Zumeist einmal im Jahr treffen sich heute in zahlreichen Städten Schützenvereine oder Schützenbruderschaften zu ihren Schützenfesten, zu deren Höhepunkt ein Schießwettbewerb unter den Mitgliedern gehört. Doch wo liegen die Ursprünge dieser Volksfeste? Wann ist die Tradition der Schützenfeste entstanden? Dieser Artikel möchte die gestellten Fragen beantworten und aufzeigen, dass die Geschichte der Schützenfeste bis ins Mittelalter zurückreicht. Denn spätestens im 15./16. Jahrhundert war das Papageienschießen um Pfingsten, bei dem in den meisten Fällen ein bunter, papageienartiger, hölzerner Vogel von einer Stange geschossen werden musste, eins der wichtigsten bürgerlichen Feste nach der Fastnacht, das vor allem in den größeren Städten Nordeuropas weit verbreitet war.
Darstellung eines Papageienschießens aus dem 16. Jahrhundert https://fr.wikipedia.org/wiki/Papegai#/media/File:Jeu_du_papegay_en_Anjou.jpg |
Die Wurzeln dieses Festes liegen jedoch noch weiter zurück und sind im ausgehenden Hochmittelalter zu suchen. Um die Rückkehr der Kreuzfahrer aus dem Heiligen Land zu feiern, hielten adelige Mitglieder des Johanniterordens 1272 im südfranzösischen Aix-en-Provence einen Schießwettbewerb ab. Dazu wurde auf einem Platz außerhalb der Stadtmauern eine Stange aufgestellt, an deren Ende man einen lebendigen Vogel befestigte. Die Mitglieder des Johanniterordens hatten nun die Aufgabe, den Vogel mit Pfeil und Bogen abzuschießen. Auf den Wettbewerb folgte dann die Ehrung der drei besten Schützen: Der beste Schütze erhielt die Würde des Schützenkönigs und für die Zeit seiner Regentschaft einige Privilegien, während der zweitbeste Schütze zum Vizekönig und der drittbeste zum Fahnenträger geehrt wurde. Da das Schießen am Vorabend des Johannistags stattfand, nahmen die Adeligen danach an der Johannisfeuer-Feier teil, auf der der neu gekürte Schützenkönig für Speis und Trank aufkommen musste. Auch für das französische Montpellier und das polnische Schweidnitz sind ähnliche Feierlichkeiten überliefert: Während am Ende des 13. Jahrhunderts der König von Menorca, der gleichzeitig auch Graf von Montpellier war, eine papagey fête initiierte, war es in Schweidnitz vermutlich Herzog Bolko I., der es seinen Bürgern erlaubte, einen lebendigen Vogel von einer Stange zu schießen.
Insgesamt handelt es sich bei den drei benannten Beispielen der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts um die frühesten Zeugnisse für das so genannte Papageienschießen. Auch wenn genauere Schlüsse zum Ursprung, zum sozialen Kontext oder auch zur genauen Funktion des Papageienschießens ausbleiben, ist dennoch belegt, dass sich dieser Wettbewerb im 14. Jahrhundert weiter nach Nordfrankreich, Flandern, in die Niederlande und ins Rheinland ausbreitete. Aus der Stadt Aachen ist etwa bekannt, dass sie im 14. Jahrhundert einen Schützenkönig finanziell belohnte und zudem Geld für die Kleidung der Schützen bereitgestellt haben soll.
Die Tradition des Vogelschießens breitete sich von dort auch in den niederdeutschen Städten aus: In Hamburg wurde das erste Papageienschießen 1379 begangen, während Schleswig (1449), Rostock (1446) und Lübeck (1549) erst im 15./16. Jahrhundert Schießwettbewerbe solcher Art initiierten. Auch im Ostseegebiet fand das Papageienschießen seine Verbreitung: In Riga gründete sich etwa 1416 aus den Mitgliedern der Großen Gilde, ein Zusammenschluss von Kaufleuten, und den Mitgliedern der Kaufleutevereinigung der Schwarzhäupter eine eigene Schützenbruderschaft, die jährlich um Pfingsten Schießwettkämpfe organisierte. Eine zweite Schützenbruderschaft schloss sich in Riga nur wenige Jahre später aus den Handwerkern zusammen, die wiederum ein eigenes Papageienschießen in der Stadt abhielt. Trotz der beiden bestehenden Bruderschaften galt jedoch nur der Schützenkönig der Kaufmannsbruderschaft als Schützenkönig der ganzen Stadt, während der Schützenkönig der Schützenbruderschaft der Handwerker nur als König der Handwerker-Gilde anerkannt wurde.
Auch in Kiel gründete sich 1412 mit der ‚Papageiengilde’ (heute: ‚Große grüne Schützengilde’) eine Schützenbruderschaft, die zudem genaue Statuten für den Ablauf des Papageienschießens festhielt. Zwei schaffere seien für den Aufbau der Stange und die Befestigung des Vogels zuständig und der Schützenkönig des Vorjahres habe beim Schießen das Recht des ersten Schusses vor allen anderen Schützen. Zudem wurde festgehalten, dass jeder Schütze nur einen Schuss habe und Zuwiderhandlungen bestraft würden – beim Verstoß müsse ein Fass Bier bezahlt werden. Fremde waren in Kiel nur zum Schießen zugelassen, wenn sie versprachen, die Stadt im Falle einer Notlage kämpferisch zu verteidigen. Der Schützenkönig bzw. Papageienkönig solle einen silbernen Vogel an einer Halskette als Preis erhalten und sollte es einem Schützen gelingen, das Schießen in drei aufeinanderfolgenden Jahren für sich zu entscheiden, würde der silberne Papagei in seinen Besitz übergehen:
Des hebbe we laten maken enen vogel van sulvere also gud alse en pund penninge, den schal de geve, de unse koningh wert, to dem jare dreghen in der wyse de nascreven is, unde were id sake, dat hee ene dryge affschote to dren jaren, dar ene jare ungesheden volghende na dem anderen, so schal de voghel syne eghene wesen, unde de schaffere desser kumpanyge scholen enen anderen voghel maken lassen
Daneben führen die Statuten aus, dass es dem Papageienkönig während seiner Regentschaft nicht gestattet sei, zweifelhafte Wirtshäuser oder Bordelle aufzusuchen; insgesamt müsse sich der Schützenkönig anständig betragen.
Darstellung eines Papageienschießens aus dem 17. Jahrhundert https://de.wikipedia.org/wiki/Vogelschie%C3%9Fen#/media/File:Tir_%C3%A0_l%27arc_au_papegai.jpg |
Im 15. Jahrhundert breitete sich das Papageienschießen auch in vielen Städten Skandinaviens aus. Beispielsweise hielt auch die ‚Dänische Gilde’ Kopenhagens in der Mitte des 15. Jahrhunderts ähnliche Statuten fest wie die Schützenbruderschaft in Kiel. In den Statuten wird festgehalten, dass jeder Schütze vor dem Schießen zwei Goldmünzen zahlen müsse, um überhaupt schießen zu dürfen. Während es in den ersten drei Runden jedem Teilnehmer des Schießwettbewerbs lediglich gestattet sei, einen Schuss auf den hölzernen Vogel abzugeben, sei die Anzahl der Schüsse nach diesen ersten Runden nicht mehr limitiert. Zudem ist in den Statuten festgelegt, dass jeder Schütze nur für sich selbst schießen dürfe, behinderte Menschen jedoch ein anderes Gildenmitglied für sich schießen lassen könnten. Die Teilnahme am anschließenden Fest koste jedem Schützen weitere zwei Goldmünzen. Daneben regeln die Statuten auch den Preis des Siegers: Dem Schützenkönig solle als Zeichen seines Sieges ein Ring verliehen werden und zudem habe er die Möglichkeit, im Jahr seiner Regentschaft mit zwei Gästen umsonst an drei Trinkgelagen teilzunehmen.
Das Papageienschießen war in Deutschland schon in seinen Anfängen immer auf die Mitglieder der Schützengesellschaften zugeschnitten – unklar ist, ob auch Frauen an den Papageienschießen teilnahmen bzw. teilnehmen durften. Zu diesen gehörten vor allem Mitglieder der führenden Schichten der städtischen Gesellschaft, die das Abhalten der Schießwettbewerbe als Mittel der Repräsentation ansahen – später entwickelten sich aus diesen Schützenbruderschaften die ersten Bürgerwehren. Zudem vermittelte das Schießen auf einen hölzernen Vogel den reichen Bürgern kulturelle Identität: Durch das Papageienschießen hoben sie sich vom turnierenden und wettkämpfenden Adel ab. Teilweise verschickten die das Wettschießen abhaltenden Städte sogar sogenannte Schützenbriefe, Einladungsbriefe an Schützen benachbarter Städte, in denen auch Informationen zu den Bedingungen des Wettkampfs gegeben wurden. Die Grundbedingungen – zu benutzende Schusswaffen, Größe des Holzvogels, Preis des Siegers, Schussentfernung – konnten nämlich stark variieren: Während im 14. Jahrhundert noch Langbögen als Schusswaffen benutzt wurden, setzte sich in der folgenden Entwicklung des Wettbewerbs mehr und mehr die Armbrust durch. Die zu benutzenden Pfeile waren in den meisten Fällen nicht gespitzt – um Unfälle zu vermeiden –, sondern nur an der Spitze beschwert, um so besser Holzteile des Vogels abschießen zu können. Manchmal wurden Hunde eingesetzt, um die abgeschossenen Pfeile an der Stange den Schützen zurückzubringen. Ab der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts fanden vermehrt auch Gewehre als Schusswaffen ihren Einsatz. Auch die Größe der verwendeten Holzvögel konnte sehr unterschiedlich sein. So benutzten die Schützen von Königsberg um 1500 etwa einen vogel von holtze gehawen, wie eine henne grosz mit auszgerackten fligeln. Während in den meisten Fällen silberne Ringe, Becher, Kelche oder Ketten an die Papageienkönige verliehen wurden, waren aber auch ganz andere Preise möglich: Magdeburg verschenkte 1387 eine Jungfrau an den Sieger des Schießens, München um 1400 eine Ziege und Nürnberg 1434 ein Pferd. Während der Papageienkönig in Augsburg um 1440 40 Goldstücke geschenkt bekam, erhielt der Schützenkönig von Leipzig 1550 sogar 300 Goldstücke. Die immer wertvoller werdenden Preise – nicht selten übertrumpften die Städte sich gegenseitig bei den zu verleihenden Geschenken – gingen gerade im 16. Jahrhundert mit einem starken Ansteigen der Teilnehmer und einer immer längeren Dauer der mittlerweile zu Volksfesten gewordenen Schießwettbewerbe einher. Schützenfeste konnten nun mehrere Wochen dauern und fernab des Papageienschießens wurde mit Gauklern, Lotterieloseverkäufen, Kegelbahnen und vielen weiteren Angeboten für Unterhaltung gesorgt.
Über die genaue Symbolik des Papageienschießens herrscht heute Unklarheit: Von daher kann es nur Vermutung bleiben, ob der Vogel – aufgrund der Austragung des Schießwettbewerbs vor allem zur Pfingstzeit – im Mittelalter als Symbol des Winters angesehen wurde, der mit dem Abschießen des hölzernen Papageien symbolisch verjagt werden sollte.
Zum Weiterlesen
- Crain, Karl Ferdinand: Ueber das mittelalterliche Vogelschieße, namentlich in Wismar, in: Jahrbücher des Vereins für mecklenburgische Geschichte und Alterthumskunde 7 (1842), S. 179-187.
- Endrei, Walter: Spiele und Unterhaltung im alten Europa, Hanau 1988.
- Søndergaard, Leif: Papageienschießen im nördlichen Europa, in: Jahrbuch der Oswald von Wolkenstein-Gesellschaft 16 (2006), S. 227-241.
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