Sonntag, 7. Februar 2016

Die Versklavung der Roma in Südosteuropa*

Wenn ich sterbe, begrabt mich aufrecht, denn ich habe mein ganzes Leben lang auf Knien verbracht.“ So lautet ein Aphorismus der Roma. Und tatsächlich – das Leid der Roma zeigt viele Facetten. Von immer noch währendem Rassismus gegen „die dunkelhäutigen Fremden“, wie Roma auch heute noch oft bezeichnet werden, bis zur ihrer systematischen Vernichtung während des Nationalsozialismus, hat das Roma-Volk allerhand Erniedrigungen über sich ergehen lassen müssen. Doch seine Leidensgeschichte begann schon viel früher, als Mitte des 14. Jahrhunderts einzelne Roma-Gruppen aus Kleinasien in die Fürstentümer Moldau und Walachei, heute Rumänien und Moldawien, zogen. Dort fanden sie zu Anfang ihren Platz in der Gesellschaft, wenn auch auf der niedrigsten Stufe der sozialen Hierarchie, in dem sie sich in Nischenberufen betätigten. Doch diesen Platz haben sie schnell wieder eingebüßt, als das Osmanische Reich Ende des 14. Jahrhunderts die Fürstentümer zu Vasallenstaaten erklärte. Von nun an waren die Woiwoden (slawische Herrscher), Klöster und Bojaren (Großgrundbesitzer) zu hohen Tributzahlungen gezwungen, was die Nachfrage nach Arbeitskräften steigerte. Die Steuern wurden folglich erhöht und Roma kurzerhand zu robi, also Sklaven erklärt.


Porträt eines walachischen Roma-Sklaven (Rumänien)
http://rombase.uni-graz.at/cgi-bin/res.cgi?lang=de&filename=data/hist/modern/vlach.res.xml&id=1

Robi wurden von diesem Zeitpunkt an nicht mehr als menschliche Wesen angesehen, sondern als „minderwertige Kreaturen, die Sklaven werden wollten, weil sie das erhob […] auf die gleiche Ebene mit guten, arbeitenden Haustieren.“ Diese Annahme überrascht nicht, wurden dem Roma-Volk doch jegliche Menschenrechte aberkannt. Es war den Roma verboten, Beziehungen mit Nicht-Sklaven einzugehen, Heiratswünsche unter den Sklaven mussten erst von ihren Besitzern abgesegnet werden. Außerdem waren robi nicht an den Großgrundbesitz gebunden, sondern an den Bojaren selbst, der frei über sie verfügen und sie dementsprechend grausam bestrafen konnte, ohne zur Rechenschaft gezogen zu werden. Der Schriftsteller und Historiker Mihail Kogălniceanu (1817-1891) berichtet, dass zu den Strafen Schläge, lange Hungerperioden und das Werfen in vereiste Flüsse gehörten. Doch Bojaren waren nicht die einzigen Sklavenhalter in den Fürstentümern. Auch Klöster und die Krone selbst waren im Besitz von robi

Während diejenigen Roma, die den Bojaren und den Klöstern gehörten, als Landarbeiter oder Hausangestellte arbeiten mussten, hatten die Sklaven der Woiwoden verschiedene Positionen, wie zum Beispiel als Musiker oder Ammen, inne. Überraschenderweise gab es immer noch einige wenige dem Fürsten zugehörige Roma, die ein nomadisches Leben führen und sogar außerhalb der Grenzen wandern konnten. Obwohl sie keine Rechtspersonen waren, mussten sie trotzdem zweimal im Jahr Steuern zahlen. 

Ganze Sklavenfamilien konnten entweder verschenkt werden oder wurden auf Sklavenmärkten verkauft, wo sie mit Ketten an Händen und Füßen, und zuweilen sogar mit eisernen Stirnbändern, die mit Halsketten verbunden waren, zum Verkauf dargeboten wurden. Sobald sie vom Meistbietenden gekauft worden waren, erwartete sie ein Leben voller harter Arbeit und Demütigung. Bereits im 14. Jahrhundert prangerte ein anonymer Autor die unmenschlichen Bedingungen in den Sklavenquartieren an: Es gab keine Waschmöglichkeiten, die Kinder waren komplett nackt, die Erwachsenen trugen bloß morsche Leinenhemden, im Winter deckten sie sich mit Lumpen und verschlissenen Teppichen zu und der Aufseher schlug sie meistens nur zum Vergnügen. Der einzige Ausweg aus dem Elend war der Tod oder in den seltensten Fällen auch die Freilassung durch den Besitzer aufgrund zufriedenstellender Arbeit. Dann durfte sich der freigelassene Roma entweder ein Haus in der Stadt oder im Dorf kaufen, sofern dieser ausreichend entlohnt worden war.

Ein Poster, das für den Kauf von Roma-Sklaven wirbt; unter ihnen befanden sich 18 Männer, 10 Jungen, 7 Frauen und 3 Mädchen
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/35/Sclavi_Tiganesti.jpg

Obwohl es immer einige wenige gab, die sich gegen die Versklavung von Roma ausgesprochen hatten, brachte sich die orthodoxe Kirche erst 1766 offiziell in die Debatte ein, indem sie verkündete, dass, „obwohl sie Zigeuner genannt werden, der Herr sie erschaffen hatte und es ungehörig sei, sie als Vieh zu behandeln“. Doch erst 63 Jahre später kamen positive Veränderungen auf die robi zu, als Russland unter der Führung von Pavel Kisseljow während des Russisch-Osmanischen Krieges (1828-1829) die Fürstentümer Walachei und Moldau okkupierte. Da Kisseljow ein fortschrittlich denkender Reformer war, wurde den Roma zum ersten Mal der rechtliche Status des Menschen verliehen. Somit war es ab diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich, Roma ohne rechtliche Konsequenzen zu töten. Auch die Abschaffung der Sklaverei in den amerikanischen Kolonien beeinflusste die Alltagspolitik bezüglich der Menschenrechte positiv. Trotzdem wurde in der Walachei erst 1856 ein ‚Gesetz zur Befreiung aller Zigeuner’ verabschiedet. Dieses Gesetz schuf nun endlich den Status der Roma als Sklaven privater Personen ab. Die ehemaligen Sklavenbesitzer wurden mit zehn Goldmünzen für diesen Eigentumsverlust entschädigt. Als sich die beiden Fürstentümer Walachei und Moldau 1859 vereint und somit den neuen Staat Rumänien gegründet hatten, wurde in der neu verfassten Konstitution die Versklavung von Roma nicht mehr erwähnt. Allerdings mussten sich nun nomadisierende wie auch sesshafte Roma de jure einen Ort in den Fürstentümern aussuchen und dort für mindestens zehn Jahre leben und arbeiten. Zudem waren Roma nun steuerpflichtig, was zur Folge hatte, dass ein Großteil von ihnen immer noch unter einer starken ökonomischen Abhängigkeit von ihren Arbeitgebern litt. 

Umso erstaunlicher erscheinen einem dann seltsame Einzelfälle unter den robi, die es trotz ihres angeborenen ‚Sklavenstatus’ zu Macht und Ruhm gebracht hatten. Zu diesen Einzelfällen gehört Ștefan Răzvan. Einigen Quellen zufolge war er der Sohn von Roma-Sklaven, somit hätte er auch selbst das Dasein eines Sklaven gefristet, wäre er nicht von seinem Besitzer freigelassen worden. Nach diesem glücklichen Umstand führte er ein äußerst turbulentes Leben. Seine Karriere begann er als Großgrundbesitzer, wenig später wurde er zum Regierungsbeamten erkoren. Bald danach knüpfte er als frischerkorener Diplomat in Konstantinopel wichtige Kontakte. Nachdem er als Heerführer der Kosaken eingesetzt worden war, erreichte er den Höhepunkt seines steilen Aufstiegs: Er verjagte den Woiwoden Aron Tiranul (1591 – 1592, 1592 – 1595) vom Thron, um ihn selbst zu besteigen, wenn auch nur für fünf Monate. Răzvan war jedoch nicht der einzige Roma, der es geschafft hatte, seinem Sklavendasein zu entfliehen. Irina Botezata („Irina die Bekehrte“) war ebenfalls eine Roma-Sklavin, die die Welt von Reichtum und Macht kennengelernt hatte. Als Irina erst 15 Jahre alt war, verliebte sich der wesentlich ältere Woiwode Peter V., auch Peter der Lahme genannt (1574-1577, 1578-1579, 1583-1591), Urenkel Vlad Draculas, in sie und befreite sie aus der Sklaverei, um sie zu seiner Geliebten zu machen. 

Sklaverei ist ein nicht enden wollendes Elend in unserer Welt. Noch nie gab es so viele Menschen, die unter sklavenartigen Bedingungen leben und arbeiten müssen, wie heutzutage. Bei vielen Berichterstattungen über diese Problematik wird auch gerne auf die Geschichte der Sklaverei verwiesen. Seltsamerweise wird die Versklavung der Roma dabei fast nie erwähnt, sodass dieses Kapitel in der Geschichte noch relativ unbekannt ist. Dieser Artikel hat diesem traurigen Umstand hoffentlich entgegen wirken können.


Zum Weiterlesen:
- Djuric, Rajko: Ohne Heim, ohne Grab. Die Geschichte der Roma und Sinti, Berlin 1996.
- Grönemeyer, Reimer: Zigeuner im Spiegel früher Chroniken und Abhandlungen: Quellen vom 15. bis 19. Jh., Gießen 1987.
- Coelho, Paulo: Die Hexe von Portobello, Zürich 2007.
- Hohmann, Joachim S.: Handbuch zur Tsiganologie, Frankfurt am Main 1996.
- Kelm, Isabeau: Zur blauen Stunde – Band 1: Historischer Roman, USA 2015.
- Marushiakova, Elena; Popov, Vesselin: Gypsy Slavery in Wallachia and Moldavia, in: Tomasz Kamusella, Krzysztof Jaskulowski (Hg.): Nationalisms Today, Oxford 2009.
- Teichmann, Michael: Geschichte der Vlach-Roma, Graz 2001 (http://rombase.uni-graz.at/cgi-bin/art.cgi?src=data/hist/modern/vlach.de.xml). 


*Isabeau Kelm, geboren 1988, absolvierte ihren Bachelor in Kunstgeschichte, Volks­wirtschaftslehre, Russisch und Französisch an der University of Glasgow, arbeitete zeitweilig als Buchrestauratorin in Oxford und studiert derzeit Kreatives Schreiben im Master an der Teesside University, Middlesbrough. Die Autorin bezieht ihre Ideen unter anderem aus ihren zahlreichen Reisen, aus dem persönlichen Interesse für die eigenen biografischen Wurzeln, aber auch aus dem Studium der turbulenten Geschichte Ost- und Südosteuropas, mit der ihre Familienvergangenheit in enger Verbindung steht. 2015 veröffentlichte sie ihren ersten Roman „Zur blauenStunde – Band 1: Historischer Roman“, der die außergewöhnliche Geschichte der Roma-Sklavin Irina Botezata behandelt und in welchem wechselnde Schauplätze – Venedig, Iaşi, Konstantinopel, Bolzano, Innsbruck – ein farbenfrohes und sinnliches Historiengemälde malen.

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