Im heutigen Artikel
geht es um den Alten und den Neuen Pitaval, zwei äußerst beliebte
Sammlungen historischer und zeitgenössischer Kriminalfälle aus dem 18. und 19.
Jahrhundert. Diese sind bereits im Artikel über die Giftmörderinnen kurz
zur Sprache gekommen und sollen nun genauer vorgestellt werden. Heute sind
beide Werke beinahe in Vergessenheit geraten und mit ihnen eine ganze
Literaturgattung. Dabei ist ein Blick in beide Ausgaben auch weiterhin sehr lohnenswert,
stellen sie doch die spannendsten, ungewöhnlichsten und zum Teil auch
schaurigsten Verbrechen und Kriminalfälle ihrer Zeit dar und sind zudem
größtenteils online verfügbar.
Deckblatt einer Ausgabe von 1747 https://covers.openlibrary.org/b/id/6848016-L.jpg |
Dabei wurde die Sammlung von Fällen bald nur noch ausgehend von ihrem Namensgeber als Pitaval bezeichnet und sie erfreute sich einer immer größer werdenden Beliebtheit. E. T. A. Hoffmann (1776-1822) beispielsweise wurde erst durch die Lektüre des Alten Pitaval zu seiner Erzählung Das Fräulein von Scuderi inspiriert, welche 1821 erschien und sich mit rätselhaften Morden in Paris beschäftigt. 1792 wählte kein geringerer als Friedrich Schiller (1757-1805) einzelne Fälle aus dem Pitaval aus, um diese in einer kleineren Sammlung herauszugeben. Dieser stellte er ein Vorwort voran, in welchem er ausschließlich lobende Worte für das Werk fand: „Man findet in demselben eine Auswahl gerichtlicher Fälle, welche sich an Interesse der Handlung, an künstlicher Verwicklung und Mannigfaltigkeit der Gegenstände bis zum Roman erheben und dabei noch den Vorzug der historischen Wahrheit voraus haben. Man erblickt hier den Menschen in den verwickeltesten Lagen, welche die ganze Erwartung spannen, und deren Auflösung der Divinationsgabe des Lesers eine angenehme Beschäftigung gibt.“ Darüber hinaus regte Schiller in seiner Vorrede an, dass „[…] auch von andern Schriftstellern und aus andern Nationen (besonders, wo es sein kann, aus unserm Vaterland) wichtige Rechtsfälle aufzunehmen und dadurch allmählich diese Sammlung zu einem vollständigen Magazin für diese Gattung zu erheben [seien].“ Für den deutschsprachigen Raum erfüllte sich Schillers Hoffnung dann auch. Zwischen 1807 und 1811 erschienen Paul Johann Anselm von Feuerbachs Sammlungen Merkwürdiger Criminal-Rechtsfälle und zwischen 1841 und 1890 schließlich der sogenannte Neue Pitaval, der wiederum auf Feuerbachs Ausgabe basierte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt war der Begriff Pitaval zum Oberbegriff für Sammlungen von Kriminalfällen geworden und es entwickelte sich eine starke Konkurrenz zwischen den einzelnen Sammlungen. Der Neue Pitaval, diese „Sammlung der interessantesten Kriminalgeschichten aller Länder aus älterer und neuerer Zeit, wurde gemeinsam von Julius Eduard Hitzig (1780-1849), einem deutschen Juristen, Schriftsteller und Verleger, und Willibald Alexis (1789-1871), ebenfalls Schriftsteller, herausgegeben und brachte es letztlich auf insgesamt 60 Bände und circa 520 beschriebene Fälle. Seinen Vorgängern ähnlich standen auch hier vielmehr die Lebensläufe der Verbrecher im Fokus und wurden spannend und sprachlich ansprechend geschildert. Prozessakten stellen jedoch wiederum den Ausgangspunkt der Erzählungen dar und garantierten somit die wahre Begebenheit der geschilderten Tatabläufe.
Tatsächlich erfreuten
sich bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts immer neue Pitavalgeschichten einer
immensen Beliebtheit, das Lesen dieser gehörte insbesondere für das Bürgertum
zum Alltag und einzelne Fälle wurden gar öffentlich diskutiert. Nach dem Ersten
Weltkrieg verschwanden diese Geschichten dann beinahe vollständig vom Markt und
gerieten weitgehend in Vergessenheit. Nur einzelne Fälle, wie beispielsweise
jene der Giftmörderinnen, blieben im Gedächtnis und wurden weiter rezipiert.
Linktipps:
Geschichten aus dem Alten Pitaval: http://gutenberg.spiegel.de/buch/geschichten-aus-dem-alten-pitaval-3359/1
Der Neue Pitaval: http://gutenberg.spiegel.de/buch/der-neue-pitaval-4838/1
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