Sonntag, 3. April 2016

Die „Große Pest von London“ und das Schicksal des Dorfes Eyam

In einem früheren Artikel haben wir uns bereits mit dem Großen Brand Londons beschäftigt, der 1666 einen Großteil der Hauptstadt zerstörte. 1665 und 1666 wurde die Stadt an der Themse jedoch von einer zusätzlichen Katastrophe heimgesucht, um die es im heutigen Artikel gehen soll. Die Rede ist von der „Großen Pest von London“, die, anders, als der Name es vielleicht vermuten lässt, nicht nur in London wütete, sondern sich auch in weiteren Gegenden des Landes ausbreitete. Deshalb soll neben den Ereignissen in London exemplarisch auch ein Blick auf das besondere Schicksal des Dorfes Eyam geworfen werden, welches sich selbst unter Quarantäne stellte, um eine weitere Ausbreitung der häufig todbringenden Krankheit zu verhindern.

Anonymer Künstler, The Great Plague of London in 1665.
https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Great_plague_of_london-1665.jpg

Ende des Jahres 1664 machten erste Gerüchte die Runde, dass die Pest nach London zurückgekehrt sein könnte und bereits erste Opfer gefordert habe. Denn in der Vergangenheit, vor allem während der großen Pandemie im Winter 1348/49 und im Jahr 1499, war die Stadt bereits mit der hochansteckenden Krankheit in Kontakt gekommen. Die schrecklichen Erzählungen über die Pest hatten die Jahrhunderte überdauert und waren den Bewohnern noch bekannt. Doch erst im April 1665 sollte sich die Krankheit dann tatsächlich rasend schnell im Stadtgebiet ausbreiten, was vor allem durch die warmen Temperaturen begünstigt wurde. Aber auch die dichte Besiedelung der Stadt, wachsende Armut und mangelhafte hygienische Verhältnisse taten ihr Übriges.

Ihren Ausgangspunkt nahm die Krankheit dabei im Osten der Stadt, im damaligen Vorort St. Giles, anschließend erreichte die Epidemie Whitechapel und Stepney, bevor sie sich schließlich in kürzester Zeit im Zentrum Londons ausbreitete. Heute vermutet man, dass die die Pest auslösenden Bakterien auf einem aus den Niederlanden kommenden Schiff nach England gelangt waren, da es dort bereits im Verlauf des Jahres 1664 vermehrt zu Ausbrüchen der Infektion gekommen war.

Im Juli des Jahres 1665 vermerkte der berühmte Augenzeuge und Chronist seiner Zeit Samuel Pepys (1633-1703) in seinem Tagebuch: „[T]he sad news of the death of so many in the parish of the plague, forty last night, the bell always going…either for deaths or burials.” Während im Juli bereits wöchentlich rund 1000 Menschen an den Folgen der Krankheit starben, erreichte die Ausbreitung der Beulenpest ihren Höhepunkt im September desselben Jahres. Aus den damals angefertigten Aufzeichnungen über die Sterbefälle geht hervor, dass nun wöchentlich zwischen 7.000 und 8.000 Bewohner den Tod fanden. Dabei wurden längst nicht alle Todesfälle registriert, vor allem in den Armenvierteln der Stadt sind die Register lückenhaft. Im Rückblick gilt Margaret Porteous, die am 12. April 1665 verstarb, als offiziell erste Pesttote. Sie stammte aus St. Giles.

In der Stadt war zu diesem Zeitpunkt längst das Chaos ausgebrochen und das alltägliche Leben nahezu zusammengebrochen: Wer konnte, verließ London, wie beispielsweise König Karl II. (1630-1685) sowie sein Hofstaat, der nach Oxford floh. Aber auch zahlreiche wohlhabende Bürger kehrten der Stadt den Rücken, Händler und Handwerker schlossen ihre Geschäfte und auch Ärzte und Apotheker versuchten der Krankheit zu entkommen. Dabei bedeutete der Weggang allerdings nicht unbedingt Sicherheit, da die Pest sich auch über die Grenzen Londons hinaus ausbreitete. Zudem waren die Fliehenden längst nicht überall willkommen, fürchtete man doch, dass sie die Pest im Gepäck hätten.

In diesem Zusammenhang stellt die Geschichte des Dorfes Eyam in der in den East Midlands gelegenen Grafschaft Derbyshire ein trauriges Beispiel dar. Ein Paket mit Stoffballen wurde von London nach Eyam zum dortigen Stoffhändler George Viccars geschickt und dieses löste die Pest im August 1665 in dem kleinen Dorf aus. Viccars war das erste Pestopfer im Ort und verstarb am 7. September 1665. Nachdem noch einige weitere Personen gestorben waren, verhängten die Einwohner über sich selbst den Quarantänezustand und brachen alle Kontakte zu umliegenden Dörfern ab, wodurch sie eine weitere Ausbreitung der Infektion verhinderten. Zudem war nun jede Familie für die Bestattung möglicher Toter selbst verantwortlich und Gottesdienste fanden nur noch im Freien statt, um eine große Ansammlung von Menschen auf engem Raum zu verhindern. Im Dorf selbst fiel dennoch die Hälfte der Einwohner der Pest zum Opfer, die dort erst nach 14 Monaten ausgerottet werden konnte. Das Überleben Einzelner hat dabei zu Gerüchten und Mutmaßungen über magische Kräfte und verbotene Praktiken geführt, erschien es doch sehr zufällig und ungewöhnlich und konnte zudem bis heute nicht wissenschaftlich erklärt werden. Denn in Eyam überlebten sowohl der Totengräber, der doch häufig in Kontakt mit infizierten Körpern gekommen war, sowie eine Frau namens Elizabeth Hannock, deren Ehemann sowie ihre sechs Kinder innerhalb von acht Tagen an der Pest starben, ohne dass sie selbst je erkrankte. Noch heute ist Eyam als Pest-Dorf bekannt und ein Museum widmet sich den Ereignissen des Jahres 1665. Auch die Gräber einiger Pestopfer sind erhalten geblieben. Jeden August findet zudem eine Feier zum Gedenken an die Toten des Dorfes statt.

Die erhalten gebliebenen Gräber der Familie Hannock in Eyam
In London hatte sich durch den Weggang von Ärzten zum selben Zeitpunkt die medizinische Versorgung derart verschlechtert, dass Kranke von den verbliebenen Medizinern nur noch unzureichend behandelt werden konnten. Auch fehlten Medikamente und Heilmittel und zuvor notdürftig eingerichtete Quarantänemaßnahmen konnten nun nicht mehr aufrecht erhalten werden. Mit der Krankheit Infizierte wurden praktisch sich selbst überlassen, da die Angst vor Ansteckung allgegenwärtig geworden war. Häuser, in denen Pestkranke wohnten, sollten für alle sichtbar mit einem roten Kreuz über der Tür markiert werden. Darüber hinaus konnten längst nicht alle Opfer der Krankheit zügig bestattet werden, obwohl Tag und Nacht beerdigt wurde. Dies begünstigte wiederum die Ausbreitung der Krankheit und ließ die Ansteckungsraten steigen. Der vorgesehene Platz für Bestattungen reichte bald nicht mehr aus, weshalb neue Orte möglichst weit außerhalb des Zentrums gefunden werden mussten. Teilweise wurden die Toten einfach in sogenannten Pestgruben bestattet, die bis zu sechs Meter tief waren. Die verliebenden Bewohner wurden dazu aufgefordert, stets Feuer brennen zu lassen, da man davon ausging, dass durch den Rauch die Luft gereinigt würde und eine Ansteckung verhindert werden könnte. Über die tatsächlichen Auslöser der Krankheit, ihren Übertragungsweg und effektive Behandlungsmöglichkeiten wusste man damals sehr wenig. Als Gelehrte vermuteten, dass Hunde und Katzen die Seuche übertragen würden, tötete man diese in Massen und damit die natürlichen Feinde der Ratten, welche wiederum die Wirtstiere der Flöhe waren, die die Pest tatsächlich übertrugen.

Erst gegen Ende des Jahres begann sich die Situation langsam zu beruhigen und die Zahl der Neuinfizierten zu sinken. Der König kehrte mit seiner Familie schließlich im Februar 1666 nach London zurück. Besiegt war die Seuche allerdings noch immer nicht und es gab auch weiterhin vereinzelte Berichte über Todesfälle und Neuansteckungen. Zu diesem Zeitpunkt hatte die „Große Pest“ nach offiziellen Angaben 68.596 Tote allein in London gefordert, was ungefähr ein Fünftel der Gesamtbevölkerung der Hauptstadt ausmachte. Im restlichen Teil des Landes waren noch einmal rund 30.000 Tote zu beklagen.

Erst mit dem Ausbruch des Feuers im September 1666 wurde die Pest in London endgültig besiegt, da alle infizierten Tiere dem Brand zum Opfer fielen. Es war das letzte Mal, dass die Pest die Stadt an der Themse heimgesucht hat. Zu diesem Zeitpunkt trieb sie jedoch bereits in Frankreich ihr Unwesen.

Zum Weiterlesen:
Samuel Pepys: Die Tagebücher 1660-1669, aus dem Englischen von Georg Deggerich u. a., nach der Latham-&-Matthews-Edition eingerichtet, mit Anmerkungen und Karten, Frankfurt am Main 2011.
Ackroyd, Peter: London – Die Biographie, übersetzt v. Holger Fliessbach, dt. Erstausgabe, München 2006.
Moote, A. Lloyd / Moote, Dorothy C.: The Great Plague: The Story of London’s Most Deadly Year, Baltimore 2004.
Münch, Paul: Pest und Feuer. Die Londoner Doppelkatastrophe 1665/66 in: Historische Zeitschrift 288 (2009), S. 93-122.

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