Als 1473 in Augsburg sein Kinderbüchlein im Druck erschien, hatte Bartholomäus Metlinger damit nicht nur die erste Kinderheilkunde in deutscher Sprache veröffentlicht, sondern auch ein Buch verfasst, dass schon kurz nach Erscheinen überregionale Bekanntheit erlangte und zu einem der „einflussreichsten Pädiatrieschriften der Zeitenwende“ (Zapf 2015, Sp. 896) werden sollte. In unserem heutigen kurz!-Artikel sollen nicht nur die medizinisch-heilkundlichen und pädagogischen Inhalte des Kinderbüchleins, sondern auch sein Verfasser Bartholomäus Metlinger vorgestellt werden.
Titelbild der Ausgabe des Kinderbüchleins von 1497 (Drucker: Hans Schaur) https://de.wikipedia.org/wiki/Bartholomäus_Metlinger#/media/File:B._Metlinger_1497.jpg |
Bartholomäus Metlinger wurde 1440 in Augsburg in ein medizinisch geprägtes Familienumfeld geboren. Sein Vater war Stadtarzt in Augsburg, sein Bruder Apotheker in Frankfurt am Main. 1461 nahm er in Freiburg im Breisgau sein Studium auf und erwarb dort zwei Jahre später den akademischen Grad eines Baccalaureus artium. Für seinen weiteren Werdegang zog es Metlinger nach Italien, wo er an der Universität Padua Medizin studierte. Nachdem er 1468 von der Universität Bologna einen Lehrauftrag erhalten hatte, erfolgte 1470 ebendort die Promotion. Zurück in Deutschland immatrikulierte er sich 1472 an der neugegründeten Universität Ingolstadt. Schon nach kurzer Zeit verließ er diese jedoch wieder und praktizierte noch im selben Jahr als Arzt in seiner Geburtsstadt Augsburg. 1476 wurde Bartholomäus Metlinger Stadtarzt von Nördlingen. Dieses Amt hatte er bis 1483 inne, als er die Nachfolge seines Vaters antrat und zum physicus civitatis Augustensis berufen wurde. Das Amt des Stadtarztes von Augsburg übte er bis zu seinem Tod 1491 aus. Während seiner Zeit als Stadtarzt in Nördlingen und Augsburg genoss er gerade bei höherstehenden Persönlichkeiten ein hohes Ansehen, davon zeugen insbesondere zahlreiche Rezepteinträge und Regimina (Lehrschrift zur Erhaltung der Gesundheit), die ihn als Autorität nennen. Zeit seines Lebens galt sein wissenschaftlicher medizinischer Schwerpunkt der Hygiene und insbesondere der Pädiatrie/Kinderheilkunde und so verwundert es kaum, dass er diesem Fachgebiet ein eigenes Buch widmete.
Die Beschäftigung mit Kinderkrankheiten stieß im 15. Jahrhundert auf großes Interesse, was zu einer regen Produktion pädiatrischer Schriften führte: 1472 legte etwa der italienische Arzt Paulus Bagellardus, der akademischer Lehrer Metlingers in Padua gewesen war, mit seinem Libellus de aegritudinibus (et remedis) infantium die erste und älteste gedruckte Kinderheilkunde überhaupt vor. Zu ihrem Durchbruch verhalf der Kinderheilkunde aber erst Metlinger bzw. sein Kinderbüchlein, das 1473 zum ersten Mal, bei Günther Zainer in Augsburg gedruckt, erschien; 1474 besorgte der Drucker Johann Bämler in Augsburg eine zweite Auflage mit dem irreführenden Titel Ein regiment der jungen kinder. Metlinger orientierte sich beim Aufbau seiner Kinderheilkunde zwar am Buch seines Paduaner Lehrers, nutzte jedoch inhaltlich andere bzw. weitere medizinische Autoritäten, auf die sich Bagellardus in seinem Libellus nicht bezogen hatte. Metlinger stützte sich nicht nur auf Schriften der persischen Ärzte Rhazes und Avicenna, sondern berücksichtigte auch die Aphorismen des berühmten Arztes Hippokrates sowie mehrere Kapitel aus dem hochmittelalterlichen pädiatrischen Kurztraktat Passiones puerorum adhuc in cunabulis iacentum – eine Art praktischer Leitfaden, der Krankheiten aus dem ersten Lebensabschnitt des Menschen beschreibt und therapeutische Maßnahmen gegen diese angibt. Daneben bezog er auch eigene Erfahrungen mit ein.
Metlinger verfolgte mit seinem Kinderbüchlein das Ziel, Eltern eine Handreichung zu geben, anhand der sie lernen können, wie Kinder nach der Geburt bis zu ihrem siebten Lebensjahr in insbesondere gesundheitlich-medizinischer Hinsicht zu pflegen und zu behandeln sind. Schon in der Vorrede zu seiner Pädiatrieschrift macht er diesen Anspruch deutlich: Häufig sei es aus vnwissenheit der Fall, dass vatter noch muͦtter nit versteen noch erkennen wie die kind in gesuntheit vnd in kranckheiten gehalten werden sollen. Deshalb erhoffe er sich, dass Eltern anhand seiner Ausführungen versten moegend / wie erstgeborne kind vncz zuͦ siben iaren in gesuntheit auch in krankheiten großgezogen werden sollen.
Inhaltlich teilt er seine Pädiatrieschrift in vier Kapitel: Das erste Kapitel widmet er der Säuglingspflege – wie man erstgeborne kinder halten sol – und beginnt mit Anweisungen für die Hebammen nach der Geburt eines Kindes. Nach der Geburt sei insbesondere das Abtasten der Mundhöhle sowie der richtige Umgang mit der Nabelschnur wichtig. Die Hebamme solle den nabel ab schneiden vier finger lang und danach Sorge tragen, dass der Nabelschnurrest nicht abreiße, sondern auf natürlichem Wege eintrocknen könne. Nachdem der Nabelschnurrest abgefallen ist, gelte es dann, den Nabel medizinisch zu versorgen. Dabei solle die Hebamme auff den nabel puluer seen geprent ausz alten solen oder kalbs versen – aus alten Sohlen oder Kalbsfersen gebranntes Pulver helfe nach dem Abfallen des Rests dabei, einen schönen Nabel zu machen. Weiter führt Metlinger aus, dass jedes Kind nach der Geburt bis zum Alter von einem halben Jahr täglich mit Wasser gewaschen werden solle. Dabei müsse man jedoch darauf achten, dass keinerlei Wasser in die Ohren des Säuglings komme. Auch das richtige Halten des Kindes sowie eine genaue Beobachtung seines Verhaltens sei nach der Geburt wichtig. So deute etwa zu häufiges Schreien und Weinen auf eine gesundheitliche Beeinträchtigung hin – wann ein kind vast weinend oder schreyent oder wachen / so ist in vngesuntheit darinn.
Im zweiten Kapitel des Kinderbüchleins wendet sich Metlinger dem Stillen des Säuglings durch die Kindsmutter oder eine Amme zu – wie man kinder saͤgen vnd speysen sol. Metlinger stellt heraus, dass es für das Kind das Beste sei, wenn es nach der Geburt von der Mutter gestillt würde. Allerdings könne es aufgrund von beispielsweise Krankheiten sein, dass die Mutter nicht in der Lage sei, dies zu tun, was die Hinzuziehung einer Amme nötig mache. Anknüpfend zählt er mehrere Punkte auf, die es bei der Wahl einer Amme zu berücksichtigen gelte: Zunächst dürfe die Amme nicht zu alt und nicht zu jung sein; ein Alter von über 20, aber unter 30 hält er für am geeignetsten. Das eigene Kind der Amme dürfe selbst nicht über sechs Wochen alt sein. Daneben fügt er hinzu, dass ein gütiges Wesen, gesunder Lebenswandel, gesundheitsbewusste Ernährung sowie tadellose Gesundheit absolute Voraussetzungen seien. Auch ein wohlgestaltetes und gebräuntes Angesicht, ein starker Hals sowie ein starcke weity prust seien wichtig.
Nach den Informationen zum Stillen folgt das umfangreichste Kapitel des Buches, das Kinderkrankheiten (krancheiten die kinden den merern teil zuo stond) thematisiert. Metlinger geht hier nicht nur auf häufig vorkommende Krankheiten wie die Neugeborenengelbsucht oder Fieber ein, sondern berücksichtigt auch eher seltene Krankheiten bzw. Krankheitsbilder. Er beschreibt etwa den Hydrocephalus als eine wesserige geschwulst des hauptz und führt aus, dass er schon ein Kind gesehen habe, dessen haupt ist also grosz geworden / dz es der leib nit erheben mocht vnd nam taͤglich zuͦ an der groͤssy bisz das kint starb. Sein Rat sei, nicht nur das erkrankte Kind medizinisch zu versorgen – Metlinger schlägt ein Säckchen mit gesottenem Salbei vor, das dem Kind auf die Stirn gelegt wird –, sondern gleichzeitig auch die Mutter oder Amme zu behandeln. Häufig wird in den heilkundlichen Ratschlägen Metlingers bei der Mutter/Amme bzw. der Beschaffenheit ihrer Muttermilch der Auslöser für frühkindliche Krankheiten gesehen. So werde etwa die Neugeborenengelbsucht von zu grober vnd dicker milch ausgelöst, da diese die Wege der Leber und Galle beim Kind verstopfen würde. In diesem Fall helfe es, die Mutter oder Amme an einer Hand oder an einem Arm zur Ader zu lassen. Leide das Kind an Fieber, müsse die Mutter bzw. die Amme sich vor Wein, Fisch, Fleisch und Eiern hüten, während ein an häufigem Husten leidendes Kind mit einem Gemisch aus Mandelmilch und Fenchelwasser, das man ihm zu trinken gebe, geheilt werden könne. Erstaunlich ist die Erklärung Metlingers für das Symptom des Hustens: Hvsten kumpt kinden ausz dem das die zung nit gnuͦgsam ist ze beschirmen / die weg des autems vor kelty; Husten werde also dadurch ausgelöst, dass die Zunge nicht in der Lage sei, die Atemwege vor Kälte zu schützen. Sollte das Kind an Obstipation (Verstopfung) leiden, was häufig auf dieselbe Erkrankung bei der Mutter/Amme zurückgeführt werden könne, verspreche ein zepfflach […] von herten gesalczem schmalcz – ein Zäpfchen aus hartem gesalzenem Schmalz – Linderung. Abschließend beurteilt Metlinger in diesem Kapitel das Wachsen von Warzen oder Drüsen im Kindesalter. Diese seien typisch und erforderten keinen medizinischen Eingriff, da im zuo nehmen des alters verwechst es in den merern teil.
Im letzten Kapitel des Kinderbüchleins verlässt Metlinger den medizinisch-heilkundlichen Bereich und schafft stattdessen eine Art pädagogischen Ratgeber, in dem Ratschläge zur Kindeserziehung bis zu einem Alter von sieben Jahren gegeben werden (wie man die kind halten vnd ziehen sol). Wichtig sei es zu allererst, das Kind nicht zu streng zu erziehen bzw. zu streng zu bestrafen (kind nit ze streng in der straff halten). Insgesamt müsse die gesamte Erziehung des Kindes darauf ausgerichtet sein, dem Kind gute Sitten beizubringen. Zu vermeiden sei es, das Kind zu etwa Ängstlichkeit, Zorn, Unmut oder Trauer zu erziehen. Ab einem Alter von sechs Jahren könne man das Kind dann in eine Art Lehre geben – so kind sechs iar erlangt hond so sol mans einem meister empfehlen der sy etwas lerne. Der letzte Punkt, den Metlinger in diesem Kapitel anspricht, behandelt das Verbot, Kindern Wein zu trinken zu geben. Er schreibt ganz deutlich, dass man kinden nit wein sol geben, da dieser gerade bei gesunden Kindern zu Überhitzung führen und dadurch gesundheitliche Schäden auslösen könne. Weingenuss sei erst zu einem späteren Zeitpunkt für Kinder gesund: So dürfe ein Mädchen im Alter von 12 Jahren, ein Junge jedoch erst im Alter von 14 Jahren Wein trinken, erst zu diesem Zeitpunkt sei der Wein in gesunt.
Das Kinderbüchlein Bartholomäus Metlingers erlebte bis ins 16. Jahrhundert hinein über 30 Neuauflagen; in Verbundausgaben wurde es bis ins 17. Jahrhundert, durch Streuüberlieferung sogar bis ins 18. Jahrhundert hinein breit rezipiert. Auch die von Cornelis Roelant von Mechelen besorgte, bekannte Kinderheilkunde Opusculum aegritudinum puerorum (1483/1484) wurde nicht zu einer Konkurrenz für Metlinger und erreichte nie die breite Wirkung, die seinem Kinderbüchlein zugesprochen werden kann.
Zum Weiterlesen:
- Keil, Gundolf; Lenhardt, Friedrich: Art. Metlinger, Bartholomäus, in: VL 6 (21987), Sp. 460-467.
- Keil, Gundolf: Metlinger, Bartholomäus, in: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil u.a. (Hgg.): Enzyklopädie Medizingeschichte, Berlin/New York 2005, S. 981-982.
- Keil, Gundolf: Kinderheilkunde (Antike und Mittelalter), in: Werner E. Gerabek, Bernhard D. Haage, Gundolf Keil u.a. (Hgg.): Enzyklopädie Medizingeschichte, Berlin/New York 2005, S. 741-743.
- Unger, Ludwig: Das Kinderbuch des Bartholomäus Metlinger 1457-1476. Ein Beitrag zur Geschichte der Kinderheilkunde im Mittelalter, Leipzig/Wien 1904.
- Zapf, Volker: Metlinger, Bartholomäus, in: Wolfgang Achnitz (Hg.): Deutsches Literatur-Lexikon. Das Mittelalter, Bd. 7. Das wissensvermittelnde Schrifttum im 15. Jahrhundert, Berlin/Boston 2015, Sp. 894-900.
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