Sonntag, 17. Juli 2016

Wege in die Freiheit – Sklaverei im Mittelmeerraum Teil 1



"Sighting the quarry from the deck of the corsair" - Ölgemälde von Niels Simonsen / Quelle: http://www.wikigallery.org/wiki/painting_286379/Niels-Simonsen/Sighting-the-quarry-from-the-deck-of-the-corsair

Das oben dargestellte Gemälde von Niels Simonsen (1837) zeigt eine für den spätmittelalterlichen Mittelmeerraum typische Szenerie. Zu sehen ist ein auf dem Mittelmeer fahrendes Korsarenschiff aus Nordafrika mit Besatzung. Das Schiff besitzt Kanonen, die Besatzung ist bewaffnet und sichtet im abgebildeten Moment ein anderes Schiff, das überfallen und gekapert werden soll. In einem solchen Fall lauerten die Korsaren, also Seeräuber, die mit einem eigenen, vom Staat unabhängigen, Schiff Handelsschiffe kaperten, besonders reichen Christen auf, die in Geiselhaft genommen und später verkauft werden konnten, oder auch armen Christen, die auf dem Sklavenmarkt ihren Besitzern gutes Geld einbrachten.


 
Die Sklaverei im Mittelmeerraum besaß einen höheren Stellenwert als im übrigen Europa, weil besonders auf dem Seeweg reiche Beute gemacht und die Besatzung gekaperter Schiffe gefangengenommen werden konnte. Erfahrene Schiffsbesatzungen hatten gegenüber den Handelsschiffen meistens ein leichtes Spiel, denn nicht jeder Schiffskapitän konnte sich Schutz erkaufen. Die beim Kapern gefangengenommenen Menschen wurden sehr oft zu Sklaven gemacht. Diese Sklaven hatten kaum Rechte, genauso wie diejenigen, die durch Kriegszüge, Überfälle und andere Missstände aus ihrer Heimat und ihrem gewohnten Umfeld herausgerissen und anschließend gewöhnlich als Haus- oder Feldsklaven sowie Soldaten eingesetzt wurden – sie wurden von Sklavenhändlern und -haltern als wirtschaftliches Gut be- und gehandelt. Die vier zentralen Aspekte der Sklaverei waren die Sklavenbefreiung, der Sklavenhandel, die Sklavenhaltung sowie die soziale und geographische Herkunft der Sklaven. Diese zweiteilige Reihe betrachtet den Aspekt der Sklavenbefreiung und zeigt die möglichen Wege in die Freiheit sowie die damit verbundenen Chancen, aber auch Risiken auf, denen sich sowohl der Sklavenhalter als auch besonders die Sklaven stellen musste.

Auch wenn ein Sklave  mehrere Möglichkeiten hatte, seine Freiheit wieder zu erlangen, entschied doch in der Mehrzahl aller Fälle der Sklavenhalter, ob und wie der Sklave oder die Sklavin zurück in die Freiheit entlassen werden sollte. Die Freilassung (manumissio) konnte durch einen Loskauf auf Basis einer Ratenzahlung, durch Aushandlung verschiedenener Bedingungen, wie beispielsweise einem zeitlich begrenzten Verbleib des Sklaven im Dienste seines Herren, oder ohne irgendwelche Bedingungen vollzogen werden. Dieser Weg in die Freiheit wurde meistens nur Sklaven mit einem, aus der Sicht des Sklavenhalters, geringen ökonomischen Vorteil, also Sklaven die beispielsweise zu jung oder alt waren, ermöglicht. Dazu wurde ein schriftliches Dokument wie ein Testament, ein Zeugnis oder ein Freilassungsbrief aufgesetzt, in dem die Rahmenbedingungen festgehalten wurden.
Beispielhaft dafür steht der folgende Inhalt einer Originalurkunde, die leider nur im Lateinischen verfügbar ist. Inhaltlich hält die Urkunde die geplante Freilassung des Sklaven Sayt Sanagi, einen Sarazenen, von seinem Sklavenhalter Arnaldus Iarmani, einem Meister der Medizin, fest. Diese erfolgte durch Loskauf basierend auf einer Ratenzahlung (Tallia).  Arnaldus Iarmani verpflichtet sich in dieser Urkunde, seinen Sklaven Sayt Sanagi gegen eine Zahlung von 80 Pfund in monatlichen Raten von je 20 Schillingen freizulassen. Sayt Sanagi werde solange im Dienst seines Herrn und damit im Sklavenstatus verbleiben, bis er die vollständige Summe bezahlt habe. Arnaldus lässt in dieser Urkunde für diese Zeit schriftlich diverse Verhaltensregeln festlegen, die sein Sklave nicht brechen dürfe: Sayt dürfe das Meer nicht überqueren, die Stadt und deren Grenzen nicht verlassen, sich nicht betrinken, stehlen, der Kuppelei nachgehen, Glücksspiele spielen, Streitereien und blutige Schlägereien eingehen oder sogar beginnen sowie die Nacht in einem Krankenhaus verbringen. Wenn er auch nur gegen eine dieser Bedingungen verstoße, werde er ein Sklave bleiben. Halte Sayt aber die aufgestellten Regeln ein, verspricht Arnaldus dessen Freilassung und seine Unterstützung für Sayts Vorhaben. 

Beide Parteien mussten also, wie in einem Klientelsystem, gewisse Bedingungen erfüllen: Der Sklavenhalter stellte mit dem Loskauf durch Ratenzahlung und den Verhaltensregeln Prämissen auf, die der Sklave einzuhalten hatte, um schließlich die Freiheit zu erlangen. Zudem verpflichtete er sich selbst, dass bei Einhaltung der Prämissen eine Freilassung erfolgen musste und dass er seinem Sklaven bei seinem Weg in die Freiheit unterstützen werde. Die Verhaltensregeln für den Sklaven zielten darauf ab, die Ehre und das Ansehen des Sklavenhalters nicht durch Zuwiderhandlungen von ebenjenem Sklaven zu verletzen. Gleichzeitig waren diese Verhaltensregeln aber nicht nur dem Sklavenhalter und seiner Ehre dienlich, sondern auch dem Sklaven selbst. Durch die unmittelbare Pflicht, sich an diese Regeln und gültigen gesellschaftlichen Normen halten zu müssen, konnte eine  gesellschaftliche Wiedereingliederung einsetzen und eine mögliche Rückkehr in die Gesellschaft wurde dem Sklaven damit erleichtert. Inwiefern der Gedanke einer unterstützten Wiedereingliederung wirklich eine Rolle spielte, kann nur schwer beurteilt werden. Da aber Sklavenhalter und Sklave häufig eine gute Beziehung pflegten – denn ein gutes Verhältnis ermöglichte eine leistungsgarantierte Arbeitsatmosphäre –, ist eine Hilfestellung zur Reintegration in die Gesellschaft seitens des Sklavenhalters nicht unwahrscheinlich. Für den Fall, dass der Sklave die vom Sklavenhalter formulierten Bedingungen breche, würde das Abkommen zwischen den beiden Parteien aufgelöst und der Sklave Sayt Sanagi seinen Sklavenstatus beibehalten.

Im Fortlauf der Urkunde benennt der Sklave Sayt Sanagi noch Personen, die fideiussores, von denen jeder Beliebige im Fall einer Flucht Sayts für ebenjenen einstehen musste: ein nicht benannter Freigelassener, ehemaliger Sklave unter dem ehrwürdigen Pere sa Costa, Johannes Spanyol, Sklave des Händlers Berenguer de Camp, Bernard Ardit, Sklave unter Franziskus Bofill sowie Michael sa Font, Sklave unter dem Händler Pere sa Font. Die Sklavenhalter waren alle Bürger der Stadt Barcelona. Bei jedem der vier genannten fideiussores handelte es sich um einen ehemaligen Sklaven, nun Freigelassenen. Alle Freigelassenen waren darüber hinaus wie Sayt auch Sarazenen; im Gegensatz zu diesem waren sie aber bekehrte Christen. Zusätzlich musste Sayt – was bereits vorher im Vertrag festgehalten worden war – einen oder mehrere neue fideiussores benennen, falls einer der genannten sterben oder die Stadt Barcelona verlassen sollte. 

Es stellt sich noch die Frage, warum ein Sklavenhalter seinen Sklaven überhaupt freilassen sollte? Zum einen wurde immer wieder das Motiv der Frömmigkeit in solchen Urkunden aufgeführt. Islamische Sklavenhalter hielten sich häufig an den Koran, der die Befreiung des Sklaven als Akt der Frömmigkeit betitelt. Ebenfalls wichtig waren die affektiven Bindungen, die zwischen Sklavenhalter und Sklaven mit der Zeit entstehen konnten. Dies zeigt auch das oben genannte Beispiel des Sklaven Sayt Sanagi, der ein gutes Verhältnis zu seinem Sklavenhalter pflegte. Vor allem Haussklaven, die jahrelang für ihren Sklavenhalter gearbeitet hatten, wurden aus Dankbarkeit und aufgrund der entstandenen Bindung in die Freiheit entlassen. Haussklaven mussten zum Teil nicht unter unwürdigen Bedingungen arbeiten und konnten sogar in die Familie des Sklavenhalters integriert werden. Sklavinnen wurden immer wieder von ihren zukünftigen Männern freigekauft, vor dem Hintergrund einer nahenden Hochzeit aber auch vom Sklavenhalter freigelassen. Der Sklavenhalter selbst betrachtete die Freilassung eines Sklaven, unter welchen Bedingungen auch immer, stets als guten Dienst und führte häufig humanitäre Gründe, wie Barmherzigkeit, in den Urkunden an. 

Da Sklaven als ökonomisches Gut betrachtet wurden, war ein Loskauf, wie er bei Sayt Sanagi dokumentiert ist, häufig an eine beträchtliche Summe geknüpft, die nur die wenigsten Einzelpersonen oder Familien aufbringen konnten. Selbst eine Ratenzahlung war häufig nicht möglich. Die Preise zum Loskauf waren meistens höher als der damalige Sklavenmarktpreis, da der Loskauf ein lohnendes Geschäft für den Sklavenhalter darstellen sollte. Die Problematik für einen Sklaven bei einem solchen Loskaufvertrag bestand vor allem in der Beschaffung des Geldes. Er konnte selbst versuchen, Geld zu verdienen und sich loszukaufen, indem sein Herr ihm die Zustimmung gab, außerhalb des Hauses arbeiten zu gehen. Außerdem konnte er mit Hilfe einer Bettellizenz, der sogenannten licencia por acaptar, die beispielsweise von der Krone Aragons für einen begrenzten Zeitraum ausgestellt wurde, auf der Straße betteln. Weiterhin bestanden Freilassungsverträge, in denen festgelegt wurde, dass der Sklave beispielsweise 15 Tage im Monat für den Sklavenhalter arbeitete und dafür einen Lohn bekam, mit dessen Hilfe er sich schließlich freikaufen konnte. Dies stellte allerdings eine langwierige Angelegenheit dar, die großen Willen, viel Ausdauer und Leistungsbereitschaft voraussetzte. Selten wurde das für den Loskauf benötigte Geld auch von Familienmitgliedern oder Freunden und Bekannten aufgebracht. 

Der Freikauf versklavter Muslime wurde von Mittelsmännern, die von Herrschern, Verwandten und Freunden beauftragt worden waren, organisiert und durchgeführt. Auch Wohltätigkeitseinrichtungen sammelten Geld für den Loskauf von Sklaven und Gefangenen. Die in Barcelona, Valencia, Sizilien und Lissabon ansässige Bruderschaft Casa dels Negres sorgte mit Hilfe von Kollektensammlungen, Spenden und direkten Verhandlungen für den Freikauf von afrikanischen Sklaven. Darüber hinaus bestand zwischen den Muslimen untereinander eine starke Solidarität, die in der Aufzählung der fideiussorum innerhalb der Urkunde wiederzufinden ist, die sich aber auch häufig in gegenseitiger finanzieller Unterstützung widerspiegelt. 

Der zweite Teil dieser Reihe wird weitere Wege in die Freiheit behandeln und dabei auch den Blick auf den Sklaven Sayt Sanagi behalten, denn dieser sollte den hier vorgestellten Vertrag brechen.


Zum Weiterlesen:
Christoph CLUSE, Sklaverei im Mittelalter – der Mittelmeerraum. Eine kurze Einführung basierend auf Jacques HEERS, Esclaves et domestiques au moyen âge dans le monde méditerranéen, Paris 1981.
<http://med-slavery.uni-trier.de/minev/MedSlavery/publications/Einfuhrung.pdf>.

Jarbel RODRIGUEZ, Financing a captive’s ransom in late Medieval Aragon, in: Medieval Encounters. Jewish, Christian and Muslim culture in confluence and dialogue 9 (2003), S. 164-192.
Alfred HAVERKAMP, Die Erneuerung der Sklaverei im Mittelmeerraum während des hohen Mittelalters. Fremdheit, Herkunft und Funktion, in: Elisabeth Herrmann-Otto (Hg.), Unfreie Arbeits- und Lebensverhältnisse von der Antike bis in die Gegenwart. Eine Einführung, Hildesheim u.a. 2005, S. 130-166.
Josep HERNANDO, Els Esclaus Islamics a Barcelona: Blancs, Negres, Llors I Turcs: De l’esclavitud a la Llibertat (S. XIV), Barcelona 2003.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen