Sonntag, 10. Mai 2015

Die Jungfrau von Orléans II – Prozess, Hinrichtung und Revisionsverfahren

Der erste Teil der kurz!-Reihe über Jeanne d’Arc, auch bekannt als „Jungfrau von Orléans“, beschäftigte sich mit Jeannes Herkunft, ihrem Aufstieg und ihrer Gefangennahme durch burgundische Truppen in Compiègne am 23. Mai 1430. Weder von Seiten des französischen Hofes, dem Jeanne doch in der Vergangenheit gute Dienste erwiesen hatte, noch von der Stadt Compiègne, der sie zu Hilfe geeilt war, sind Bemühungen überliefert, die Jungfrau aus der Gefangenschaft zu befreien oder freizukaufen. Dies lässt sich unter anderem dadurch erklären, dass es wohl bereits vor ihrer Gefangennahme einige Vorbehalte und Zweifel an ihrem göttlichen Auftrag bei Hof, im Adel und der Bevölkerung gegeben hatte, die nun offen zu Tage traten.


Neben Burgunds Verbündetem England bemühte sich auch die Pariser Universität, die für Inquisitionsprozesse zuständig war, eine Auslieferung der Jungfrau zu erwirken, um sie wegen Ketzerei vor Gericht stellen zu können. Während ihrer Gefangenschaft unternahm Jeanne d’Arc mehrere Fluchtversuche, wobei sie sich bei einem Sprung aus dem Turm, in dem sie festgehalten wurde, schwer verletzte. Nach monatelangen Verhandlungen mit England und den Inquisitionsbehörden in Paris, bei denen sich vor allem der Bischof von Beauvais, Pierre Cauchon, hervortat, wurde Jeanne schließlich gegen Zahlung von 10.000 Francs und unter der Bedingung, dass sie im Falle eines Freispruchs an den englischen König überstellt werden sollte, der Universität von Paris für einen Ketzereiprozess überlassen. Im Dezember 1430 brachte man sie also nach Rouen, wo die Vorbereitungen für den Prozess begannen. Die Leitung desselben übernahm Pierre Cauchon.
Ab Februar 1431 musste die Jungfrau von Orléans sich alleine und ohne rechtlichen Beistand vor einem Inquisitionsgericht verantworten, das teilweise bis zu 60 Personen umfasste. Dabei trat sie, wie die Prozessakten erkennen lassen, mutig und selbstbewusst auf, was sich beispielsweise darin äußerte, dass sie  Aussagen, vor allem bei Fragen zu den Stimmen von Heiligen, die sie hörte, verweigerte oder aber Einspruch gegen ihre Haftbedingungen erhob. Selbst unter Androhung von Folter rückte sie zunächst nicht von ihren Standpunkten ab. Über drei Monate hinweg wurde Jeanne zu unterschiedlichen Themen befragt, angefangen bei ihrer Jugend, über möglicherweise heidnische Bräuche in ihrem Heimatdorf Domrémy, bis hin zu ihrem Sprung aus dem Burgturm, der als Selbstmordversuch ausgelegt wurde. Auch das Tragen von Männerkleidung war Gegenstand der Verhandlung, da dies für eine Frau als Sünde galt. Am Ende der Befragungen wurden zunächst 70 Artikel verfasst, die Jeanne vorgetragen wurden, und zu denen sie je kurz Stellung nehmen sollte. In ihnen wird deutlich, dass es das Ziel der Anklage war, Jeanne der Zauberei zu überführen. Unter anderem warf man ihr vor, in ihrer Heimat Domrémy nachts regelmäßig einen bestimmten Baum aufgesucht zu haben, „wobei sie vorher und nachher gewisse Lieder sang und Zauberformeln sprach […]“ (zitiert nach: Krumeich, Jeanne d'Arc, S. 96)Nachdem die Angeklagte sich zu den Vorwürfen geäußert hatte, wurden die 70 Artikel auf zwölf Anklagepunkte reduziert, die anschließend der Pariser Universität zur Überprüfung vorgelegt wurden. Im gesamten Prozess zeigte die Jungfrau, wie aus den Akten hervorgeht, ein für ein lothringisches Bauernmädchen ungewöhnliches Maß an Eloquenz, Überzeugungskraft und Klugheit sowie ihre starke Überzeugung, einem göttlichen Auftrag gefolgt zu sein. Auch zweifelte sie immer wieder die Autorität des Gerichtes an. Beispielsweise antwortete sie auf die Frage, ob es nicht unrecht gewesen sei, Paris an einem hohen Feiertag anzugreifen: „Wenn ich eine Todsünde begangen habe, so ist es an Gott, darüber zu befinden, und an mir, mich Gott und einem Priester in der Beichte anzuvertrauen.“ (zitiert nach Krumeich, Gerd, Verdammung und Rehabilitierung von Jeanne d’Arc (1431/1456), S. 152).
Mitte Mai traf das Gutachten der Universität Paris schließlich ein, in dem der Jungfrau vorgeworfen wurde, einen falschen Glauben zu vertreten. Jeanne forderte nun einen Schiedsspruch des Papstes in ihrer Angelegenheit, was durchaus rechtens war. Dieser wurde ihr jedoch verweigert, was später im Revisionsverfahren als wichtiger Verfahrensfehler aufgefasst wurde. Als dann das Verdammungsurteil verlesen wurde, widerrief Jeanne alles und unterwarf sich, aus Furcht vor dem Scheiterhaufen, der Kirche, sodass sie lediglich zu lebenslänglicher Kerkerhaft verurteilt wurde. Diese sollte sie eigentlich in kirchlicher Obhut verbringen, da sie ja von einem kirchlichen Gericht verurteilt worden war. Stattdessen brachte man sie jedoch in ein von englischen Soldaten bewachtes Gefängnis. Dort legte sie nach wenigen Tagen erneut Männerkleidung an, was den Vorwurf des Rückfalls in die Ketzerei zur Folge hatte. Heute geht man davon aus, dass Jeanne sich so verhielt, um Vergewaltigungsversuchen durch englische Wachen zu entgehen oder aber, weil man, um eine Rückfälligkeit zu provozieren, ihre Frauenkleidung versteckt und ihr nur Männerkleidung gegeben hatte. Außerdem nahm sie ihren wenige Tage zuvor geäußerten Widerruf zurück und wurde nun als rückfällige Ketzerin zum Tode verurteilt. Jeanne selbst gab an, Gott habe ihr durch ihre Stimmen mitteilen lassen, dass ihr die ewige Verdammnis drohe, sollte sie ihrer bisherigen Position abschwören, um ihr eigenes Leben zu retten. Zudem sei sie nur aus Furcht vor dem Feuer, das sie im Falle einer Verurteilung erwarte, von ihren Aussagen abgerückt. Unmittelbar nach der Urteilsverkündung am 30. Mai 1431 wurde die Verurteilte auf dem bereits vorbereiteten Scheiterhaufen verbrannt. Ihre letzten Schreie sollen, wie Augenzeugen später angaben, Gott, Jesus und den Heiligen gegolten haben. Die meisten Berichte zu Jeannes Verbrennung sind jedoch derart von Elementen des Mythos um ihre Person durchdrungen, dass heute nicht mehr eindeutig auszumachen ist, was wahr und was später hinzugefügte Fiktion ist.


(Jeanne d’Arcs Tod auf dem Scheiterhaufen, Historiengemälde von Hermann Stilke, 1843, http://de.wikipedia.org/wiki/Jeanne_d%E2%80%99Arc#/media/File:Stilke_Hermann_Anton_-_Joan_of_Arc%27s_Death_at_the_Stake.jpg)

Durch die Verurteilung und Hinrichtung Jeanne d’Arcs wurde jedoch die Legitimität Charles VII. in Frage gestellt, da dieser seine Krönung nun einer verurteilten Ketzerin verdankte. Um diesen Makel ein für alle Mal zu beseitigen strebte er seit 1450 einen Prozess zur Rehabilitierung der Jungfrau von Orléans an. Im Vorfeld des Revisionsprozesses wurden einige der 20 Jahre zuvor am Prozess Beteiligten befragt, die beinahe alle versicherten, nur aus Angst vor den Engländern einer Verurteilung zugestimmt zu haben. Die Aussagen dieser Zeugen zeichnen das Bild eines einfachen Bauernmädchens, das Stimmen hörte, die ihm den göttlichen Auftrag gaben, Charles VII. zur Salbung zu verhelfen. So wurde das Urteil von 1431 nach langer Vorbereitung und vielen Befragungen unterschiedlicher Zeitgenossen in einem Revisionsprozess 1455/56 für ungültig erklärt und Jeanne d’Arc rehabilitiert. Der Wahrheitsgehalt der in diesem Prozess gemachten Aussagen ist schwer zu beurteilen, da sie teils aus Gefälligkeit, teils aus Furcht gemacht worden und oft von kollektiver Erinnerung durchdrungen waren.
Mag uns der Prozess gegen die Jungfrau von Orléans heute ungerecht und voreingenommen erscheinen, so kann man Jeanne doch einen gewissen Hochmut und herrisches Auftreten vorwerfen, welche sie bereits vor dem Prozess an den Tag gelegt hatte. Dies wurde nicht nur auf englischer Seite so empfunden, sondern auch im Lager Charles‘ VII. wurde Kritik an ihr laut. Sie „habe keinen Rat mehr annehmen wollen und nur ihrem eigenen Willen gehorcht […]“, zudem sei sie hochmütig geworden und „habe sich in teure Gewänder gehüllt […] und nur ihrem eigenen Wille gehorcht“ (zitiert nach: Krumeich, Verdammung und Rehabilitierung von Jeanne d'Arc (1431/1456), S. 164), wie der Erzbischof von Reims kurz nach ihrer Verhaftung äußerte. So bleibt die Frage offen, ob im Kontext der Zeit und der Umstände das Vorgehen der Gegner Jeannes wirklich als so verbrecherisch und ungerecht anzusehen ist, wie die Forschung und die kollektive Erinnerung es vermitteln.
Jeanne wurde nicht nur zu Lebzeiten, sondern, wie man am Revisionsprozess sieht, auch darüber hinaus zu politischen Zwecken instrumentalisiert. Bis heute haben sich verschiedene Gruppierungen die französische Nationalheldin zu eigen gemacht, um teilweise entgegengesetzte Ansichten und Ziele zu vertreten. Um diese Instrumentalisierung Jeanne d’Arcs soll es im dritten Teil der kurz!-Reihe gehen.



Literatur:
Krumeich, Gerd, Jeanne d’Arc. Die Geschichte der Jungfrau von Orleans, München 2006, 2. Auflage.
Krumeich, Gerd, Verdammung und Rehabilitierung von Jeanne d’Arc (1431/1456). Der Prozeß und seine Wirkungsgeschichte, in: Macht und Recht. Große Prozesse in der Geschichte, hg. v. Alexander Demandt, München 1990, S. 148-165.
Scheffel, Helmut, Vom Schlachtfeld zur Scheiterhaufen. Der Prozess der Jeanne d’Arc, in: Große Prozesse. Recht und Gerechtigkeit in der Geschichte, hg. v. Uwe Schultz, München 1996, S. 103-113.

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