(Annales Fuldenses,
zitiert nach: Hebers, Klaus, Geschichte des Papsttums im Mittelalter, Darmstadt
2012, S. 97.)
So
berichten die Fuldaer Annalen vom Tode Papst Johannes‘ VIII. im Jahre 882.
Dieser Mord stand am Beginn des langen 10. Jahrhunderts für das Papsttum, für
das sich seit dem 16. Jahrhundert die Bezeichnung von Caesare Baronio Saeculum Obscurum – das dunkle
Jahrhundert – verbreitet hatte. Von einigen Historikern wird die Herrschaft in
Rom zu Beginn dieses Zeitraumes bis etwa in die zweite Hälfte des 10.
Jahrhunderts hinein auch als „Pornokratie“ oder „Hurenregiment“ bezeichnet. Das
Papsttum schien also zu dieser Zeit, wie an diesen negativen Bezeichnungen zu
sehen ist, den moralischen Ansprüchen, die bis heute damit verknüpft sind,
keinesfalls gerecht zu werden. Doch nicht nur der unmoralische Lebenswandel
einiger Päpste veranlasste Caesare Baronio von einem Saeculum Obscurum zu sprechen, sondern auch der Mangel an
schriftlich überlieferten Quellen für diese Zeit. In diesem Artikel soll es nun
darum gehen, die für dieses Zeitalter prägenden Ereignisse nachzuzeichnen und
den Ursachen auf den Grund zu gehen, die dazu führten, dass das Papsttum zu
einer „Pornokratie“ verkam.
Im
10. Jahrhundert sahen sich große Teile Europas durch fremde Invasoren bedroht,
so auch Italien, das von Sizilien her die muslimischen Sarazenen fürchtete, die
sich seit dem 8. Jahrhundert im Mittelmeerraum ausbreiteten. Spätestens seit
der Zeit Johannes VIII. (852‑882) trat das Kaisertum jedoch als Schutzmacht des
Papsttums in den Hintergrund, da weder Karl der Kahle (823-877) noch Karl der
Dicke (839-888), die letzten beiden Kaiser aus dem Hause der Karolinger, ihm
gegen die Gefahr aus dem Süden zu Hilfe kamen. Durch den Rückzug der Karolinger
aus der Italienpolitik entstand ein Machtvakuum, das lokale Machthaber zu
füllen versuchten. Für die Stadt Rom waren dies rivalisierende
Adelsgeschlechter, für die die Besetzung des Heiligen Stuhles mit Familienmitgliedern
eine Möglichkeit darstellte, ihre Macht zu vergrößern. Im Kampf um die Macht
war ihnen dabei jedes Mittel recht, sodass es zu einer Verrohung der Sitten kam,
die auch vor dem Papsttum nicht Halt machte. Einige Beispiele für diese
Entwicklung, neben dem oben beschriebenen Mord an Johannes VIII. werden in
diesem Artikel dargestellt.
Eine
für diese Zeit charakteristische Episode war das Leichengericht gegen Papst
Formosus aus dem Jahre 897, der nach seinem Tod von seinem Nachfolger Stephan
VI. wegen angeblicher Usurpation des Papstthrones angeklagt wurde. Man
exhumierte also den Leichnam des Formosus und stellte ihn vor Gericht. Der
Angeklagte wurde verurteilt und die Leiche in den Tiber geworfen. Der wirkliche
Grund für die Anklage fand sich jedoch unter anderem im Ringen verschiedener
Fraktionen in Rom um die Macht. Und auch der Ankläger Stephan VI. starb noch im
selben Jahr eines gewaltsamen Todes.
Historisierende Darstellung der Leichensynode in einem Gemäde von Jean-Paul Laurens, 1870
(http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/53/Jean_Paul_Laurens_Le_Pape_Formose_et_Etienne_VII_1870.jpg).
Etwa
seit dieser Zeit herrschte in Rom ein Senator namens Theophylakt von Tusculum
(vor 864-924/5). Dessen Tochter Marozia (um 892‑932) mischte für eine Frau
dieser Zeit in bemerkenswertem Maße in der großen Politik mit: Unter anderem
verhinderte sie ein Bündnis von Papst Johannes X. mit dem norditalienischen
König Berengar, indem sie den römischen Bischof kurzerhand einkerkern und
ermorden ließ. Einigen Berichten zufolge war sie sogar die Geliebte von Papst
Sergius III., mit dem sie einen unehelichen Sohn gehabt haben soll, der später
als Johannes‘ XI. ebenfalls den Papstthron bestieg. Unter anderem mit ihrer
Herrschaft wird die oben bereits genannte Bezeichnung „Hurenregiment“
gerechtfertigt. Schließlich wurde sie jedoch von ihrem ehelichen Sohn Alberich
II. gestürzt, der in der Folgezeit eine Alleinherrschaft in Rom aufbaute. Unter
anderem setzte er die Wahl seines eigenen Sohnes Octavian zum Papst durch, der
955 unter dem Namen Johannes XII., möglicherweise im Alter von gerade einmal 16
Jahren, den Heiligen Stuhl bestieg.
Während
des Pontifikats Johannes XII. näheren sich das Papsttum und das Ostfrankenreich
unter Otto I. dem Großen (912-973) wieder an. Der junge Papst geriet zunehmend
in Bedrängnis, da sein ausschweifender Lebenswandel immer wieder öffentlich
angeprangert wurde und man ihm unter anderem Grausamkeiten, Trunk- und
Spielsucht, aber auch die Anrufung heidnischer Götter vorwarf. Zudem bedrohte
der byzantinische Vormarsch in Süditalien die Macht des Papstes, sodass er Otto
I. zu Hilfe rief und ihm im Gegenzug die Kaiserkrone anbot. So trat nun wieder
ein Ostfranke als Schutzmacht des Papsttums auf und am 2. Februar 962 fand in
Rom die Kaiserkrönung Ottos I. statt. Kaum hatte er Rom verlassen, gab Papst
Johannes XII. sich jedoch wieder seinem ausschweifenden Lebensstil hin und es
häuften sich die Hinweise darauf, dass er mit Ottos Feinden, darunter Ungarn
und Byzanz, konspirierte, sodass der Kaiser sich gezwungen sah, erneut in Rom
zu intervenieren und Johannes XII. aus der Stadt zu vertreiben. Außerdem ließ
er ihn durch eine Synode wegen sexueller Ausschweifungen und der Abwendung vom Christentum
absetzen. Bereits wenig später musste
Otto I. erneut in Rom eingreifen, da ihn mit Johannes XIII. erneut ein Papst um
Hilfe bat. Dieser wurde vom Adelsgeschlecht der Crescentiner gestützt und besaß
das kaiserliche Wohlwollen, war aber von der kaiserfeindlichen Fraktion in Rom
entführt worden, sodass Otto ein strenges Strafgericht über die Entführer des
Papstes hielt.
Über
die Haltung Ottos II. zum Papsttum ist nur wenig bekannt, doch sein Nachfolger
Otto III. (980-1002) kam 995 Papst Johannes XV. (†996) zu Hilfe, da dieser aus
der Stadt vertrieben worden war. Nach dessen Tod erhob er mit Gregor V. (972-999)
erstmals einen Papst, der nicht aus Italien stammte, wobei die Nominierung des
neuen Papstes durch den König ohnehin ungewöhnlich war. Otto versuchte dadurch
wohl das Papsttum aus den römischen Adelsquerelen zwischen den Geschlechtern
der Crescentinern und Tuskulanern, die in der Stadt um die Macht konkurrierten,
herauszureißen. Gregor V. hatte jedoch in keiner der beiden Parteien Rückhalt,
sodass er nach Ottos III. Abzug, der zuvor noch vom Papst zum Kaiser gekrönt
worden war, bald vertrieben wurde. Durch ein harsches Vorgehen gegen den vom
Adel eingesetzten Gegenpapst Johannes XVI. (er wurde gefangen genommen,
gefoltert und in einem Schauprozess abgesetzt), wollte der Kaiser seine und die
päpstliche Autorität in Rom intensivieren und bemühte sich gleichzeitig um
innerkirchliche Reformmaßnahmen. Es folgte eine kurze Zeit der guten
Zusammenarbeit zwischen Kaisertum und Papsttum, die jedoch mit Ottos III. Tod
im Jahre 1002 endete.
Daraufhin
schwand der kaiserliche Einfluss in Rom wieder und die Crescentiner gewannen
die Oberhand. Erst 1012 sah sich der neue König Heinrich II. (973/8-1024) zum
Intervenieren gezwungen, als es zu einer Doppelwahl kam.
Diese entschied er zugunsten des tuskulanischen Kandidaten Benedikt VIII., der
ihn 1014 auch zum Kaiser krönte. Es folgte bis 1044 eine Periode der
Tuskulanerpäpste, die jeweils selbst über Rom herrschten und ihre Macht mit
Hilfe von Familienmitgliedern absicherten. Sie konnten sich unter anderem wegen
der guten Beziehungen zu den Kaisern, die sich jedoch abgesehen von ihrer
Krönung kaum in Rom einmischten, so lange behaupten. Erst 1045 kam es erneut zu
einer uneindeutigen Wahl, aus der nicht bloß zwei, sondern sogar drei Päpste
hervorgingen. Heinrich III. (1017-1056), der zu seiner Kaiserkrönung nach Rom
reiste, ließ alle drei Kandidaten absetzen und mit Clemens II. (1005-1047)
brach die Zeit der „deutschen Päpste“ und damit der Reformen an.
Fragt
man sich nun, inwiefern diese Zeit tatsächlich „dunkel“ war, so sollte man sich
nicht zu sehr von der Ereignisgeschichte leiten lassen, sondern auch zur
Kenntnis nehmen, dass das Papsttum schlussendlich gestärkt aus dem langen 10.
Jahrhundert hervorging. Durch die strukturelle Schwäche beispielsweise in
Frankreich oder Katalonien war es den Päpsten nämlich gelungen, dort ihren
Vormachtanspruch immer stärker durchzusetzen. Auch im römisch-deutschen Reich
hatten sie an Bedeutung gewinnen können, was bald im Investiturstreit mündete.
Vielleicht gerade aufgrund des als unmoralisch betrachteten Treibens in Rom
entstanden vor allem in Italien, im Westfrankenreich und in Burgund zahlreiche
Reformklöster wie beispielsweise das Kloster Cluny (910 gegründet). So urteilt
Klaus Hebers in seiner Geschichte des Papsttums im Mittelalter, dass sich
selbst die Turbulenzen im 10. Jahrhundert „als Geburtswehen verstehen [lassen],
aus denen ein neues Papsttum erst im 11./12. Jahrhundert entstehen sollte“.
(Hebers, Klaus, Geschichte des Papsttums im Mittelalter, Darmstadt 2012, S.
114.)
Literatur:
Goez,
Elke, Papsttum und Kaisertum im Mittelalter (Geschichte Kompakt), Darmstadt
2009.
Hebers,
Klaus, Geschichte des Papsttums im Mittelalter, Darmstadt 2012.
Schimmelpfennig,
Bernhard, Das Papsttum von der Antike bis zur Renaissance, Darmstadt 2009 (6.
Auflage).
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