Sonntag, 3. Dezember 2017

Das Treffen von Papst Stephan II. und König Pippin in Ponthion

Der schnelle Aufstieg des Karolingers Pippin (714-768) verlief äußerst beeindruckend: Als Sohn Karl Martells erbte er zunächst im Jahr 741 das Amt des Hausmeiers von Neustrien, Burgund und der Provence und übernahm 747 nach dem Tod seines Bruders Karlmann zudem dessen Amt des Hausmeiers von Austrien, Alemannien und Thüringen. In der Merowingerzeit zählten primär verwaltende Tätigkeiten zu den Aufgaben der Hausmeier.  So hatten sie zunächst lediglich die leitende Aufsicht über die Unfreien des königlichen Hofes inne. Aufgrund der zahlreichen Reichs- und Herrschaftsteilungen erfuhr dieses Amt aber eine deutliche Aufwertung. Der Hausmeier stellte Urkunden im Namen des Königs aus und ernannte eigenständig Beamte. Pippin konnte als Hausmeier seine Stellung im Frankenreich stetig ausbauen, sodass die Macht im Reich letztlich bei den Hausmeiern lag – der König war nur noch dem Titel nach höhergestellt. Schließlich sollte es Pippin sogar schaffen, dass der letzte Merowingerkönig Childerich III. mehr oder weniger freiwillig selbst abdankte und den Weg somit für ihn, König Pippin, freimachte. In diesem kurz!-Artikel betrachten wir eine zentrale Episode des Königtums Pippins: Die Begegnung mit Papst Stephan II. (Papst von 752 bis 757) in Ponthion. Die Beantwortung der Fragen nach dem Stellenwert dieses Treffens und gleichzeitig nach der Repräsentativität hinsichtlich der Ritualisierung der Macht im Mittelalter, sollen im Mittelpunkt stehen.

Statue Pippins auf der ALten Mainbrücke in Würzburg / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/57/Pippin_w%C3%BCrzburg_1.jpg

Pippin der Jüngere erreichte mit der Krönung zum König im Jahr 751 den vorläufigen Höhepunkt seiner Macht. Diesen Schritt konnte er allerdings nur mit der Unterstützung des Papstes Zacharias (Papst von 741 bis 752) vollziehen, der auf die Frage Pippins in einem an ihn gerichteten Brief, ob es gut oder schlecht sei, dass der fränkische König nicht mehr die Macht eines Königs habe, antwortete: „Es ist besser denjenigen als König zu bezeichnen, der die Macht innehat.“ Pippin fühlte sich bestätigt, zwang Childerich III. zum Abdanken und machte sich letztlich fast selbst zum König. Childerich wurde mit seinem Sohn in das Kloster Prüm geschickt. Die Antwort des Papstes und die genaue Rolle, die der er bei dieser Konstellation spielte, sind nicht ganz eindeutig und können auf zwei verschiedene Weisen interpretiert werden. Einerseits verstanden die Großen des Reiches, die hinter Pippin standen, diese Antwort als ein Gutachten. Andererseits wird es als päpstliche Aufforderung zu der Königskrönung Pippins verstanden, die ausgeführt werden musste und mit welcher der Papst seinen Anspruch auf das Verfügungsrecht über das Königtum zum Ausdruck bringen wollte. Welche Intention der Papst beabsichtigte, lässt sich nicht sicher beantworten. Dagegen ist der Kontakt zwischen Pippin und Zacharias‘ Nachfolger PapstStephan sowie dessen Unterstützung gesichert.

Italien um 751 / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/1/15/Aistulf%27s_Italy-de.svg/604px-Aistulf%27s_Italy-de.svg.png

Parallel zu Pippin und seinem Machtausbau im Frankenreich baute der dux Aistulf von Friaul seine Stellung im Langobardenreich aus, löste eine Revolte mit anderen Adligen aus und brachte den amtierenden König Ratchi zur Abdankung. Anschließend wurde er selbst 749 zum König der Langobarden gekrönt und blieb dies bis 756. Sein Machthunger war zu diesem Zeitpunkt noch lange nicht gestillt: Sein Ziel war das Zurückdrängen der in Italien und Rom angesiedelten Byzantiner. Das Herzogtum Spoleto macht er nach dem Tod des Herzogs zum Krongut und verwaltete es selbst. Wichtige Städte wie Ravenna eroberte er ebenfalls, sodass das byzantinische Rom von zwei Seiten von Aistulf bedrängt wurde. Rom war zu diesem Zeitpunkt dem byzantinischen Reich untergeordnet, konnte jedoch auch nicht auf dessen Hilfe hoffen, denn der byzantinische Bilderstreit zwischen Rom und Konstantinopel stand im Vordergrund und konnte nicht einfach übergangen werden. In dieser bedrängten Lage wandte sich Papst Stephan II. an König Pippin, reiste ins Frankenreich und bat diesen um Unterstützung. Im Jahr 754 fand das Treffen in Ponthion, das heute eine kleine Gemeinde im Départemnet Marne ist, statt.

Für diese Begegnung gibt es zwei Hauptquellen: Die Vita Stephani II. im liber pontificalis und die Annalaes Mettenses Priores, verfasst um 806. Der liber pontificalis ist eine chronologisch geordnete Sammlung von Biographien der Päpste und die offizielle Geschichtsschreibung des römischen Papsttums im Mittelalter. Die Annales Mettenses Priores glorifizieren die karolingische Familiengeschichte von 668 bis 805.
Für die Jahre 753 und 754 berichten die Metzer Annalen:
„Als Pippin davon hörte, befahl er sehr erfreut seinem erstgeborenen Sohn Karl, ihm entgegen zu reisen und ihn ehrenvoll zu sich in die Pfalz von Ponthion zu führen. Dort wurde der Papst von König Pippin ehrenvoll empfangen. Viele Geschenke spendete er dem König und auch seinen Großen. Am folgenden Tage warf er sich zusammen mit seinem Gefolge in Sack und Asche auf die Erde und beschwor dem König Pippin bei der Gnade des allmächtigen Gottes und der Macht der seligen Apostel Petrus und Paulus, dass er ihn selbst und das römische Volk aus der Hand der Langobarden und des anmaßenden Königs Aistulf befreie. Und nicht eher wolle er sich von der Erde erheben, als bis ihm König Pippin mit seinen Söhnen und den Großen der Franken die Hand reichte und ihn selbst zum Zeichen des künftigen Bündnisses und der Befreiung von der Erde aufhebe.“
In dieser Quelle wird eine Reihe ritualisierter Handlungen beschrieben. Angefangen bei der Occursio (dem Empfangszug), über die Prostration des Papstes bis zum Büßer-Ritual („in Sack und Asche“). Bei einer Prostration wirft sich der Leistende der von ihm so geehrten Person zu Füßen, küsst diese und wird letztlich wieder aufgehoben, um einen Friedenskuss auszutauschen. Das Ritual symbolisiert Dankbarkeit, Verehrung und Unterordnung. Eine von einem Papst geleistete Prostration bleibt ein Unikum in der Papstgeschichte und wird von keiner weiteren bekannten Quelle beschrieben. Auch deswegen ist die Darstellung des Ereignisses in den Metzer Annalen sehr umstritten. Das Büßer-Ritual an sich ist genauso umstritten wie die Gründe für das Leisten dieses Rituals. Warum hätte der Papst „in Sack und Asche“ Pippin Buße leisten sollen? Die möglichen Erklärungen wirken wenig überzeugend: die Bedrohung durch die Langobarden als Folge eigener Sünden oder der Transfer von Zeichen und Handlungen aus dem Ritual der Bittprozession in ein innerweltliches Ritual.

In der Vita Stephani II. wird ein vollständig anderes Treffen beschrieben:
„Wie aber Pippin die Ankunft des Heiligen Vaters vernahm, zog er ihm eilig entgegen mit seiner Gemahlin, seinen Kindern und den Großen des Reiches. Seinen Sohn Karl schickte er mit vielen vornehmen Männern 40 Meilen zu seinem Empfang voraus. Er selbst ging ihm von seiner Pfalz Ponthion aus beinahe eine Stunde weit zu Fuß entgegen und warf sich mit großer Demut zusammen mit seiner Gattin, seinen Söhnen und den ranghöchsten Adligen zu Boden und schritt eine Strecke Weges als Marschall neben dem Saumross des Papstes einher. (…) Am 6. Januar, dem Tage des Erscheinungsfestes, betraten sie den Palast von Ponthion. Da bat nun Papst Stephan alsbald flehentlich den allerchristlichsten König, dass er sich den Schutz des Friedens und die Sache des heiligen Petrus angelegen sein lasse.“
Während der Papst in den Metzer Annalen derjenige ist, der zu Pippin geht, nennt die hier beschriebene zweifache Occursio Pippin als denjenigen, der zu Fuß zum Papst geht. Auch die Prostration wird mit vertauschten Rollen durchgeführt: Pippin wirft sich dem Papst zu Füßen. Ein drittes Ritual soll die Demutsgesten Pippins verdeutlichen: Der sogenannte Stratordienst ist ein Ritual, bei dem der „Marschall“, hier Pippin, das Pferd des Papstes über eine gewisse Strecke am Zügel führt. Einerseits ist der Stratordienst ein Akt der rituellen Selbstdemütigung. Andererseits wird er sowohl als Ehrerweisung byzantinischer Kaiser gegenüber den Päpsten als auch als Pflichtausübung vornehmer Patrizier gegenüber byzantinischen Kaisern und römischen Päpsten genutzt. Diese Funktion würde Pippin als potenziellen Vasallen des Papstes darstellen. Ebenso wie bei den anderen genannten Ritualen wirkt die Öffentlichkeit, der das jeweilige Ritual präsentiert wird, verpflichtend.

Für dieses Treffen liegt also eine stark voneinander abweichende Darstellung und Akzentuierung in den beiden Quellen vor. Die Metzer Annalen betonen die politische Abhängigkeit des Papstes und beschreiben ein extremes Bittgesuch seinerseits. Ein überlegener Rang des Papstes wird dabei nicht beschrieben. In der Vita Stephani II. dagegen wird die päpstliche Notsituation geradezu verschleiert. Gleichzeitig wird die höhere Stellung des Papstes durch den ehrenvollen Empfang akzentuiert. Gerade durch diese Umstände wird besonders deutlich, dass das Ringen um die höhere Rangfolge Pippins und das Papstes Stephan, bzw. allgemein gesehen das Ringen der geistlichen und weltlichen Herrscher, im Zentrum beider Überlieferungen steht. Bei diesem Ringen werden in beiden Quellen einige, zum Teil auch unterschiedliche, Rituale verwendet, die die jeweilige Überlegenheit dem Anderen gegenüber darstellen soll. Durch das Verwenden dieser Rituale in Ponthion wird die Beziehung zwischen Papst Stephan II. und König Pippin öffentlich und verbindlich dargestellt.
Welche Version des Treffens auch der Wahrheit näherkommen mag, ist schwierig zu beurteilen. Während die Metzer Annalen die Not des Papstes, der in einer sehr schwierigen Situation immerhin Rom verließ, um persönlich zu Pippin zu reisen, realistischer darstellen, scheint es fragwürdig, dass der Papst sich vor dem König niedergeworfen und seine Füße geküsst hat. Gerade dieses Ritual und auch das Büßer-Ritual wirken für einen Papst fast schon zu unterwürfig. Ohne Zweifel ist jedoch die Signifikanz von ritualisierten Handlungen im mittelalterlichen Herrschafts- und Machtbereich, die in beiden Quellen deutlich herausragt und einen zentralen Aspekt ausmacht.

Papst Stephan II. nimmt von Abt Fulrad von St. Denis die Schenkungsurkunde Pippins entgegen./ Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/08/La_donacion_de_Pipino_el_Breve_al_Papa_Esteban_II.jpg

Nach diesem denkwürdigen Treffen zog Pippin im Frühjahr 755 nach Italien, wo Aistulf Pavia belagerte. Nachdem die Nachricht von Pippins Ankunft eingetroffen war, kam Aistulf Pippin entgegen und erfüllte dessen Forderungen solange, bis Pippin wieder abreiste. Der Langobardenkönig nutzte dies und belagerte den Papst in Rom. 756 reiste Pippin erneut nach Italien, zwang Aistulf zur Anerkennung seiner Oberherrschaft und der Abtretung des Exarchats von Ravenna. Dieses schenkte er wiederum dem Papst (Pippinische Schenkung). Die Beziehung zwischen König und Papst schien nach dem Treffen in Ponthion also in keiner Weise belastet gewesen zu sein, denn Pippin kam seinem Versprechen nach und beschenkte den Papst sogar großzügig. Die unterschiedlichen Auslegungen des Treffens scheinen demnach keinen Einfluss auf das Verhältnis gehabt zu haben.


Zum Weiterlesen:
Gerd Althoff, Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003.
Achim Hack, Das Empfangszeremoniell bei mittelalterlichen Papst-Kaiser-Treffen, Köln 1999.


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