Teil IV: Thronansprüche & Aufstände
Die
Thronansprüche innerhalb der ottonischen Familie
In den bisherigen
drei Teilen von „Thronfolge im Mittelalter“ haben wir einen genaueren Blick auf
verschiedene Thronfolgeregelungen, wie beispielsweise die primogenitur und die Designation, geworfen und anhand von
exemplarischen historischen Thronfolgen erläutert. Dabei ist nicht verborgen
geblieben, dass eine Thronfolge nicht immer konfliktfrei verlief und es oftmals
sogar zu blutigen Streitigkeiten zwischen verschiedenen beteiligten Parteien kam.
Als Otto I.
(912-973) im Jahr 936 zum König des Ostfrankenreiches und damit zum Nachfolger
seines Vaters Heinrich I. (876-936) erhoben wurde, sollten zahlreiche
Konflikte, Unruhen und Aufstände folgen. Diese Individualsukzession stieß innerhalb
der Familie, aber auch bei vielen weiteren Adeligen, nur auf wenig Gegenliebe.
Diese Aufstände innerhalb der Familie werden im Fokus dieses Artikels stehen. Wer
waren die Gegner Ottos I. und was waren ihre Beweggründe den neuen König zu
konfrontieren? Schädigten diese Aufstände und Konflikte im Ostfrankenreich das
Ansehen und die Stellung des Königs?
Verwandtschaftstafel der Ottonen in der Chronica Sancti Pantaleonis aus dem frühen 13. Jahrhundert / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/5e/StammtafelOttonen0002.jpg |
Otto wurde am 7.
August 936 zum König gekrönt. Zu diesem Zeitpunkt hatte ihm sein Vater Heinrich
I. ein weitgehend befriedetes Reich und funktionierende Strukturen
hinterlassen, auf denen Otto aufbauen konnte. Trotzdem musste der neue König
weiterhin darum bemüht sein, loyale und verlässliche Anhänger um sich zu scharen,
damit er einen entsprechenden Rückhalt in seinen Entscheidungen erwarten
konnte. Dazu setzte er seine Anhänger in Ämter ein, die nach den Toden der
bisherigen Amtsinhaber vakant waren. Diese Entscheidungen fällte er
eigenmächtig, wodurch er das gültige und etablierte Prinzip der Konsensfindung
mit den anderen Großen des Reiches ignorierte. Damit überging er die
gesellschaftlichen anerkannten Ansprüche und Rangordnungen der Adeligen, die darauf
zum Teil empört reagierten. Die folgenden Aufstände wurden insbesondere von
Benachteiligten und Unzufriedenen geführt, die noch unter Ottos Vater einen
besseren Stand hatten. Der Rang der Herzöge, von Heinrich I. selbst eingesetzt
und hoch geschätzt, litt besonders, denn Otto forderte eine deutlichere
Unterordnung und beschnitt ihre Kompetenzen in ihren Herzogtümern.
Gerade zuu Beginn
seiner Herrschaft hatte Otto mit einigen Aufständischen zu kämpfen. Im
Herzogtum Franken richteten sich sächsische Vasallen gegen ihren Herzog
Eberhard, der rigoros mit großer Gewalt den Aufstand niederschlug. Die
sächsischen Vasallen lehnten es ab, unter ihrem sächsischen König einem
nicht-sächsischem Herzog zu dienen. Die Vorgehensweise und Haltung Eberhards,
ein Bruder des früheren Königs Konrad I., erntete Zuspruch in Sachsen und bei
fränkischen Adligen, die ihn anschließend unterstützten.
Daneben ging es im
Stammesgebiet der Ottonen, dem sächsischen Herzogtum, um die Neuvergabe von
Ämtern und Autoritäten. Otto ernannte nach dem Tode Siegfrieds, im Herzogtum
Sachsen der zweite Mann nach dem König, dessen jüngeren Bruder Gero zum
Markgrafen der Ostmark an der sächsisch-slawischen Grenze. Allerdings erhob
Thankmar, Ottos Halbbruder und ein entfernter Verwandter Siegfrieds, ebenfalls
Anspruch auf dieses Amt und fühlte sich bei der Ämtervergabe übergangen. Er,
der Sohn König Heinrichs I., der mütterliches Erbe in dieser Region besaß,
müsse doch in der Rangfolge höher stehen als Gero. Der unzufriedene Thankmar
verbündete sich gemäß dem Grundsatz „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“
mit Herzog Eberhard von Franken. Gemeinsam konnten sie die Burg Belecke erobern,
die der Königsbruder Heinrich hielt. Kurz darauf nahm Thankmar Heinrich, der
immerhin sein Halbbruder war, gefangen und lieferte ihn an Eberhard aus. Bei
der Rückeroberung der Eresburg durch Otto und seiner Anhänger wurde
Thankmar getötet; Eberhard ließ daraufhin Heinrich frei und unterwarf sich dem
König. Die Geschichte Thankmars endet hier, aber Eberhard sollte auch zukünftig
trotz seiner Unterwerfung und dem Verlust seiner Ämter eine große, unerwartete
Rolle spielen.
Der Königsbruder Heinrich als Herzog von Bayern / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/38/Henry_I%2C_Duke_of_Bavaria.jpg |
Ab 939 trat
Eberhard erneut als Unruheherd innerhalb des ostfränkischen Reiches auf. Die
genannte Unterwerfung Eberhards stellte sich als Teil eines Komplotts heraus,
welches den Königsbruder Heinrich zum Königtum verhelfen sollte. Es klingt
zunächst unglaubwürdig, dass Eberhard und Heinrich, die sich vorher bis aufs
Blut bekriegt hatten, nun Verbündete sein sollten. Doch ihre Ambitionen auf
eine größere Machtfülle vereinten wohl die ehemaligen Feinde. Dieses Bündnis
genoss schnell noch größeren Zulauf: Auf einem convivium (Gastmahl) in Saalfeld schloss sich Giselbert, Herzog von
Lothringen und Schwager Ottos (er war mit Ottos Schwester Gerberga verheiratet),
an. Und kurze Zeit darauf gewannen sie Ludwig IV., König des Westfrankenreichs,
für ihre Sache. Otto wiederum warb um Anhänger im Reich Ludwigs und gewann
seinerseits viele der unzufriedenen Adeligen des Westfrankenreichs für sich. Es
entstand also ein Konflikt über die Grenzen hinaus.
Die erste Schlacht
in Giselberts Herzogtum Lothringen gewann Otto. Während der Schlacht verbreitete
sich das Gerücht, Heinrich wäre gefallen, sodass zahlreiche Anhänger in nahe
liegende Burgen flüchteten. Heinrich selbst eilte nach Sachsen auf die
Merseburg, wo er allerdings erneut von seinem älteren Bruder besiegt wurde,
letztlich jedoch freien Abzug erhielt und zu Giselbert zurückkehrte. Dieses
Katz- und Mausspiel Heinrichs scheint auf eine Unterlegenheit der Gegner Ottos
hinzuweisen. Dennoch sollten sich die Kämpfe, aus denen auch Heinrich und seine
Verbündeten zum Teil als Sieger hervorgingen, noch längere Zeit hinziehen. Eberhard
und Giselbert zogen in den Süden des Reiches und verwüsteten mit der
Unterstützung Ludwigs IV. die Ländereien königstreuer Grafen. Sie zogen
anschließend von Metz aus in Richtung des Rheins und wollten diesen bei
Andernach überqueren. Die Schlacht bei Andernach am Rhein am 2. Oktober 939
sollte eine Vorentscheidung im Konflikt bringen: Zwei königstreue Grafen
warteten dort mit ihrem kleinen Heer, bis der größte Teil des gegnerischen Heeres
den Rhein überquert hatte und griffen dann den Rest des Heeres an. Die Herzöge
Eberhard und Giselbert wurden besiegt und starben in der Schlacht. Heinrich
floh aufgrund der Niederlage zu König Ludwig ins Westfrankenreich und fiel
später immer wieder in Lothringen ein.
Als Otto zudem
weitere mächtige Verbündete im Westfrankenreich für sich, beziehungsweise gegen
Ludwig, gewinnen konnte, hatte Heinrich seine Niederlage vor Augen und
unterwarf sich Otto erneut. Heinrich wurde in ehrenvolle Haft genommen. Darüber
hinaus stellte Otto das Herzogtum Franken, wie schon Sachsen, unter
Königsgewalt. Doch das alles sollte Heinrich erneut nicht daran hindern, sich
vor allem mit sächsischen Adligen zu verbünden. Am Tag zur Feier des
Osterfestes am 18. April 941 sollte Otto hinterhältig ermordet werden – ein
Mordkomplott, das aber vor der Ausführung verraten und somit verhindert werden
konnte. Dieser gescheiterte Versuch sollte der letzte Heinrichs sein. Er kam
anschließend in sichere Haft, unterwarf sich später erneut und wurde danach zu
einem der wichtigsten Berater seines älteren Bruders und sogar Herzog von
Bayern.
Kenotaph des Stifters Liduolf in der Stiftskirche Gandersheim / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/de/Gandersheim_Liudolf.JPG |
Doch damit waren
die Streitigkeiten innerhalb der königlichen Familie nicht ausgestanden, denn
das Gerücht, Otto wolle mit Heinrich seinen zweitgeborenen Sohn (952-954) zu
seinem Nachfolger machen, verbreitete sich. Wie konnte Otto auf diese
vermeintliche Überlegung kommen? Ottos erstgeborener Sohn Liudolf (930-957)
stammte aus seiner ersten Ehe mit Edgith (910-946), einer Enkelin Alfreds des
Großen. Nach ihrem Tod heirateten Otto und Adelheid von Burgund (931-999) und
zeugten drei weitere Söhne, deren erster Sohn Heinrich war. Nun galt es zu
klären, welche Rechte die Söhne aus der ersten und zweiten Ehe hatten. Liudolf,
der als Herzog von Schwaben regierte, war natürlich der Meinung, dass er der
Thronnachfolger werden müsse. Aus dieser Meinungsverschiedenheit erwuchs ein
erheblicher Konflikt. Ob dies jedoch der wahre Grund für den besagten Konflikt
war, ist sehr fragwürdig. Denn in einem erzwungenen Gespräch offenbarten die
Verschwörer um Liudolf, dass sie nichts gegen den König geplant hätten, sondern
vielmehr gegen den königlichen Bruder Heinrich, gleichzeitig Liudolfs Onkel,
der von König Otto bevorzugt behandelt und mit neuen Kompetenzen ausgestattet
wurde. Die Fehde mit seinem Onkel Heinrich begann bereits vor dem eigentlichen
Aufstand, als Heinrich bei italienischen Adeligen gegen Liudolf intrigierte,
als dieser sich aufgrund einer Familienangelegenheit auf dem Weg nach
Oberitalien befand. Was auch letztlich der Grund war, diese Streitigkeiten
sollten das Reich in die nächste existenzbedrohende Krise werfen. Die
Verschwörer um Liudolf und Konrad den Roten, Herzog von Lothringen und Ottos
Schwiegersohn, veranschaulichten ihre Auflehnung, indem sie das Osterfest,
welches als wichtigster Akt königlicher Herrschaftsrepräsentation galt,
verhinderten. Mehrere Verhandlungen und Waffenstillstände verliefen im Sand.
Konrad, der sich nach einem von Otto abgelehnten Vertrag von ebenjenem
brüskiert sah, wurde auf einem Gerichtstag in Fritzlar das Herzogtum von
Heinrich abgesprochen. Otto kämpfte sich bis nach Mainz vor, um den belagerten Liudolf
anzugreifen. Infolge dieser Schlacht mussten sich Konrad und Liudolf
unterwerfen. Anschließende Verhandlungen scheiterten aber erneut aufgrund der
Forderung Ottos, ihm die Verbündeten Konrads und Luidolfs auszuliefern. Dass
Otto sich nicht durchsetzen konnte, war ein Zeichen von Schwäche und
veranlasste weitere Große die Seiten zu wechseln. Die Verbündeten verschafften ihm
auch Zutritt in die von Heinrich verwaltete Stadt Regensburg, die im Herzogtum
Bayern lag. Von dort aus wurden die Schätze und weitere Burgen auf Liudolfs
Anhänger verteilt. Diese Besetzung und Plünderung hatte zur Folge, dass die
Verlierer der anderen Aufstände eine Möglichkeit zur Revanche witterten und
ebenfalls aufständisch wurden. Das Königtum Ottos war in großer Gefahr.
Zu diesem
Zeitpunkt griffen ebenfalls die Ungarn an und Konrad musste sie auf seiner Burg
bewirten. Letzteres betitelte Otto als Hochverrat, da Konrad den Ungarn
geholfen habe und wissentlich gegen das Königtum agiert habe. Im Angesicht
seiner Chancenlosigkeit trennte er sich von Liudolf und unterwarf sich
bedingungslos. Auch die Lage Liduolfs verschlimmerte sich: In Regensburg wurde
er belagert, konnte aber einen freien Abzug und einen befristeten
Waffenstillstand aushandeln. In der Zwischenzeit gelang es Herzog Heinrich
große Teile seines Herzogtums zurückzuerobern. Liudolf sah daraufhin keine
andere Möglichkeit mehr als die Unterwerfung. Die beiden Verschwörer mussten
letztlich ihre Herzogsämter aufgeben, wurden aber wieder in die Huld des Königs
aufgenommen. Nachfolger Ottos wurde Liudolf dennoch nicht.
Auf den ersten
Blick lassen häufige Unruhen und Aufstände ein Königreich instabil und fragil
wirken, besonders wenn diese Aufstände innerhalb der Familie initiiert und
forciert wurden. Die hier dargestellten Aufstände im Ostfrankenreich ab 937
schädigten die Stellung König Ottos jedoch höchstens temporär, obwohl sein
Königtum mehr als einmal unmittelbar bedroht wurde. Durch geschickte Wahl
seiner Verbündeten konnte Otto vor allem im Kampf gegen
Ludwig/Eberhard/Heinrich und Liudolf die inneren Aufstände erfolgreich abwehren
und letztlich niederschlagen. Zudem fällt in diesen Zeitraum die Abwehr der
Ungarn. Durch die zahlreichen Unterwerfungen seiner direkten Gegner, als er
seine Macht präsentieren, aber auch Milde walten lassen konnte, erzielte er
einen Anstieg seines Ansehens. Seine Machtposition konnte er durch seine Hartnäckigkeit
im Umgang mit den Aufständischen festigen und sogar ausbauen, sodass der
Aufstand Liudolfs der letzte große in Ottos Herrschaftszeit war.
Literaturhinweise:
Gerd ALTHOFF, Die Ottonen.
Königsherrschaft ohne Staat, Stuttgart ³2012.
Matthias BECHER, Otto der Große,
München 2012.
Wolfgang GIESE, Heinrich I.,
Begründer der ottonischen Herrschaft, Darmstadt 2008.
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