Im zweiten kurz!-Artikel des Themenmonats 'Tiere & Fabelwesen' wenden wir uns den so genannten Herrschertieren zu, also solchen Tieren, die von vorrangig weltlichen und kirchlichen Herrschern im Mittelalter und der Frühen Neuzeit zumeist in eigenen Menagerien gehalten wurden. Im Vordergrund soll dabei die Medici-Giraffe stehen, die Ende des 15. Jahrhunderts Florenz erreichte und dort für großes Aufsehen sorgte.
Gerade in der Renaissance war es nicht nur in Italien ein weitverbreitetes Anliegen sowohl kirchlicher als auch weltlicher Herrscher, exotische, seltene und den meisten Menschen unbekannte Tiere als Zeichen der eigenen Macht symbolisch zur Schau zu stellen. In diesem Zusammenhang besaßen die Herzöge von Mailand etwa Leoparden, während Papst Leo X. 1514 einen Elefanten von Emanuel I. von Portugal geschenkt bekam und damit seine Sammlung exotischer Tiere, zu der ebenfalls ein Nashorn und Bären gehörten, vergrößern konnte. Auch der Herzog von Kalabrien zählte nicht nur Leoparden zu seinem Besitz, sondern ebenso Kamele, Strauße und Schwäne lebten in seiner Menagerie. Interpretiert wurden diese Tiere von Zeitgenossen als Repräsentanten der besonderen Macht(-charakteristik) ihrer Besitzer: Besaß jemand vorrangig Ehrfurcht gebietende und furchteinflößende Tiere, galt auch der Besitzer selbst als furchteinflößend und Ehrfurcht gebietend.
Vor allem die in Afrika lebenden Giraffen waren in der Renaissance sehr begehrte tierische 'Sammelobjekte' aufgrund ihrer Größe und der damit verbundenen problematischen Beförderungsmöglichkeit jedoch äußerst selten außerhalb des afrikanischen Kontinents. Sie waren damit gleichsam der Inbegriff des Exotischen. Ende des 15. Jahrhunderts erreichte dennoch zum ersten Mal seit der Antike – 46 v. Chr. soll Julius Caesar bei seiner Rückkehr nach Rom eine Tierschau veranstaltet haben, in dessen Mittelpunkt die erste Giraffe in Europa gestanden haben soll – wieder eine Giraffe italienischen Boden: Im November des Jahres 1487 schenkte der Mamluken-Sultan von Ägypten, Al-Ashraf Kait-Bay (1416-1496), dem florentinischen und aus dem Patriziergeschlecht der Medici stammenden Politiker Lorenzo de' Medici (1449-1492; genannt: Il Magnifico) eine Giraffe aus Ägypten. Florenz hatte zu dieser Zeit einen eigenen Zoo, in dem exotische Tiere wie Leoparden, Löwen, Tiger, Wildschweine und Bären gezeigt wurden, der hohes Ansehen genoss und als beeindruckendster Zoo in ganz Italien galt. Zudem unterhielten die Medici selbst eine Art Familienzoo mit zahlreichen exotischen Tieren, der ihnen Ruhm brachte und ihnen den Status der primi inter pares („Erste unter Gleichen“) verlieh. Der Zoo in Florenz beherbergte jedoch keine Giraffe. Zwar zählten die stets um die Unterhaltung der Florentiner bemühten Medici ein künstlerisches Modell einer Giraffe aus Holz zu ihrem Besitz, das sie etwa beim Besuch des Papstes Pius II. im April 1459 in Florenz zur Schau stellten und in Szene setzten, doch eine echte Giraffe wies auch ihre Menagerie nicht auf. Es kann nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden, ob die Giraffe wirklich ein Geschenk des ägyptischen Herrschers war, da nur eine Quelle – die Ricordanzi (Lebenserinnerungen) des Tribaldo de' Rossi – über diese Schenkung berichtet: So soll ein hochrangiger Botschafter („imbasciadore di là ch’era molto onorevole Chadile e Gran Maestro“) Lorenzo de' Medici die Giraffe im Auftrag eines „Soldano di Babilonia“ überreicht haben. Wenngleich also der Schenker nicht mit letzter Sicherheit identifizierbar ist, kann aufgrund zahlreicher Berichte, Malereien und anderer künstlerischer Werke als gesichert gelten, dass eine Giraffe am Ende des Jahres 1487 die italienische Stadt Florenz erreichte, dort schon bei der Ankunft für großes Aufsehen sorgte und zahlreiche Menschen anzog. Der besagte Tribaldo de' Rossi zeigt sich in seinen Lebenserinnerungen etwa beeindruckt von der enormen Größe („7 bracia“; ca. 4,50m) des vorrangig in Afrika vorkommenden und somit für italienische Verhältnisse als überaus exotisch geltenden Tieres und vergleicht die Füße der Giraffe mit denen eines heimischen Ochsen („piè chome ’l bue“). Trotz der eher befremdlich erscheinenden Größe muss das Tier jedoch einen friedlichen Eindruck bei ihm hinterlassen haben, denn er bezeichnet die Giraffe als „piacevole animale“, also gewissermaßen 'freundliches/angenehmes Tier'. Auch der Florentiner Luca Landucci schreibt über das Aussehen der Giraffe: „molto grande e molto bella e piacevola“.
Francesco
Bacchiacca: Die Mannalese (1540); unten rechts die Medici-Giraffe (https://it.wikipedia.org/wiki/Giraffa_dei_Medici#/media/File:Bacchiacca_—_La_Raccolta_della_manna_—_1540_1555.jpg) |
Fast täglich wurde die Giraffe durch die Straßen der Stadt geführt und die Menschen versammelten sich in Scharen, um das für Italien ungewöhnliche Tier anschauen zu können. Der Dichter Antonio Costanzo berichtet in diesem Zusammenhang, dass die Giraffe, die er „camelopard“ nennt, kleinen Kindern aus der Hand gefressen und aufgrund der enormen Größe immer wieder durch die oberen Fenster der Wohnhäuser geblickt habe. Auch de' Rossi betont diese besonders friedliche Art der Giraffe, die sogar einen Apfel aus den Händen eines kleinen Mädchens gegessen habe („a un fanciulo are<bbe> tolto una mela di mano“). Costanzo stellt zudem die Vermutung an, dass der Anblick der Giraffe auf Menschen in der Ferne vielmehr den Eindruck eines Turms gemacht haben müsse und weniger den eines großen Tieres. Lorenzo de' Medici scheint, wie aus den Quellen abzulesen ist, sehr um das Wohlergehen der Giraffe bemüht gewesen zu sein. Aus den Lebenserinnerungen Tribaldi de' Rossis geht hervor, dass er das große Tier in den Stallungen des Papstes an der „Via dela Schala“ unterbringen ließ. Dort habe man sich im anstehenden Winter besonders gut um die Giraffe gekümmert: Es sei extra ein großer Berg aus Stroh und Dung („monte di letame e stava“) errichtet und ein Feuer angezündet worden („fuocho intorno“), um das Tier vor der Kälte zu schützen.
Für Lorenzo de' Medici bedeutete die Giraffe vor allem Prestige und großes Ansehen unter seinen Zeitgenossen. Denn während andere Tierbesitzer mit der Menge exotischer Tiere in ihren Menagerien konkurrierten, besaß Lorenzo mit der Giraffe ein noch außergewöhnlicheres Tier, das sich kaum im Besitz eines anderen 'Tiersammlers' befand. Zwar gibt es Berichte, dass zu der Zeit auch Herzog Ercole I. d'Este, Ferdinand I. von Neapel und Ludwig II., Herzog von Kalabrien, eine Giraffe besessen haben sollen, doch keine dieser Giraffen erlangte solche Berühmtheit wie die der Medici in Florenz. Lorenzo de' Medici erkannte schnell den enormen Wert seiner Giraffe und die mit ihr verbundene Möglichkeit der politisch-diplomatischen Einflussnahme. So versprach er beispielsweise der späteren Königin von Frankreich, Anne de Bretagne (1477-1514), die Giraffe nach einiger Zeit in Florenz weiter nach Frankreich zu schicken. Allerdings verließ sie Italien nie. Auch der als Schenker angenommene Mamluken-Sultan Kait-Bay verfolgte politische Ziele mit der Schenkung: Seit geraumer Zeit bedrohte Bayezid II. (1447-1512), Sultan des Osmanischen Reiches, das Herrschaftsgebiet des Mamluken-Sultans. Mit der Schenkung der Giraffe hatte Kait-Bay die Hoffnung auf die militärische Unterstützung von Lorenzo de' Medici in diesem Konflikt, die dieser ihm auch gewährte.
Insgesamt sorgte die Giraffe in Florenz nur kurze Zeit für enormes Aufsehen. Vermutlich schon im Januar 1488 brach sie sich bei dem Versuch, diese in einer Kiste zu transportieren, das Genick und starb. Erst knapp 440 Jahre nach dem Tod der Medici-Giraffe betraten 1827 wieder Giraffen den europäischen Kontinent. In diesem Jahr verschenkte der Gouverneur der osmanischen Provinz Ägypten, Muhammad Ali Pascha, jeweils eine Giraffe an König Georg IV. von England, an Franz II., den letzten Kaiser des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation sowie ersten Kaiser von Österreich, und eine an Karl X., den letzten Herrscher Frankreichs, der den Titel 'König von Frankreich und Navarra' führte. Die berühmteste von diesen drei Giraffen war Zarafa, weil sie nach ihrer Ankunft in Paris noch 20 Jahre lebte und damit die beiden anderen Giraffen überlebte.
Zum Weiterlesen:
- Belozerskaya, Marina: The Medici Giraffe and Other Tales of Exotic Animals and Power, New York 2006.
- Ringmar, Erik: Audience for a Giraffe. European Expansionism and the Quest for the Exostic, in: Journal of World History 17 (2006), S. 375-397.
- Sherr, Lynn: Tall Blondes. A Book about Giraffes, Kansas City 1997.
- Tribaldo de Rossi: Ricordanzi, hrgs. von Janet Ross, in: Florentine Palaces & Their Stories, London 1905.
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