Sonntag, 25. März 2018

Wege in die Gefangenschaft – Sklaverei im Mittelmeerraum

„Artikel 4 (Verbot der Sklaverei und des Sklavenhandels):
Niemand darf in Sklaverei oder Leibeigenschaft gehalten werden; Sklaverei und Sklavenhandel sind in allen ihren Formen verboten.“

Seit dem 10. Dezember 1948 haben sich die Mitglieder der UNO der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ verpflichtet. Die darin festgehaltenen Grundrechte umfassen insgesamt 30 Artikel. Einer davon ist der oben zitierte Artikel 4, der das Verbot der Sklaverei und des Sklavenhandels festgelegt. Anders als in der Gegenwart war die Sklaverei gerade in der Antike und wieder seit dem 15. Jahrhundert ein Massenphänomen und keineswegs verboten, sondern vielmehr ein für viele Menschen lukratives Geschäft. Doch nicht erst im 15. Jahrhundert erlebte die Sklaverei eine Renaissance. Seit dem Hochmittelalter und besonders seit den Kreuzzügen kam es im Mittelmeerraum vermehrt zur Versklavung von Menschen und zu Sklavenhandel. In einer zweiteiligen kurz!-Reihe werden verschiedene Aspekte der Sklaverei im Mittelmeerraum in den Blick genommen. In diesem ersten Artikel sollen die unterschiedlich begründeten Ideologien zur und die verschiedenen Wege in die Sklaverei betrachtet werden. 

Sklavenmarkt in Jemen, 13. Jahrhundert (Sklavenmärkte im Mittelmeerraum glichen diesem Beispiel)  / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/51/Slaves_Zadib_Yemen_13th_century_BNF_Paris.jpg



Die Sklaverei erhielt ab Beginn der Kreuzzüge aus der feindlich gewordenen Beziehung der drei monotheistischen Religionen neue Impulse. An der Wende zum 13. Jahrhundert wurden im lateinischen Christentum verstärkt die Gegner des eigenen Glaubens, also Anhänger des Heidentums, des Islams und des Judentums bekämpft. Die Fremdheit dieser Gegner verleitete die lateinische Christenheit zu einer Geringschätzung anderer religiöser Gruppen. Verstärkend wirkte die bereits im 12. Jahrhundert einsetzende Aristoteles-Rezeption, die einen enormen Einfluss auf die Legitimierung der Sklaverei hatte. Diese Rezeption führte zu einer tendenziell rassistischen Begründung der Sklaverei. Kanonisten und auch Philosophen sowie Theologen wie Thomas von Aquin argumentierten ähnlich, indem sie die Versklavung von Menschen naturrechtlich begründeten und auf die Unterschiede zwischen den Völkern und Bevölkerungsgruppen hinwiesen.

Eine dieser Bevölkerungsgruppen waren die Sarazenen, ein ursprünglich in Nordafrika lebender Nomadenstamm, die sich vermehrt rund um das Mittelmeer im Mittelalter sowohl in muslimischen Gesellschaften wie in Unteritalien und Spanien als auch in christlichen Gebieten wie Katalonien, Portugal sowie den Städten Genua, Marseille und Barcelona ansiedelten. Der Stellenwert der Sarazenen in den letztgenannten Gebieten wird ersichtlich, wenn beispielsweise die schriftlichen Quellen wie Notariatsurkunden für Rechtsgeschäfte über Sklaven betrachtet werden. Dort sind die Begriffe sarrcenus, sarracena und maurus synonym für Sklaven aufgeführt. Die sarazenischen Sklaven stammten insbesondere aus den Grenzgesellschaften Siziliens und von der Iberischen Halbinsel. Neben regelrechten Razzien, bei denen Sklavenhändler mit ihren Schiffen einzelne Dörfer oder Städte überfielen und Sklaven in den genannten Gebieten nahmen, fielen viele Menschen kriegerischen Auseinandersetzungen zum Opfer, wurden gefangengenommen und anschließend versklavt.
Die traditionelle Vorstellung war, dass Kriegsgefangene und andere Personen aus einem verfeindeten Land versklavt werden dürften, wenn dies in einem von beiden Seiten fair geführten Krieg geschehen würde. Aus dieser Vorstellung ergab sich allerdings die Sichtweise, dass man mit jedem Rebellen, der gegen eine legitime Herrschaft agierte, genauso verfahren könne. Die christlichen Herrscher sahen diese Argumentation als Legitimierung, auch gegen die Bevölkerungsgruppen vorzugehen, die mit den Muslimen kollaborierten oder sich der römischen Kirche widersetzten und deren Anhänger zu versklaven. Die Eroberung von Korsika und Sardinien im 12. Jahrhundert, die zwar nicht unter muslimischer Herrschaft standen, aber dennoch mit ihnen unter anderem im Handel kollaborierten, führten dazu, dass eine Vielzahl von Sklaven nach Pisa und Genua gebracht wurde. Auch feindlich gesinnte Untertanen des Königs wurden versklavt und zum Teil anschließend verkauft.

Kriegerische Auseinandersetzungen im Mittelmeerraum führten im Mittelalter zu besonders hohen Sklavenzahlen. Zu solchen zählten zahlreiche muslimische Kriegszüge von Cordoba und Nordafrika aus gegen die iberische Halbinsel, arabische Kriegszüge im 9. und 10. Jahrhundert in Anatolien und die Zerstörung der muslimischen Kolonie Lucera, heute eine Stadt in Apulien, durch das Königreich Neapel im Jahr 1300. Bereits seit 1233 ließ Friedrich II. (1194-1250) Einheimische aus muslimischen Kolonien wie Lucera vertreiben und von Christen getrennt auf das Festland umsiedeln, um sie dort zu versklaven. Zudem wurden 1064 und 1068 gefangene Mauren auf der Iberischen Halbinsel versklavt. Dabei wird ein Muster ersichtlich: Fast jeder neue Vorstoß auf islamische Territorien resultierte mehr oder weniger in Sklaverei, wie bei der Einnahme Mallorcas im Jahr 1229 oder dem Fall von Málaga 1487. Gerade das Beispiel Mallorca zeigt die Vorgehensweise christlicher Herrscher. Jakob I., König von Aragón von 1213 bis 1276, eroberte die spanische Baleareinsel  und besiegte dabei den islamischen Statthalter Abu Yahia. Anschließend wurde das Königreich Mallorca zu einem Teilreich der Krone Aragóns. Nachdem die Insel erobert worden war, zeigte sich eine fast systematische Versklavung der einheimischen Bevölkerung. Besitz- und Kaufurkunden zeigen, dass die versklavten Einheimischen im ganzen Mittelmeerraum gehandelt wurden.
Neben den genannten kriegerischen Auseinandersetzungen wurden Sklaven auch auf Raubzügen genommen. Korsaren, auch Freibeuter genannt, erhielten von dem jeweiligen Königreich ein Privileg, um Auseinandersetzungen auf Meer und Land zu führen und andere Königreiche, Städte und Gebiete auszubeuten. Beute machten sie mit Luxusgütern und eben gefangengenommen Menschen, die anschließend als Sklaven verkauft wurden. Es entwickelte sich ein auf Raub gegründeter Handel mit dieser Beute, der die Raubzüge zu einem luxuriösen Geschäft für die beteiligten Personen machte. Ein Beispiel für einen solchen Weg in die Sklaverei ist Say Sanagi, dessen Weg bereits in einer eigenen kurz!-Reihe beleuchtet wurde.
Seit dem 13. Jahrhundert wurden die meisten Sklaven nicht mehr im Krieg gefangengenommen. Es waren nun sehr häufig Frauen und Männer, die in der Ferne gekauft und anschließend insbesondere über das Mittelmeer auf Sklavenmärkten oder direkt an Interessenten verkauft wurden. Venezianische und genuesische Kolonien standen im Zentrum dieser Bestrebungen.

Der Kauf christlicher Sklaven durch katholische Mönche / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/06/Purchase_of_Christian_captives_from_the_Barbary_States.jpg


Die Herkunft und der Glaube der meisten Sklaven wurden durch die bisherigen Ausführungen deutlich: Heidnische und muslimische Menschen und Bevölkerungsgruppen aus Andalusien, dem Nahen Osten sowie der Iberischen Halbinsel allgemein und Nordafrika gelangten demnach besonders häufig in die Sklaverei. Es gab aber darüber hinaus bemerkenswerte Ausnahmen: So wurden christlich-orthodoxe Griechen durch die Venezianer auf Kreta und später zypriotische Einheimische, zum großen Teil ebenfalls christlich-orthodoxe Griechen, als Ergebnis des Bestrebens, den Zuckerrohranbau auf Zypern auszubauen, versklavt. Die Versklavung christlich-orthodoxer Griechen führte bei vielen Christen und auch christlichen Herrschern zu großer Kritik, denn sie waren keine Gegner ihres Glaubens. Theologen und Kirchenvertreter sprachen sich deutlich gegen diese Behandlung griechischer Christen aus und erreichten, dass in den Verträgen nicht mehr der Mensch, sondern nur noch seine Dienste verkauft wurden. Ein weiteres Beispiel ist die Versklavung orientalistischer Christen aus dem Raum Bulgarien und Rumänien im 11. Jahrhundert. Dahingehend darf bei der Sklaverei der wirtschaftliche Aspekt nicht unbeachtet bleiben. Sklaven waren ein immens wichtiges wirtschaftliches Gut, weshalb über eigentliche Regelungen hinweggesehen wurde.

Die Sklaverei im Mittelmeerraum im Hoch- und Spätmittelalter war ein florierendes, lukratives Geschäft, dass sich im Laufe der Jahrzehnte und Jahrhunderte weiter ausbreitete. Sklavenarbeit wurde immer wichtiger und diverser, sodass vor allem auch weibliche Sklaven eine große Rolle spielen sollten. Genau diesem Themenkomplex aus den verschiedenen Arbeitsformen, in denen die Sklaven eingesetzt wurden, wie auch den versklavten Frauen, denen unterschiedliche Aufgaben auferlegt wurden, widmen wir uns in dem zweiten Teil der Reihe.


Zum Weiterlesen:

Christoph CLUSE, Sklaverei im Mittelalter – der Mittelmeerraum. Eine kurze Einführung basierend auf Jacques HEERS, Esclaves et domestiques au moyen âge dans le monde méditerranéen, Paris 1981.

Alfred HAVERKAMP, Die Erneuerung der Sklaverei im Mittelmeerraum während des hohen Mittelalters. Fremdheit, Herkunft und Funktion, in: Elisabeth Herrmann-Otto (Hg.), Unfreie Arbeits- und Lebensverhältnisse von der Antike bis in die Gegenwart. Eine Einführung, Hildesheim u.a. 2005, S. 130-166.

3 Kommentare:

  1. "indem sie die Versklavung von Menschen naturrechtlich begründeten und auf die Unterschiede zwischen den Völkern und Bevölkerungsgruppen hinwiesen"

    Diese Logik wurden wir dann bekanntlich auch nicht mehr so schnell los. Von der Rechtfertigung der Sklaverei hin zur späteren Rechtfertigung des Kolonialismus ist es da - "moralisch" gesehen - nur ein kleiner Schritt..

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    1. Hallo Ralf. Das stimmt leider.
      Unter anderem diese Begründung liefert in den Jahrhunderten danach immer noch eine Legitimation für "überlegene" Menschen/Völker etc. "fremde" Menschen und andere Völker auszunehmen, zu unterdrücken, zu versklaven usw.

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    2. So gesehen haben wir in den letzten 150 Jahren schon einiges erreicht ;)

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