irs küngs“. Meister Ingold beschreibt also, dass ein Kartenspiel insgesamt 52 Karten umfasste. Diese 52 Spielkarten waren dabei gleichmäßig auf vier Könige, die jeweils ein bestimmtes Zeichen bzw. eine bestimmte 'Farbe' – Ingold spricht hier von Wappen – hatten, aufgeteilt. So sei der erste „küng von den rossen […] der ander küng ist von der kron […] der drit küng ist der küng von dem pfennig [und] der fiert küng ist der küng von den ringen“. Bei den 'Farben' der Könige wurde hier also zwischen Rose, Krone, Pfennig und Ring unterschieden.
Allerdings erwähnt Meister Ingold weder einen Buben, noch eine Königin, wie sie heute in einem Kartenspiel vorkommen. Bereits im 14. Jahrhundert erwähnte jedoch der so bezeichnete Mönch Johannes von Rheinfelden in seinem Tractatus de moribus et disciplina humanae conversationis, id est ludus cartularum, dass „sunt duo reges cum marschalchis“, dass also zwei Marschälle (heute: Buben) zu jedem König gehören würden. Diese beiden Marschälle wurden dabei in Ober und Unter unterschieden: Der Ober war der Marschall, der die 'Farbe' des Königs nach oben hielt, während der Unter diese nach unten hielt. Die restlichen 10 Karten waren Zahlenkarten, die mit den Zahlen von 1 (Ass) bis 10 und wie die Hofkarten mit der 'Farbe' des Königs versehen waren. Diese Spielvariante mit 52 Spielkarten war die gebräuchlichste Form des Kartenspiels im vor allem deutschsprachigen Raum. Daneben, das erwähnen auch Meister Ingold und Johannes von Rheinfelden, gab es aber auch zahlreiche Varianten. So werden Kartenspiele mit etwa vier Königinnen und jeweils zwei Mägden anstatt der vier Könige mit ihren Marschällen, Spiele mit zwei Königen, zwei Königinnen und ihren jeweiligen Marschällen und Mägden oder Varianten mit „fier küngin und fier iunkfrawen“ und somit insgesamt 60 Karten erwähnt. Vor allem bei den 'Farben' zeigt sich, dass sich die Karten unterschiedlich voneinander entwickelten: Die üblichen französischen 'Farbzeichen' waren Kreuz, Herz, Pik und Karo, während das deutsche Kartenblatt die 'Farben' Eichel, Schelle, Herz und Blatt unterschied. Daneben waren in der Schweiz, wie auch oben von Meister Ingold beschrieben, Rose, Ring oder Schild, Krone und Pfennig usuell, derweil wurde in Spanien und Italien mit den 'Farben' Stock, Pokal, Schwert und Denar gespielt. Die meisten der hier genannten 'Farben' sind auch heute noch in den genannten Kartenblättern gebräuchlich. Allerdings waren der Phantasie bei den 'Farben' und auch bei den Hofkarten keinerlei Grenzen gesetzt. Neben den genannten gab es auch Schlüssel, Geldbeutel, Dudelsäcke, Blumen, Früchte, Menschen, Raubtiere, Vögel, Bäcker, Müller und andere bürgerliche Berufe als 'Farben' für Spielkarten. Ebenso waren auch die Hofkarten häufig sehr phantasievoll gestaltet. Meister Ingold erwähnt, dass es auch den „ackermann, den edelmann, den wuochrer, den pfaffen, die toypel [und] den wirt“ auf Hofkarten abgebildet gab.
Mit der sich auch in Deutschland rasch ausbreitenden Beliebtheit der Kartenspiele war auch die Entwicklung des Holzschnitts verbunden. Spielkarten waren Gebrauchsgegenstände und von daher spielte bei der Fertigstellung dieser weniger die Qualität, sondern mehr die Quantität eine entscheidende Rolle. Dennoch gab es aber auch prachtvolle und von Hand bemalte Karten, die vor allem vom Adel in Auftrag gegeben wurden und sich besonders mit dem höfischen Milieu beschäftigten (z.B. Stuttgarter Spiel 1427-1431).

Marschall-Spielkarte aus dem
Ambraser Hofämterspiel, 15. Jahrhundert**
Hofmeister-Spielkarte aus dem
Ambraser Hofämterspiel, 15. Jahrhundert***


















Die Technik, mithilfe des Holzschnitts Spielkarten herzustellen, entwickelte sich vermutlich um 1380 in Nürnberg und hing vor allem mit der Not zusammen, die übergroße Nachfrage nach Spielkarten beherrschen zu können. Sicherlich ist es auch kein Zufall, dass die Inbetriebnahme der ersten Papiermühle nördlich der Alpen durch den Nürnberger Ulman Stromer in diese Phase fiel. Mithilfe von Holzschablonen konnten so bis zu 48 Karten auf einmal auf Papier abgedruckt werden, um diese danach mit ölgetränkten Schablonen zu kolorieren und in einem letzten Schritt zuzuschneiden. Mit dem Holzschnitt ist auch eine Besonderheit gerade deutscher Kartenspiele verbunden: Häufig wurde das Ass (1) bei der Herstellung von Kartenspielen weggelassen, um so die Kartenzahl auf 48 Karten zu reduzieren und eine schnellere Fertigung durch eine Holzschablone zu ermöglichen. Dadurch wurde das Daus (2) zur letztwertigen Karte im Kartenspiel, welche aber schnell eine Entwicklung zum Glücksbringer bzw. zur Trumpfkarte erlebte. Von Nürnberg aus wurden Spielkarten, natürlich immer unter der Berücksichtigung der spezifischen 'Farben' und Varianten, nach Italien, Sizilien, Frankreich und auch nach Norddeutschland exportiert. Auch Ulm war für den Export und die Fertigung von Spielkarten wichtig und entwickelte vor allem im 15. Jahrhundert gleichsam eine Kartenspielindustrie. Nachdem sich der Holzschnitt auch auf andere süddeutsche Städte verbreitet hatte, kam diese Technik in den 1390er Jahren auch nach Italien, wo, wenngleich auch nicht mit der gleichen Aktivität wie in Deutschland, ab 1397 der Holzschnitt zur Herstellung von Spielkarten eingesetzt wurde.


Südniederländisches Kartenspiel mit 52 Spielkarten, 15. Jahrhundert****


Quelle:
- Meister Ingold: Das goldene Spiel, hrsg. von Edward Schröder (Elsässische Litteraturdenkmäler aus dem 14. bis 17. Jahrhundert 3), Straßburg; London 1882.

Literatur:
- Hoffmann, Detlef: Die Welt der Spielkarte. Eine Kulturgeschichte, München 1972.
- Kopp, Peter F.: Die frühesten Spielkarten in der Schweiz, in: Zeitschrift für schweizerische Archäologie und   Kunstgeschichte 30 (1973), S. 130-145.
- Rosenfeld, Hellmut: Das Kartenspiel in Europa im 14. bis 16. Jahrhundert und der Orient, in: Der Schlern 60 (1986), S. 725-732.
- Rosenfeld, Hellmut: Wann und wo wurde die Holzschnittkunst erfunden? Papier-Zugänglichkeit, Zeugdruck-Kenntnis und Kartenspiel-Invasion als Voraussetzungen, in: Archiv für Geschichte des Buchwesens 34 (1990), S. 327-342.
- Wörner, Ulrike: Die Dame im Spiel. Spielkarten als Indikatoren des Wandels von Geschlechterbildern und Geschlechterverhältnissen an der Schwelle zur Frühen Neuzeit (Regensburger Schriften zur Volkskunde/ Vergleichenden Kulturwissenschaft 21), Münster; New York u.a. 2010.

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