Sonntag, 30. August 2015

Meister Franz, Scharfrichter in Nürnberg

„Anfang des 1582 Jahrs
 […]
68) Den 27. Sept. Valentin Ernst, von Wehr, ein Tüchner und Imen Dieb, welcher zuvor zu Schwabach, der Imen halben mit Ruthen ausgestrichen worden, zu Nürnberg mit den Strang gericht.“

Diese Beschreibung der Bestrafung eines Diebes zunächst mit einer Leibesstrafe und dann mit dem Tod durch den Strang, vollstreckt am 27. September 1582 in Nürnberg, stammt aus dem Tagebuch des Nürnberger Scharfrichters Franz Schmidt (ca. 1555-1634), um den und dessen Beruf es in diesem Artikel gehen soll und der die oben beschriebene Hinrichtung vorgenommen hat.

Viel ist über das Leben des Henkers, der auch aufgrund seines Geschicks Meister Franz genannt wurde, nicht bekannt. Geboren wurde er vermutlich um 1555 in Hof in Franken und er starb am 14. Juni 1634 in Nürnberg. Hier verbrachte er die meiste Zeit seines Lebens und hier wurde er auch begraben. Im Dezember 1579 heiratete er Maria Beck über die weiter nichts bekannt ist. Aus der Ehe gingen sieben Kinder hervor, von denen vier das Erwachsenenalter erreichten. Bereits Franz‘ Vater Heinrich Schmidt hatte den Beruf des Nach- (der, der nach dem Richter richtet) oder Scharfrichters (der, der mit dem Schwert scharf richtet) in Bamberg ausgeübt und sein Sohn folgte ihm in dieser Position. Da die Verrichtung dieser Tätigkeit in der Frühen Neuzeit als unehrlich galt, stand dem Sohn von Beginn an kaum eine andere Möglichkeit offen, als ebenfalls Scharfrichter zu werden. Unehrliche Berufe waren bestimmte Erwerbstätigkeiten, denen gesellschaftlich keine Ehrbarkeit zugestanden wurde. Sie galten als ehrlos, wurden daher verachtet und zogen Formen sozialer Ausgrenzung, Stigmatisierungen und eingeschränkte Rechte nach sich. Der Beruf des Scharfrichters wurde besonders durch seine Nähe zu Tod und Strafe sowie zu in gewisser Weise aus der gesellschaftlichen Ordnung gefallener Körper als unehrlich betrachtet, ein Aspekt, der Schmidt Zeit seines Lebens beschäftigen sollte. 

Meister Franz begann seine Laufbahn in der Nähe von Bamberg, wo er von 1573 bis 1578 tätig war. Anschließend ging er nach Nürnberg und hatte dort von 1578 bis 1617 das Amt des Scharfrichters inne. Dabei umfasste seine Tätigkeit nicht nur die Vollstreckung der Todesstrafe mit dem Schwert, dem Rad, dem Strang oder durch das Ertränken oder Verbrennen, sondern auch die Durchführung der Folter und die Ausführung von Leibesstrafen. Als Schmidt seinen Dienst als Scharfrichter in Nürnberg 1617 schließlich beendete, hatte er nach eigener Zählung 345 Leibesstrafen und 361 Hinrichtungen vollstreckt, davon 187 mit dem Schwert: 

„Summa summarum aller der So vom Leben zum Thodt seyndt durch Frantz Schmidt hiesigen Nürnbergischen Scharff richter, hingerichtet worden 361 Persohnen. Ferner so am Leib gestrafft und mit Ruden auß streichen, Ohren abschneiden und Finger abschlagen worden 345 Personen. Darmit hat er seinen dienst auff gegeben, und wider redlich gemacht worden.“

Franz Schmidt bei der Hinrichtung von Hans Fröschel, 1591, Staatsarchiv Nürnberg.
https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3AFranz_Schmidt_executing_Hans_Fr%C3%B6schel.jpg

Für einen Scharfrichter nicht ungewöhnlich wandte sich Schmidt zum Ende seiner beruflichen Laufbahn der Wundarznei und der Medizin zu. Hierbei konnte er von dem Wissen profitieren, das er bei der Ausübung seiner Aufgaben als Scharfrichter erlangt hatte sowie von Sezierversuchen, die ihm vom Nürnberger Rat bewilligt worden waren. Einen großen persönlichen Erfolg erzielte er schließlich im September 1624, als er von Kaiser Ferdinand II. (1578-1637) ehrlich gesprochen wurde und damit für sich und seine Familie eine bessere und geachtetere Position in der Stadt erlangte. Diesem Schritt vorausgegangen war bereits 1593 die Erlangung des Bürgerrechts in Nürnberg.

Während das Leben Franz Schmidts nur in Grundzügen überliefert ist, liegt gleichzeitig eine Vielzahl von Informationen über die von ihm vollzogenen Urteile vor. Für deren Überlieferung zeichnet er sich selbst verantwortlich. Denn seit dem Beginn seiner Tätigkeit im Jahr 1573 bis zu ihrem Ende 1617 listete Schmidt akribisch und in einer Art Tagebuch in zwei Teilen die von ihm vollstreckten Todes- und Leibesstrafen (diese ab 1578) auf und schuf somit eine in ihrer Art einzigartige und hochinteressante Quelle für die Rechts- und Alltagsgeschichte der Frühen Neuzeit sowie für die Geschichte der Stadt Nürnberg. Wie am Anfang des Artikels bereits gezeigt, verzeichnete Schmidt dabei chronologisch und numerisch für jedes Jahr seiner 45-jährigen Dienstzeit seine erfüllten Aufgaben, wobei er jeweils den Namen des Verurteilten, häufig auch dessen Herkunft, Stand und Beruf, das begangene Verbrechen sowie das Strafmaß bzw. die Art des Todes auflistete. Am Ende eines jeden Jahres zog Schmidt schließlich eine numerische Bilanz: So endet die Eintragung für das erste Jahr seines Dienstes beispielsweise mit summa 5 Persohnen, die er hingerichtet hatte, wohingegen das Jahr 1580 mit summa 20 Persohnen schloss. Gleichzeitig zählte er die Hinrichtungen und Leibesstrafen auch fortlaufend weiter. Zudem fällt auf, dass seine Beschreibungen mit den Jahren immer ausführlicher und er vor allem den begangenen Verbrechen größere Aufmerksamkeit widmete. Dabei wurde Schmidt in seinen Berufsjahren beispielsweise mit Dieben, Mördern und Kindsmörderinnen sowie mit Fällen von Täuschungen, Unzucht und Falschmünzerei konfrontiert. Während er diese Fälle immer detailreicher schilderte, finden sich in den Aufzeichnungen kaum persönliche Anmerkungen oder private Informationen. Eine Ausnahme bilden misslungene Hinrichtungen mit dem Schwert, bei denen Schmidt mehr als einmal zuschlagen musste. Diesen Fehler seinerseits, der wohl nur viermal vorkam, notierte er pflichtbewusst.   

Die Aufzeichnungen Schmidts, deren Original heute nicht mehr zu existieren scheint, erschienen erstmals 1801 als Druck in Nürnberg unter dem Titel "Meister Frantzen Nachrichter alhier in Nürnberg all sein Richten am Leben" versehen mit einem Kommentar des Herausgebers "so wohl seine Leibs Straffen, so er verricht, alles hierin ordentlich beschrieben, aus seinem selbst eigenen Buch abgeschrieben worden". 

Noch heute kann in Nürnberg die ehemalige Dienstwohnung Schmidts und seiner Vorgänger und Nachfolger im Amt des Scharfrichters der Stadt besucht werden. Diese Wohnung, die über die Pegnitz ragt, sich im Henkerturm befindet und nur über den sogenannten Henkersteg zu erreichen ist, beinhaltet heute eine rechtsgeschichtliche Ausstellung, die sich mit dem Leben und der Stellung der Scharfrichter in der Stadt beschäftigt und dabei das Tagebuch Franz Schmidts und dessen Wert in den Mittelpunkt stellt.

Zum Weiterlesen:
Der Druck von 1801 findet sich hier online:
http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10394212_00001.html
Diefenbacher, Michael (Hg.): Die Henker von Nürnberg und ihre Opfer. Folter und Hinrichtungen in den Nürnberger Ratsverlässen 1501 bis 1806. Aus den Archiven zusammengestellt von Friedrich von Hagen. Aus dem Nachlass bearbeitet von Manfred H. Grieb, (Quellen und Forschungen zur Geschichte und Kultur der Stadt Nürnberg; 35), Nürnberg 2010.
Dülmen, Richard van: Der ehrlose Mensch. Unehrlichkeit und soziale Ausgrenzung in der Frühen Neuzeit, Köln u. a. 1999.
Nowosadtko, Jutta: Scharfrichter und Abdecker. Der Alltag zweier „unehrlicher Berufe“ in der Frühen Neuzeit, Paderborn 1994.

2 Kommentare:

  1. Guter Text. Vermisse freilich das Buch von Joel Harrington zu Meister Franz, das im letzten Jahr auch in deutscher Übersetzung erschienen ist: Die Ehre des Scharfrichters.

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    1. Vielen Dank für den Literaturhinweis. Ich habe für diese Woche bereits geplant, einen Beitrag zu posten, der meinen Artikel ergänzt und einen Auszug aus besagtem Buch beinhaltet. An der Stelle werden wir dann natürlich auch auf die deutsche Übersetzung verweisen.

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