Von der Aducht, Bircklin, Grin, Gyr, Hardevust, Hirtzelin, vom Horn, Jude, Kleingedank, Lyskirchen, Overstolz, Quattermart, Scherffgin und vom Spiegel. Jeder, der sich schon einmal mit der Stadtgeschichte Kölns beschäftigt hat, wird früher oder später nicht nur auf diese Namen gestoßen sein, sondern auch auf die Legende, die die 15 sagenhaften Geschlechter Kölns umgibt. Schon die beiden im späten 15. Jahrhundert entstandenen Stadtchroniken Kölns, die Agrippina (1469-1472) Heinrichs van Beeck und die Cronica von der hilliger stat van Coellen (1499), berücksichtigen diese Legende und erwähnen 15 legendäre Kölner Geschlechter, die eng mit der Geschichte der Stadt Köln verbunden gewesen sein sollen. Doch wer genau waren diese Geschlechter und was genau macht sie so legendär? Diese Fragen versucht unser neuer kurz!-Artikel zu beantworten.
Während des 13. Jahrhunderts gab es in Köln zwei Familien, die um die Vertretung in den wichtigsten politischen Gremien der Stadt und damit um die stadtpolitische Machtausübung konkurrierten. Die benannte Cronica von der hilliger stat van Coellen (im Folgenden: Cronica) spricht sogar davon, dass sich diese zwei Familien in Coellen [….] under ein hass[t]en als katzen ind hunde. Auf der einen Seite war dies die Kaufmannsfamilie Weise von der Mühlengasse. Die Weisen besetzten zu jener Zeit die meisten Plätze in den für Köln wichtigen politischen Gremien und dominierten damit die Stadtpolitik. Auf der anderen Seite stand die in der Kölner Vorstadt lebende Familie Overstolz von der Rheingasse, die ihrerseits ein größeres Mitspracherecht innerhalb der Stadtpolitik beanspruchte. Aufgrund der großen Dominanz und Übermacht der Weisen blieb ihnen dieses jedoch zunächst verwehrt, weshalb die Overstolzen mit anderen Familien Kölns (Overstolzenpartei) koalierten, um so gemeinsam gegen die übermächtigen Weisen vorgehen zu können.
Schon 1265 kam es zu ersten Spannungen zwischen den Weisen und der Overstolzenpartei. Ihren Höhepunkt fanden diese Auseinandersetzungen zwischen den Parteien jedoch erst drei Jahre später in der Schlacht an der Ulrepforte im Oktober 1268. Innerhalb eines nächtlichen Gefechts, in dem viele heren rijttere kneichte ind gemeyne werhafftiger lude [...] van vrunden ind vyanden (Overstolzenbuch) starben, konnten sich die Overstolzen und ihre Koalitionspartner gegen die Weisen von der Mühlengasse durchsetzen und diese aus der Stadt vertreiben. Zudem besetzten die Familien der Overstolzenpartei das politische Machtvakuum, das durch die Vertreibung der Weisen in den städtischen Gremien entstanden war. Vor allem die Overstolzen dominierten in der Folge für lange Zeit die politische Führung der Stadt und behielten under sich allein die gerichte ind den raitzstol.
Bereits wenig später entwarfen 15 Familien bzw. eher Familienverbände – dies waren vor allem die Anhänger der Overstolzenpartei – eine Herkunftslegende, um die jetzt innehabende politische Macht auf lange Zeit zu legitimieren. Laut der Cronica gehörten zu diesen Familienverbänden die
Overstoltze. Scherfgin. Vam Horne. Quattermart. Van der Adocht. Spiegel vam Roidenberch zom Disberch. Die Jueden. Hardefuist. Lieskirchen. Vam Ghire. Vam Grine. Birckelin. Vam Hirtzelin. Vam Overstoltz die men noempt van Effrem. Cleingedanck.
Schon kurz nachdem diese Familienverbände zu stadtpolitischer Macht gekommen waren, verdrängten sie ihre Herkunft von zu Wohlstand gekommenen Kaufleuten und führten sich auf 15 legendäre römische Vorfahren zurück, die, so berichtet es die Cronica, einst zu den besten ind edelsten [Bürgern] binnen Rome gehört hätten und Angehörige des adels der Romyschen burgere gewesen wären. Kein geringerer als Kaiser Trajan (53-117) habe aus den drei Ständen der Stadt Rom – ritterliche stait, der raitzlude stait (Stand der Ratsherren) und der stait der gemeinre burgere – jeweils immer die fünf besten Personen ausgesucht, die dann mit wif ind kinderen ind mit aller have zusammen mit dem römischen Kaiser in die Stadt Köln reisen sollten. Weiter dokumentiert die Cronica, dass Kaiser Trajan mit der Übersiedlung römischer Adeliger nach Köln das Ziel verfolgte, die Stadt sowohl vor militärischen Überfällen als auch vor dem Abfall vom christlichen Glauben zu schützen. Daneben seien die römischen Bürger von Trajan aber auch mit stadtpolitischen Aufgaben betreut worden, sodass die
edel Romer besatzten die stat Agrippinen (Köln) mit koestlichen regiment, mit gesetzen ind mit burgerlichen rechten, mit mannige ambochtsluden (Amtmännern), mit ordinancien und mit al den sachen die einre eirlicher stat gehoeren.
Mit der selbst geschaffenen Legende änderte sich auch die Selbstwahrnehmung der Kölner Familien. Sie verstanden sich nun fortan nicht mehr nur als Familien, sondern als Geschlechter (über Generationen hinweg bestehende Gruppen blutsverwandter Menschen), die in Anbetracht der legendären Herkunft der Geburt und der Abstammung einen besonderen Stellenwert beimaßen. Schon Gottfried von Hagen bezeichnet die Familien in seiner 1270 erschienenen Reimchronik zeitgenössisch als edele gesleichte. Diese neue Bezeichnung zeigt dabei nicht nur die neue Selbstwahrnehmung der Familienverbände, sondern auch, dass die Herkunftslegende und das damit einhergehende Verständnis als Geschlechter bereits zwei Jahre nach der Schlacht an der Ulrepforte zum allgemein bekannten Wissen in Köln geworden war. Gottfried Hagen bringt in seiner Reimchronik vermutlich nur das zum Ausdruck, was in der Stadt mittlerweile schon anerkannt war.
Mithilfe der Herkunftslegende und des exklusiven Selbstverständnisses legitimierten die Familienverbände ihre politische Vormachtstellung in der Stadt und waren unangefochten in den politischen Gremien der Stadt omnipräsent. Schnell machten die Geschlechter die verwandtschaftlichen Verbindungen zur Voraussetzung für die stadtpolitische Partizipation und damit zum Politikum. Durch das Ausnutzen der Wahlmodi in den unterschiedlichen Gremien gelang es ihnen, anderen Familien, die nicht in die Herkunftslegende eingebunden waren, den Zugang zur politischen Mitbestimmung zu versperren. Infolge dieser geschaffenen Verhältnisse konnten sich die Geschlechter über 100 Jahre in den Gremien der Stadt institutionalisieren und die stadtpolitische Macht untereinander konsolidieren. Die Herrschaft der Familienverbände wurde so bis zum Inkrafttreten des Verbundbriefs – Verfassung, die einem größeren Teil der Kölner Stadtbevölkerung politische Partizipation zusichern sollte – 1396 zur natürlichen Ordnung und jegliche Kritik wurde als Angriff auf das gute alte Recht verurteilt.
Daneben bemühten sich die Geschlechter wie Adelige darum, sich durch geschickte Heiratspolitik gesellschaftlich nach unten abzuschließen und verliehen so ihrer Abstammung und der damit einhergehenden Vormachtstellung eine noch größere Rolle. Diese beanspruchte Exklusivität umfasste dabei auch alle weiteren Bereiche des städtischen Lebens: Viele Patrizierfamilien führten eigene Wappen und Siegel, organisierten innerhalb der Städte eigene ritterliche Turniere und orientierten sich mit zahlreichen vor allem innerstädtischen Stiftungen in Propsteien oder Klöstern stark am Landadel. Immer wieder traten die Geschlechter dabei auch als Mäzene auf und zeigten sich als Förderer von Kunst, Kultur und Wissenschaft. Insgesamt herrschten und lebten die Geschlechter innerhalb Kölns bis zum Verlust der politischen Vormachtstellung 1396 wie eine Art Stadtadel.
Dass die Herkunftslegende und das damit einhergehende exklusive Selbstverständnis auch nach dem Verlust der politischen Macht innerhalb der Stadt noch weit verbreitet war, zeigen nicht nur die zitierten chronikalen Aufzeichnungen, sondern auch Schriftzeugnisse von Nachkommen der politisch einst mächtigen und sich auf römische Adelige zurückführenden Familien. Aus dem 15. Jahrhundert ist ein Schriftzeugnis überliefert, das Einblicke in das Selbstverständnis der Nachkommen derer gibt, die nach der Besetzung der politischen Stadtgremien diese Legende schufen. Dieses sogenannte Overstolzenbuch entstand zwischen 1444 und 1446 und wurde vermutlich vom Altaristen eines Werner Overstolz niedergeschrieben. Besonders ist, dass das Overstolzenbuch damit in einer Zeit entstand, in der die Overstolzen schon längst die politische Partizipation in den Stadtgremien verloren hatten, die Herkunftslegende jedoch anscheinend noch immer gelebt wurde. Werner Overstolz verwies in der Mitte des 15. Jahrhunderts auf die legendäre Abstammung seiner Vorfahren und damit seiner eigenen. Er berief sich auf wijse, gotliche, versoickte, guede cristen luyden, […] die […] geleirt, verstendich ind vervaren in allen sachen waren und begründete die Auswahl unter anderem seiner Vorfahren durch Trajan damit, dass geyn meichtiger, gotfoetiger noch eidelre, stanthafftiger, versoichter, birffer noch harder luyde in alle der ganzter cristenheit en wijste noch ouch gevinden en moichte. Das Overstolzenbuch zeigt also, dass die Überzeugung von der eigenen genealogischen Exklusivität und die Berufung auf die Abstammung vom altrömischen Adel trotz des Verlustes der politischen Vorherrschaft innerhalb der Stadt weiterhin vorherrschend waren. Die Familienverbände scheinen also auch nach dem stadtpolitischen Machtverlust weiterhin stark daran interessiert gewesen zu sein, die Abstammungslegende möglichst glaubhaft für die Zukunft zu bewahren. Dennoch gelang es den meisten der Familien nach Ende des 14./Anfang des 15. Jahrhunderts nicht, erneut eine so bedeutende Stellung wie vor 1396 in der Kölner Stadtpolitik zu bekommen.
Zum Weiterlesen
- Isenmann, Eberhard: Die deutsche Stadt im Mittelalter 1150-1550. Stadtgesellschaft, Recht, Verfassung, Stadtregiment, Kirche, Gesellschaft, Wirtschaft, Köln 2014.
- Militzer, Klaus: Führungsschicht und Gemeinde in Köln im 14. Jahrhundert, in: Wilfried Ehbrecht (Hg.): Städtische Führungsgruppen und Gemeinde in der werdenden Neuzeit, Köln 1980, S. 1-24.
- Militzer, Klaus: Ursachen und Folgen der innerstädtischen Auseinandersetzungen in Köln in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des Kölnischen Geschichtsvereins 36), Köln 1980.
- Seidel, Kerstin: Freunde und Verwandte. Soziale Beziehungen in einer spätmittelalterlichen Stadt (Campus Historische Studien 49), Frankfurt, New York 2009.
- von der Höh, Marc: Historiografie zwischen Privatheit und Geheimnis – das Familienbuch des Werner Overstolz, in: Susanne Rau; Birgit Studt (Hgg.): Geschichte schreiben. Ein Quellen- und Studienhandbuch zur Historiografie (ca. 1350-1750), Berlin 2010, S. 11-126.
- von der Höh, Marc: Zwischen religiöser Memoria und Familiengeschichte. Das Familienbuch des Werner Overstolz, in: Birgit Studt (Hg.): Haus- und Familienbücher in der städtischen Gesellschaft des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, Köln; Weimar 2007, S. 33-60.
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