Sonntag, 1. Februar 2015

Bischofsmorde im 12. Jahrhundert – Thomas Becket und Arnold von Selenhofen



 (Martyrium Thomas Beckets in einer Darstellung aus dem Braunschweiger Dom um 1250, http://de.wikipedia.org/wiki/Thomas_Becket#mediaviewer/File:Braunschweiger_Dom_Secco_Malereien_Becket.jpg)

Diese Darstellung aus der Mitte des 13. Jahrhunderts zeigt einen Mord. Dies mag dem heute gängigen Bild vom „dunklen Mittelalter“, in dem Mord und Totschlag allgegenwärtig zu sein schienen, zwar entsprechen, aber dennoch erregte das dargestellte Verbrechen Aufsehen wie kaum ein anderes zu dieser Zeit. Betrachtet man das Wandgemälde genauer, kann man bereits erahnen, warum: So lassen die Bögen am oberen Bildrand, aber auch der Tisch auf der rechten Seite, bei dem es sich um einen Altar handelt, den Schluss zu, dass das Verbrechen in einer Kirche begangen wurde. Der Mann, der vor dem Altar kniet, trägt eine Mitra, die Kopfbedeckung, die auch heute noch von Bischöfen getragen wird. Es muss sich bei dem Opfer also um einen hohen kirchlichen Würdenträger handeln. Zudem umgibt ein Heiligenschein seinen Kopf, ein Zeichen für seine spätere Verehrung als Heiliger. Der Angreifer scheint recht vornehm gekleidet, außerdem ist er im Besitz eines Schwertes. Es handelt sich wohl um einen Ritter. Im Hintergrund ist außerdem angedeutet, dass dieser nicht alleine, sondern mit Unterstützern in die Kirche gekommen ist. In den Händen des Mannes auf der linken Seite ist ebenfalls ein Schwert zu erahnen. Die Malerei ist eine Darstellung des Mordes an Thomas Becket (1118‑1170), dem Erzbischof von Canterbury, im Jahre 1170. 


Nicht nur heute, sondern auch damals erregte der Mord an einem Bischof, noch dazu in einer Kirche, großes Aufsehen. Neben den Umständen war in diesem Fall auch der vermeintliche Auftraggeber skandalös: Es soll sich dabei um keinen Geringeren als König Heinrich II. von England (1133‑1189) gehandelt haben. Diesen und Thomas Becket hatte einst eine enge Freundschaft verbunden, die jedoch zunehmend belastet wurde. Nachdem Becket zunächst zum Kanzler des Königs, und damit zum Hüter des königlichen Siegels und einem der engsten Ratgeber des Monarchen, aufgestiegen war, wurde er 1162 zum Erzbischof von Canterbury. Seitdem setzte er sich weniger für königliche Belange als vielmehr für die Interessen seiner Kirche ein. Die Folge waren diverse Auseinandersetzungen, vor allem um die Privilegien von Klerikern, die schlussendlich in einer politisch motivierten Gerichtsverhandlung gegen Becket gipfelten, die ihn zwang, nach Frankreich ins Exil zu fliehen.
Eine Beilegung des Streites gelang nicht, da immer wieder eine der beiden Seiten zentrale Forderungen nicht erfüllte oder Zusagen im letzten Moment zurückzog. Erst im Sommer 1170 war Heinrich II. nach zahlreichen, vor allem an gegenseitigen Provokationen gescheiterten, Versöhnungsversuchen zu weitreichenden Zugeständnissen bereit. Vor allem die Androhung von Papst Alexander III., das Interdikt über England zu verhängen, wird den König wohl zum Einlenken bewogen haben, sodass es endlich zu einem Ausgleich zwischen ihm und Thomas Becket kam. Daraufhin kehrte der Erzbischof nach Canterbury zurück, ließ es sich jedoch nicht nehmen, den König wiederum zu verärgern, indem er Kirchenstrafen über einige Bischöfe verhängte, die in dem Konflikt auf königlicher Seite gestanden hatten. Dieses Verhalten erregte den Zorn des Königs dermaßen, dass er in einem Wutausbruch wohl sinngemäß ausstieß, jemand möge ihm diesen Erzbischof vom Hals schaffen. Dies deuteten vier Ritter, die Zeuge des königlichen Zorns geworden waren, als Aufforderung, etwas gegen Thomas Becket zu unternehmen. Sie machten sich auf den Weg nach Canterbury. Dort angekommen, am 29. Dezember 1170, stellten sie den Erzbischof zunächst zur Rede. Es kam zu einer heftigen Auseinandersetzung, nach der sich die Ritter jedoch zunächst zurückzogen. Als Becket sich dann zum Gottesdienst in die Kathedrale begab, wollten seine Anhänger die Türen zu seiner eigenen Sicherheit verschließen. Becket untersagte dies jedoch, da ein Gotteshaus immer allen zugänglich sein müsse. Die Ritter drangen in die Kirche ein und ermordeten den Erzbischof auf brutale Weise am Fuße des Altars. Wegen des bevorstehenden Gottesdienstes befanden sich bereits zahlreiche Menschen in der Kirche, sodass es später viele Zeugenberichte der Ereignisse gab, die bis heute überliefert sind. 

Schon bald nach diesen Ereignissen gab es erste Wunderberichte vom Grab des Erzbischofs, sodass er 1173, nur drei Jahre nach seinem Tod, von Papst Alexander III. heilig gesprochen wurde. König Heinrich II., der als Auftraggeber des Mordes galt, musste sich 1174 auf Geheiß des Papstes einer Buße unterziehen: Nachdem er zunächst durch das Domkapitel von Canterbury gegeißelt worden war, verbrachte er eine ganze Nacht betend am Grab des Heiligen. Außerdem gründete er ein neues Stift und ließ eine Kirche errichten. Die Mörder selbst wurden exkommuniziert und mussten zur Strafe für ihre Taten am Kreuzzug teilnehmen. Über ihre weiteren Schicksale ist kaum etwas bekannt.

Von einem weiteren Bischofsmord berichtet eine Quelle aus Mainz. In der Vita Arnoldi Archiepiscopi Moguntinensis, einer Lebensbeschreibung über Arnold von Selenhofen (um 1100-1160), Erzbischof von Mainz, die wohl kurz nach dem Mord verfasst wurde, wird berichtet:

„Und als alle herbeistürzten, da schreckte [ein Ritter namens Helmger], der ihn mit fürchterlichen Augen anblickte, nicht davor zurück, sich mit mörderischen Händen am Scheitel des Gesalbten des Herrn zu vergreifen […] und schlug, auf ihn einstürzend, sogleich das grimmige Schwert seiner Gottlosigkeit durch dessen geweihte Schläfen. Als der heilige Bischof durch die tief geschlagene Wunde vor ihm den Kopf senkte, und bevor er das Haupt wieder aufrichtete, da durchtrieb ihn der andere mit einem schrecklichen Schlag in der Krümmung zwischen Hals und Kopf […]. Die Mainzer aber riefen nach dem Ansturm alle: „Töte, töte, und niemand soll ihn leben lassen!“, und alle drängten in besessener Raserei heran und alle töteten sie ihren Herrn und Bischof. Einer duchschnitt die geweihte Hand bis zum Arm mit dem zuckenden Schwert. Ein anderer durchhieb ihn mit grausamstem Schlag mitten in die Nasenkrümmung von Ohr zu Ohr; ein weiterer bohrte mit einem tiefen Stich durch die Unterlippe von der rechten bis zur linken Seite.“
(Übersetzung zitiert nach: Burkhardt, Stefan u.a. (Hg.), Vita Arnoldi archiepiscopi Moguntinensis. Die Lebensbeschreibung des Mainzer Erzbischofs Arnold von Selenhofen, Regensburg 2013 (Klöster als Innovationslabore 2))
Doch wie war es zu einer derartigen Wut der Mainzer auf ihren Erzbischof gekommen? Bereits seine Erhebung im Jahre 1153 erregte einiges Aufsehen, da Arnold, der einem Ministerialengeschlecht (mittelalterliche Verwaltungsbeamte) entstammte, nur unter massiver Einflussnahme von Friedrich I. Barbarossa zu Amt und Würden gekommen war. Zwar scheint er meist zugunsten seines Erzbistums gehandelt zu haben, doch griff er dabei sehr hart durch. Damit erregte er vor allem unter den Mainzer Klerikern einigen Unmut. Außerdem begünstigte er wohl Mitglieder der eigenen Familie bei der Vergabe von hohen Ämtern, wodurch er die anderen Mainzer Ministerialenfamilien gegen sich aufbrachte. Die Mainzer standen ihm also recht bald eher feindselig gegenüber. Der Konflikt eskalierte, als zur Finanzierung eines Kriegszuges des Kaisers nach Italien, an dem auch Arnold teilnehmen sollte, eine Sondersteuer erhoben wurde. In Abwesenheit Arnolds, der sich an den Kaiserhof begeben hatte, schwang sich einer seiner Gegner zum Gegenbischof auf, plante eine Verschwörung gegen den Erzbischof und es kam zu Plünderungen in der Stadt. Auch der Dom blieb davon nicht verschont. Als der Krieg in Italien Arnolds Anwesenheit nicht mehr erforderte, kehrte dieser 1160 nach Mainz zurück und erwartete Wiedergutmachungsleistungen für die Taten der Verschwörer. Er drohte, die Stadt mit Gewalt wieder in seine Macht zu bringen, woraufhin die Mainzer zunächst zur Unterwerfung bereit schienen. Dann jedoch wandten sie sich endgültig gegen ihren Erzbischof, der sich in ein Kloster zurückgezogen hatte, indem sie seinen Zufluchtsort belagerten. Schlussendlich machten sie sich daran, das Kloster auszuräuchern, um Arnold herauszulocken. Als er fliehen wollte, brachten ihn die aufgebrachten Mainzer, wie oben beschrieben, um. Zur Strafe für den Mord an ihrem Erzbischof wurde die Stadt exkommuniziert und verlor zahlreiche Rechte und Privilegien. Die Anführer der Verschwörung wurden verbannt und die Stadtmauern geschleift. 

Anders als im Fall von Thomas Becket, der bei der Bevölkerung seines Erzbistums sehr angesehen gewesen sein muss, was sich unter anderem in der baldigen Verehrung als Heiliger äußerte, fiel Arnold von Selenhofen also den Bewohnern der eigenen Stadt zum Opfer. Durch seine unnachgiebige Amtsführung, mag sie auch zum Wohle des Erzbistums gewesen sein, und durch die Bevorzugung der eigenen Familienmitglieder und Vertrauten hatte er sich zu viele Feinde gemacht und jeglichen Rückhalt verloren. Die Brutalität, die auch in der oben zitierten Beschreibung des Mordes unübersehbar zum Ausdruck kommt, zeigt, wie groß der Hass der Mainzer auf ihren Erzbischof gewesen sein muss.


Literatur:
Haarländer, Stephanie, Die Mainzer Kirche in der Stauferzeit (1122-1249), in: Friedhelm Jürgensmeier (Hg.): Handbuch der Mainzer Kirchengeschichte: Christliche Antike und Mittelalter, Würzburg 2000 (Beiträge zur Mainzer Kirchengeschichte 6), S. 290–346.
Sarnowsky, Jürgen, Mord im Dom: Thomas Becket 1170, in: Alexander Demandt (Hg.): Das Attentat in der Geschichte, Köln, Weimar, Wien, Böhlau 1996, S. 75–90.
Schöntag, Wilfried, Untersuchungen zur Geschichte des Erzbistums Mainz unter den Erzbischöfen Arnold und Christian I. (1153-1183), Darmstadt, Marburg 1973 (Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 22).
Vollrath, Hanna, Thomas Becket: Höfling und Heiliger, Göttingen, Zürich 2004 (Persönlichkeit und Geschichte 164).

4 Kommentare:

  1. Sehr schöne Beispiele für Bischofsmorde.

    Zu Thomas Becket habe ich zwei Fragen: Kannst du einschätzen, inwiefern die Geschichte um den Wutausbruch des Königs und das vermeintliche falsche Verstehen der Ritter wirklich geschehen ist? Wieviele Quellen gibt es dazu?
    Meine zweite Frage bezieht auf direkt auf den Mord: War der Zugang zum Erzbischof von Canterbury, also einem der wichtigsten geistlichen Vertreter, so "einfach"? Wurden er (und vielleicht andere hohe Kleriker) nicht beschützt?

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    1. Danke für den Kommentar und die Fragen :)

      Zu deiner ersten Frage:
      Es ist heute schwierig zu beurteilen, ob sich dieser fast schon legendäre Wutausbruch Heinrichs II. tatsächlich so zugetragen hat wie in manchen Quellen berichtet (z.B. Roger von Pontigny, Vita Sancti Thomae, 68-69; Fitzstephen, Vita Sancti Thomae, 126). Zumal die meisten Quellen eher der Becket-Seite zuzuordnen sind. Allerdings wird Heinirch II. von vielen Historikern heute als recht aufbrausend und teilweise cholerisch eingeschätzt, sodass es durchaus nicht unwahrscheinlich ist, dass er einen heftigen Wutausbruch hatte. Auch seine zeitnahe Verurteilung zu einer Buße durch den Papst spricht meiner Ansicht nach eher dafür, dass er in irgendeiner Form zur Ermordung Beckets beigetragen haben muss. Heinrich II. betrachtete Thomas Becket wohl, wie aus den Quellen hervorgeht, als "sein Geschöpf" (Vollrath, S. 110-111) und war deswegen äußerst verärgert über dessen Widerspenstigkeit. Ich persönlich halte es für wahrscheinlich, dass der König in Zorn geriet, als ihm von Beckets Verhalten nach dessen Rückkehr berichtet wurde, und dass er in seinem Wutausbruch eine unbedachte Äußerung machte, die die vier Ritter zum Handeln bewegte. Dabei ist nicht eindeutig zu klären, ob diese tatsächlich von vorne herein den Mord an Becket im Sinn hatten oder ob sie ihn zunächst bloß zur Rede stellen wollten und die Situation dann eskalierte. Wenn du dich näher für Quellen rund um Thomas Becket interessiertst, dann kann ich dir "The Lives of Thomas Becket" (hg. v. Michael Staunton) empfelen. Es enthält Quellenberichte zu den wichtigsten Stationen in Beckets Leben in englischer Übersetzung und ist bei Google Books zu großen Teilen einsehbar.

      Zu deiner zweiten Frage:
      Ich nehme an, dass der Zugang zum Erzbischof nicht "so einfach" war, allerdings handelte es sich bei den Mördern ja nicht um irgendwen, sondern um Ritter des Königs. Diese genossen mit Sicherheit genug Respekt, um unbewaffnet zu Becket vorgelassen werden zu können. Zunächst forderten sie Becket dazu auf, sich in Winchester beim König für sein Verhalten zu verantworten. Die Situation eskalierte erst, als dieser die Forderung ablehnte. Die Ritter zogen sich zurück und holten ihre Waffen. Als Becket zum Gottesdienst in die Kirche ging, wollten einige seiner Anhänger den Mördern tatsächlich den Zugang zur Kathedrale verwehren, indem sie die Türen verriegelten. Becket untersagte dies jedoch, da ein Gotteshaus immer zugänglich sein müsse. Es wurde also durchaus der Versuch unternommen, den Erzbischof zu schützen, als die Bedrohung durch die Ritter endgültig offensichtlich wurde. Becket lehnte diesen Schutz jedoch ab. Vielleicht sah er sich selbst als eine Art Märtyrer für die Rechte der Kirche und war bereit dafür zu sterben. Becket war Zeit seines Lebens ein Freund der großen Inszenierung gewesen, weshalb ich es nicht für unwahrscheinlich halte, dass er auch seinen Tod öffentlichkeitswirksam in Szene zu setzen wusste, was ihm, wie die weitere Geschichte und seine lange andauernde Popularität als Heiliger zeigt, offenbar auch gelungen war.

      Ich hoffe, ich konnte dir weiterhelfen :-)

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    2. Vielen Dank für die ausführliche Antwort. :)

      Deine These, Becket habe auch einen öffentlichkeitswirksamen Tod gewollt, hört sich ziemlich einleuchtend an. So habe ich das noch gar nicht gesehen.

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    3. Gerne :)

      Sein Hang zur Selbstinszenierung wird vor allem dann deutlich, wenn man betrachtet, wie er sich schon früher in anderen Situationen, beispielsweise im Zuge des Gerichtsverfahrens in Northampton, oder während seines Exils in Frankreich zu verschiedenen Anlässen immer wieder darstellt. Teilweise sogar mit Anspielungen auf Jesus, aber auch auf Bernhard von Clairveaux und damit die Kreuzfahrer. Insofern könnte die wirksame Inszenierung seines Todes nur die letzte Konsequenz seiner Selbstdarstellung sein.

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