Inmitten des Spanischen Erbfolgekrieges, der von
1701 bis 1714 unter Beteiligung zahlreicher Mächte um das Erbe des letzten
spanischen Königs aus dem Haus Habsburg Karl II. (1661-1700) tobte, trug sich
im Januar 1704 ein wundersames Ereignis zu, dass das ehemalige, unweit des
Kochelsees in Bayern gelegene Benediktinerkloster Benediktbeuern vermutlich vor
der Zerstörung im Zuge der Kriegsgeschehnisse bewahrte. In unserem vorletzten
Artikel in diesem Jahr beschäftigen wir uns mit dem sogenannten Kochelsee- oder
Anastasiawunder und klären, was es damit auf sich hat und welche Folgen dieses
besondere Geschehen nach sich zog.
Blick vom Herzogstand auf den Kochelsee Richtung
Alpenvorland
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/b7/Kochelsee_und_Kochel_am_See_1.jpg
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Zum Zeitpunkt der beschriebenen Ereignisse regierte
in Bayern Maximilian II. Emanuel (1662-1726), der seit 1679 Kurfürst war. Er
hatte sich bereits in mehreren kriegerischen Auseinandersetzungen als erfolgreicher
Feldherr bewiesen, weshalb er 1692 während des Pfälzischen Erbfolgekrieges zum Generalstatthalter
der Spanischen Niederlande ernannt worden war. Während des Spanischen
Erbfolgekrieges ging er ein Bündnis mit dem französischen König Ludwig XIV.
(1638-1715) ein, in der Hoffnung mit einem starken Partner an seiner Seite
selbst einen Teil des spanischen Erbes für sich beanspruchen zu können. Im
Kriegsverlauf ging es Max Emanuel dann vor allem darum, unterstützt von
französischen Truppen, weitere Territorien zu erobern und vor allem bis nach
Italien vorzudringen, um eine Vereinigung mit den dort stationierten Truppen
des französischen Königs herzustellen. Dieses Ziel sollte der Kurfürst jedoch
nie erreichen. Zwar gelang es ihm, 1702 Nordtirol einzunehmen, der Widerstand
der dortigen Bevölkerung gegen die bayrische Herrschaft war jedoch enorm und
wurde von ihm zunächst unterschätzt. So kam es in der Folge durch Tiroler
Kämpfer und österreichische Soldaten, die die Tiroler unterstützen, vermehrt zu
Überfällen und Plünderungen in der gesamten bayrischen Voralpenregion.
Das in der Diözese Augsburg gelegene Kloster
Benediktbeuern und dessen Bewohner fühlten sich vor Angriffen zunächst sehr gut
geschützt. Zum einen fanden sich in der Umgebung zahlreiche erfahrene Schützen,
die zur Verteidigung des Klosters bereit waren und zum anderen trafen die
Mönche aktive Schutzvorkehrungen, indem sie beispielsweise Bäume fällen oder
Brücken abbauen ließen, um Zufahrtswege zu blockieren. Nach Süden fühlten sich
die Klosterbewohner außerdem durch den Fluss Loisach, den 7,5 Kilometer
entfernten Kochelsee, der sich damals noch weiter nach Norden erstreckte, und
zahlreiche Moore in der Umgebung vor Angriffen sicher.
Kloster Benediktbeuern von Michael Wening
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c3/Wening_benediktbeuern.jpg
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Tatsächlich erwies sich der Kriegswinter 1703/04
jedoch als so kalt, dass sowohl Fluss, See als auch die Moorgebiete bei
Temperaturen von bis zu minus 30 Grad zufroren und die dicken Eisschichten
einen neuen Weg zum Angriff auf das Kloster ermöglichten. Diese Chance
erkannten auch die österreichischen Angreifer, die sich am 28. Januar 1704 mit
circa 2000 Soldaten zu Fuß und zu Pferd auf den Weg machten, das Kloster zu
überfallen und einzunehmen. Plötzlich befand sich das zunächst als sichere
Festung angesehene Kloster in akuter Gefahr. Menschen aus der unmittelbaren
Umgebung waren bereits in den Tagen zuvor vor den sich nähernden Truppen
geflohen, in der Hoffnung, im Kloster Schutz zu finden. Die Menschen innerhalb
der Klostermauern wussten, dass sie den Soldaten hoffnungslos unterlegen sein
würden, weshalb ein Gegenangriff mit Gewissheit erfolglos verlaufen würde. In
dieser scheinbar ausweglosen Situation flüchteten sich die 30 dort lebenden
Benediktinermönche ins Gebet und riefen die heilige Anastasia um Hilfe an. Deren
Reliquien wurden teilweise seit 1053 in der nach ihr benannten und seit 1606
bestehenden Anastasiakapelle in Benediktbeuern aufbewahrt und dessen
Bruderschaft beging am 29. Januar ihren Festtag.
Die hl. Anastasia als Schutzpatronin von
Benediktbeuern und Fürsprecherin der Kranken; Buchillustration 1710.
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/5a/Sancta_Anastasia_Patrona_Burana.jpg
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Bei Anastasia von Sirmium, die um 304 im heutigen
Serbien gestorben sein soll, handelt es sich um eine Heilige, die in der
katholischen und orthodoxen Kirche verehrt wird. Der Überlieferung nach wurde
die fromme Frau gegen ihren Willen mit einem heidnischen Mann in Rom
verheiratet. Als dieser frühzeitig starb, kümmerte sie sich im Kontext der brutalen
Christenverfolgung unter Kaiser Diokletian um gefangengenommene Christen. Als
schließlich auch ihr Erzieher und geistlicher Beistand Chrysogonus von Aquileia
in Gefangenschaft geriet und zum Tode verurteilt wurde, begleitete sie ihn zu
seiner Hinrichtung. Bei dieser Gelegenheit wurde sie selbst aufgegriffen, in
Haft genommen und ebenfalls zum Tode verurteilt. Man versuchte, sie in einem
beschädigten Boot auf dem offenen Meer ihrem Schicksal zu überlassen, aber das
Boot ging nicht unter. Schließlich erlitt sie ihr Martyrium, indem man sie in
Sirmium verbrannte. Darstellungen der heiligen Anastasia zeigen sie häufig eine
Krone und einen Schleier tragend, entweder auf einem Scheiterhaufen, auf einem
Boot oder in einer Situation der Fesselung. Oft ist sie auch mit einem Schwert,
einer Schere oder einem Gefäß für Medizin abgebildet, da sie bei Kopf- und
Brusterkrankungen helfen soll. Noch im Mittelalter gehörte sie zu den meist verehrtesten
Heiligen.
In der Wahrnehmung der sich im Kloster befindenden
Menschen muss die Anrufung der heiligen Anastasia um Hilfe schließlich
erfolgreich gewesen sein. In einer Beschreibung der Ereignisse von 1730 heißt
es: „Umb 2. Uhr Nachmittag / da die
Tyrolische verbittere Soldatesca keine Stund mehr von denen gefrohrnen Morästen
ware / enstunde ein ungemeiner warmer Wind / gleich ob hätte ihn Anastasia von
dem jenigen in die Runde gezognen brinnenden grossen Scheiterhaufen / in
welchem sie vor Zeiten gebratten worden / abgeordnet / theils in unseren
betrübten Hertzen ein neues Vertrauen volles Liebsfeur anzuwehen / theils uns
die eintzig ersinnliche Hülff in eyligster Zerschmeltzung der grossen Gefrühr
zu bringen.“
Denn plötzlich, im Laufe des Nachmittags des 28.
Januar 1704, setzte ein unerklärlicher und unerwarteter starker Föhn ein, der,
den Erzählungen nach, innerhalb von drei Stunden nicht nur die gesamten Moore
aufweichte, sondern auch dazu führte, dass sich schon bald Risse in der
Eisdecke des Kochelsees zeigten. Eine weitere Überquerung des Sees oder auch
des Flusses war somit für die Angreifer unmöglich geworden und sie mussten mit
ansehen, wie manche Pferde und ihre Reiter in die Eisdecke einbrachen und im
See ertranken oder Fuhrwerke im Moor einsanken und nur schwer beschädigt wieder
geborgen werden konnten. Doch nicht nur die Menschen im Kloster glaubten an ein
Wunder und dass ihre Gebete Gehör gefunden hatten. Auch die Soldaten glaubten,
dass eine höhere Macht die Geschehnisse beeinflusst habe, weshalb sie sich
voller Furcht weigerten, den Angriff auf das Kloster fortzusetzen und gegen
Gottes Willen zu agieren. Letztlich wurde die gesamte Mission von den
Verantwortlichen abgebrochen. Als schließlich auch Max Emanuel einige Monate
später erkannte, dass seine Planungen nicht von Erfolg gekrönt sein würden,
ließ er seine Truppen den Rückzug aus Tirol antreten. Benediktbeuern befand
sich somit nicht mehr in der Nähe der Schauplätze des Spanischen
Erbfolgekrieges und überstand auch die weiteren Kriegsjahre ohne Schäden.
In Gedenken an die Ereignisse und als Zeichen der
Dankbarkeit für das Wirken der heiligen Anastasia ließ der neue Abt des
Klosters Leonhard Hohenauer die Anastasiakapelle in den Jahren 1751 bis 1753
neu errichten und zu einem prachtvollen Gebäude gestalten. Noch heute werden
ihre Reliquien dort verehrt und ihr wird für die Sicherung des Klosters in
Gottesdiensten gedankt.
Innenansicht der heutigen Anastasiakapelle
http://www.benediktbeuern.de/fileadmin/user_upload/Tourismus/eigene_Bilder/Anastasiakapelle_640px.jpg
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Zum
Weiterlesen:
Bautz,
Friedrich Wilhelm: Art. Anastasia, in: Biographisch-Bibliographisches
Kirchenlexikon 1 (1975), Sp. 156–157.
Meichelbeck,
Karl: Leben / Leyden / Todt / Erhebung / vnd Gnaden=reiche Gutthätigkeit Der
grossen Heiligen Martyrin Anastasiae, Dero Hoch=schätzbariste Reliquien in dem
Jahr Christi 1053 in das Uhr=alte Stifft vnd Exempte Closter Benedictbeyrn
versetzet worden / vnd noch allzeit mit scheinbaren Wunder=Zeichen alldorten
leichten, München 1710.
Weber,
Leo: Pfarrkirche St. Benedikt und Anastasiakapelle zu Benediktbeuern, Passau
2000.
Da muss man schon sehr gläubig sein, um den nicht gerade seltenen alpenvorländischen Föhn zum Wunder zu erklären :D
AntwortenLöschenZweifelt da etwa jemand an der Macht der heiligen Anastasia? ;) Aber nein, stimmt schon, den alpenvorländischen Föhn hätte ich in seiner Bedeutung tatsächlich noch etwas stärken können.
AntwortenLöschenDas würde ich niemals wagen! Schon gar nicht an einem solch heiligen Tag!
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