Das Mittelalter kannte
drei sogenannte Artesreihen, das heißt Sammlungen von Künsten (artes) zu einem bestimmten
Wissensgebiet: die artes liberales,
z. B. Rhetorik und Geometrie, die artes
mechanicae, hierzu zählen unter anderem die Schmiede- und Webekunst, und
die artes magicae, also magische und
mantische, die Wahrsagerei betreffende, Kunstfertigkeiten. Jede der Reihen
umfasste dabei jeweils sieben Künste, für die artes magicae waren es die folgenden: die Nigromantie (schwarze
Kunst), die Geomantie, Hydromantie, Aeromantie, Pyromantie, das heißt die
Weissagung aus Erde, Wasser, Luft und Feuer, die Chiromantie (die Kunst aus der
Hand zu lesen) und die Spatulamantie, also die Weissagung aus dem
Schulterblatt. Da sich diese Künste vor allem mit der Wahrsagerei
beschäftigten, spricht man bei ihnen auch von Divinationskünsten. Der sich
entwickelnde Fachbereich der magischen Künste ging dabei sowohl auf antike
Traditionen, als auch auf den zunehmenden Kontakt mit der arabischen Welt
zurück. Auch lassen sich Vermischungen von vorchristlichen Bräuchen mit den
Ritualen der christlichen Religion oder anderer Religionen feststellen. Wichtig
ist es jedoch, zwischen der wissenschaftlichen Beschäftigung mit diesen Künsten
auf der einen Seite und dem in der breiten Bevölkerung vorherrschenden Glauben
an Magie und Mantik auf der anderen Seite zu unterscheiden.
Ab dem 15. Jahrhundert
gewannen gelehrte Formen der magischen Künste zunehmend an Bedeutung und
stießen auf vermehrtes Interesse in gebildeten Kreisen. Lateinische Schriften
wurden bearbeitet, übersetzt und einem größeren Rezipientenkreis zugänglich
gemacht. Damit einhergehend war jedoch auch ein hauptsächlich von der Kirche
geführter Kampf gegen eben jene nicht christlichen, in ihren Augen verbotenen
Künste (artes prohibitae) und der
Versuch, das Wissen über diese auszugrenzen und die jeweiligen Schriften zu
verbieten. In diesem Kontext steht auch das circa um 1456 entstandene Puch aller verpotten kunst, unglaubens und
der zaubrey, um welches es in diesem Artikel gehen soll.
Das „Buch aller
verbotenen Kunst, des Unglaubens und der Zauberei“ wurde vermutlich um 1456 von
Johannes Hartlieb (um 1400-1468) verfasst und stellt das umfangreichste,
deutschsprachige Buch im Hinblick auf die artes
magicae dar. Hartlieb war als Arzt, Hofdichter und Übersetzer tätig und
agierte zudem als politischer Berater für mehrere Herrscher seiner Zeit. So
entstand das hier behandelte Buch im Auftrag des Markgrafen Johann von
Brandenburg-Kulmbach (1406-1464), der wohl Informationen über jene Praktiken
einholen wollte. Zwei Merkmale machen das Buch dabei besonders interessant:
Seine Form und die damit vermeintlich im Widerspruch stehende Intention seines
Verfassers.
Heidelberg, Universitätsbibl., Cpg 478, Augsburg um 1465, Vorrede. http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglitData/image/cpg478/1/001r.jpg |
Beinahe enzyklopädisch
und in über hundert Kapiteln stellte Hartlieb in seinem Buch die bereits oben
erwähnten sieben magischen Künste vor. Dabei scheinen die Inhalte für Laien
aufbereitet worden zu sein, weshalb das Buch in der Forschung teilweise als
Laiendidaxe bezeichnet wird. Zwar warnte Hartlieb mehrfach vor den vermeintlich
von den Künsten ausgehenden Gefahren und die Beeinflussung durch den Teufel, vor
allem aber informierte er detailreich über die Künste und schilderte äußerst anschaulich
und mithilfe von zahlreichen Beispielen ihre Anwendungspraktiken. So klärte er
beispielsweise im Teil über die Hydromantie über die verschiedenen
Verwendungszwecke von Weihwasser auf: Dieses würde von Frauen dazu benutzt,
Raupen von Pflanzen fern zu halten (ettlich
weib besprengen ire krautt oder pflantzen damit und mainent, das die krautwürm
nit daran komen süllen), von Angehörigen des Hofes, um Sporen darin zu baden,
um Verletzungen bei ihren Pferden vorzubeugen (es sind ettlich hoflüt, wann die new sporn haben, so stossen sy die mit
den rädlen in ainen weichprunnen und sprechen, was sy damit hawen, das geschwell
nymmermer) und schließlich von Zauberinnen zur Unterstützung vielfältiger
Zauber positiver und negativer Natur (ettlich
zaubrerin [...] mit dem selben wasser treiben sy manigerhannd zaubrey zu lieb
und zu veintschaft). Darüber hinaus kündigte Hartlieb in seinem Text an,
neben den sieben noch 84 weitere Künste vorstellen zu wollen. In keiner der
drei bekannten Handschriften, die den Text überliefern, findet sich allerdings solch
ein Teil. So muss entweder davon ausgegangen werden, dass das „Buch aller verbotenen Kunst“ nicht
vollständig überliefert ist oder Hartlieb seine Ankündigung schlicht nicht
umsetzte.
Trotz der detailreichen
Schilderungen, die teilweise sogar auf eine gewisse Faszination des Verfassers
für ebenjene Künste hinzudeuten scheinen, durchzieht das Buch eine andere
Intention. Hartlieb ging es darum, die artes
magicae als ungelaub zu entlarven,
zu verurteilen und die geistlichen und weltlichen Autoritäten der Zeit vor
deren Wirkung zu warnen. An mehreren Stellen innerhalb seines Textes appellierte
er direkt an jene Personen und forderte sie dazu auf, gegen diese Künste
vorzugehen und gleichsam selbst wachsam zu bleiben, um nicht der Beeinflussung
durch den Teufel zu verfallen. Zwar nahm Hartlieb mit dieser ablehnenden Haltung gegenüber den magischen Künsten
keineswegs eine Sonderrolle ein, in Anbetracht seines früheren Wirkens ist die
Veröffentlichung des „Buches aller verbotenen Kunst“ aber ein interessantes
Faktum in seinem Lebenslauf. Denn zuvor hatte er unter anderem ein
Mondwahrsagebuch (um 1432), eine Namenmantik (um 1440) und ein Buch über die
Handlesekunst (1448) vorgelegt, die keineswegs auf eine Gegnerschaft Hartliebs
im Hinblick auf Magie und Wahrsagerei hinweisen. Die Gründe für den vorsichtig
als Entwicklungsprozess und radikaler als Abkehr von der Magie und Hinwendung
zur Religiosität beschriebenen Wandel in Hartliebs Auffassungen können
letztlich nicht geklärt werden. Vermutungen, dass Treffen Hartliebs mit dem
Kardinal und Philosophen Nikolaus von Kues (1401-1464) in den Jahren 1451 und
1454 der Auslöser für den Wandel gewesen sein könnten, bleiben ebenso wie
andere Erklärungsansätze einen wirklichen Beweis schuldig. Festzuhalten bleibt,
dass das „Buch aller verbotenen Kunst“ die intendierte Distanzierung Hartliebs
von den magischen Künsten deutlich macht, gleichzeitig aber auch die
Präsentation seines über Jahre angesammelten Wissens und der anwendungsbezogene
Charakter seiner Schilderungen eine vollständige Abkehr und Ablehnung nicht
immer glaubhaft erscheinen lassen.
Literatur:
Johannes Hartlieb: Das Buch der verbotenen Künste. Aberglauben und Zauberei des Mittelalters. Aus dem Mittelhochdeutschen übersetzt, kommentiert und mit einem Glossar versehen von Falk Eisermann und Eckhard Graf. Mit einer Einleitung und einem Anhang von Christian Rätsch. Erweiterte Neuausgabe, München 1998.
Fürbeth, Frank: Johannes Hartlieb. Untersuchungen zu Leben und Werk, Tübingen 1992.
möglich, dass er im Gespräch mit dem Kardinal selbst der Hexerei, oder der Verherrlichung dieser bezichtigt wurde. Im Hinblick auf die möglichen Konsequenzen er zum reinen Selbstschutz dieses Buch verfasst hat. Dies ist natürlich reine Spekulation, wäre allerdings eine Erklärung für die Widersprüchlichkeit dessen
AntwortenLöschenWas auch immer Hartliebs Motivation ist, interessanterweise ist dieses Büchlein u. a. ein Spiegelbild der früh einsetzenden Hexen-Diskussion bzw. der versuch die Wirklichkeit von Schadenzauber im theologisch und "naturwissenschaftlichen" Sinne zu rationalisieren,was im Endeffekt dazu führte, dass das Hexereidelikt als juristisch-theologisches Konstrukt erschaffen wurde. Hinzu kommt, dass dieses Büchlein ca. 30 Jahre älter ist als der berühmt berüchtigte Hexenhammer.Was an sich bemerkenswert ist, da Kramer offensichtlich (wie bekannt) nur vorausgegangene Modelle/Ideen aufgreift und sie weiter modernisiert, im scholastischen Sinne. Auf gewisse Weise hält schon Hartlieb die Lunte am Scheiterhaufen. Schon alleine, dass Er versucht aus wissenschaftlicher Neugier herauszufinden wie genau die Hexe es bewerkstelligt zu fliegen, weicht er von der alten Kirchenlehre ab, das der Hexenflug nur ein Hirngespinst von Bauernweibern sei. Im Endeffekt versucht Er volksabergläubische Vorstellungen zu technisieren und als reale Sache auszulegen. Was im Falle des Hexenflugs fatal ist, da es ein integraler Bestandteil des späteren Hexereidelikts ist.
AntwortenLöschenHinzu kommt, dass höchstwahrscheinlich alle die späteren Hexenkommissare auch fleißige Grimoire Leser waren, was Sie in Ihrem Irrglauben gestärkt hat, Zauberei als reale Sache zu betrachten…
Vielen Dank für diesen aufschlussreichen Kommentar und die Hinweise auf andere Werke und ihre Beziehung zu Hartliebs Buch aller verbotenen Kunst. Die Auswirkungen von zeitgenössischen Schriften auf die Hexenverfolgung und die in ihnen skizzierten Argumentationslinien und "Mittel zur Beweisführung" sind auf jeden Fall ein spannendes und intensiv zu diskutierendes Thema. Noch einmal vielen Dank für die Hinweise.
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