Ludwig XIV.
(1638-1715), der wohl bekannteste französische König, wurde schon im Alter von
vier Jahren als König inthronisiert, nachdem sein Vater Ludwig XIII. im Mai
1643 gestorben war. Zunächst übernahm seine Mutter, Anna von Österreich
(1601-1666), die Regentschaft für ihren noch unmündigen Sohn, wobei politische
Entscheidungen in dieser Zeit schon hauptsächlich vom leitenden Minister und
Kardinal Jules Mazarin (1602-1661) getroffen wurden. Dieser übernahm außerdem
die Rolle des Erziehers Ludwigs und machte ihn mit der Führung des Staates
vertraut. Als Mazarin 1661 starb, war Ludwig 22 Jahre alt und bereit, die
Regierungsgeschäfte von nun an eigenständig zu führen und zu beweisen, dass er
im Spiel der europäischen Mächte nicht nur bestehen, sondern dieses auch
dominieren konnte. In diesem Artikel soll es um eine der ersten Amtshandlungen
Ludwigs, den sogenannten Londoner Kutschenstreit, gehen, mit der der spätere „Sonnenkönig“
erstmals eigenständig die Vormachtstellung Frankreichs gegenüber Spanien einforderte
und durch taktisches Agieren schließlich auch durchsetzen konnte.
Ludwig XIV. 1661,
Gemälde von Charles Le Brun, Öl auf Leinwand, Schloss von Versailles.
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Am
30. September 1661 sollte der neue schwedische Botschafter Per Brahe der
Jüngere (1602-1680) im Londoner Whitehall-Palast, der Residenz König Karls II.
(1630-1685), offiziell eingeführt werden. Solche Einzüge wurden gewöhnlich von
Kutschen begleitet, in denen sich die Botschafter der beteiligten Länder
befanden. Dabei spielte es eine enorme Rolle, welche Reihenfolge das Protokoll
bei der Einfuhr der Fuhrwerke vorsah, da an der Abfolge die Macht und die Stellung
des zu repräsentierenden Staates abgelesen werden konnte. Neben Ludwig, der als
französischer König für seinen Botschafter die erste Position in der Reihe der
Kutschen forderte, wollte auch der spanische König Philipp IV. (1605-1665),
gleichzeitig Schwiegervater Ludwigs, für seinen Botschafter Jean Charles de
Watteville die Spitzenposition erringen, da beide für ihre Länder die
Vormachtstellung in Europa beanspruchten. Streitigkeiten um Rangfolgen stellten
dabei keine Einzelfälle dar. In
England existierte zu diesem Zeitpunkt bereits ein Buch mit dem Titel Finetti Philoxenis: some choice observations
of Sr John Finett, knight, and master of the ceremonies to the two last kings,
Touching the Reception and Precedence, the Treatment and Audience, the
Puntillios and Contests of Forren Ambassadors in England, welches der
Zeremonienmeister am Hof der Stuarts, Sir Jon Finett, 1656 verfasst hatte.
Beide
Könige wussten um die symbolische Bedeutung der Reihenfolge, weshalb sie schon
vorher Vorbereitungen treffen ließen, um ihr Gespann an der Spitze des Zuges zu
wissen. So hatte sich die Delegation des französischen Botschafters im Vorfeld
bewaffnet und die spanische Delegation hatte Neugierige und Anwohner auf dem
Weg zum Palast bestochen, das französische Gefährt mit allen Mitteln aufzuhalten.
Schließlich eskalierte die Situation, als die Kutschen die Menge passierten. Es
entwickelte sich eine Art Wettrennen zwischen den Delegationen, das schließlich
in einer gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen den Franzosen, Spaniern und
den bestochenen Schaulustigen mündete. Im Verlauf des Gemenges kamen acht
Menschen zu Tode, zahlreiche wurden verletzt und die Pferde, die die
französische Kutsche zogen, abgestochen. So geschwächt blieb dem französischen Gefährt
nur noch eine abgeschlagene Position im Zug der Fuhrwerke übrig und die
spanische Kutsche fuhr als erste vor dem Palast von Whitehall vor.
Der Augenzeuge Samuel Pepys (1633-1703), Präsident der
Royal Society, Abgeordneter des House of Commons und akribischer
Tagebuchschreiber sowie Chronist seiner Zeit, beschrieb den Vorfall und die
Reaktionen der Bevölkerung folgendermaßen: “I
went into King Street to the Red Lyon to drink my morning draft, and there I
heard of a fray between the two Embassadors of Spain and France; and that, this
day, being the day of the entrance of an Embassador from Sweden, they intended
to fight for the precedence! Our King, I heard, ordered that no Englishman
should meddle in the business, but let them do what they would. […] Then to the
Wardrobe, and dined there, end then abroad and in Cheapside hear that the
Spanish hath got the best of it, and killed three of the French coach-horses
and several men, and is gone through the City next to our King’s coach; at
which, it is strange to see how all the City did rejoice. And indeed we do
naturally all love the Spanish, and hate the French.”
Auf
den ersten Blick hatte Spanien also seine Vormachtstellung vor Frankreich
behaupten und den symbolischen Zweikampf der Mächte für sich entscheiden können.
Ludwig jedoch hatte nur darauf gewartet, dass die spanische Delegation sich so
verhalten würde, und diese bewusst provoziert. Jetzt konnte er von einer
offiziellen Beleidigung der französischen Krone durch die spanische sprechen
und seinen Unmut kundtun. Ludwig erkannte die Chancen, die sich für Frankreich
aus dem Vorfall ergaben und er konnte aus dieser für Spanien gefährlichen
Situation seine Vorteile ziehen: In einem ersten Schritt verwies er den
spanischen Botschafter des Landes und zog gleichzeitig den französischen
Botschafter aus Spanien ab, um den Eindruck zu erwecken, alle diplomatischen
Beziehungen zwischen den Ländern abbrechen zu wollen. In einem zweiten Schritt
forderte er eine offizielle Entschuldigung des spanischen Königs für dessen
Verhalten im genannten Ereignis, welches im französischen Sprachgebrauch als Guerre de préséance (Krieg um die
Vormacht) bekannt geworden ist. Darüber hinaus erneuerte Ludwig seine Forderung
nach der Vormachtstellung Frankreichs, die von nun an an allen Höfen ohne
Einschränkung gelten sollte. Dabei ließ er Philipp IV. gar keine andere Wahl,
als auf die Forderung einzugehen, da er diese sogleich mit der Drohung
verbunden hatte, bei Nichtbefolgen die Spanischen Niederlande zu annektieren.
Denn Ludwig wusste um die geschwächte politische, militärische und finanzielle
Situation Spaniens: Seit 1635 hatten Frankreich und Spanien im
Französisch-Spanischen-Krieg gegeneinander und um die Vormachtstellung in
Europa gekämpft. Erst im November 1659 war dieser Krieg mit dem sogenannten
Pyrenäenfrieden zu Ende gegangen. Der Friedensschluss ging mit zahlreichen
Gebietsverlusten Spaniens einher und es wurde außerdem vereinbart, dass Ludwig
Maria Theresia, die Tochter Philipps, ein Jahr später heiraten sollte, um die
Verbindungen zwischen den Ländern zu erneuern und zu stärken. Im Ergebnis
verschob der Krieg das Mächtegleichgewicht zu Gunsten Frankreichs und schwächte
die vorherige Dominanz Spaniens – ein Faktum, welches von Philipp jedoch lange
Zeit nicht anerkannt wurde und als Ursache für sein Verhalten im Kutschenstreit
gesehen werden kann.
Entschuldigungsaudienz
der spanischen Gesandten vor Ludwig XIV. am 24. März 1662.
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Um
die Spanischen Niederlande zu schützen, musste der spanische König schließlich der
Forderung des französischen Königs nachkommen und Frankreich als neue
Hegemonialmacht anerkennen. Denn er wusste, dass sein Reich niemals eine
Annexion hätte verhindern können, da es nahezu zahlungsunfähig war und kaum
noch Truppen zur Verfügung standen. Die Entschuldigungsaudienz der spanischen
Gesandten in Frankreich fand schließlich am 24. März 1662 in der Residenz des
Königs in Fontainebleau statt. Ludwig war aufgrund seines diplomatischen
Geschicks und der klugen Einsetzung seines Wissens um Spaniens Lage folglich
als der Sieger aus dem Kutschenstreit mit all seinen Konsequenzen hervorgegangen.
Darüber hinaus hatte der noch junge König seinen Machtanspruch und seine
Position öffentlich behauptet und indirekt eine Warnung an die anderen
europäischen Mächte gesendet. Der von ihm provozierte Kutschenstreit stand
schließlich nur am Beginn seiner Herrschaft, die bis 1715 andauern sollte und
in dessen Verlauf Frankreich seine Großmachtstellung immer weiter ausbauen konnte
und Ludwig zum beeindruckendsten Vertreter des höfischen Absolutismus' wurde.
Zum
Weiterlesen:
Samuel
Pepys: Die Tagebücher 1660-1669, aus dem Englischen von Georg Deggerich u. a.,
nach der Latham-&-Matthews-Edition eingerichtet, mit Anmerkungen und
Karten, Frankfurt am Main 2011.
Bernier,
Olivier: Ludwig XIV. Die Biographie, Düsseldorf 2003.
Burke,
Peter: Ludwig XIV. Die Inszenierung des Sonnenkönigs, Berlin 2001.
Cénat, Jean-Philippe: Le roi stratège. Louis XIV et la
direction de la guerre, 1661-1715, Rennes 2010.
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