Sonntag, 23. Oktober 2016

Die 'Alchymey teuczsch' – Zwischen Goldvermehrung, Allheilmitteln und Geheimschrift

Auch heute noch werden immer wieder Geheimschriften oder codierte Nachrichten benutzt, um bestimmte Informationen oder Wissen nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich zu machen. Dieser Einsatz von verschlüsselten Texten ist jedoch kein Vorgehen, das erst in der Neuzeit entstanden ist, sondern bereits im Mittelalter wurden Chiffren zu diesem Zweck eingesetzt. In diesem Artikel steht eine mittelalterliche Handschrift mit medizinischen, chemischen, aber vor allem alchemistischen Inhalten im Vordergrund, die sich vor allem wegen der Benutzung von Geheimzeichen durch die Verfasser auszeichnet. Damit sollte verhindert werden, dass das erarbeitete alchemistische Fachwissen in die falschen Hände gerät. Nach einem kurzen Überblick über die Geschichte und die Inhalte der Alchemie, soll im zweiten Teil des Artikels die Handschrift im Vordergrund stehen.

Die Umwandlung unedler Metalle in Silber und Gold mit Hilfe des Steins der Weisen sowie die Herstellung eines Allheilmittels war nicht nur in der Antike ein Wunsch vieler Gelehrter. Auch im Mittelalter bemühten sich zahlreiche Alchemisten um Transmutationen – die Verwandlung unedler Metalle in Edelmetalle – und ab dem 13. Jahrhundert waren es vor allem Mediziner, die sich mit alchemistischen Experimenten an der Suche nach einem alle Krankheiten heilenden Mittel beteiligten. Im Spätmittelalter wurde die Alchemie vor allem als Goldmacherkunst und Falschmünzerei diffamiert und zahlreiche Städte und Länder gingen mit Verordnungen dagegen vor. Praktiken, die in Verbindung mit Magie oder Betrug standen, wurden dabei in vielen Ländern und Städten verboten: 1380 erließ etwa Karl V. von Frankreich ein entsprechendes Schreiben, während in England 1452 und in Nürnberg 1493 ähnliche Erlasse verordnet wurden. Trotz dieser Verbote führten die Alchemisten ihre Wissenschaft weiter und ihre Experimente stießen gerade an den Fürstenhöfen aufgrund des häufig damit verbundenen kommerziellen Aspekts auf großes Interesse. Dieser Förderung durch zahlreiche Fürsten ist es zu verdanken, dass die Alchemie noch im gesamten Mittelalter hindurch praktiziert wurde.

Dass Alchemisten auch im Spätmittelalter noch aktiv tätig waren, belegt eine als Alchymey teuczsch bezeichnete Handschrift der Universitätsbibliothek Heidelberg, in der zahlreiche Niederschriften überliefert sind, die heute zu den ältesten Texten der deutschsprachigen Alchemieliteratur gezählt werden können. Insgesamt handelt es sich bei der Handschrift wohl um das Projekt eines ganzen Alchemistenkreises, der zu Beginn des 15. Jahrhunderts im östlichen Bayern, vermutlich in der Nähe von Passau, tätig war. Kopf dieses Zirkels scheint Niklas Jankowitz gewesen zu sein, dessen Name gleich in mehreren Eintragungen innerhalb des Codex genannt wird. Zudem überliefert die Alchymey teuczsch noch namentlich einen Michael von Prapach, einen Michael Wülfing und einen nicht weiter benannten Friedrich. Auch wenn über das Leben dieser Männer weiter nichts bekannt ist, kann aufgrund der namentlichen Nennung an einigen Textstellen angenommen werden, dass sie zum Alchemistenkreis um Niklas Jankowitz gehörten und selbst auch Teile der Alchymey teuczsch verfasst haben. 

Zum Schutz des eigenen Wissens und aus Angst vor Missbrauch – und das macht die Alchymey teuczsch so besonders – benutzten die bayrischen Alchemisten eine Geheimschrift, mit der sie ihre Texte verschlüsselten und somit unbefugten Personen das Verständnis erschwerten. So heißt es in der Handschrift:
Nota du solt wissen das wir die hernach
geschriben stüke vnd reczepte allen abna-
men geben haben als dann hernach geschriben
findest darvmb das ich es mit fer-
porgner geschrift alczeit nicht
bedarf schreiben 

(fol. 5v)

Alchymey teuczsch, UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 597, fol. 5v.
Oben: Hinweise zur Abfassung einiger Texte und Textteile in Geheimschrift
Unten: Hinweise zur verdeckten Rede
(http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg597/0009)

Auch wenn vielen Alchemisten ein gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein unterstellt werden darf und die Angst vor dem Missbrauch alchemistischen Wissens durchaus groß war, bot die Geheimschrift daneben die Möglichkeit, die den Lebensunterhalt garantierenden Geschäftsgeheimnisse zu wahren. Die Verfasser geben in der Handschrift dennoch direkte Hinweise, wie die Geheimschrift dechiffriert werden könne. Allerdings sind diese Angaben auch in den benutzten Chiffren abgefasst, heute in der Handschrift gestrichen und von daher nur schwer lesbar. Zum System der benutzten Geheimschrift heißt es: 
das ist eyn
a b c
das ist ein a b c vnd das haben
wir selbs neus gemacht
a b c d e f g h i k l m n o p q r s s t u w sch ch vnd ich
hab es darum gar an ein ander gesect das man nicht sul fer-
stehen das es ein alfabet sei. 

(fol. 1r)

Alchymey teuczsch, UB Heidelberg, Cod. Pal. germ. 597, fol. 1r. 
Hinweise zum System der benutzten Geheimschrift
(
http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg597/0004)

Da dieser Textabschnitt in der Handschrift gestrichen ist, wäre es möglich, dass die Alchemisten im Nachhinein versuchten, die verfassten Dechiffrierhinweise auf diese Weise zu tilgen, um dem Leser so keine Hilfe an die Hand zu geben, die Geheimschrift und damit verbunden das alchemistische Wissen akribisch entschlüsseln zu können. Zudem konnte so nachträglich das eigene Geschäftswissen geschützt werden. Gut vorstellbar ist auch, dass die Streichung erst später von einem anderen Nutzer vorgenommen wurde, der die Ausführungen als gefährlich einstufte und verhindern wollte, dass das Wissen in falsche Hände gerät. 

Auch die verdeckte Rede wurde von Niklas Jankowitz und seinen Mitarbeitern beim Verfassen der Rezepte und alchemistischen Traktate in Geheimschrift eingesetzt, um das Verständnis zusätzlich zu erschweren. Bestimmte Substanzen und Vorgehensweisen wurden deshalb nicht mit den üblichen Bezeichnungen wiedergegeben, sondern die Alchemisten verwendeten bewusst andere Ausdrücke, die nur ihnen bekannt waren, um die Leser in die Irre zu führen. In den einführenden Worten ist etwa verzeichnet: 
Nota dann das golt haisse ich die
gelb erd Nota das silber haissen wir die
die weiss erd Nota salcstein ist salpeter.

(fol. 5v) 
Wie bereits angesprochen, war es durch die Jahrhunderte hindurch immer ein Ziel der Alchemisten, aus unedlen Metallen Gold oder Silber herzustellen. Der Inhalt der Alchymey teuczsch dokumentiert, dass auch die Alchemisten um Niklas Jankowitz Anfang des 15. Jahrhunderts noch an Transmutationen bzw. hier sogar an der Vermehrung von Gold experimentierten. Ziemlich am Ende der Handschrift (fol. 94v) befindet sich ein Eintrag dazu, dass Niklas Jankowitz und seine Mitarbeiter im Jahre 1423 an der golt merung arbeiteten. Vermutlich scheint der eingangs erwähnte Friederich bei diesem Experiment als eine Art Laborgehilfe – haben wir unser merung Frydrice bevolhen czu arbeyten – mitgewirkt zu haben. Neben diesen Ausführungen zur Goldvermehrung bieten die Alchemisten eine ganze Reihe inhaltlich unterschiedlicher Texte: Medizinische Rezepte helfen bei der Behandlung von beispielsweise Blähungen – die winde in dem leibe (fol. 94v) – oder Vergiftungen (fol. 94v) und ein von Michael Wülfing verfasster Zauberspruch verspricht die Heilung von Fieber – czu den ruetten (fol. 48r). Daneben wurde vermutlich auch von Wülfing ein Liebeszauber abgefasst, der direkt auf das Rezept gegen Fieber folgt. Diesen Zauber solle man sprechen, wan man erst auf stet gegen aufgang der sunn vnd sol yn anheben nicht anders dann an einem svntag oder montag (fol. 48r-48v). Interessant ist auch, dass darauf hingewiesen wird, dass man den Zauberspruch nicht maßlos einsetzen dürfe. Am Ende der Zauberformel wird nämlich extra davor gewarnt, dass man bei der Anwendung nicht czwo person in ains nemen solle. Dazwischen gibt es auch immer alchemistische Rezepte, die etwa dazu dienen, Stoffe herzustellen mit denen andere Naturstoffe in ihrer Form aufgelöst werden können, um sie dann für Transmutationen nutzbar zu machen. 

Zu den weiteren interessanten Inhalten zählt ein Kalender, der von Michael von Prapach verfasst wurde und in welchem die für alchemistische Experimente geeigneten Monatstage und Tageszeiten aufgelistet sind. Michael von Prapach verweist dabei explizit darauf, dass der Kalender von den maistern gemacht wurde, um seine Ausführungen abzusichern. Der Kalender informiert darüber, wann vnd in welcher weil vnde czeit allerlay arbait an czu greiffen vnd czu tun ist, vnd das man wissen müg, wan man arbeit meiden sulle vnde das es nicht gut ist (fol 47v). Während sich beispielsweise der Morgen des erst tag des mans sowie die Mittage des zweiten und dritten Monatstages besonders gut eignen würden, sei etwa der funf vnd czwainczigist tag […] nicht guet

Vielleicht standen auch die Alchemisten um Jankowitz unter fürstlicher Förderung. Die für die Handschrift als Umschlag dienende Urkunde, dessen rechtlicher Sachverhalt nie vollzogen wurde, wurde ausgestellt, weil Johannes und Georg, Landgrafen zu Leuchtenberg und Grafen zu Hals, der Jude Salman Teublein und dessen Frau mit allen Rechten ausgestattet werden sollten, die in Regensburg und Straubing wohnende Juden genießen durften. Salman Teublin scheint als Alchemist im Dienste der Fürsten tätig gewesen zu sein, denn in der Urkunde verpflichtet dieser sich zum Schweigen über seine Wissenschaft, die weil er bey uns (den Grafen) und unser herschaft sein und bleiben wil. Gleichzeitig verpflichten sich aber auch die Grafen, alles dafür zu tun, dass die Geheimnisse der Arbeit des Salman Teublin newr bey unsern erben und unsern herscheften zum Leuchtemberg und Halls furbas beleibe und nicht verrer kume. Vermutlich waren also die Alchemisten um Niklas Jankowitz ebenfalls in Diensten der besagten Grafen tätig, denn wie sonst hätten sie in den Besitz der nicht vollzogenen Urkunde kommen können. Vielleicht experimentierten die Alchemisten daneben früher oder später auch für den Passauer Bischof. Denn ein in der Alchymey teuczsch von einem Schreiber begonnener Briefsteller (fol. 91r) verweist mit seinem einzigen Eintrag auf den Bischof Leonhard von Passau – pischof czu passau vnser lieben heren. Diese Frage muss aber am Ende offenbleiben. 

Zum Weiterlesen:
Eis, Gerhard: Alchymey teuczsch, in: Ders. (Hg.): Medizinische Fachprosa des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit (Amsterdamer Publikationen zur Sprache und Literatur 48), Amsterdam 1982, S. 307-315. 
Rudolf, Rainer: Art. Alchymey teuczsch, in: VL2 (1978), Sp. 209. 
Telle, Joachim: Art. Alchymey teuczsch, in: LexMa 1 (1980), Sp. 343. 
Wattenbach, Wilhelm: Alchymey teuczsch, in: Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit 16 (1869), Sp. 264-268. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen