Sonntag, 6. Dezember 2015

Wilhelm der Eroberer: Die normannische Landnahme und deren Folgen

„Die Angelsachsen, nach denen die Jahre 597 bis 1066 benannt worden waren (Anglo-Saxon England), wurden entmachtet, die militärische und politische Elite in der Schlacht bei Hastings fast vollkommen ausgelöscht und das angelsächsische England durch die normannische Politik quasi „abgelöst“.“

Mit diesem Satz endete unser Artikel „Wilhelm der Eroberer und der Beginn des englischen Mittelalters“ [kurz!-Artikel: Wilhelm der Eroberer und der Beginn des englischen Mittelalters], der den Nachfolgestreit nach König Eduards Tod in England und damit verbunden die normannische Landnahme durch Wilhelm den Eroberer thematisiert sowie bereits einen ganz kurzen Ausblick auf die folgenden Jahrzehnte gegeben habe. Nachdem Wilhelm gekrönt worden war, blieb er bis zu seinem Tod am 9. September 1087 König Englands und gründete durch die Nachfolge seines Sohnes Wilhelm Rufus eine Dynastie. Obwohl bereits König Eduard der Bekenner (König von 1042 bis 1066) eine pro-normannische Politik verfolgte – seine Mutter Emma war eine normannische Herzogstochter –, stieß diese politische Ausrichtung nicht überall im Königreich auf Gegenliebe. Wilhelm der Eroberer schaffte es dennoch seine Herrschaft zu etablieren und auszubauen. Mit welchen Mitteln stabilisierte er sie? Mit welchen Problemen hatte der englische König zu kämpfen und wie versuchte er diese zu lösen? Die Beantwortung dieser Fragen steht im Mittelpunkt dieses Artikels. Die meisten Maßnahmen Wilhelms würden jeweils einen eigenen Artikel verdienen. Dieser Artikel soll vor allem einen Überblick über die Vielzahl der Veränderungen bieten und einen Einblick in den Gesellschaftswandel liefern.

Wilhelm der Eroberer auf dem Teppich von Bayeux / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/8/8f/Bayeuxtapestrywilliamliftshishelm.jpg


Die Maßnahmen zur Stabilisierung und zum Ausbau der Herrschaft Wilhelms lassen sich in drei Kategorien gliedern: Administration, Kirchenreform und Ausbau der normannischen Gesellschaft. Die größte und wichtigste Baustelle war der Ausbau der Administration, denn für die Etablierung seiner Herrschaft musste Wilhelm das ganze Königreich England erreichen und sein Königtum überall sichtbar präsentieren. Zudem waren die militärischen und kommunikativen Verbindungswege zur Normandie, wo Wilhelm weiterhin als Herzog regierte, äußerst signifikant. Die südenglische Grafschaft Sussex wurde dazu in folgende sogenannte rapes aufgeteilt: Arundel, Hastings, Lewes, Pevensey und später Brambel. Rapes waren lange und enge Herrschaftsbereiche, die eine einfache Kommunikation und Kontrolle innerhalb der selbigen ermöglichten. Mit ihrer Nähe zum Meer und dem (Aus-)Bau von Burgen und Motten, auf Erdhügeln errichtete Türme aus Holz oder Stein, konnten innerhalb der rapes die Kommunikationsrouten zur Normandie geschützt werden. Gleichzeitig sollte so die Gefahr von Revolten in dem ehemaligen Stammgebiet der angelsächsischen Familie Godwinson reduziert werden. Jedem rape standen ein eigener Lord und Sheriff vor, die administrative und fiskalische Aufgaben übernahmen. 

Der Clifford's Tower in York - eine typische Motte nach normannischem Vorbild / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/73/York_Clifford_Tower.jpg
 
Auch Windsor Castle besitzt eine Motte (Mitte) / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/b2/Windsor_Castle_from_the_Air_wideangle.jpg
Dass solche Revolten eine permanente Gefahr sein würden, dürfte Wilhelm klar gewesen sein. Die Königsherrschaft eines Normannen im angelsächsischen England, gleichwohl er von Eduard designiert wurde, musste bei Wilhelms politischer pro-normannischer Ausrichtung, die später noch thematisiert wird, gezwungenermaßen zu ebenjenen führen. Hervorzuheben sei da vor allem der Aufstand im Norden Englands nur wenige Jahre nach Wilhelms Königskrönung, als sich die Bevölkerung mit dem invadierenden dänischen König Svein Estridsen (König von 1047 bis 1076), der sich ebenfalls auf eine Designation von Eduard als rechtmäßiger König Englands berief, verbündete und gemeinsam mit Edgar Ætheling, dem Bruder Eduard des Bekenners, die Stadt York einnahm. Der Norden Englands pflegte seit Jahrzehnten enge Handelsbeziehungen zu Skandinavien und unterhielt darüber hinaus gemeinsame enge Kontakte. Das Ziel dieses Bündnisses war die vollständige Besetzung des Nordens. Wilhelm konnte eine solche Besetzung verhindern. Das in die Geschichte eingegangene “Harrying of the North” beschreibt die völlige Verwüstung der Umwelt des Nrdenglands, um zu gewährleisten, dass dort kein Heer überleben konnte. Die Basis einer dauerhaften Besetzung des Nordens wurde damit zerstört und Ende 1070 wurde dieser Aufstand endgültig niedergeschlagen. Allerdings litt die Bevölkerung im Norden Englands noch Jahrzehnte danach unter Hungersnöten.
Die pro-normannische Ausrichtung war ein deutliches Kennzeichen von Wilhelms Politik. Seine zeitlich gesehen ersten Handlungen standen noch im direkten Zusammenhang mit der Landnahme, indem er seine Anhänger, insbesondere auch die Kleriker und den Papst, mit Geld und Landbesitz belohnte. Wilhelm konnte so viel Land verschenken, weil er es den toten Angelsachsen und den überlebenden angelsächsischen Adligen nahm. Letztere wurden unterworfen und ihres Landes beraubt. Verwandte und Überlebende versuchten jedoch für einen von Wilhelm festgelegten, aber viel zu hohen Preis die Ländereien zurückzukaufen, konnten dies aber nur in den seltensten Fällen wirklich erreichen. Die Normannen erhielten überwiegend Landbesitz an der Peripherie, um so für Sicherheit und Stabilität zu sorgen. Allerdings wurde der Landbesitz auch für die normannische Bevölkerung nicht zusammenhängend vergeben, um der Bildung von Regionalmächten vorzubeugen. Zusätzlich setzte Wilhelm seine Landsleute auch in die wichtigsten Positionen und Ämter im ganzen Land ein. So wurden beispielsweise die Bistümer im Laufe seiner Herrschaft mit Normannen besetzt, sodass schließlich nur noch drei von 15 Bistümern mit angelsächsischen Bischöfen besetzt waren.
 
Eine Seite des Domesday Book / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/72/Domesday_Book_-_Warwickshire.png
Diese normannische und auch die administrative Durchdringung des ganzen Königreiches belegt am deutlichsten das Domesday Book, das seinen Namen seit den 1170er Jahren trägt. Dieser Name besagt, dass alles, was in dem Buch verzeichnet wurde, endgültig ist. Das Buch selbst wurde 1085/86 angefertigt und erfasste das komplette englische Königreich und damit die erste vorindustrielle Gesellschaft überhaupt. Es wurden Kommissionen in die shires, ebenfalls Verwaltungseinheiten, geschickt, um die Eigenschaften der manors und vills (grundherrschaftliche Strukturen) schriftlich festzuhalten. Dabei ging es um die Größe, die Zugehörigkeit, die Anzahl der Geräte und Tiere, den Wert, die potentielle Zahl waffenfähiger Soldaten und die Erfassung von Wald und Wiesen. Diese Werte wurden für das Jahr der Krönung Wilhelms, also 1066, und 1085 erfasst. Durch die präzise Erfassung dieser Daten ist das Domesday Book eine der wichtigsten Quellen der englischen Geschichte. Der Wandel der Gesellschaft wird mittels dieses Buches sehr deutlich. Die Auswechslung der Besitzerschicht, von den Angelsachsen zu den Bretonen und Normannen, wurde durch diese Erfassungen im Domesday Book dokumentiert. Es lässt erkennen, dass nur noch 5000 Angelsachsen – in England lebten zum Ende des 11. Jahrhunderts ungefähr 2 Millionen Menschen – Landbesitz hatten, von denen wiederum nur 2 bis 13, je nach Quelle, Kronvasallen waren, die ihr Land direkt vom König erhielten. Von den 8000 Untervasallen, die ihr Land wiederum von den Kronvasallen bekamen, waren nur noch 10% angelsächsischer Abstammung. Darüber hinaus ist ersichtlich, dass es mehr sehr reiche Menschen gab als noch 1066. Der Großteil der 300 Barone, die halb England hielten, und der äußerst einflussreichen und mächtigen 12 Magnaten waren Landsleute, Verwandte und engste Freunde Wilhelms. König Wilhelm selbst war der mit Abstand mächtigste Mann Englands, was durchaus ungewöhnlich war. Denn unter Eduard waren dessen Earls gleichmächtig oder sogar noch mächtiger als er selbst. Jedes Stück Land stammte damit direkt vom König, jeder Besitztitel begann und endete mit Wilhelm – das Lehnswesen, auch wenn es in einigen Grundzügen schon vor der normannischen Landnahme bestand, wurde etabliert. Die Normannen lösten die Angelsachsen auf beeindruckende Weise als Landbesitzer und als Elite des Landes ab. Die Feudalordnung wurde durch den Austausch der Landbesitzerschicht neu geordnet. Schließlich huldigten und unterwarfen sich alle Grundbesitzer Wilhelm auf einem Treffen weltlicher und geistlicher Großer am 1. August 1086 in Salisbury. Sie bezeugten damit einerseits das Domesday Book als niedergeschriebenes Recht für Landeigner und –besitzer, anderseits Wilhelm als Herren allen Landes.
Übrigens: Im Domesday Book wurde Latein als Schriftsprache verwendet. Alle königlichen Dokumente wurden ab 1070 auf Latein und nicht mehr auf Englisch verfasst, ein weiteres Indiz auch für die kulturelle Ablösung der angelsächsischen Traditionen.
Daneben reformierte Wilhelm vor allem um das Jahr 1070 die Kirche in grundlegenden Aspekten. Die Einführung von Kirchengerichten unter Vorsitz von Erzdiakonen und bischöflichen Gehilfen sollte das Problem von überlappenden Zuständigkeiten klären. Bis zu dieser Neuregelung wurden Verstöße wie Ehebruch und Blasphemie vor weltliche Gerichte gestellt, aber die Verhandlung ebenjener von der Kirche gefordert und letztlich von Wilhelm dementsprechend umgesetzt. Die Signifikanz der Kirche wurde zusätzlich durch die Einführung von Konzilen, also Ratsversammlungen weltlicher und geistlicher Großer, gesteigert. Die engere Verknüpfung der weltlichen und geistlichen Welt spiegelte sich außerdem in der Verlegung der Bischofssitze in die Städte wider. Die Verbindung und letztlich auch die Gleichstellung mit den weltlichen Mächten in England belegt, dass die Kirche einen höheren Stellenwert innerhalb des englischen Königreiches erhielt als zuvor.
Wilhelms Herrschaftssicherung geschah auf mehreren Ebenen, zielte aber zumeist auf die Stärkung der normannischen Bevölkerungs- und Herrschaftsschicht ab; zudem stärkte Wilhelm seine eigene Position immens durch die Etablierung des Lehnswesens und sich selbst als obersten Lehnsherren. Viele seiner Reformen und Veränderungen waren bereits in der Normandie existent, sodass von einer Übertragung der normannischen Gewohnheiten und der Politik gesprochen werden kann. Gleichzeitig wurden angelsächsische Institutionen, Gewohnheiten und Gesetze verdrängt sowie nicht zuletzt die Angelsachsen aus ihren Positionen als Landbesitzer. Diesen radikalen Neuerungen in der Herrschafts- und Sozialordnung steht aber auch der kontinuierliche Ausbau einiger angelsächsisch-dänischer Institutionen, wie die Grafschaften, das Königtum und auch die vills/manors, entgegen. Dennoch ist Wilhelms 21-jährige Herrschaft deutlich stärker von den neuen normannischen Aspekten geprägt, die er trotz zahlreicher Widerstände und Revolten etablieren konnte – vor allem auch bedingt durch die zahlreichen Toten der angelsächsischen Elite in der Schlacht von Hastings.


Zum Weiterlesen:
Frank BARLOW, The English Church 1066–1154: A History of the Anglo-Norman Church, New York 1979.
David Charles DOUGLAS, Wilhelm der Eroberer. Herzog der Normandie, München 2004.
Marc MORRIS, The Norman Conquest, Stroud 2013. Rezension

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