Im ersten Teil dieser kurz!-Reihe über die Wirkmächtigkeit von mittelalterlichen Zauber- und Segenssprüchen wurde aufgezeigt, dass Zauberformeln allgemein als Heilmittel gegen Krankheiten anerkannt waren und auch benutzt wurden. Die Heilung von Krankheiten mit Zauberformeln, das so genannte ‚Besprechen‘, wurde dabei eben nicht nur auf Kräuter und Heilsteine bezogen, sondern auch auf das Vortragen bestimmter Worte erweitert. Magische und medizinische Praktiken zur Heilung wurden im Mittelalter also gleichwertig behandelt. In diesem Artikel soll es nun darum gehen, spezifischer aufzuzeigen, was und wie geheilt wurde und an welche besonderen Umstände das erfolgreiche ‚Besprechen‘ geknüpft war.
Während im ersten Teil dieser Reihe Zaubersprüche nicht weiter differenziert betrachtet wurden, soll im zweiten Teil, zur besseren Sichtbarkeit des Ineinanders und Nebeneinanders von Christentum und dem so bezeichneten ‚Aberglauben‘ zwischen Zaubersprüchen und Segenssprüchen unterschieden werden. Zaubersprüche sind dabei solche Formeln, die einen eher unchristlichen Inhalt vorweisen, während Segenssprüchen einen eher christlichen Inhalt aufweisen und häufig christliche göttliche oder heilige Personen als Akteure zeigen. Allerdings muss bei dieser vorgenommenen Unterteilung betont werden, dass es fließende Übergänge zwischen Zauber- und Segenssprüchen gibt. Es gibt also nicht auf der einen Seite Zaubersprüche und auf der anderen Seite Segenssprüche, sondern ebenso Mischformen, die Elemente aus beiden Gruppen in sich vereinen. Dennoch kann festgehalten werden, dass es sich bei den meisten heute überlieferten magischen Formeln um Segen handelt.
Durch das ‚Besprechen‘ sollten vor allem akute und subakute Zustände behandelt werden und weniger chronische Krankheiten. So sind Zaubersprüche gegen Blutungen, Wunden, Warzen, Hautkrankheiten, Kopfschmerzen, Verbrennungen, Panikattacken, Verrenkungen oder Koliken überliefert, die häufig mit dem Befall der Menschen durch ‚Krankheitsdämonen‘ in Verbindung gebracht wurden. Die Aufgabe des ‚Brauchers‘ sollte es dann sein, die die Krankheit auslösenden Dämonen, die sich die Menschen im Mittelalter vor allem in tierischer Gestalt, wie etwa das Beispiel des Wurms zeigt, vorstellten, durch Zauber- oder Segenssprüche zu vertreiben.
Das ‚Besprechen‘ war dabei ein Vorgang, der an zahlreiche Bedingungen geknüpft war, die eine erfolgreiche Heilung des Kranken unterstützen sollten. Vor allem eine magische Handlung sollte dem Zauber- oder Segensspruch beigefügt werden, um die Wirkung des Spruches noch zu verstärken. Der uralte Glaube des Menschen, dass sich magische Kräfte vor allem in den Händen sammeln, findet sich dabei auch in den mittelalterlichen Zauber- und Segenssprüchen wieder. So gibt ein Segensspruch, der bei einer blutenden Wunde oder Nase helfen soll, aus dem 15. Jahrhundert den Hinweis: „Item des ersten leg din Hand uff die wunden oder uff die nasen […]“. Hier wird besonders deutlich, dass eben noch vor dem Sprechen der Formel unbedingt die Hände aufgelegt werden müssten, damit eine erfolgreiche Heilung überhaupt geschehen konnte. Neben der Benutzung der Hand, spielte auch der Atem des ‚Brauchers’ manchmal eine wichtige Rolle beim Heilungsakt. Ein Wundsegen des 15. Jahrhunderts fordert auf, während des Sprechens der Formel „mit dem mund nahent der wunden“ zu sein, damit „der attem von dem segen in die wunden gee“. Ferner gab es auch Gegenstände, die die Kraft eines Zauberspruchs bestärken sollten. Ein Gebärsegen des 15. Jahrhunderts etwa führt vor dem Sprechen der Formel aus, dass man der Frau den Zauberspruch auf einen Zettel aufschreiben sollte und gibt dann dem ‚Braucher’ die Anweisung: „lege [diesen Zettel] der frawenn auff denn bauch“.
Neben den magischen Handlungen, spielte auch der Zeitpunkt, so glaubten die Menschen, zu dem der Zauber- oder Segensspruch angewandt wurde, eine entscheidende Rolle. Besonders die Nacht versprach Aussicht auf eine erfolgreiche Heilung durch ‚Besprechung’. Damit war vor allem der Gedanke verbunden, dass sich ‚Krankheitsdämonen’ eben besonders zu diesem Zeitpunkt gut vertreiben lassen. Daneben galten aber auch Voll- und Neumondnächte als besonders geeignet für eine ‚Besprechung’. Bei den Wochentagen war es vor allem der Donnerstag, mit welchem eine erfolgreiche Heilung durch Zauber- oder Segenssprüche verbunden wurde.
Wie bereits im ersten Teil dieser Reihe angedeutet, gab es weniger ein Nacheinander von magischem und religiösem Glauben, sondern vielmehr ein Neben- und Ineinander.
Das ist der wundsegen das pluot versteln.
Stê pluot stille
durch des hailigen Christus willen;
stê pluot rot
als dir der hailig christ vom hymel gebot
Dieser Segensspruch des 15. Jahrhunderts ist nicht nur eine heilende Formel, sondern zugleich eine Anrufung Gottes. Hier ist es nicht die Hand oder der Atem des ‚Brauchers’ mit dem geheilt werden soll, sondern mithilfe der Anrufung der göttlichen Macht, soll die Blutung einer Wunde zum Stillstand gebracht werden. Hier ist also „der hailig christ“ die Autorität, die heilen soll und welcher vom ‚Braucher’ das in den Mund gelegt wird, was geschehen soll. Neben dieser direkten Anrufung Gottes finden sich noch zahlreiche weitere Segenssprüche, die sich an Gott, Heilige, Engel, Propheten oder Apostel wenden. Zudem gibt es Berichte über wunderkräftige Begebenheiten von heiligen oder göttlichen Personen, die eine Heilung herbeiführen sollen sowie ganze Erzählungen, die einen Segensspruch ausmachen.
Eine Mischform bietet etwa der Zauberspruch „Pro nessia“ aus dem 9. Jahrhundert. Dieser Zauberspruch sollte, wie die Zauberformel aus dem ersten Teil dieser kurz!-Reihe, den Menschen von Schwindsucht auslösenden Würmern heilen bzw. befreien. Während der Spruch an sich keine christlichen Elemente aufweist, zeigt jedoch der letzte instruktive Vers des Spruchs „Ter pater noster“, dass hier dennoch eine Verbindung zum christlichen Glauben hergestellt wird, da nach dem Zauberspruch drei Vaterunser gesprochen werden sollen. Sowieso können das Vaterunser, das Credo oder auch das Ave Maria als ‚Zaubergesänge’ verstanden werden, die häufig zur Unterstützung von Zauber- und Segenssprüchen benutzt wurden. So findet sich sowohl bei Zaubersprüchen aber vor allem bei Segenssprüchen vielfach vor oder nach einer magischen Formel die Aufforderung, ein Vaterunser oder ein Glaubensbekenntnis anzuschließen.
Codex mit Merseburger Zaubersprüchen (Merseburg, Domstiftsbibliothek, Cod. 136, fol. 85r); Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/84/Merseburger_zaubersprueche_farbig.jpg |
Dass es nicht nur Zaubersprüche für die Heilung von Menschen, sondern auch für die Heilung von Tieren gab, zeigt der Zweite Merseburger Zauberspruch. Bei dieser magischen Formel handelt es sich um einen Zauberspruch und nicht um einen Segensspruch. Dieser aus dem 10. Jahrhundert stammende Spruch zur Heilung einer Verrenkung bei einem Pferd („dû uuart demo balderes uolon sîn uuoz birenkit“/ „da wurde dem Fohlen des Herrn sein Fuß verrenkt“) weist nämlich keinerlei christlichen Inhalt auf, sondern richtet sich vielmehr an germanische Götter („uuodan“, „fria“, „sinthgunt“), während jedoch Bearbeitungen desselben, die in den folgenden Jahrhunderten entstehen mehr und mehr christliche Elemente aufweisen.
Zauber- und Segenssprüche spielten also für das Leben der Menschen im Mittelalter, das vor allem stark von Krankheiten geprägt war, eine große und wichtige Rolle. Zauber- und Segensprüche wurden gleichrangig bzw. vielleicht sogar noch vor schulmedizinischen Heilungsmöglichkeiten gesehen. Denn noch im 19. Jahrhundert schrieb der Grazer Arzt Fossel anerkennend über ‚Braucher’: „Universa medicina! ist ihr Wahlspruch. Was kein Tränklein zu kurieren vermochte, Arzt oder Apotheker im Stiche ließ, das bringen die Abbeter ins Geleise, die oft verkannten Werkzeuge höherer Mächte“.
Literatur:
Holzmann, Verena: „Ich beswer dich wurm vnd wyrmin...“. Formen und Typen altdeutscher Zaubersprüche und Segen (Wiener Arbeiten zur germanischen Altertumskunde und Philologie 36), Berlin, Wien u.a. 2001.
Beck, Wolfgang: Die Merseburger Zaubersprüche (Imagines Medii Aevi. Interdisziplinäre Beiträge zur Mittelalterforschung 16), Wiesbaden 2003.
Riecke, Jörg: Die Frühgeschichte der mittelalterlichen medizinischen Fachsprache im Deutschen, Berlin 2004.
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