Sonntag, 24. April 2016

Thronfolge im Mittelalter IV

Teil IV: Thronansprüche & Aufstände


Die Thronansprüche innerhalb der ottonischen Familie
In den bisherigen drei Teilen von „Thronfolge im Mittelalter“ haben wir einen genaueren Blick auf verschiedene Thronfolgeregelungen, wie beispielsweise die primogenitur und die Designation, geworfen und anhand von exemplarischen historischen Thronfolgen erläutert. Dabei ist nicht verborgen geblieben, dass eine Thronfolge nicht immer konfliktfrei verlief und es oftmals sogar zu blutigen Streitigkeiten zwischen verschiedenen beteiligten Parteien kam.
Als Otto I. (912-973) im Jahr 936 zum König des Ostfrankenreiches und damit zum Nachfolger seines Vaters Heinrich I. (876-936) erhoben wurde, sollten zahlreiche Konflikte, Unruhen und Aufstände folgen. Diese Individualsukzession stieß innerhalb der Familie, aber auch bei vielen weiteren Adeligen, nur auf wenig Gegenliebe. Diese Aufstände innerhalb der Familie werden im Fokus dieses Artikels stehen. Wer waren die Gegner Ottos I. und was waren ihre Beweggründe den neuen König zu konfrontieren? Schädigten diese Aufstände und Konflikte im Ostfrankenreich das Ansehen und die Stellung des Königs? 

Verwandtschaftstafel der Ottonen in der Chronica Sancti Pantaleonis aus dem frühen 13. Jahrhundert / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/5e/StammtafelOttonen0002.jpg
Otto wurde am 7. August 936 zum König gekrönt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ihm sein Vater Heinrich I. ein weitgehend befriedetes Reich und funktionierende Strukturen hinterlassen, auf denen Otto aufbauen konnte. Trotzdem musste der neue König weiterhin darum bemüht sein, loyale und verlässliche Anhänger um sich zu scharen, damit er einen entsprechenden Rückhalt in seinen Entscheidungen erwarten konnte. Dazu setzte er seine Anhänger in Ämter ein, die nach den Toden der bisherigen Amtsinhaber vakant waren. Diese Entscheidungen fällte er eigenmächtig, wodurch er das gültige und etablierte Prinzip der Konsensfindung mit den anderen Großen des Reiches ignorierte. Damit überging er die gesellschaftlichen anerkannten Ansprüche und Rangordnungen der Adeligen, die darauf zum Teil empört reagierten. Die folgenden Aufstände wurden insbesondere von Benachteiligten und Unzufriedenen geführt, die noch unter Ottos Vater einen besseren Stand hatten. Der Rang der Herzöge, von Heinrich I. selbst eingesetzt und hoch geschätzt, litt besonders, denn Otto forderte eine deutlichere Unterordnung und beschnitt ihre Kompetenzen in ihren Herzogtümern.
Gerade zuu Beginn seiner Herrschaft hatte Otto mit einigen Aufständischen zu kämpfen. Im Herzogtum Franken richteten sich sächsische Vasallen gegen ihren Herzog Eberhard, der rigoros mit großer Gewalt den Aufstand niederschlug. Die sächsischen Vasallen lehnten es ab, unter ihrem sächsischen König einem nicht-sächsischem Herzog zu dienen. Die Vorgehensweise und Haltung Eberhards, ein Bruder des früheren Königs Konrad I., erntete Zuspruch in Sachsen und bei fränkischen Adligen, die ihn anschließend unterstützten.
Daneben ging es im Stammesgebiet der Ottonen, dem sächsischen Herzogtum, um die Neuvergabe von Ämtern und Autoritäten. Otto ernannte nach dem Tode Siegfrieds, im Herzogtum Sachsen der zweite Mann nach dem König, dessen jüngeren Bruder Gero zum Markgrafen der Ostmark an der sächsisch-slawischen Grenze. Allerdings erhob Thankmar, Ottos Halbbruder und ein entfernter Verwandter Siegfrieds, ebenfalls Anspruch auf dieses Amt und fühlte sich bei der Ämtervergabe übergangen. Er, der Sohn König Heinrichs I., der mütterliches Erbe in dieser Region besaß, müsse doch in der Rangfolge höher stehen als Gero. Der unzufriedene Thankmar verbündete sich gemäß dem Grundsatz „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“ mit Herzog Eberhard von Franken. Gemeinsam konnten sie die Burg Belecke erobern, die der Königsbruder Heinrich hielt. Kurz darauf nahm Thankmar Heinrich, der immerhin sein Halbbruder war, gefangen und lieferte ihn an Eberhard aus. Bei der Rückeroberung der Eresburg durch Otto und seiner Anhänger wurde Thankmar getötet; Eberhard ließ daraufhin Heinrich frei und unterwarf sich dem König. Die Geschichte Thankmars endet hier, aber Eberhard sollte auch zukünftig trotz seiner Unterwerfung und dem Verlust seiner Ämter eine große, unerwartete Rolle spielen.

Der Königsbruder Heinrich als Herzog von Bayern / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/38/Henry_I%2C_Duke_of_Bavaria.jpg

Ab 939 trat Eberhard erneut als Unruheherd innerhalb des ostfränkischen Reiches auf. Die genannte Unterwerfung Eberhards stellte sich als Teil eines Komplotts heraus, welches den Königsbruder Heinrich zum Königtum verhelfen sollte. Es klingt zunächst unglaubwürdig, dass Eberhard und Heinrich, die sich vorher bis aufs Blut bekriegt hatten, nun Verbündete sein sollten. Doch ihre Ambitionen auf eine größere Machtfülle vereinten wohl die ehemaligen Feinde. Dieses Bündnis genoss schnell noch größeren Zulauf: Auf einem convivium (Gastmahl) in Saalfeld schloss sich Giselbert, Herzog von Lothringen und Schwager Ottos (er war mit Ottos Schwester Gerberga verheiratet), an. Und kurze Zeit darauf gewannen sie Ludwig IV., König des Westfrankenreichs, für ihre Sache. Otto wiederum warb um Anhänger im Reich Ludwigs und gewann seinerseits viele der unzufriedenen Adeligen des Westfrankenreichs für sich. Es entstand also ein Konflikt über die Grenzen hinaus.
Die erste Schlacht in Giselberts Herzogtum Lothringen gewann Otto. Während der Schlacht verbreitete sich das Gerücht, Heinrich wäre gefallen, sodass zahlreiche Anhänger in nahe liegende Burgen flüchteten. Heinrich selbst eilte nach Sachsen auf die Merseburg, wo er allerdings erneut von seinem älteren Bruder besiegt wurde, letztlich jedoch freien Abzug erhielt und zu Giselbert zurückkehrte. Dieses Katz- und Mausspiel Heinrichs scheint auf eine Unterlegenheit der Gegner Ottos hinzuweisen. Dennoch sollten sich die Kämpfe, aus denen auch Heinrich und seine Verbündeten zum Teil als Sieger hervorgingen, noch längere Zeit hinziehen. Eberhard und Giselbert zogen in den Süden des Reiches und verwüsteten mit der Unterstützung Ludwigs IV. die Ländereien königstreuer Grafen. Sie zogen anschließend von Metz aus in Richtung des Rheins und wollten diesen bei Andernach überqueren. Die Schlacht bei Andernach am Rhein am 2. Oktober 939 sollte eine Vorentscheidung im Konflikt bringen: Zwei königstreue Grafen warteten dort mit ihrem kleinen Heer, bis der größte Teil des gegnerischen Heeres den Rhein überquert hatte und griffen dann den Rest des Heeres an. Die Herzöge Eberhard und Giselbert wurden besiegt und starben in der Schlacht. Heinrich floh aufgrund der Niederlage zu König Ludwig ins Westfrankenreich und fiel später immer wieder in Lothringen ein.
Als Otto zudem weitere mächtige Verbündete im Westfrankenreich für sich, beziehungsweise gegen Ludwig, gewinnen konnte, hatte Heinrich seine Niederlage vor Augen und unterwarf sich Otto erneut. Heinrich wurde in ehrenvolle Haft genommen. Darüber hinaus stellte Otto das Herzogtum Franken, wie schon Sachsen, unter Königsgewalt. Doch das alles sollte Heinrich erneut nicht daran hindern, sich vor allem mit sächsischen Adligen zu verbünden. Am Tag zur Feier des Osterfestes am 18. April 941 sollte Otto hinterhältig ermordet werden – ein Mordkomplott, das aber vor der Ausführung verraten und somit verhindert werden konnte. Dieser gescheiterte Versuch sollte der letzte Heinrichs sein. Er kam anschließend in sichere Haft, unterwarf sich später erneut und wurde danach zu einem der wichtigsten Berater seines älteren Bruders und sogar Herzog von Bayern.

Kenotaph des Stifters Liduolf in der Stiftskirche Gandersheim / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/de/Gandersheim_Liudolf.JPG

Doch damit waren die Streitigkeiten innerhalb der königlichen Familie nicht ausgestanden, denn das Gerücht, Otto wolle mit Heinrich seinen zweitgeborenen Sohn (952-954) zu seinem Nachfolger machen, verbreitete sich. Wie konnte Otto auf diese vermeintliche Überlegung kommen? Ottos erstgeborener Sohn Liudolf (930-957) stammte aus seiner ersten Ehe mit Edgith (910-946), einer Enkelin Alfreds des Großen. Nach ihrem Tod heirateten Otto und Adelheid von Burgund (931-999) und zeugten drei weitere Söhne, deren erster Sohn Heinrich war. Nun galt es zu klären, welche Rechte die Söhne aus der ersten und zweiten Ehe hatten. Liudolf, der als Herzog von Schwaben regierte, war natürlich der Meinung, dass er der Thronnachfolger werden müsse. Aus dieser Meinungsverschiedenheit erwuchs ein erheblicher Konflikt. Ob dies jedoch der wahre Grund für den besagten Konflikt war, ist sehr fragwürdig. Denn in einem erzwungenen Gespräch offenbarten die Verschwörer um Liudolf, dass sie nichts gegen den König geplant hätten, sondern vielmehr gegen den königlichen Bruder Heinrich, gleichzeitig Liudolfs Onkel, der von König Otto bevorzugt behandelt und mit neuen Kompetenzen ausgestattet wurde. Die Fehde mit seinem Onkel Heinrich begann bereits vor dem eigentlichen Aufstand, als Heinrich bei italienischen Adeligen gegen Liudolf intrigierte, als dieser sich aufgrund einer Familienangelegenheit auf dem Weg nach Oberitalien befand. Was auch letztlich der Grund war, diese Streitigkeiten sollten das Reich in die nächste existenzbedrohende Krise werfen. Die Verschwörer um Liudolf und Konrad den Roten, Herzog von Lothringen und Ottos Schwiegersohn, veranschaulichten ihre Auflehnung, indem sie das Osterfest, welches als wichtigster Akt königlicher Herrschaftsrepräsentation galt, verhinderten. Mehrere Verhandlungen und Waffenstillstände verliefen im Sand. Konrad, der sich nach einem von Otto abgelehnten Vertrag von ebenjenem brüskiert sah, wurde auf einem Gerichtstag in Fritzlar das Herzogtum von Heinrich abgesprochen. Otto kämpfte sich bis nach Mainz vor, um den belagerten Liudolf anzugreifen. Infolge dieser Schlacht mussten sich Konrad und Liudolf unterwerfen. Anschließende Verhandlungen scheiterten aber erneut aufgrund der Forderung Ottos, ihm die Verbündeten Konrads und Luidolfs auszuliefern. Dass Otto sich nicht durchsetzen konnte, war ein Zeichen von Schwäche und veranlasste weitere Große die Seiten zu wechseln. Die Verbündeten verschafften ihm auch Zutritt in die von Heinrich verwaltete Stadt Regensburg, die im Herzogtum Bayern lag. Von dort aus wurden die Schätze und weitere Burgen auf Liudolfs Anhänger verteilt. Diese Besetzung und Plünderung hatte zur Folge, dass die Verlierer der anderen Aufstände eine Möglichkeit zur Revanche witterten und ebenfalls aufständisch wurden. Das Königtum Ottos war in großer Gefahr.
Zu diesem Zeitpunkt griffen ebenfalls die Ungarn an und Konrad musste sie auf seiner Burg bewirten. Letzteres betitelte Otto als Hochverrat, da Konrad den Ungarn geholfen habe und wissentlich gegen das Königtum agiert habe. Im Angesicht seiner Chancenlosigkeit trennte er sich von Liudolf und unterwarf sich bedingungslos. Auch die Lage Liduolfs verschlimmerte sich: In Regensburg wurde er belagert, konnte aber einen freien Abzug und einen befristeten Waffenstillstand aushandeln. In der Zwischenzeit gelang es Herzog Heinrich große Teile seines Herzogtums zurückzuerobern. Liudolf sah daraufhin keine andere Möglichkeit mehr als die Unterwerfung. Die beiden Verschwörer mussten letztlich ihre Herzogsämter aufgeben, wurden aber wieder in die Huld des Königs aufgenommen. Nachfolger Ottos wurde Liudolf dennoch nicht.

Auf den ersten Blick lassen häufige Unruhen und Aufstände ein Königreich instabil und fragil wirken, besonders wenn diese Aufstände innerhalb der Familie initiiert und forciert wurden. Die hier dargestellten Aufstände im Ostfrankenreich ab 937 schädigten die Stellung König Ottos jedoch höchstens temporär, obwohl sein Königtum mehr als einmal unmittelbar bedroht wurde. Durch geschickte Wahl seiner Verbündeten konnte Otto vor allem im Kampf gegen Ludwig/Eberhard/Heinrich und Liudolf die inneren Aufstände erfolgreich abwehren und letztlich niederschlagen. Zudem fällt in diesen Zeitraum die Abwehr der Ungarn. Durch die zahlreichen Unterwerfungen seiner direkten Gegner, als er seine Macht präsentieren, aber auch Milde walten lassen konnte, erzielte er einen Anstieg seines Ansehens. Seine Machtposition konnte er durch seine Hartnäckigkeit im Umgang mit den Aufständischen festigen und sogar ausbauen, sodass der Aufstand Liudolfs der letzte große in Ottos Herrschaftszeit war.

Literaturhinweise:
Gerd ALTHOFF, Die Ottonen. Königsherrschaft ohne Staat, Stuttgart ³2012.
Matthias BECHER, Otto der Große, München 2012.
Wolfgang GIESE, Heinrich I., Begründer der ottonischen Herrschaft,  Darmstadt 2008.

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