Eine Legende ist laut Duden eine „ausschmückende
Darstellung, glorifizierende Erzählung, Geschichte“, „etwas, was erzählt,
angenommen, behauptet wird, aber nicht den Tatsachen entspricht.“ Doch enthält
nicht jede Legende auch einen Funken Wahrheit und einen Kern, der auf
tatsächlichen historischen Begebenheiten beruht? Dieser Artikel begibt sich auf
die Suche nach den Wahrheiten, die in der Artus-Legende enthalten sind.
Die Geschichten vom legendären König Artus, den
britannischen Helden und übermächtigen Krieger, fanden durch den Geistlichen
und Gelehrten Geoffrey von Monmouth (1100-1154) einen festen Platz in der
Geschichte Großbritanniens. Stephan von Blois (König Englands von 1135 bis 1154)
beauftragte besagten Geoffrey, eine umfassende Geschichte der Könige Britanniens
zu schreiben, die Historia Regum
Britanniae. Artus eignete sich als Persönlichkeit ausgezeichnet, um die
britisch-normannische Thronfolge zu legitimieren: Monmouth zog eine genealogische
Linie vom gegenwärtigen Königshaus über Artus bis hin zu legendären Familien
Trojas und setzte soein historisches Fundament für
die Nachfolger Stephans. Auch wurde das Werk von zahlreichen Schriftstellern
und Dichtern wie beispielsweise John Leland und Sir Thomas Malory rezipiert. Darüber hinaus ist Artus bis
heute als legendäre Figur bekannt und immer noch als Film-, Buch- und
Videospielfigur beliebt und präsent.
Die Historia
Regum Britanniae verbreitete sich schnell über das heutige Europa und wurde
zum allgemeinen Bildungsgut, obwohl sich bereits damals die Stimmen einiger Gelehrter,
darunter die des Wilhelm von Malmesbury (Geschichtsschreiber, Ende des 11.
Jahrhunderts bis 1143), häuften, die die Historizität des Erzählten anzweifelten.
Monmouth zeichnete Artus in seinen Geschichten als alles überragenden,
christlichen Krieger, der gegen die nach Britannien einfallenden heidnischen
Angeln, Jüten und Sachsen im 6. Jahrhundert zahlreiche Schlachten gewinnen
konnte. Zur Seite stellte Monmouth ihm Personen wie den mythischen Zauberer
Merlin, der Stonehenge als Grablege für britische Könige errichtete, Sir Keie
und Artus’ Frau Guinevere. Das auf der mystischen Insel Avalon geschmiedete und
von Artus getragene Schwert Excalibur unterstrich dabei seinen Charakter der
Unbesiegbarkeit. Eine Niederlage in der Schlacht von 542 gegen Mordred, der die
Macht in Britannien an sich riss, führte dann letztlich doch zum Untergang des
Artusreiches und zu Artus’ Tod: Infolge einer tödlichen Verletzung wurde er auf
die Insel Avalon gebracht, wo er schließlich starb. Die Geschichten rund um
Artus erfuhren zahlreiche Erweiterungen und berichteten nun unter anderem von
der legendären Tafelrunde mit Artus’ Weggefährten Galahad, dem Sohn Lancelots,
der wiederrum Ehebruch mit Guinevere beging, Perceval und Bors de Ganis sowie
von der Suche nach dem Heiligen Gral.
Das Ziel, Artus für die Legitimation der Könige
zu instrumentalisieren, wurde auch nach Stephan von Blois weiter verfolgt, doch
reichten die Geschichten über den legendären König alleine nicht mehr aus – es
mussten Beweise her. 1191 entdeckten die Mönche der Glastonbury Abbey das
vermeintliche Grab Artus‘ und seiner Frau inklusive der Gebeine sowie eines
Bleikreuzes mit der Aufschrift „Hic iacet
sepultus inclitus rex Arturius in insula Avalonia.“ („Hier liegt in seinem
Grab der berühmte König Artus auf der Insel Avalon.“) Wem die Gebeine
tatsächlich gehörten und wer das Kreuz extra hatte anfertigen lassen, ist nicht
bekannt, doch liegt der Verdacht nahe, dass diese Inszenierung ein Plan der
Abtei gewesen sein könnte. Diese war 1184 durch ein Feuer zerstört worden und
benötigte dringend finanzielle Mittel, die durch Wallfahrtstourismus garantiert
werden konnten. Die Fürsprecher Heinrich II. (1154-1189) und Richard I.
(1189-1199) konnten zudem nun greifbare „Beweise“ für Artus und ihre eigene
Legitimation liefern. Die Knochen wurden in einer feierlichen Prozession
erhoben und wieder beigesetzt; die Könige als Reinkarnation des Artus gefeiert.
Der Mythos eines auf Artus gründenden britisch-anglonormannischen Königreiches
war geschaffen und verbreitete sich immer weiter.
Schild am Grab von König Artus in der Glastonbury Abbey (http://static.archaeologie-online.de/uploads/pics/king-arthurs-tomb_410606_R_by_Frank-Hofgesang_pixelio.de.jpg) |
Doch basieren die Geschichten von Geoffrey von
Monmouth auf reiner Fantasie oder auf historischen Begebenheiten? Monmouth gab
seine Quellen leider nicht preis, was ihn nicht glaubwürdiger erscheinen lässt.
Die Wurzeln seiner Geschichten liegen in zwei
Quellen: Der Mönch Gildas (De excidio Brittonum),
der als Zeitgenosse die Ereignisse des 6. Jahrhunderts aufgeschrieben hatte,
und der Benediktinermönch Beda Venerabilis (Historia
ecclesiastica gentis Anglorum, gestorben
735) schrieben die einzigen genauen, zum größten Teil sogar authentischen
Berichte über das 6. Jahrhundert in Britannien. Beide Mönche berichten
über große Heerführer und Schlachten zwischen den Sachsen und der
britisch-römischen Bevölkerung, nennen aber jeweils keine Person mit dem Namen
Artus. Dieser tauchte erst mehr als ein Jahrhundert später in walisischen und
lateinischen Quellen auf. Zuerst bei dem walisischen Barden Aneirin (Y Gododdin), der Artus als hoch
geschätzte und berühmte Vergleichsperson benutzte. Die Etymologie des Wortes
„Artus“ deutet sowohl im walisischen als auch im keltischen auf den Wortstamm arth/artos
= Bär hin. Die Bezeichnung „Bär“ war für einen kriegerischen Helden weit
verbreitet und wurde als Beiname häufig verwendet. Deswegen ist es auch
durchaus möglich, dass der Name „Artus“ ursprünglich als Beiname verwendet und
anschließend auf eine Person umgebildet wurde.
Die in diesen Quellen genannten Schlachten,
Ereignisse und Charakteristika wurden vom walisischen Mönch Nennius in seiner Historia Brittonum um 820 aufgegriffen.
Er beschreibt zwölf gewonnene Schlachten Artus’ und stilisiert ihn als Helden
und übermächtigen Krieger, der das Bild der heiligen Jungfrau Maria gegen die
heidnischen Sachsen mit in die zwölf Schlachten trug. Bei Nennius werden zudem
erstmals einige Wunder Britanniens detailliert beschrieben, wie das Grab von
Artus’ Hund, Cabal: Ein Steinhügel, dem oben ein Stein mit einem Fußabdruck des
Hundes aufliegt. Immer wenn dieser Stein weggenommen werde, tauche er am
nächsten Morgen auf wundersame Weise wieder auf dem Steinhügel auf. Dazu die
Beschreibung des Grabes von Amr, Artus’ Sohn, das niemals dieselbe Länge gehabt
habe. Basierend auf Gildas und Beda und kombiniert mit einzelnen erfundenen,
besonders mündlich tradierten Erzählungen wurde Nennius‘ Werk Teil der
klösterlichen Kreise und deren Geschichtserinnerung. Zudem stammen die meisten
dieser Erzählungen aus walisischen Triaden und Gedichten, in denen Artus mal
als oberster Fürst in Pen Rionydd, mal als einer der drei mächtigsten Schweinehirten
oder eitelster Dichter Britanniens auftauchte. Die Artus-Legende stieß von Beginn
an besonders bei den Zuhörern aus den monastischen Kreisen auf offene Ohren, die
diese Geschichten dementsprechend verbreiteten.
Die historische Person mit dem Namen „Artus“ ist
schlussendlich eine Erfindung. Es ist dennoch nicht ausgeschlossen, dass jemand
unter einem anderen Namen als Heerführer im 5./6. Jahrhundert in Erscheinung
trat. Diverse Personen wie beispielsweise der römisch-britannische Heerführer Ambrosius Aurelianus oder der
keltische Feldherr Enniaun Girt wurden
als „Artus“ identifiziert, ein sicheres Ergebnis gibt es jedoch nicht. Viel
wahrscheinlicher ist, dass mehrere historische Figuren und deren Taten zu der
Figur „Artus“ zusammengefügt und ein Mythos um sie herum aufgebaut wurde.
König Artus an der Tafelrunde in der Großen Halle von Winchester Castle (https://de.m.wikipedia.org/wiki/Datei:Winchester_RoundTable.jpg) |
Schließlich lebt die Artus-Legende trotz aller
Zweifel besonders in den Köpfen der Briten weiter, dies unterstreichen auch die
Besucherzahlen der Orte, die mit Artus verbunden sind: Sein Geburtsort und sein
Fußabdruck, sowie die Höhle Merlins können in der Ruine Tintagel besucht werden,
Cadbury Castle ist als vermeintliches Camelot ein Anziehungspunkt und auch die
Tafelrunde in der Großen Halle von Winchester Castle, die allerdings erst 1290 zur
Hochzeit der Kinder des Königs hergestellt wurde, erfreut sich zahlreicher
Besucher.
Damals stand die Figur Artus stellvertretend für
die Hoffnungen und Sehnsüchte der kriegsgeplagten Briten, die von den
heidnischen Sachsen angegriffen und besiegt wurden. Mit dieser Figur richtete
sich der Blick auf eine glanzvolle Vergangenheit, während die Briten selbst in
einer katastrophalen Gegenwart lebten. So wurde die Legende des mächtigen Artus’
dankend aufgenommen, weitergetragen und mit vielen neuen Inhalten gefüllt.
Zum Weiterlesen:
Goodrich, Norma Lorre: Die Ritter von Camelot – König Artus, der
Gral und die Entschlüsselung einer Legende, München 1994.
Wolf, Jürgen: Auf der Suche nach
König Artus. Mythos und Wahrheit, Darmstadt 2009.
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