Im ersten Teil unserer kurz!-Reihe über die portugiesischen Entdeckungsfahrten entlang der afrikanischen Küste auf der Suche nach einem Seeweg nach Indien hatten wir uns vor allem mit den beiden Seefahrern Diogo Cão (gest. um 1486) und Bartolomeu Dias (1450-1500) befasst. Ersterer hatte 1484 geglaubt, die Südspitze Afrikas erreicht zu haben, nur um dann feststellen zu müssen, dass er lediglich auf eine große Bucht gestoßen war, während Letzterem 1488 tatsächlich die Umrundung des Kaps der Guten Hoffnung gelang, bevor er aufgrund von Versorgungsengpässen die Heimreise hatte antreten müssen. Bald darauf hatte sich allerdings auch ein Abenteurer namens Christoph Kolumbus (um 1451-1506) unter Schirmherrschaft Spaniens aufgemacht, um auf der Westroute nach Indien zu segeln. Er war 1493 in dem Glauben zurückgekehrt, sein Ziel erreicht zu haben, ohne zu wissen, dass es sich bei dem Land, auf das er gestoßen war, um einen völlig neuen Kontinent handelte.
Im Jahre 1495 starb schließlich der große Förderer der portugiesischen Seefahrt, König Johann II, (geb. 1455), ohne einen Erben zu hinterlassen. Ihm folgte Dom Manuel, der Herzog von Beja, als König Manuel I, (1469-1521), genannt “der Glückliche” auf den portugiesischen Thron. Der junge König sah sich von Anfang an dazu bestimmt, Großes zu vollbringen. In Europa breiteten sich zu dieser Zeit apokalyptische Strömungen (siehe dazu auch diesen Artikel) aus. Die Erwartung des nahenden Weltendes wurde unter anderem von der Furcht vor einer muslimischen Invasion befeuert. Als umso dringender sahen die Portugiesen also weitere Versuche an, sich mit dem legendären Priesterkönig Johannes und den im Osten bestehenden christlichen Gemeinden zu verbinden, um die Macht der Muslime zu brechen. Mit diesen Plänen waren außerdem Hoffnungen verbunden, endlich Zugang zu den Handelszentren des Orients zu erlangen. Das Vorhaben, Indien nun endlich auf der Ostroute zu erreichen, war also nicht nur religiös, sondern auch wirtschaftlich und imperial motiviert.
Portrait Vasco da Gamas, gemalt von Gregorio Lopes (1490-1550). https://de.wikipedia.org/wiki/Vasco_da_Gama#/media/File:Vasco-da-gama-2.jpg.
Zum Kommandanten für eine erneute Expedition entlang der afrikanischen Küste bestimmte Manuel I. einen Mann namens Vasco da Gama (1469-1524). Die Gründe dafür liegen weitgehend im Dunkeln, doch berichtet der Historiker Damião de Góis (1502-1574) in seiner Cronica de Felicissimo Rei D. Manuel da Gama sei “ein unverheirateter Mann und in einem Alter, das ihn dazu befähigte, die Prüfungen einer solchen Reise zu überstehen”, gewesen. Bekannt ist, dass er aus dem niederen Adel stammte und wohl die Nachfolge seines Vaters antrat, der unter Johann II. die Suche nach einem Seeweg nach Indien unterstützt hatte. Zwei von vier Schiffen, sogenannte Karacken, deren Bauweise die Erkenntnisse aus den vergangenen Jahrzehnten der portugiesischen Seefahrt in sich vereinte, wurden eigens für diese Unternehmung gebaut. Mit deren Entwurf wurde kein geringerer als Bartolomeu Dias beauftragt, der die Erfahrungen, die er bei der Umrundung des Kaps der Guten Hoffnung im Jahre 1488 gesammelt hatte, einfließen ließ. Offensichtlich wurden für die Vorbereitungen der erneuten Erkundungsfahrt, die nun endgültig zum Erfolg führen sollte, keine Kosten und Mühen gescheut, wie der zeitgenössische Universalgelehrte Duarte Pacheco Pereira (um 1469-1533) beschreibt:
“[…] jedes Schiff hatte drei Sätze von Segeln und Ankern und drei oder vier Mal so viel Takelage wie üblich. […] Die Vorräte an Brot, Wein, Mehl, Fleisch, Gemüse, Arzneimitteln und auch an Waffen und Munition waren ebenfalls mehr als das, was für so eine Reise gebraucht wurde. Die besten und erfahrensten Piloten und Seefahrer in Portugal wurden auf diese Reise ausgesandt, und sie erhielten, neben anderen Vergünstigungen, einen höheren Sold als Seeleute in irgendeinem anderen Land. Auf den wenigen Schiffen dieser Expedition wurde so viel Geld ausgegeben, dass ich hier nicht näher ins Detail gehen möchte, weil ich fürchte, dass man mir nicht glauben werde.”
Abbildung der Karacken São Gabriel und São Rafael sowie der Karavelle Barrio, gezeichnet um 1558. https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Vasco_da_Gama?uselang=de#/media/File:SaoGabriel.png.
Auch sonst waren die Schiffe mit der neuesten Navigationstechnik wie Loten, Stundengläsern, Karten und Sternhöhenmessern ausgestattet, aber auch mit Geschützen, Kanonenkugeln und Schießpulver. Neben Seeleuten heuerte Manuel I. auch Handwerker, Geistliche und Arabisch sowie Bantu sprechende Dolmetscher an.
Am 8. Juli 1497 führte Vasco da Gama seine Seeleute in einer inszenierten Prozession an den Strand, wo jeder noch einmal im Sand kniend die Beichte ablegte. Dann wurden die Männer in Booten auf die Schiffe, die vor der Küste lagen, gebracht und die Flottille, bestehend aus den beiden neuen Karacken São Gabriel und São Rafael sowie der Karavelle Barrio und einem Versorgungsschiff, legte ab. Der Verlauf der Reise wurde von einem namentlich unbekannten Schreiber in einem knappen Tagebuch festgehalten. Der Eintrag zum Tag der Abreise endete mit den Worten: “Möge uns Gott der Herr eine gute Fahrt verleihen! Amen!”
Die schwarze Linie markiert die Route, die da Gama und seine Expedition nahmen. In unserem heutigen Artikel geht um die Teilstrecke bis zum Erreichen Moçambiques. https://de.wikipedia.org/wiki/Vasco_da_Gama#/media/File:Caminho_maritimo_para_a_India.png.
Für den Fall, dass die Schiffe der Flottille sich aus den Augen verlieren sollten, wurden als Treffpunkt die Kapverdischen Inseln vereinbart. Dies erwies sich als klug, da sich bereits eine gute Woche nach der Abfahrt aus Portugal die São Rafael unter dem Kommando von Vasco da Gamas Bruder Paulo im Nebel verirrte. Als diese schließlich am 22. Juli den vereinbarten Treffpunkt erreichte, warteten dort zwar die Karavelle und das Versorgungsschiff, von der zweiten Karacke, die von da Gama selbst kommandiert wurde, fehlte allerdings jede Spur. Niedergeschlagenheit machte sich unter der Besatzung breit und eine Flaute verhinderte die Weiterfahrt. Vier Tage später erreichte jedoch auch das letzte noch fehlende Schiff die Kapverdischen Inseln und nach einer einwöchigen Pause, die die Seeleute und Handwerker nutzten, um entstandene Schäden zu reparieren und neuen Proviant aufzunehmen, setzte die Expedition ihre Reise am 3. August fort.
Nun wendete auch da Gama, wie bereits vor ihm Bartolomeu Dias das ungewöhnliche Manöver an, anstatt entlang der afrikanischen Küste weiterzusegeln, in einem weiten Bogen in Richtung Südwesten auf das offene Meer hinauszufahren, um dort die Westwinde zu erreichen, die die Flottille um das Kap der Guten Hoffnung herumtragen würden. Unter enormen Strapazen verbrachte die Besatzung der Schiffe drei Monate auf offener See. Während die Vorräte zur Neige gingen, das Wasser faulte und deshalb mit Essig versetzt werden musste und auch die erfahrenen Seeleute mit der Seekrankheit zu kämpfen hatten, wurde das Wetter wie bereits während Dias Expedition kälter und schlechter je weiter die Flottille nach Süden gelangte. Die unausgewogene Ernährung bestehend aus Pökelfleisch und Zwieback führte in der Besatzung zu ersten Anzeichen von Skorbut, einer Krankheit, die bei anhaltendem Vitamin C-Mangel zunächst zu starkem Nachlass der Leistungsfähigkeit, Fieber, Durchfall und nach drei bis vier Monaten zum Tod führt und die vor allem Seeleute heimsuchte. Erst als die Seemänner spürten, wie die Winde sich drehten, wandten sie ihre Schiffe wieder Richtung der afrikanischen Küste, in der Hoffnung, das Kap der Guten Hoffnung so umsegeln zu können. Tatsächlich war am 4. November, nach 93 Tagen auf See, wieder Land in Sicht, allerdings waren die Portugiesen noch westlich der afrikanischen Landspitze. Dennoch legten sie an, um Reparaturen an den Schiffen durchzuführen und Proviant aufzunehmen. Dort kam es auch zu einem Zusammentreffen mit den Khoikhoi, einem südwestafrikanischen Hirtenstamm, das zunächst friedlich zu verlaufen schien, dann aber in einem Hinterhalt endete, bei dem Vasco da Gama leicht von einem Speer verwundet wurde.
Beim nächsten Aufeinandertreffen zwischen Portugiesen und Einheimischen kam eine Gruppe von rund 200 Afrikanern an den Strand und brachte den Seemännern Ochsen, Kühe und Schafe. Weiter beschreibt der unbekannte Schiffsschreiber: “Dann begannen sie, auf vier oder fünf Flöten zu spielen […]. Für Neger, die nicht sehr musikalisch sind, brachten sie eine ganz schöne Musik zustande. Dazu tanzten sie in ihrer Art. Der Oberbefehlshaber gab nun Befehl, die Trompeten zu blasen, und wir tanzten auf unseren Schiffen, der Oberbefehlshaber mitten unter uns.” Doch feuerten die Portugiesen, die einen erneuten Hinterhalt fürchteten, nach einigen Tagen von ihren Ruderboten aus auf die Khoikhoi und segelten weiter. Nachdem die Schiffe ein weiteres Mal getrennt und durch Strömungen von ihrem Kurs abgelenkt worden waren, wurden sie schließlich von einem günstigen Rückenwind erfasst, der sie endgültig um das Kap herumtrug.
Am 11. Januar 1498 erreichte die inzwischen stark beschädigte Flottille und ihre von der Skorbut geschwächte Besatzung eine Flussmündung, wo sie nun auf Bantu-Stämme trafen, mit denen ihre Übersetzer kommunizieren konnten. Immer wieder kam es zu Begegnungen mit Einheimischen, die weitgehend friedlich verliefen und bei denen sogar Handel getrieben wurde. Als die ersten Männer bereits der Skorbut erlegen waren, erreichte die Expedition glücklicherweise das Sambesi-Delta, wo Früchte wuchsen, die das so dringend benötigte Vitamin C lieferten, und die Abenteurer sich rund einen Monat von den Strapazen erholen konnten. Am 2. März legten sie in einer Bucht an wo sie erneut auf Einheimische trafen, die sie in ihren Hafen, Moçambique, einluden. Zum ersten Mal auf ihrer Expedition hatten die Seefahrer eine Stadt erreicht, in der man arabisch sprach.
Das erste große Hindernis war also genommen - Vasco da Gama und seine Expedition hatten das Kap der Guten Hoffnung unter größten Strapazen umrundet wie schon vor ihm Bartolomeu Dias. Doch anders als er hatten sie es bis in die arabische Welt geschafft. Mit den letzten Etappen der Reise werden wir uns im dritten Teil unserer kurz!-Reihe über die Suche nach dem Seeweg nach Indien beschäftigen.
Zum Weiterlesen:
Crowley, Roger, Die Eroberer. Portugals Kampf um ein Weltreich, Darmstadt 2015.
Spannende Geschichte. Auch die spätere "Entdeckung" Brasiliens durch die Portugiesen ist da eine recht lustige Anekdote. Sie mussten anscheinend am Atlantik einfach ausholen, um Windstillen und Gegenwind zu entgehen und tadaaa: da war plötzlich Land in Sicht
AntwortenLöschenHallo Ralf,
Löschendanke für deinen Kommentar, das wusste ich auch noch nicht. Aber gut möglich, dass die Portugiesen da von ihrem Wissen, das sie vor der afrikanischen Küste gesammelt haben, profitieren konnten. Immerhin ist dieses Manöver nicht gerade intuitiv.
Liebe Grüße,
Rike