‚Mord und
Totschlag‘ ist noch heute innerhalb unserer Alltagssprache eine beliebte
Paarformel. Dabei geht es aber häufig nicht im eigentlichen Sinne um die beiden
Straftaten, sondern um die Beschreibung von Auseinandersetzungen, in denen vor
der Anwendung grober Gewalt nicht zurückgeschreckt wurde. Zerlegt man die
Paarformel nun in ihre Einzelteile, versteht man heute nach dem StGB unter Mord
den Straftatbestand der Tötung aus niedrigen Beweggründen (Habgier, Mordlust etc.),
während Totschlag definiert wird als das Töten eines Menschen ohne diese niedrigen
Beweggründe (Notwehr, Affekt etc.).
Wie
verhielt es sich aber mit Mord und Totschlag im Mittelalter? Wie definierte
sich Mord, wie Totschlag und welche Strafen waren mit diesen Delikten
verbunden? Dies sind Fragen, die dieser Artikel unter besonderer Zuhilfenahme
des Sachsenspiegels beantworten möchte. Da es sich beim Sachsenspiegel, der
zwischen 1225 und 1235 von Eike von Repgow verfasst wurde, um das erste
Rechtsbuch in deutscher Sprache handelt, ist dieses eine unverzichtbare Quelle
für die Beantwortung der gestellten Fragen.
Häufig
war es im Mittelalter die Fehde, welche von Privatpersonen oder Familien geführt
wurde, um Rechtsansprüche geltend zu machen. Wurde die Ehre, das Eigentum oder
häufiger noch das Leben von Personen verletzt, gab es die Möglichkeit, bei der
Tötung eines Angehörigen der eigenen Familie, innerhalb von Rachefeldzügen
dieses begangene Unrecht meist mit der Tötung einer Person aus der für das Delikt
verantwortlichen Familie zu sühnen. Eine Fehde musste dabei jedoch immer öffentlich
erklärt werden und durfte sich nicht heimlich ereignen. Geschah diese
öffentliche Verkündung nicht, wurde die Blutrache also heimlich ausgeführt,
verstand man diese Form des rachsüchtigen Tötens als Mord. Dieses Vorgehen galt
als besonders verdammenswert, während das Töten in offener, rechter Fehde als
Totschlag respektiert wurde. Schon die Franken, Alemannen oder Langobarden führten
den Mord als Straftat in Abgrenzung zum Totschlag, seit sie ab dem 5. Jahrhundert
zu einer Schriftform des Rechts gefunden hatten. Da mit dem lateinischen Wort homicidium lediglich der Totschlag in
Verbindung gebracht wurde, gab es für den ‚heimlichen bzw. verheimlichten
Totschlag‘ keine lateinische Entsprechung, weswegen der Strafbestand mord als stammessprachliches Wort
Einlass in die Rechte fand.
Auf der
anderen Seite bemühte sich die Geistlichkeit des 8./9. Jahrhunderts darum,
jegliches Töten zu verdammen. Hierbei wurde nicht mehr zwischen der legitimen
Tötung (Totschlag in offener Fehde) und der illegitimen, weil heimlichen Tötung
(Mord) unterschieden, sondern jegliches Blutvergießen als Mord verurteilt.
Auch Eike
von Repgow führt im Sachsenspiegel die Delikte Mord und Totschlag auf und versucht
eine Differenzierung beider Taten. Es war sein Anspruch, den Menschen das
geltende Recht spiegelbildlich vor Augen zu führen, weswegen zahlreiche
Illustrationen einige der überlieferten Handschriften schmücken. Allerdings
muss hier beachtet werden, dass der Sachsenspiegel als Gebrauchshandschrift
verstanden wurde und nicht als Prachthandschrift. Die Bilder dienen und dienten
innerhalb der Handschriften also mehr der Visualisierung des Beschriebenen und
haben somit weniger repräsentativen, als mehr funktionalen Charakter.
Anhand
zweier Illustrationen macht Eike von Repgow die Unterscheidung von Mord und
Totschlag deutlich und bedient sich dabei auch der bereits erwähnten
Heimlichkeit als Unterscheidungskriterium. Auf dem ersten Bild (fol. 29r) erkennt
man einen Mann, der mithilfe eines Dolches einen anderen Mann ersticht.* Demgegenüber gibt es auf dem folgenden Folium eine ähnliche Illustration, auf
welcher die Tötung eines Mannes mit dem Schwert dargestellt ist. Da der Dolch im
Mittelalter als heimliche Tötungswaffe galt, weil er eben aufgrund seiner Größe
heimlich und unsichtbar getragen werden konnte, liegt bei dem ersten Bild der
Strafbestand des Mordes vor. Dies wird auch im dazugehörigen Text mit Bezug auf
die bei Mord vorliegende Strafe verdeutlicht, wenn es heißt, dass man „alle mordere […] radebrechen“ solle. Zur
Unterstreichung dessen ist zusätzlich zu der schriftlichen Erwähnung der Strafe
das Rädern, wobei dem Mörder mit einem Rad die Gliedmaßen zerschmettert wurden,
illustriert. Im Vergleich dazu wurde das Töten mit dem Schwert, das nicht als
heimliche Waffe galt, als Totschlag („Slet
ein man den andern tot durch not“) geahndet.
Über Mord
oder Totschlag konnte aber nur ein Gericht entscheiden. So gab es für den
Delinquenten entweder die Möglichkeit, sich nach der Tat selbst dem Gericht zu
stellen, um die Tat zu bekennen („kumt he
[…] vor gerichte unde bekennet hes“)
oder zu riskieren, dass die Gegenseite, also die Hinterbliebenen des
Toten, mit der Leiche des Verstorbenen vor Gericht zog, um Anklage zu erheben
(„Brengit man aber den toten vor gerichte
unbegraben“). Während eines solchen Prozesses musste der Delinquent vor
Gericht beweisen können, entweder aus Notwehr gehandelt zu haben oder den Toten
als Friedensbrecher überführen, um nicht doch als Mörder verurteilt zu werden
(„he (der Angeklagte) mus entworten umme sinen hals oder he mus
den toten bereden“). Bei Totschlag wurde der Angeklagte dann zur Zahlung
des so genannten Wergeldes, einer Sühnegeldzahlung an die Hinterbliebenen des
Getöteten, verurteilt. Dieser sei nämlich dazu verpflichtet, so heißt es im
Sachsenspiegel, „den magen
(Verwandten/ Hinterbliebenen) ir wergelt“
zu zahlen. Dabei fällt auf, dass im Unterschied zur bisherigen Toleranz
gegenüber dem Totschlag innerhalb von rechten Fehden, dieser jetzt auch mit
einer Strafe versehen war und nicht mehr tolerant und straffrei hingenommen
wurde.
Wie aber
wurde verfahren, wenn jemand zufällig auf einem Feld eine Leiche fand, wie im
unteren Bild dargestellt, oder wenn während der Beherbergung fremder Leute im
eigenen Haus jemand von diesen erschlagen wurde? Auch hierfür findet der
Sachsenspiegel Antworten.
http://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Cpg_164_%28Heidelberger_Sachsenspiegel%29#mediaviewer/File:Cpg164072.jpg |
In der
oberen Illustration ist folgender Fall dargestellt: Ein Bauer hat auf einem
Feld zufällig eine Leiche gefunden, ohne zu wissen, wer für die Tötung
verantwortlich ist bzw. ohne selbst dafür verantwortlich zu sein. Der
Sachenspiegel gibt die Auskunft, dass das Begraben der Leiche in diesem Fall
nur dann legitim sei, wenn es mit dem Wissen der Dorfgenossen, die vor dem
Begräbnis über den Fund benachrichtigt wurden, geschehe („mit siner nakebure wissenschaft“). Anders verhält es sich mit der
unteren Illustration. In diesem Fall wurde bereits von den Verwandten Klage mit
dem Toten vor Gericht eingeleitet („der
clage mit deme totin begonst vor gerichte“). Da der Tote also vor Gericht
während der Anklageführung anwesend sei, bedürfe es erst der Erlaubnis des
Richters, die Leiche zu begraben („nicht
begrabin ane des richters urloup“).
Im Fall
der Tötung von fremden Leuten, die jemand im eigenen Haus beherbergt, führt der
Sachsenspiegel aus, dass der Hausherr auf jeden Fall „ane schult in seiner herberge“ bleibe.
Die
kurzen Ausführungen haben gezeigt, dass Mord und Totschlag auch zur Zeit Eikes
von Repgow die Menschen beschäftigten und dass man darum bemüht war, die beiden
Straftatbestände, etwa mit dem Kriterium der Heimlichkeit, scharf voneinander
zu trennen. Diese Trennung zeigte sich auch in unterschiedlich schweren Strafen
und, damit verbunden, Bewertungen beider Straftaten.
* Empfehlung: http://www.sachsenspiegel-online.de/export/index.html (alle gemachten Folioangaben beziehen sich auf die Angaben innerhalb
dieser Applikation)
Literatur:
Schmidt-Wiegand, Ruth: Mord und
Totschlag in der älteren deutschen Rechtssprache, in: Forschungen zur
Rechtsarchäologie und Rechtlichen Volkskunde 10 (1988), S. 47-84.
Schmidt-Wiegand, Ruth: Gott ist selber
Recht. Die vier Bilderhandschriften des Sachsenspiegels, Oldenburg, Heidelberg,
Wolfenbüttel, Dresden. Ausstellung in der Schatzkammer der Bibliotheca Augusta
vom 12. Februar bis 11. März 1992 (Ausstellungskataloge der
Herzog-August-Bibliothek 67), Wolfenbüttel 1992.
Es gibt einen Meinungsstreit darüber, ob mit dem ursprüngliche Verbot (in der Bibel, 2. Buch Moses) "du sollst nicht töten" die Tötung oder der Mord "nicht morden" gemeint war. Gibt es Belege, ob die Verfasser dieser Schriften eine Unterscheidung vorgenommen haben bzw. welche der beiden Tötungsarten gemeint war?
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