Sonntag, 3. Juni 2018

Wege in die Gefangenschaft - Sklaverei im Mittelmeerraum II

Die Verbreitung der Sklaverei, die im Mittelmeerraum bereits im Hochmittelalter begonnen hatte, erreichte dort im 15. Jahrhundert ihren Höhepunkt und lässt sich dann als ein Massenphänomen beschreiben. Der erste Teil dieser kurz!-Reihe befasste sich mit ebenjener Verbreitung der Sklaverei sowie mit der ideologischen Legitimierung und den verschiedenen Wegen in die Sklaverei. Männer und Frauen wurden zunächst gleichermaßen zunächst als Kriegsbeute gesehen und anschließend versklavt. Später wiederum brauchte es eine solche Begründung nicht mehr, um Menschen versklaven zu dürfen. Entweder wurden Männer und Frauen auch abseits von kriegerischen Auseinandersetzungen gefangengenommen und verkauft oder aber sie begaben sich aufgrund finanzieller, sozialer oder gesellschaftlicher Schwierigkeiten und Missstände mehr oder minder freiwillig in die Sklaverei. Dieser zweite Teil der kurz!-Reihe widmet sich diesen Männern und Frauen. So werden einerseits die unterschiedlichen Arbeitsformen, in denen die Sklaven eingesetzt wurden, beleuchtet und andererseits speziell die versklavten Frauen und ihre Aufgabengebiete betrachtet.

Die Neuangekommene von Giulio Rosati / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/1e/Une_nouvelle_arriv%C3%A9e_by_Giulio_Rosati_3.jpg

Ein Wort, das das Ausmaß der Sklaverei beschreibt, ist Fremdheit. Die versklavten Menschen wurden zur (Handels-)Ware degradiert und weit weg von ihrer Heimat in ein vollkommen fremdes Milieu transportiert. Denn je größer die Entfernung zur Heimat war, desto geringer waren letztlich auch die Fluchtchancen. Den Betroffenen wurde aber nicht nur ihre Heimat, sondern auch ihr Name genommen und ihr neuer Name an die Umgebung und die neue Kultur angepasst. Durch die Minimierung des Fluchtrisikos sicherten die Sklavenbesitzer sich zudem eine verlässliche Arbeitskraft, die vollkommen auf ihren Besitzer angewiesen war, da dieser den Sklaven ein Dach über dem Kopf und ausreichend Essen und Trinken gab. Für diese Leistungen erwartete der Sklavenhalter aber eine Gegenleistung: die Arbeitskraft der Sklaven. Diese konnte auf verschiedene Weisen eingesetzt werden. 

Sklavenmarkt in Jemen, 13. Jahrhundert (Sklavenmärkte im Mittelmeerraum glichen diesem Beispiel)  / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/51/Slaves_Zadib_Yemen_13th_century_BNF_Paris.jpg
Bereits seit dem 9. Jahrhundert ist überliefert, dass Mamluken (wörtlich „die in Besitz genommenen“), junge Sklaven meist slawischer oder türkischer Herkunft, für den Heeresdienst des Kalifen von Bagdad „rekrutiert“ wurden und für ihn kämpfen mussten. Dieses Vorgehen stellte allerdings keine Ausnahme dar: In vielen weiteren islamischen Herrschaftsgebieten des Mittelalters wurden sie ebenfalls als Militärsklaven genutzt. Auch die Genuesen füllten ihre Heere ab 1270 vermehrt mit Mamluken auf. Nicht nur im Mittelmeerraum, sondern auch in Skandinavien wurden Sklaven überwiegend auf Galeeren und auf anderen Schiffen eingesetzt und mussten größte körperliche Strapazen beim Rudern und Kämpfen auf sich nehmen. Solche körperlichen Anstrengungen mussten auch Sklaven erleiden, die von ihren Haltern in den Bergbau geschickt wurden. Unter gefährlichsten Bedingungen mussten sie dort jeden Arbeitstag ihr Leben aufs Spiel setzen.
Privatpersonen setzten die Arbeitskraft ihrer Sklaven anders als Herrscher ein. Wer sich einen oder mehrere Sklaven leisten konnte, der besaß in der Regel ein Haus, in dem zahlreiche Arbeiten ausgeführt werden mussten. Für die meist weniger körperlich anstrengenden Hausarbeiten wurden deshalb vermehrt Frauen, seltener auch Männer eingesetzt, die sich vollständig um den Haushalt kümmerten. Darunter zählte auch, dass sie beispielsweise Lebensmittel auf dem örtlichen Markt besorgen mussten. Diese „Freiheit“ war aber eben nur durch die erzwungene Fremdheit der Sklaven in ihrer neuen Umgebung überhaupt möglich; eine Flucht hatte kaum Erfolgschancen. Neben der Hausklaverei war die Sklavenarbeit besonders auf Feldern äußerst gewinnbringend. Baute ein Sklavenhalter Getreide oder andere Feldfrüchte an, so erwies sich die Arbeit der Sklaven, die keinen oder nur sehr wenig Lohn erhielten, als äußerst günstig und wertvoll. Die Feldsklaverei wurde aufgrund der günstigeren Wetterbedingungen vorwiegend auf Inseln praktiziert. Die Balearen unter aragonesischer Herrschaft, Sizilien, Korsika, Sardinien, Kreta und Zypern gelten als Beispiele dieser Feldsklaverei im Mittelmeerraum. Wohlhabendere Sklavenhalter, die einen ganzen Hof samt Tieren und Feldern besaßen, nutzten die Sklaven als sogenannte Hofsklaven. Diese Art der Sklavenarbeit war besonders im Königreich Sizilien populär. Die Hofsklaven kümmerten sich um alles, was auf dem Hof als Arbeit galt. So halfen sie beispielsweise bei der Ernte, pflegten die Tiere und hielten den Hof sauber.  

Neben der Herkunft der Sklaven, war das Geschlecht und auch das Alter nicht minder wichtig. Die Sklavenarbeiten wurden, wenn sie körperlich anstrengend waren, in erster Linie von männlichen Sklaven verrichtet, sofern es um die Arbeit im Haus oder auf dem Hof ging, aber auch geschlechtsunspezifisch ausgeführt. Am Beispiel Genuas lässt sich deutlich die Entwicklung der Sklaverei hinsichtlich des Frauenanteils nachvollziehen. Genua galt als Drehscheibe im Sklavenhandel des westlichen Mittelmeeres. Die Administratoren verzeichneten ordentlich die Anzahl der Sklavinnen und Sklaven, die in Genua verkauft wurden, sodass auf Basis dieser Quellen eine Entwicklung abgelesen werden kann. Bis 1274 waren 75 % der Sklaven Sarazenen; der allgemeine Frauenanteil unter allen Sklaven betrug bereits 62 % und stieg bis zum Ende des 13. Jahrhunderts auf 70 % an. Der Überschuss an Sklavinnen hing auch damit zusammen, dass Sklaven über andere Wege und nicht direkt auf dem Sklavenmarkt, besonders in islamische Länder, exportiert wurden, wo sie in Kriegen als Soldaten benötigt wurden. In Genua wurden männliche Sklaven dagegen nur selten als Handwerker und Gartenbauer benötigt. Andere Sklavenmärkte wiederum handelten bevorzugt mit Männern. Bis zum 15. Jahrhundert stieg der Anteil der Sklavinnen kontinuierlich auf über 90 %. Darunter befanden sich Maurinnen, Abchasinnen, Bulgarinnen, Tscherkessinen, Türkinnen und Ungarinnen.

Für diesen Anstieg gibt es drei Gründe. Neben der niedrigen Nachfrage an männlichen Sklaven, wurden die Frauen nicht nur aufgrund ihrer Arbeitskraft geschätzt. Den Quellen ist zu entnehmen, dass der Marktwert von Sklavinnen seit dem 12. Jahrhundert höher war als der ihrer männlichen Leidensgenossen. Unter den reichen Sklavenhaltern, die nicht selten in höchsten sozialen Schichten verkehrten, entwickelte sich ein Wettbewerb daraus, wer die außergewöhnlichste oder auch hübscheste Sklavin hält. Auf Sklavenmärkten entstanden Bietergefechte um die schönsten Frauen. Das Verfügen über solche Sklavinnen galt als Statussymbol.
Der letzte Grund lässt sich anhand unterschiedlicher italienischer Quellen beschreiben. In diesen wird eine Arbeitsform beschrieben, die ausschließlich für die Frauen vorbestimmt war: die Sklavenarbeit als Amme. Damit Ammen auch als solche tätig werden konnten, mussten sie selbst ein Kind haben. Voraussetzung war eine sexuelle Beziehung, die den meisten Sklavinnen zwar strikt untersagt war, aber dennoch meist unter den Sklaven praktiziert wurde oder aber vor dem Weg in die Sklaverei stattfand. Zusätzlich ergab sich die Problematik, dass der Patron des Hauses seine Sklavinnen sexuell ausbeutete. Im Gegensatz zum islamischen Kulturkreis wurden solche Handlungen nicht sanktioniert.
Ammen wurden besonders in den gehobenen Schichten der städtischen Gesellschaft eingesetzt.
So hielten sich die Sklavenhalter Ammen, um sich und ihre eigenen Frauen bei der Arbeit im Haushalt und bei dem Aufziehen der Kinder zu entlasten. Die Ehefrauen durften beim Erwerb der Ammen wohl mitreden und mitentscheiden. Die Hausammen, die ausschließlich für ein einziges Baby als Amme dienten, konnten zusätzlich besser beobachtet werden und bauten unter solchen Umständen sogar eine gegenseitige Beziehung zu den Kindern und ihren Eltern auf. Aus florentinischen Quellen des 15. Jahrhunderts stammen Beschreibungen ganzer Dörfer im Umfeld von Florenz mit professionalisierten, versklavten Ammen, die dort ihre Arbeit anboten. Die gerade gewordenen Mütter selbst hatten wenig Vorbehalte gegenüber den fremden Ammen, auch weil keine dunkelhäutigen Sklavinnen, die aufgrund ihres anderen Aussehens und ihrer Herkunft mit Vorbehalten konfrontiert wurden, als solche arbeiten durften. Diese Dörfer waren nur ein Teil dieses unglaublich lukrativen Geschäfts. So wurden ebenso vermehrt Sklavinnen als Ammen untereinander vermietet und ein hoher Geldbetrag für diese Dienste von den Sklavenhaltern eingenommen.

Die Signifikanz der Sklavinnen im Mittelmeerraum, besonders in Italien, nahm also sukzessive zu. Auch wenn sie nicht die gleiche Arbeitskraft wie die männlichen Sklaven besaßen, wurden ihre Dienste als Hausklavinnen, Ammen und nicht zuletzt als Statussymbol und Prestigeobjekt sehr wertgeschätzt. Die männlichen Sklaven wurden auf Basis ihres Alters und ihrer körperlichen Konstitution ausgesucht, um auf Feldern und im Bergbau zu arbeiten oder in Heeren muslimischer Herrscher zu kämpfen. Am Beispiel Genuas und anderer italienischer Städte lassen sich diese Entwicklungen und Schwerpunkte im Mittelmeerraum, deutlich nachzeichnen.


Zum Weiterlesen:

Christoph CLUSE, Sklaverei im Mittelalter – der Mittelmeerraum. Eine kurze Einführung basierend auf Jacques HEERS, Esclaves et domestiques au moyen âge dans le monde méditerranéen, Paris 1981.

Alfred HAVERKAMP, Die Erneuerung der Sklaverei im Mittelmeerraum während des hohen Mittelalters. Fremdheit, Herkunft und Funktion, in: Elisabeth Herrmann-Otto (Hg.), Unfreie Arbeits- und Lebensverhältnisse von der Antike bis in die Gegenwart. Eine Einführung, Hildesheim u.a. 2005, S. 130-166.

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