Heinrich V., römisch-deutscher König von 1106 bis 1125 und ab 1111 Kaiser, ist mit anderen Kaisern und Königen verglichen ein in der Forschung relativ unbeschriebenes Blatt und die Bewertung seiner Herrschaft nicht immer unumstritten. Monographien über Karl den Großen, Heinrich I., Otto den Großen, Friedrich Barbarossa und den meisten anderen Herrschern der verschiedenen Reiche stehen in den Regalen der Buchhandlungen – eine Monographie über Heinrich V. sucht man dort allerdings vergebens. Was macht Heinrich und seine Herrschaft so interessant, dass ich mich mit ihm beschäftige und eine Reihe über ihn veröffentliche?
Sein Vater Heinrich IV. (römisch-deutscher König von 1056 bis 1105) ist als „Büßer“ von Canossa, da er sich 1077 vor die Füße Papst Gregors VII. warf und mit diesem Gang politisches Kalkül bewies, um einer Absetzung durch die Fürsten zuvorzukommen, in die Geschichtsbücher eingegangen und ungleich bekannter. Doch die Herrschaft Heinrichs IV. zeichnete viel mehr aus als der Gang nach Canossa alleine. Zum Ende seiner Herrschaft war er nämlich alles andere als ein populärer Kaiser: Jahrelang konnte er das Herzogtum Sachsen aufgrund eines andauernden Konflikts nicht betreten und die sächsischen Fürsten wählten 1077 mit Rudolf von Rheinfelden sogar einen Gegenkönig mit Unterstützung des Papstes und der kirchlichen Reformpartei; die Großen des Reiches waren mit seiner eigensinnigen Herrschaft äußerst unzufrieden und ob Heinrichs Exkommunikation um ihr eigenes Seelenheil besorgt. Selbst sein erstgeborener Sohn Konrad, den er am 30. Mai 1087 bereits zum König krönen ließ, richtete sich gegen seinen Vater und nicht zuletzt brach der Investiturstreit nach dem Gang von Canossa erneut aus. Größter Kritikpunkt war Heinrichs IV. eigensinnige Herrschaft, denn ein Konsens mit den Großen – Stichwort: konsensuale Herrschaft – erschien ihm in seinen letzten Herrschaftsjahren nicht nötig. Die Fürsten im Reich, deren Stellung mit dem Verzicht auf einen Konsens natürlich litt, wollten eine Veränderung. Der Thronerbe Konrad begann 1093 einen Aufstand gegen seinen eigenen Vater und ließ sich in Mailand zum König von Italien wählen und krönen. Als er am 10. Mai 1098 von seinem Vater enterbt wurde, begann die Geschichte des zweiten Sohnes, Heinrich. Als Alternative zu Konrad wurde er schließlich 1099 zum Mitkönig gekrönt.
Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/a3/Herrschafts%C3%BCbergabe_von_Heirich_IV._an_Heinrich_V.jpg |
Darstellung der Herrschaftsübergabe von Heinrich IV. an seinen Sohn Heinrich V. (Weltchronik des Ekkehard von Aura. Staatsbibliothek Berlin, Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Cod. Lat. 295, fol. 99r)
Kurz zusammengefasst: Heinrichs IV. Wirken zum Ende seiner Herrschaft war nicht von Erfolg gekrönt, weder für ihn selbst noch für seine Fürsten. Heinrich V. hatte als designierter Nachfolger seines Vaters kein leichtes Erbe anzutreten, wenn dieser versterben würde. Doch bevor der Tod Heinrichs IV. eintreten konnte, nahm Heinrich das Heft des Handelns in die eigene Hand: Gefördert und unterstützt von Gegnern seines Vaters, darunter vor allem Anhänger der kirchlichen Reformpartei sowie süddeutsche Große, richtete er sich gegen ebendiesen. Und obwohl Heinrich als Nachfolger designiert worden war, konnte er nicht bis zum Tod seines Vaters warten, denn die mächtigen Fürsten sehnten einen Herrscherwechsel herbei.
Heinrich V. galt als großer Hoffnungsträger, um die Beziehungen zwischen ihm, dem König, und den Fürsten aber auch mit dem Papsttum zu verbessern, denn er wurde nicht umsonst von einigen der größten Fürsten des Reiches gestützt. Seine Herrschaft begann entsprechend aussichtsreich: Nachdem er seinen Vater in einem auch militärischen Konflikt besiegen konnte und ihm schließlich 1106 nachfolgte, kamen so viele Große des Reiches zusammen, „wie man sie in dieser Größe lange Zeit nicht mehr erlebt hatte.“ (Ekkehard von Aura, ad a. 1106, Rec. III, S. 236f.). Der herbeigesehnte frühzeitige Thronwechsel stieß also auf entsprechend große Resonanz. Erzbischof Ruthard von Mainz richtete indes während der Krönungszeremonie Heinrichs folgende Worte an ihn und sprach damit mehr eine Warnung, als eine wirkliche Hoffnung aus:
„[…] si non iustus regni gubernator exstitisset et aecclesiarum Dei defensator, ut ei sicut patri suo evenisset.“ (Annales Hildesheimenses ad a. 1106, ed. Georg WAITZ (SS rer. Germ. 8), München 1878, S. 56.)
„Wenn er (Heinrich V.) sich nicht als gerechter Lenker des Reiches und Verteidiger der Kirchen erweise, würde es ihm wie seinem Vater ergehen.“
Quelle. http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/11/Erzbischof_Ruthard_von_Mainz_%C3%BCberreicht_Heinrich_V._die_Sphaira.jpg |
Heinrich V. erhält aus den Händen des Erzbischofs Ruthard von Mainz die sphaira.(">Anonyme Kaiserchronik für Heinrich V., 1112/1114, Cambridge, Corpus Christi College, The Parker Library, Ms. 373, fol. 83r)
Wie sollte ein neugekrönter König, der an der Spitze der Gegner mit Unterstützung der Fürsten seinen eigenen Vater absetzte, also auf die Umstände reagieren, dass ebendiese Fürsten ihn zu einer neuen, besseren Herrschaft trieben? Heinrich hatte kaum eine Wahl: Er machte ausschließlich das, was die Fürsten des Reiches auch absegneten – er war auf den Konsens mit den Großen angewiesen, wahrscheinlich sogar noch mehr als viele Könige vor ihm. Denn er war nicht König geworden, weil es die Erbfolge der Salierdynastie so vorsah (siehe dazu auch: Thronfolge im Mittelalter). Ohne die Unterstützung der Fürsten hätte weder Heinrich noch eine andere Person König werden können. Sogenannte Intervenienten- und Zeugenlisten in Urkunden (Intervenienten sind Fürsprecher bezüglich des stattfindenden Rechtsinhaltes, Zeugen bezeugen den Rechtsinhalt einer Urkunde) zeigen in den ersten Jahren von Heinrichs Herrschaft eine sehr hohe Beteiligung von Fürsten an Urkundenausstellungen wie sie vorher nur sehr selten vorgekommen war. Sowohl die Anzahl der Listen insgesamt als auch die vorkommenden Personen beweisen ein erhöhtes Bewusstsein der Fürsten, an Rechtsgeschäften des Reiches teilzunehmen und diese auch mitbestimmen zu wollen.
In den Jahren nach seiner Königskrönung versöhnte er sich sowohl mit dem sächsischen Volk als auch mit seinen Fürsten und der Kontakt nach Italien wurde wieder reger. Sogar der Kontakt zum Papst hatte sich so verbessert, dass Heinrich 1111 zu seiner Kaiserkrönung nach Rom reiste. Die verbesserten Beziehungen zum Papst hielten jedoch nur bis zum Tag der Kaiserkrönung an: Nachdem der Papst die Zugeständnisse Heinrichs zur Lösung des Investiturstreits hatte vorlesen lassen, brach ein wohl inszenierter Aufruhr unter den anwesenden Geistlichen aus, die mit den Zugeständnissen nicht einverstanden waren, und Papst Paschalis II. wurde von Heinrich und seinen Anhängern festgenommen. Schließlich wurde er dazu gezwungen die Forderungen Heinrichs anzunehmen. Die geistlichen und weltlichen Fürsten schienen von der Gefangennahme des Papstes nicht beeindruckt, denn sie standen nach wie vor auf der Seite ihres Kaisers, wie die anhaltende Präsenz der beteiligten Fürsten am königlichen Hof beweist – ein Zeichen für eine von Heinrich und seinen Beratern absichtlich herbeigeführte Inszenierung, um den Papst in die Ecke zu drängen?
Die ersten Herrscherjahre war sehr erfolgreich verlaufen und die in Heinrich gesetzte Hoffnung war nicht enttäuscht worden. Das Verhältnis zu den Fürsten war so gut wie seit einigen Jahrzehnten nicht mehr. Für den 07. Januar 1114 berichtete Ekkehard von Aura von der Hochzeit Heinrichs mit der englischen Königstocher Mathilde (1102-1167):
„Ad ipsas quoque nuptias tanta convenit multitudo archiepiscoporum, episcoporum, ducum atque comitum, abbatum quoque et preposituorum atque eruditissimorum clericorum, ut nullus senex illius evi posset reminisci vel aliquo modo adtestari se vidisse vel saltem audivisse tantam multitudinem tantorum primatuum in uno conventu convenisse.“ (Ekkehard von Aura, Chronica ad a. 1114, Rec. II, S. 262f.)
(„Zu dieser Hochzeit strömte eine solche Menge von Erzbischöfen, Bischöfen, Herzögen, Grafen, Äbten, Pröpsten und hochgelehrten Geistlichen zusammen, daß kein Greis dieses Zeitalters sich erinnern oder auf irgendeine Weise bestätigen konnte, gesehen oder wenigstens gehört zu haben, daß eine so große Schar bedeutender Großer bei einem Treffen zusammengekommen sei.“)
Doch die Einheit hielt nicht mehr lange an: Für den 01. November 1115 hatte Heinrich für einen Reichstag in Mainz einberufen:
„Statuto itaque tempore dum ipse Mogontiae presens condictum frustra prestolatur conventum – nam preter paucos episcopos nemo principum adventabat […].“(Ekkehard von Aura, Chronica ad a. 1115, Rec. III, S. 314f.)
(„Während er selbst zur festgesetzten Zeit in Mainz zugegen war und den angesagten Hoftag vergebens erwartete – denn außer einigen wenigen Bischöfen kam keiner der Fürsten […].“)
Die Diskrepanz zwischen den zwei Aussagen ist gewaltig. Auf der einen Seite kommen, wie Ekkehard von Aura wohl vermitteln wollte, alle Großen des Reiches, um Heinrich ihre Wertschätzung zu versichern. Nur fast zwei Jahre war ein großer Bruch in den Beziehungen zwischen Heinrich und seinen Fürsten auszumachen. Warum auf den Reichstag in Mainz kaum jemand von den Großen des Reiches erschien und was beispielsweise eine Forschungsmeinung über Heinrich, der als ein überforderter Herrscher in seinem eigenen Reich tituliert wird, zumindest zum Teil rechtfertigt, erfahrt ihr im nächsten Teil.
Literatur:
Ekkehard von Aura, Chronica ad a. 1114, Rec. II, in: Franz-Josef Schmale, I. Schmale-Ott (Hgg.): Frutolfs und Ekkehards Chroniken und die anonyme Kaiserchronik. (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters – Freiherr-vom-Stein-Gedächtnisausgabe, Bd. 15), Darmstadt 1972.
Gerd ALTHOFF, Heinrich V. (1106-1125), in: Bernd Schneidmüller, Stefan Weinfurter (Hgg.): Die deutschen Herrscher des Mittelalters. Historische Portraits von Heinrich I. bis Maximilian I. (919-1519), S. 181-200.
Stefan WEINFURTER, Das Jahrhundert der Salier (1024-1125), Ostfildern 2008.
Guter Artikel. Allerdings ist der Literatur unbedingt noch der Aufsatz von Stefan Weinfurter hinzufügen, der die Sicht auf Heinrichs Herrschaft grundlegend beeinflusst hat:
AntwortenLöschenWeinfurter, Stefan: Reformidee und Königtum im spätsalischen Reich. Überlegungen zu einer Neubewertung Kaiser Heinrichs V., in: Weinfurter, Stefan (Hrsg.): Reformidee und Reform-politik im spätsalisch-frühstaufischen Reich (= Quellen und Abhandlungen zur mittelrheini-schen Kirchengeschichte, Bd. 68), Mainz 1992, S. 1 – 45.
Vielen Dank für den Hinweis.
LöschenDer Artikel von Stefan Weinfurter ist natürlich maßgeblich, allerdings leider nicht online verfügbar. Darüber hinaus gibt es natürlich noch sehr viele andere sehr gute Aufsätze, vor allem von Jürden Dendorfer, der sich mit der Struktur der Gegner und Förderer Heinrichs befasst (und womit ich mich momentan auch in meiner Masterarbeit beschäftige ;) ).
Wir versuchen bei den Literaturangaben besonders auch gut erhätliche Werke anzugeben, die Jeder für ein wenig Geld erstehen kann, wenn Interesse besteht, weswegen ich den Weinfurter-Aufsatz zunächst nicht erwähnt habe. ;)
Jürgen Dendorfers Artikel sind übrigens online über die Uni Freiburg einzusehen und für Jeden, der sich mit der Thematik auseinandersetzen möchte, ein Muss. Einfach nach Dendorfer und Heinrich V. suchen.
Ach danach gehen die Literaturangaben, dann passt das natürlich! Ja die Dendorfer Arbeiten sind natürlich auch grundlegend, wobei ich seiner Aussage, dass Heinrich V. in seiner Anfangszeit keine Akzente zu setzen vermochte und dies auch nicht versucht habe, doch etwas kritisch gegenüberstehe. In diesem ganzen Konvulut ist es eben schwer rauszuarbeiten an welchen Stellen sich die Interessen von Heinrich und den Fürsten überschneiden, wo er sich beugt und wo er eigene Akzente setzt. Hier ein noch differenzierteres Bild zu entwerfen wird noch Aufgabe der Forschung sein.
LöschenEin/e Kenner/in der Thematik. :)
LöschenDendorfer war, zumindest in der Breite des Beobachtungszeitraums, auch der Erste, der sich an die Thematik herangetraut hat und auch die einzelnen Personen, die sich zu den verschiedenen Perioden am Hof Heinrichs aufhielten, betrachtet hat. Seitdem ist leider noch nicht viel nachgekommen.
Der Anfang von Heinrichs Herrschaft ist wohl der schwierigste Part, denn, wie du schon gesagt hast, die Schnittstellen in den Interessen herauszufiltern, stellt sich als schwierig dar.
Aber nichtsdestotrotz ist gerade die Analyse der Beziehungen zwischen Heinrich und seinen Fürsten über die komplette Herrschaft hinweg äußerst interessant.