Sonntag, 17. Dezember 2017

Das Kochelsee-Wunder

Inmitten des Spanischen Erbfolgekrieges, der von 1701 bis 1714 unter Beteiligung zahlreicher Mächte um das Erbe des letzten spanischen Königs aus dem Haus Habsburg Karl II. (1661-1700) tobte, trug sich im Januar 1704 ein wundersames Ereignis zu, dass das ehemalige, unweit des Kochelsees in Bayern gelegene Benediktinerkloster Benediktbeuern vermutlich vor der Zerstörung im Zuge der Kriegsgeschehnisse bewahrte. In unserem vorletzten Artikel in diesem Jahr beschäftigen wir uns mit dem sogenannten Kochelsee- oder Anastasiawunder und klären, was es damit auf sich hat und welche Folgen dieses besondere Geschehen nach sich zog.

Blick vom Herzogstand auf den Kochelsee Richtung Alpenvorland
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/b7/Kochelsee_und_Kochel_am_See_1.jpg


Zum Zeitpunkt der beschriebenen Ereignisse regierte in Bayern Maximilian II. Emanuel (1662-1726), der seit 1679 Kurfürst war. Er hatte sich bereits in mehreren kriegerischen Auseinandersetzungen als erfolgreicher Feldherr bewiesen, weshalb er 1692 während des Pfälzischen Erbfolgekrieges zum Generalstatthalter der Spanischen Niederlande ernannt worden war. Während des Spanischen Erbfolgekrieges ging er ein Bündnis mit dem französischen König Ludwig XIV. (1638-1715) ein, in der Hoffnung mit einem starken Partner an seiner Seite selbst einen Teil des spanischen Erbes für sich beanspruchen zu können. Im Kriegsverlauf ging es Max Emanuel dann vor allem darum, unterstützt von französischen Truppen, weitere Territorien zu erobern und vor allem bis nach Italien vorzudringen, um eine Vereinigung mit den dort stationierten Truppen des französischen Königs herzustellen. Dieses Ziel sollte der Kurfürst jedoch nie erreichen. Zwar gelang es ihm, 1702 Nordtirol einzunehmen, der Widerstand der dortigen Bevölkerung gegen die bayrische Herrschaft war jedoch enorm und wurde von ihm zunächst unterschätzt. So kam es in der Folge durch Tiroler Kämpfer und österreichische Soldaten, die die Tiroler unterstützen, vermehrt zu Überfällen und Plünderungen in der gesamten bayrischen Voralpenregion.

Das in der Diözese Augsburg gelegene Kloster Benediktbeuern und dessen Bewohner fühlten sich vor Angriffen zunächst sehr gut geschützt. Zum einen fanden sich in der Umgebung zahlreiche erfahrene Schützen, die zur Verteidigung des Klosters bereit waren und zum anderen trafen die Mönche aktive Schutzvorkehrungen, indem sie beispielsweise Bäume fällen oder Brücken abbauen ließen, um Zufahrtswege zu blockieren. Nach Süden fühlten sich die Klosterbewohner außerdem durch den Fluss Loisach, den 7,5 Kilometer entfernten Kochelsee, der sich damals noch weiter nach Norden erstreckte, und zahlreiche Moore in der Umgebung vor Angriffen sicher.

Kloster Benediktbeuern von Michael Wening
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c3/Wening_benediktbeuern.jpg

Tatsächlich erwies sich der Kriegswinter 1703/04 jedoch als so kalt, dass sowohl Fluss, See als auch die Moorgebiete bei Temperaturen von bis zu minus 30 Grad zufroren und die dicken Eisschichten einen neuen Weg zum Angriff auf das Kloster ermöglichten. Diese Chance erkannten auch die österreichischen Angreifer, die sich am 28. Januar 1704 mit circa 2000 Soldaten zu Fuß und zu Pferd auf den Weg machten, das Kloster zu überfallen und einzunehmen. Plötzlich befand sich das zunächst als sichere Festung angesehene Kloster in akuter Gefahr. Menschen aus der unmittelbaren Umgebung waren bereits in den Tagen zuvor vor den sich nähernden Truppen geflohen, in der Hoffnung, im Kloster Schutz zu finden. Die Menschen innerhalb der Klostermauern wussten, dass sie den Soldaten hoffnungslos unterlegen sein würden, weshalb ein Gegenangriff mit Gewissheit erfolglos verlaufen würde. In dieser scheinbar ausweglosen Situation flüchteten sich die 30 dort lebenden Benediktinermönche ins Gebet und riefen die heilige Anastasia um Hilfe an. Deren Reliquien wurden teilweise seit 1053 in der nach ihr benannten und seit 1606 bestehenden Anastasiakapelle in Benediktbeuern aufbewahrt und dessen Bruderschaft beging am 29. Januar ihren Festtag.

Die hl. Anastasia als Schutzpatronin von Benediktbeuern und Fürsprecherin der Kranken; Buchillustration 1710.
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Bei Anastasia von Sirmium, die um 304 im heutigen Serbien gestorben sein soll, handelt es sich um eine Heilige, die in der katholischen und orthodoxen Kirche verehrt wird. Der Überlieferung nach wurde die fromme Frau gegen ihren Willen mit einem heidnischen Mann in Rom verheiratet. Als dieser frühzeitig starb, kümmerte sie sich im Kontext der brutalen Christenverfolgung unter Kaiser Diokletian um gefangengenommene Christen. Als schließlich auch ihr Erzieher und geistlicher Beistand Chrysogonus von Aquileia in Gefangenschaft geriet und zum Tode verurteilt wurde, begleitete sie ihn zu seiner Hinrichtung. Bei dieser Gelegenheit wurde sie selbst aufgegriffen, in Haft genommen und ebenfalls zum Tode verurteilt. Man versuchte, sie in einem beschädigten Boot auf dem offenen Meer ihrem Schicksal zu überlassen, aber das Boot ging nicht unter. Schließlich erlitt sie ihr Martyrium, indem man sie in Sirmium verbrannte. Darstellungen der heiligen Anastasia zeigen sie häufig eine Krone und einen Schleier tragend, entweder auf einem Scheiterhaufen, auf einem Boot oder in einer Situation der Fesselung. Oft ist sie auch mit einem Schwert, einer Schere oder einem Gefäß für Medizin abgebildet, da sie bei Kopf- und Brusterkrankungen helfen soll. Noch im Mittelalter gehörte sie zu den meist verehrtesten Heiligen.

In der Wahrnehmung der sich im Kloster befindenden Menschen muss die Anrufung der heiligen Anastasia um Hilfe schließlich erfolgreich gewesen sein. In einer Beschreibung der Ereignisse von 1730 heißt es: „Umb 2. Uhr Nachmittag / da die Tyrolische verbittere Soldatesca keine Stund mehr von denen gefrohrnen Morästen ware / enstunde ein ungemeiner warmer Wind / gleich ob hätte ihn Anastasia von dem jenigen in die Runde gezognen brinnenden grossen Scheiterhaufen / in welchem sie vor Zeiten gebratten worden / abgeordnet / theils in unseren betrübten Hertzen ein neues Vertrauen volles Liebsfeur anzuwehen / theils uns die eintzig ersinnliche Hülff in eyligster Zerschmeltzung der grossen Gefrühr zu bringen.

Denn plötzlich, im Laufe des Nachmittags des 28. Januar 1704, setzte ein unerklärlicher und unerwarteter starker Föhn ein, der, den Erzählungen nach, innerhalb von drei Stunden nicht nur die gesamten Moore aufweichte, sondern auch dazu führte, dass sich schon bald Risse in der Eisdecke des Kochelsees zeigten. Eine weitere Überquerung des Sees oder auch des Flusses war somit für die Angreifer unmöglich geworden und sie mussten mit ansehen, wie manche Pferde und ihre Reiter in die Eisdecke einbrachen und im See ertranken oder Fuhrwerke im Moor einsanken und nur schwer beschädigt wieder geborgen werden konnten. Doch nicht nur die Menschen im Kloster glaubten an ein Wunder und dass ihre Gebete Gehör gefunden hatten. Auch die Soldaten glaubten, dass eine höhere Macht die Geschehnisse beeinflusst habe, weshalb sie sich voller Furcht weigerten, den Angriff auf das Kloster fortzusetzen und gegen Gottes Willen zu agieren. Letztlich wurde die gesamte Mission von den Verantwortlichen abgebrochen. Als schließlich auch Max Emanuel einige Monate später erkannte, dass seine Planungen nicht von Erfolg gekrönt sein würden, ließ er seine Truppen den Rückzug aus Tirol antreten. Benediktbeuern befand sich somit nicht mehr in der Nähe der Schauplätze des Spanischen Erbfolgekrieges und überstand auch die weiteren Kriegsjahre ohne Schäden.

In Gedenken an die Ereignisse und als Zeichen der Dankbarkeit für das Wirken der heiligen Anastasia ließ der neue Abt des Klosters Leonhard Hohenauer die Anastasiakapelle in den Jahren 1751 bis 1753 neu errichten und zu einem prachtvollen Gebäude gestalten. Noch heute werden ihre Reliquien dort verehrt und ihr wird für die Sicherung des Klosters in Gottesdiensten gedankt.

Innenansicht der heutigen Anastasiakapelle
http://www.benediktbeuern.de/fileadmin/user_upload/Tourismus/eigene_Bilder/Anastasiakapelle_640px.jpg

Zum Weiterlesen:
Bautz, Friedrich Wilhelm: Art. Anastasia, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 1 (1975), Sp. 156–157.
Meichelbeck, Karl: Leben / Leyden / Todt / Erhebung / vnd Gnaden=reiche Gutthätigkeit Der grossen Heiligen Martyrin Anastasiae, Dero Hoch=schätzbariste Reliquien in dem Jahr Christi 1053 in das Uhr=alte Stifft vnd Exempte Closter Benedictbeyrn versetzet worden / vnd noch allzeit mit scheinbaren Wunder=Zeichen alldorten leichten, München 1710.
Weber, Leo: Pfarrkirche St. Benedikt und Anastasiakapelle zu Benediktbeuern, Passau 2000. 

3 Kommentare:

  1. Da muss man schon sehr gläubig sein, um den nicht gerade seltenen alpenvorländischen Föhn zum Wunder zu erklären :D

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  2. Zweifelt da etwa jemand an der Macht der heiligen Anastasia? ;) Aber nein, stimmt schon, den alpenvorländischen Föhn hätte ich in seiner Bedeutung tatsächlich noch etwas stärken können.

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  3. Das würde ich niemals wagen! Schon gar nicht an einem solch heiligen Tag!

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