Sonntag, 9. Dezember 2018

Die Peinliche Gerichtsordnung Karls V. von 1532

Ende des 15. Jahrhunderts häuften sich auf den Reichstagen die Klagen über zu Unrecht verhängte und ausgeführte Todesurteile durch Fürsten, Reichsstädte und andere Obrigkeiten. Um dieser Willkür entgegenzuwirken, beschloss 1498 der Reichstag zu Freiburg, eine „gemeine Reformation und Ordnung im Reiche vorzunehmen, wie man mit criminalibus prozedieren soll“. Bis diese neuen Regeln allerdings ausgearbeitet waren, vergingen noch über 30 Jahre. Am Ende dieses Prozesses stand die sogenannte Constitutio Criminalis Carolina, die „Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V.“. Sie gilt heute als erste allgemeine, deutsche Prozessordnung und entfaltete bis zu den Strafrechtsreformen des 18. und 19. Jahrhunderts ihre Wirkung. Mit der Entstehung, dem Inhalt und der Bedeutung des Textes wird sich unser heutiger kurz!-Artikel beschäftigen.

Titelblatt einer Ausgabe der Constitutio Criminalis Carolina von 1577, https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/ac/De_Constitutio_criminalis_Carolina_%281577%29_01.jpg

1498 fasste der Reichstag von Freiburg den Beschluss, eine neue Gerichtsordnung auszuarbeiten. Dieser Prozess geriet allerdings bald ins Stocken, da der regierende Kaiser Maximilian I. (1459-1519, mehr über ihn könnt ihr in diesem Artikel nachlesen http://geschichte-in-kurz.blogspot.com/2018/02/per-tot-discrimina-rerum-kaiser.html#more) kurz nach Beginn in weitreichende kriegerische Auseinandersetzungen verwickelt wurde. Erst mit dem Regierungsantritt Karls V. (1500-1558) im Jahre 1519 kam das Vorhaben wieder auf die Tagesordnung. Als Vorbild für die neue Gerichtsordnung gilt die Bamberger Halsgerichtsordnung von 1507, die sogenannte Bamberggensis. Diese orientierte sich vor allem am humanistischen Gedankengut italienischer Rechtsschulen. Ein erster Entwurf der Carolina wurde den Reichsständen schon auf dem Wormser Reichstag von 1521 vorgelegt. Über die kommenden zehn Jahre musste der Text jedoch noch mehrfach revidiert und umgearbeitet werden. Wie Valentin von Teutleben, späterer Bischof von Hildesheim und Protokollant des Augsburger Reichstages von 1530 schrieb, drohte das Vorhaben sogar „unter der Bank [stecken zu] bleiben. Denn ein jeder Kurfürst und Fürst im Reich will Kaiser und König in seinem Fürstentum sein […]“. Vor allem einflussreiche Große äußerten vehement ihre Bedenken und Einwände gegenüber der Abschaffung des territorialen Rechts, sodass ein Beschluss immer wieder vertagt werden musste. 1532 konnte es schließlich nur zur Annahme des Textes kommen, weil diesem eine sogenannte Klausel vorangestellt wurde, die den Territorialherrschern auch weiterhin ihre „alten wohl hergebrachten rechtmäßigen und billigen Gebräuche“ zubilligte, was keinesfalls ein Freibrief für die Territorialherrscher sein sollte, sondern nur die „alten Gebräuche“ aufrechterhalten sollte, während lokale Missbräuche ausdrücklich aufgehoben wurden. 

Inhaltlich ging es in der „Peinlichen Gerichtsordnung“, wie der Name schon impliziert, nur um Angelegenheiten, die körperlich bestraft wurden (also Strafen, die Pein verursachten wie beispielsweise Mord, Brandstiftung oder Vergewaltigung). Geringfügigere Vergehen, die lediglich eine Geldbuße als Strafe zur Folge hatten, sollten in einem Zivilprozess zwischen Geschädigtem und Täter verhandelt werden. Er musste von Privatpersonen erwirkt werden und wurde nicht von Amts wegen geführt. 
Zunächst legt die Carolina fest, „daß alle peinlich gericht mit Richtern, vrtheylern vnd gerichtßschreibern, versehen vnd besetzt werden sollen, von frommen, erbarm, verstendigen vnd erfarnen personen, so tugentlichst vnd best die selbigen nach gelegenheyt jedes orts gehabt vnd zubekommen sein.“ Zudem sollte das Gerichtspersonal in der neuen Gerichtsordnung unterwiesen werden und einen ebenfalls in ihr festgelegten Eid auf diese schwören. 

Weiter regelte die Carolina dann den Ablauf der Verfahren, wobei zwischen Inquisitionsprozessen und Akkusationsprozessen unterschieden wurde. Erstere wurden von Amts wegen eingeleitet während es sich im zweiten Fall um eine Privatklage handelte. Im Rahmen eines Inquisitionsprozesses sei nach der Verhaftung und vor der Anwendung peinlicher Befragung, also der Folter, zunächst zu klären, ob überhaupt ausreichende Beweise gegen den Verdächtigen vorlägen. Ein Akkusationsprozess sollte durch einen privaten Kläger angestoßen werden, der dann mit der Verhaftung des Angeklagten entweder eine Bürgschaft leisten musste, dass er im Falle einer Falschanschuldigung oder einer erfolglosen Klage für entstandene Schäden aufkommen würde, oder aber, sollte er dies verweigern, selbst festgesetzt wurde. Zulässige Beweismittel waren zum einen ein Geständnis des Angeklagten, zum anderen mindestens zwei glaubhafte Zeugenberichte, die jedoch häufig nicht zur Verfügung standen. Daraus erklärt sich auch die Wichtigkeit der peinlichen Befragung zum Erlangen eines Geständnisses, sollte dies nicht freiwillig abgelegt werden, was jedoch der tatsächlichen Wahrheitsfindung, wie nur unschwer zu erkennen ist, nicht wirklich zuträglich war. Zwar hatte der Angeklagte die Möglichkeit, Unterstützung durch einen Fürsprecher zu erhalten, dieser wurde jedoch erst nach Abschluss der Beweisaufnahme angehört, und damit zu einem Zeitpunkt, zu dem häufig bereits ein Geständnis des Beschuldigten vorlag. In diesem Fall konnte der Fürsprecher nur noch um Gnade für den Angeklagten bitten. 

Den Festlegungen über den Ablauf von Verfahren folgen Regeln zur Urteilsfindung für Richter und Urteiler. Dazu werden die einzelnen Straftatbestände wie Mord und Totschlag, Sittlichkeitsverstöße, Diebstahl aber in kleinem Umfang auch Vergehen wie Gotteslästerung und Eidesdelikte sowie der Zaubereitatbestand aufgeführt und beschrieben. So heißt es beispielsweise in Artikel 116, der sich mit der „Straff der unkeusch, so wider die natur beschicht“ beschäftigt: „Item so eyn mensch mit eynem vihe, mann mit mann, weib mit weib, vnkeusch treiben, die haben auch das leben verwürckt, vnd man soll sie der gemeynen gewohnheyt nach mit dem fewer vom leben zum todt richten.“

Die Zweiteilung in Akkusations- und Inquisitionsprozess zeigt eine Entwicklung weg von der Vorstellung, dass die Verantwortung für eine Strafverfolgung beim Geschädigten allein liege. Selbst wenn dieser sich entschieden haben sollte, keinen Akkusationsprozess anzustreben, so bestand trotzdem die Möglichkeit, das Verbrechen im Rahmen eines Inquisitionsprozesses im öffentlichen Interesse zu verfolgen. Diese Entwicklung hatte bereits im Spätmittelalter begonnen und erhielt nun durch die Carolina im Jahre 1532 eine feste und zuverlässigere Struktur und Form. 

Als wichtigste Grundlage für eine Verurteilung galt, wie schon beschrieben, das Geständnis des Angeklagten. Erfolgte dieses nicht freiwillig, so sollte es durch Folter erwirkt werden. Dieser Teil des Prozesses fand selbstverständlich bereits im Vorfeld des eigentlichen Gerichtstages statt und wurde dem öffentlichen Verfahren vorangestellt. Damit fiel streng genommen auch die Entscheidung schon vor der eigentlichen Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Dabei wurde die Rechtmäßigkeit der Folter jedoch von niemandem ernsthaft angezweifelt, auch wenn durchaus ein Bewusstsein dafür bestand, wie gefährlich sie sein konnte. Wie auch in anderen Aspekten orientierte sich die Carolina zur Regelung der peinlichen Befragung an italienischen Rechtsgrundsätzen: So sollte die Folter nur dann Anwendung finden, wenn genügend Indizien gegen den Angeklagten sprachen. Lagen die geforderten Beweise vor, so sollte sich das Ausmaß der Folter an deren Schwere orientieren. Durch einen Verstoß gegen diese Regeln machten sich die Richter strafbar. Bevor die peinliche Befragung angewandt werden durfte, musste dem Angeklagten zudem die Möglichkeit eingeräumt werden, sich selbst beispielsweise durch ein Alibi zu entlasten. Während der Folter sollten zudem keine Suggestivfragen gestellt werden und ein Geständnis war nur gültig, wenn es nach und nicht während der Befragung abgelegt wurde. Weiter musste der Angeklagte dieses einige Tage später erneut bestätigen, konnte es aber auch widerrufen, was jedoch unter Umständen eine erneute peinliche Befragung zur Folge hatte. Außerdem sollte das Gericht die Glaubwürdigkeit des Geständnisses überprüfen, beispielsweise, indem es Details erfragte, die nur der Täter kennen konnte. 

Zwar scheint die Einführung dieser Regeln für die Durchführung der peinlichen Befragung auf den ersten Blick mehr Sicherheit für die Angeklagten mit sich gebracht zu haben. Allerdings waren sie nach wie vor weit gefasst, die Richter oft nicht fachkundig, und die Angeklagten hatten, wie oben bereits geschildert, kein Recht auf einen Fürsprecher während der Befragung sondern erst im Anschluss daran, wenn ein Geständnis meist schon vorlag. Auch zeichnete sich die Form des Inquisitionsprozesses durch größere Geheimhaltung aus: Weder war die Öffentlichkeit bei der peinlichen Befragung anwesend, noch erhielt der Angeklagte selbst uneingeschränkte Einsicht in Akten und die vollständige Anklage. Er wusste oft nicht genau, weshalb er angeklagt worden war und von wem die Anzeige stammte. Während die Richter im Mittelalter vor allem die Prozessleitung innehatten und die Schöffen die eigentlichen Entscheidungsträger gewesen waren, gewannen erstere durch die Carolina an Macht, da ihnen die ganze Voruntersuchung oblag. Dabei galt keinesfalls der heute gängige Rechtsgrundsatz in dubio pro reo („Im Zweifel für den Angeklagten”), sondern es wurde auch mit perfiden Methoden immer versucht, ein Geständnis zu erhalten. 


Auch wenn die Constitutio Criminalis Carolina für den Angeklagten selbst nicht zwangsläufig mehr Rechtssicherheit und Schutz vor willkürlicher Folter und Verurteilung bedeutete, so sorgte sie dennoch für eine Vereinheitlichung der Prozessordnung im Heiligen Römischen Reich. Zwar ermöglichte die salvatorische Klausel es den Territorialherren, weiterhin auch lokales Recht anzuwenden, doch gleichzeitig entfaltete die Carolina als Vorbild für eigene Landesgesetze eine nicht zu unterschätzende Wirkung noch bis ins 18. Jahrhundert hinein.

Zum Weiterlesen:

Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. und des Heiligen Römischen Reichs von 1532 (Carolina), hg. v. Friedrich-Christian Schroeder, Stuttgart 2000.
Kleinerer, Gerd, Tradition und Reform in der Constitutio Criminalis Carolina, in: Strafrecht, Strafprozess und Rezeption. Grundlagen, Entwicklung und Wirkung der Constitutio Criminalis Carolina, hg. v. Peter Landau und Friedrich-Christian Schroeder (Juristische Abhandlungen, Band XIX), Frankfurt am Main 1984.
Kroeschell, Karl u.a., Deutsche Rechtsgeschichte (Band 2, 1250-1650), Wien 2008, 9. Auflage.

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