Sonntag, 21. Juni 2015

Die Artus-Legende

Eine Legende ist laut Duden eine „ausschmückende Darstellung, glorifizierende Erzählung, Geschichte“, „etwas, was erzählt, angenommen, behauptet wird, aber nicht den Tatsachen entspricht.“ Doch enthält nicht jede Legende auch einen Funken Wahrheit und einen Kern, der auf tatsächlichen historischen Begebenheiten beruht? Dieser Artikel begibt sich auf die Suche nach den Wahrheiten, die in der Artus-Legende enthalten sind.
Die Geschichten vom legendären König Artus, den britannischen Helden und übermächtigen Krieger, fanden durch den Geistlichen und Gelehrten Geoffrey von Monmouth (1100-1154) einen festen Platz in der Geschichte Großbritanniens. Stephan von Blois (König Englands von 1135 bis 1154) beauftragte besagten Geoffrey, eine umfassende Geschichte der Könige Britanniens zu schreiben, die Historia Regum Britanniae. Artus eignete sich als Persönlichkeit ausgezeichnet, um die britisch-normannische Thronfolge zu legitimieren: Monmouth zog eine genealogische Linie vom gegenwärtigen Königshaus über Artus bis hin zu legendären Familien Trojas und setzte soein historisches Fundament für die Nachfolger Stephans. Auch wurde das Werk von zahlreichen Schriftstellern und Dichtern wie beispielsweise John Leland und Sir Thomas Malory rezipiert. Darüber hinaus ist Artus bis heute als legendäre Figur bekannt und immer noch als Film-, Buch- und Videospielfigur beliebt und präsent.

Die Historia Regum Britanniae verbreitete sich schnell über das heutige Europa und wurde zum allgemeinen Bildungsgut, obwohl sich bereits damals die Stimmen einiger Gelehrter, darunter die des Wilhelm von Malmesbury (Geschichtsschreiber, Ende des 11. Jahrhunderts bis 1143), häuften, die die Historizität des Erzählten anzweifelten. Monmouth zeichnete Artus in seinen Geschichten als alles überragenden, christlichen Krieger, der gegen die nach Britannien einfallenden heidnischen Angeln, Jüten und Sachsen im 6. Jahrhundert zahlreiche Schlachten gewinnen konnte. Zur Seite stellte Monmouth ihm Personen wie den mythischen Zauberer Merlin, der Stonehenge als Grablege für britische Könige errichtete, Sir Keie und Artus’ Frau Guinevere. Das auf der mystischen Insel Avalon geschmiedete und von Artus getragene Schwert Excalibur unterstrich dabei seinen Charakter der Unbesiegbarkeit. Eine Niederlage in der Schlacht von 542 gegen Mordred, der die Macht in Britannien an sich riss, führte dann letztlich doch zum Untergang des Artusreiches und zu Artus’ Tod: Infolge einer tödlichen Verletzung wurde er auf die Insel Avalon gebracht, wo er schließlich starb. Die Geschichten rund um Artus erfuhren zahlreiche Erweiterungen und berichteten nun unter anderem von der legendären Tafelrunde mit Artus’ Weggefährten Galahad, dem Sohn Lancelots, der wiederrum Ehebruch mit Guinevere beging, Perceval und Bors de Ganis sowie von der Suche nach dem Heiligen Gral.
Das Ziel, Artus für die Legitimation der Könige zu instrumentalisieren, wurde auch nach Stephan von Blois weiter verfolgt, doch reichten die Geschichten über den legendären König alleine nicht mehr aus – es mussten Beweise her. 1191 entdeckten die Mönche der Glastonbury Abbey das vermeintliche Grab Artus‘ und seiner Frau inklusive der Gebeine sowie eines Bleikreuzes mit der Aufschrift „Hic iacet sepultus inclitus rex Arturius in insula Avalonia.“ („Hier liegt in seinem Grab der berühmte König Artus auf der Insel Avalon.“) Wem die Gebeine tatsächlich gehörten und wer das Kreuz extra hatte anfertigen lassen, ist nicht bekannt, doch liegt der Verdacht nahe, dass diese Inszenierung ein Plan der Abtei gewesen sein könnte. Diese war 1184 durch ein Feuer zerstört worden und benötigte dringend finanzielle Mittel, die durch Wallfahrtstourismus garantiert werden konnten. Die Fürsprecher Heinrich II. (1154-1189) und Richard I. (1189-1199) konnten zudem nun greifbare „Beweise“ für Artus und ihre eigene Legitimation liefern. Die Knochen wurden in einer feierlichen Prozession erhoben und wieder beigesetzt; die Könige als Reinkarnation des Artus gefeiert. Der Mythos eines auf Artus gründenden britisch-anglonormannischen Königreiches war geschaffen und verbreitete sich immer weiter.

Schild am Grab von König Artus in der Glastonbury Abbey
(http://static.archaeologie-online.de/uploads/pics/king-arthurs-tomb_410606_R_by_Frank-Hofgesang_pixelio.de.jpg)

Doch basieren die Geschichten von Geoffrey von Monmouth auf reiner Fantasie oder auf historischen Begebenheiten? Monmouth gab seine Quellen leider nicht preis, was ihn nicht glaubwürdiger erscheinen lässt.
Die Wurzeln seiner Geschichten liegen in zwei Quellen: Der Mönch Gildas (De excidio Brittonum), der als Zeitgenosse die Ereignisse des 6. Jahrhunderts aufgeschrieben hatte, und der Benediktinermönch Beda Venerabilis (Historia ecclesiastica gentis Anglorum, gestorben 735) schrieben die einzigen genauen, zum größten Teil sogar authentischen Berichte über das 6. Jahrhundert in Britannien. Beide Mönche berichten über große Heerführer und Schlachten zwischen den Sachsen und der britisch-römischen Bevölkerung, nennen aber jeweils keine Person mit dem Namen Artus. Dieser tauchte erst mehr als ein Jahrhundert später in walisischen und lateinischen Quellen auf. Zuerst bei dem walisischen Barden Aneirin (Y Gododdin), der Artus als hoch geschätzte und berühmte Vergleichsperson benutzte. Die Etymologie des Wortes „Artus“ deutet sowohl im walisischen als auch im keltischen auf den Wortstamm arth/artos = Bär hin. Die Bezeichnung „Bär“ war für einen kriegerischen Helden weit verbreitet und wurde als Beiname häufig verwendet. Deswegen ist es auch durchaus möglich, dass der Name „Artus“ ursprünglich als Beiname verwendet und anschließend auf eine Person umgebildet wurde.
Die in diesen Quellen genannten Schlachten, Ereignisse und Charakteristika wurden vom walisischen Mönch Nennius in seiner Historia Brittonum um 820 aufgegriffen. Er beschreibt zwölf gewonnene Schlachten Artus’ und stilisiert ihn als Helden und übermächtigen Krieger, der das Bild der heiligen Jungfrau Maria gegen die heidnischen Sachsen mit in die zwölf Schlachten trug. Bei Nennius werden zudem erstmals einige Wunder Britanniens detailliert beschrieben, wie das Grab von Artus’ Hund, Cabal: Ein Steinhügel, dem oben ein Stein mit einem Fußabdruck des Hundes aufliegt. Immer wenn dieser Stein weggenommen werde, tauche er am nächsten Morgen auf wundersame Weise wieder auf dem Steinhügel auf. Dazu die Beschreibung des Grabes von Amr, Artus’ Sohn, das niemals dieselbe Länge gehabt habe. Basierend auf Gildas und Beda und kombiniert mit einzelnen erfundenen, besonders mündlich tradierten Erzählungen wurde Nennius‘ Werk Teil der klösterlichen Kreise und deren Geschichtserinnerung. Zudem stammen die meisten dieser Erzählungen aus walisischen Triaden und Gedichten, in denen Artus mal als oberster Fürst in Pen Rionydd, mal als einer der drei mächtigsten Schweinehirten oder eitelster Dichter Britanniens auftauchte. Die Artus-Legende stieß von Beginn an besonders bei den Zuhörern aus den monastischen Kreisen auf offene Ohren, die diese Geschichten dementsprechend verbreiteten.
Die historische Person mit dem Namen „Artus“ ist schlussendlich eine Erfindung. Es ist dennoch nicht ausgeschlossen, dass jemand unter einem anderen Namen als Heerführer im 5./6. Jahrhundert in Erscheinung trat. Diverse Personen wie beispielsweise der römisch-britannische Heerführer Ambrosius Aurelianus oder der keltische Feldherr Enniaun Girt wurden als „Artus“ identifiziert, ein sicheres Ergebnis gibt es jedoch nicht. Viel wahrscheinlicher ist, dass mehrere historische Figuren und deren Taten zu der Figur „Artus“ zusammengefügt und ein Mythos um sie herum aufgebaut wurde.

König Artus an der Tafelrunde in der Großen
Halle von Winchester Castle
(https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Winchester_RoundTable.jpg)
Schließlich lebt die Artus-Legende trotz aller Zweifel besonders in den Köpfen der Briten weiter, dies unterstreichen auch die Besucherzahlen der Orte, die mit Artus verbunden sind: Sein Geburtsort und sein Fußabdruck, sowie die Höhle Merlins können in der Ruine Tintagel besucht werden, Cadbury Castle ist als vermeintliches Camelot ein Anziehungspunkt und auch die Tafelrunde in der Großen Halle von Winchester Castle, die allerdings erst 1290 zur Hochzeit der Kinder des Königs hergestellt wurde, erfreut sich zahlreicher Besucher.


Damals stand die Figur Artus stellvertretend für die Hoffnungen und Sehnsüchte der kriegsgeplagten Briten, die von den heidnischen Sachsen angegriffen und besiegt wurden. Mit dieser Figur richtete sich der Blick auf eine glanzvolle Vergangenheit, während die Briten selbst in einer katastrophalen Gegenwart lebten. So wurde die Legende des mächtigen Artus’ dankend aufgenommen, weitergetragen und mit vielen neuen Inhalten gefüllt.

Zum Weiterlesen:
Goodrich, Norma Lorre: Die Ritter von Camelot – König Artus, der Gral und die Entschlüsselung einer Legende, München 1994.
Wolf, Jürgen: Auf der Suche nach König Artus. Mythos und Wahrheit, Darmstadt 2009.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen