„Wer geht so spät zu Hofe, / Da alles längst
im Schlaf? / Im Vorsaal wacht die Zofe – Schon naht der schöne Graf. / Er
sprach: „Eh ich nach Frankreich geh, / Muß ich sie noch umarmen, / Prinzessin
Dorothee.““ So beginnt ein Volkslied, das in Theodor Fontanes Wanderungen durch die Mark Brandenburg
überliefert ist. Es handelt von der verbotenen Liebesbeziehung zwischen der
verheirateten Kurprinzessin und Herzogin Sophie Dorothea von
Braunschweig-Lüneburg (1666-1726) mit dem hannoverschen Offizier Philipp Christoph
Graf von Königsmarck (1665-1694), die 1694 schließlich in der Ermordung des
Grafen und lebenslanger Gefangenschaft für die Herzogin endete. In unserem
neuen Artikel beschäftigen wir uns mit diesem Skandal am Hof von Hannover, den
Hintergründen der Affäre und den Personen, die die Geschehnisse maßgeblich
beeinflussten.
Sophie Dorothea mit ihren Kindern, Öl auf
Leinwand, Jacques Vaillant, Hannover 1691 (?).
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Philipp
Christoph entstammte als Sohn von Kurt Christoph Graf von Königsmarck und seiner
Frau Maria Christine von Wrangel einem alten märkischen Adelsgeschlecht. Sophie
Dorothea hingegen war die einzige Tochter des Herzogs von Braunschweig und
Lüneburg Georg Wilhelm und der Hugenottin Eleonore Desmier d’Olbreuse und damit
die Erbin des Herzogtums und eine äußerst interessante Heiratskandidatin.
Philipp Christoph und Sophie Dorothea hatten sich bereits als Kinder am Hof von
Celle kennengelernt, wo der Graf als Page in Diensten ihres Vaters gestanden
hatte. Anschließend studierte der Graf in Oxford und entschied sich dann
zunächst in Diensten des Kaisers für die Offizierslaufbahn. In der Zwischenzeit
war Sophie Dorothea am 18. November 1682 gegen ihren Willen mit ihrem Cousin Herzog
Georg Ludwig von Braunschweig-Lüneburg (1660-1727), dem Sohn des noch
regierenden Herzogs Ernst August (1629-1698), verheiratet worden, der ab 1714
als Georg I. König von Großbritannien sein sollte. Aus der häufig als
unglücklich charakterisierten Ehe gingen zwei Kinder hervor, Sohn Georg August
(1683-1760), als Georg II. Nachfolger seines Vaters auf dem englischen Thron, und
die Tochter Sophie Dorothea (1687-1757), die später als Ehefrau von Friedrich
Wilhelm I. Königin von Preußen wurde und die Mutter Friedrich des Großen war.
Der Graf von Königsmarck war mittlerweile durch Erbschaft an ein größeres Vermögen
gelangt. Ab 1688 hielt er sich – wie Sophie Dorothea – am Hof von Hannover auf,
da er aus kaiserlichen Diensten in den Dienst Herzogs Ernst August gewechselt
war und den Rang eines Obersts der Leibgarde erlangt hatte. Nach der Teilnahme
an mehreren Feldzügen, unter anderem gegen die Türken, kehrte er 1690 dauerhaft
nach Hannover zurück.
Philipp
Christoph von Königsmarck, Anonym, ?.
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/04/Philippe_Christophe_K%C5%93nigsmark.jpg
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Sophie
Dorothea war zu diesem Zeitpunkt bereits unglücklich mit ihrem Leben am Hof. So
schrieb sie unter anderem an Liselotte von der Pfalz: „Wir leben hier still, kein Abenteuer passiert.“
Ab März 1692 ist davon auszugehen, dass die Kurprinzessin und von
Königsmarck eine heimliche Liebesbeziehung unterhielten. Deutlich wird dies
durch einen erhaltenen Briefwechsel, der die innige Beziehung der beiden
dokumentiert und von tiefen Gefühlen und gemeinsamen Nächten berichtet. So schrieb Sophie Dorothea ihm beispielsweise „Il n y a que la mort qui puisse me detacher
de vous.“ („Nur der Tod kann mich von Ihnen trennen“) Auch
andere Quellen von Mitgliedern der Hofgesellschaft schildern Beobachtungen, die
das Verhältnis der beiden zueinander thematisieren. So soll Sophie Dorothea den
Grafen von Königsmarck offensichtlich bevorzugt und keinen Hehl aus ihrer
Zuneigung gemacht haben. Ihr Ehemann verbrachte zu diesem Zeitpunkt seine Zeit
bereits vermehrt mit seiner Mätresse, was in seinem Fall als männlicher
Kurprinz, der bereits über einen legitimen Nachfolger verfügte, jedoch kein
großes Aufsehen erregte.
Die
Beziehung zwischen Sophie Dorothea und ihrem Mann verschlechterte sich dennoch
kontinuierlich und im Frühling 1694 reiste sie sogar zu ihren Eltern nach
Celle, um vor Ort um die Zustimmung zur Scheidung zu bitten. Ihr Vater lehnte
eine Trennung jedoch vor allem aus finanziellen Gründen ab und er befahl seiner
Tochter nach Hannover zurückzukehren. Nach der vergeblichen Bemühung um eine
Scheidung planten sie und Graf von Königsmarck im Sommer 1694 schließlich ihre
Flucht aus dem Herzogtum. Als mögliche Orte hatten sie Wolfenbüttel oder
Sachsen ins Auge gefasst, wo seit April 1694 mit August dem Starken (1670-1733)
ein Freund Philipp Christophs regierte, der ihm eine Stelle als Generalmajor
der Kavallerie angeboten hatte.
Bezeugt
ist, dass am 2. Juli 1694 ein letztes geheimes Treffen zwischen der Herzogin
und dem Grafen stattfand. In der Nacht vom 11. Juli verlieren sich seine Spuren
schließlich auf dem Weg zum Leineschloss in Hannover. Zwar wird davon
ausgegangen, dass der Graf noch am selben Tag ermordet wurde, ein eindeutiger
Beweis für diesen Verdacht konnte jedoch bis heute nicht gefunden werden. Dabei
schien es schon häufiger so, als würde man dem Geheimnis um das Verschwinden
von Philipp Christoph von Königsmarck auf die Spur kommen: Mehrfach wurden im
Bereich in und um das Leineschloss Knochen gefunden, die neue Gerüchte und
Legenden befeuerten, da die gefundenen Skelette beispielsweise eingemauert
gewesen sein sollen. Aber weder die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg, noch die
1949 noch die 2016 bei Bauarbeiten gefundenen Knochen konnten anhand von
DNA-Untersuchungen dem Grafen zugeordnet werden. Andere Legenden besagen, dass
von Königsmarck gar nicht im Leineschloss, sondern in der Gruft oder Kirche von
Schloss Rethmar, östlich von Hannover, beerdigt oder direkt nach seiner
Ermordung in der Leine versenkt worden sein soll. Somit muss sein genaues
Schicksal bis heute weiter ungewiss bleiben.
Trotz
dieser Unklarheiten gab es jedoch schnell zahlreiche Verdächtige, die für sein
Verschwinden verantwortlich gemacht wurden und den Mord in Auftrag gegeben
haben könnten. Sei es, um den Graf von Königsmarck verschwinden zu lassen und
somit die Beziehung schlussendlich zu beenden oder die drohenden Konsequenzen
einer Scheidung oder Öffentlichmachung abzuwenden. Verdächtigt wurden so unter
anderem Sophie Dorotheas Ehemann, der Kurfürst Ernst August selbst sowie dessen
Mätresse Gräfin Clara Elisabeth von Platen (1648–1700), die zu jener Zeit als
mächtigste Frau Hannovers galt. Sie hatte nicht nur im Januar 1694 vergeblich
versucht, ihre uneheliche Tochter mit Philipp Christoph zu verheiraten, sondern
sie hatte die heimliche Beziehung auch gegenüber Georg Ludwig verraten und die
geplante Flucht der beiden verhindert. Auf dem Totenbett soll sie schließlich
schriftlich eine Mitschuld an dem Mord zugegeben haben. Allerdings konnte
dieses vermeintliche Geständnis bis heute nicht entdeckt werden. Der Verdacht
gegen den Kurfürsten selbst erhärte sich dadurch, dass kurz nach der Tat
finanzielle Belohnungen an Mitglieder der Hofgesellschaft gezahlt wurden, die
in den Rechnungen des Hofes nachweisbar sind.
Das
spurlose Verschwinden des Grafen blieb nicht lange unentdeckt und zog
europaweit Kreise: Der französische König Ludwig XIV. ließ Agenten nach
Hannover schicken, die die Angelegenheit aufklären sollten. Ähnlich verhielt
sich August der Starke, der eine wochenlange Suche nach von Königsmarck in
Auftrag gab und versuchte, Beweise zu sammeln, während die Regierung in
Hannover fleißig Beweise für die Beziehung und das Verbrechen verschwinden
ließ. August ließ sich auch nicht von seiner Suche abbringen, als sich der
Kaiser einschaltete, nachdem er von Kurfürst Ernst August darum gebeten worden
war. In diesem Zusammenhang lernte August auch die Schwester Philipp Christophs
kennen, die ebenfalls auf der Suche nach ihrem Bruder war. Maria Aurora von
Königsmarck (1662-1728) wurde schließlich für Jahre zu Augusts mächtiger
Mätresse.
Schloss Ahlden in Merian-Stich um 1654. |
Im
Anschluss an die Ereignisse forderte nun Kurprinz Georg Ludwig selbst die
Scheidung von seiner untreuen Ehefrau. Sophie Dorothea wurde daraufhin nach
Schloss Ahlden in der Lüneburger Heimat gebracht, das ihr bis zu ihrem Tod im
Jahr 1726 als Gefängnis dienen sollte. Am 28. Dezember 1694 wurde die Ehe
geschieden und sie als allein schuldig für das Scheitern erklärt. Dies
bedeutete für sie unter anderem, dass es ihr verboten war, eine weitere Ehe
einzugehen und jemals ihre Kinder wiederzusehen. Zusätzlich verlor sie ihren
Titel der Kurprinzessin und ihr in die Ehe eingebrachtes Vermögen. Von nun an
wurde sie Prinzessin von Ahlden genannt. Zwar durfte sie Besuch empfangen und
sie verfügte über einen kleinen Hofstaat, das Schloss durfte sie aber nur in
Begleitung verlassen und eine Entfernung von zwei Kilometern nicht
überschreiten.
Nachdem Ernst August 1698 gestorben war, wandte sie sich an ihren früheren Ehemann und bat um Verzeihung für ihre Fehler, sowie darum, wenigstens ihre Kinder sehen zu dürfen. Diesen Bitten kam Georg Ludwig jedoch nicht nach. Als Sophie Dorothea schließlich an einem Leberverschluss starb, verbot er sogar Trauerbekundungen jeglicher Art. Die gemeinsame Tochter ordnete zu Ehren der Mutter jedoch Hoftrauer in Berlin an.
Nachdem Ernst August 1698 gestorben war, wandte sie sich an ihren früheren Ehemann und bat um Verzeihung für ihre Fehler, sowie darum, wenigstens ihre Kinder sehen zu dürfen. Diesen Bitten kam Georg Ludwig jedoch nicht nach. Als Sophie Dorothea schließlich an einem Leberverschluss starb, verbot er sogar Trauerbekundungen jeglicher Art. Die gemeinsame Tochter ordnete zu Ehren der Mutter jedoch Hoftrauer in Berlin an.
Zum
Weiterlesen:
Burschel,
Peter: „sachen, da ich kein journal von machen werde“. Geheimnisrede oder der
Fall Königsmarck in den Briefen der Kurfürstin Sophie von Hannover, in: Peter
Aufgebauer (Hg.): Herrschaftspraxis und soziale Ordnungen im Mittelalter und in
der frühen Neuzeit. Ernst Schubert zum Gedenken, Hannover 2006, S. 465-476.
Fiedler,
Beate-Christine: Die Königsmarcks. Glanz und Untergang einer schwedischen
Grafenfamilie, in: Rieke Buning (Hg): Maria Aurora von Königsmarck. Ein
adeliges Frauenleben im Europa der Barockzeit, Köln u. a. 2015, S. 15-30.
Geyken,
Frauke: „Ohne seiner Frau todt witwer zu werden, ist doch etwas rares“. Folgen
des ehelichen Ungehorsams - Sophie Dorotheas Verbannnung nach Ahlden,
in:Kathleen Bieercamp (Hg.): Mächtig verlockend. Frauen der Welfen, Begleitband
zur Ausstellung des Residenzmuseums im Celler Schloss vom 16. Februar bis 15.
August 2010, Berlin 2010, S. 167-185.
Schnath,
Georg: Der Fall Königsmarck, in: Hannoversche Geschichtsblätter 6 (1953), S.
277-341.
Walter,
Jürgen: Sophie Dorothea, Kurprinzessin von Hannover. Ein höfischer Skandal,
Mühlacker u. a. 2006.
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