Sonntag, 13. März 2016

Friedrich Barbarossa und die zweimalige Unterwerfung Mailands

„(Dort) stand der carroccio, der von vielen Eichenbohlen eingefasst, zum Kämpfen von oben herab ziemlich gut gerüstet und mit Eisen überaus stark beschlagen war und in dessen Mitte sich ein schmaler Mastbaum erhob, der von unten bis oben mit Eisen, Lederriemen und Stricken äußerst fest umwunden war. Dessen Spitze überragte das Zeichen des Kreuzes, auf dessen vorderen Teil der heilige Ambrosius gemalt war, nach vorne blickend und Segen spendend, wohin der Wagen auch bewegt wird. Nach dem völligen Verzicht der Mailänder auf Ehre fuhr zuletzt dieser Wagen heran, um selbst sein Haupt zu neigen. […] Aber der herabgesenkte Mast fiel nicht und erhob sich nicht, bis der Kaiser die Fransen der Fahne zusammenlas und carroccio wieder aufrichten und als unterworfen dastehen ließ.“
(Burchard, Übersetzung nach Görich: Die Ehre Friedrich Barbarossas, S. 250f.)

Dieser Ausschnitt aus dem Werk des Chronisten Burchard von Ursberg beschreibt den Höhepunkt der zweiten Unterwerfung (lat. deditio) Mailands vor die Füße des Kaisers Friedrich Barbarossa (1122-1190). Der carroccio, ein imposanter von Pferden oder Ochsen gezogener Triumphwagen, musste sich ihm symbolisch unterwerfen – und mit ihm die ganze Stadt Mailand mit ihren Einwohnern. Als Herrschaftszeichen Mailands symbolisierte er alle Macht der italienischen Kommune. Die Fahnen und Trompeten bildeten zusammen mit dem carroccio die Merkmale der Mailänder Herrschaftsordnung. Neben der symbolisiertenpolitischen Macht war der carroccio auch ein religiöses Symbol. Im Zentrum dieses Artikels steht die Frage, wie es soweit kommen konnte, dass ein Kaiser, der eigentlich für seine clementia (Milde) geschätzt wurde, eine ganze Stadt bedingungslos unterwerfen und anschließend sogar weitgehend zerstören ließ? Zudem ist die Betrachtung des mittelalterlichen Rituals der deditio für die Auseinandersetzung Barbarossas mit Mailand unbedingt notwendig. 

Friedrich I. Barbarossa (Mitte) mit seinen Söhnen Heinrich VI. und Friedrich von Schwaben in der Historia Welforum / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/07/Friedrich-barbarossa-und-soehne-welfenchronik_1-1000x1540.jpg


Im späten 11. Jahrhundert kam es in Italien zu einem politisch-demographischen Wandel, der die Entstehung von Kommunen zur Folge hatte. Diese Kommunen zeichneten sich durch eine Selbstverwaltung von selbst gewählten Konsuln aus. Zusätzlich strebten viele dieser Kommunen nach einer Expansion ihres Machtbereiches, sodass es vermehrt zu Kriegen und Konflikten zwischen diesen kam. Als römisch-deutscher König (von 1152 bis 1190) und Kaiser (von 1154-1190) musste Friedrich I. sich um die Konflikte in Italien kümmern. Auf einem Hoftag in Konstanz 1153 baten Gesandte aus Lodi, einer benachbarten Kommune Mailands, Friedrich um Hilfe, weil sie ihre Existenz von der Mailänder Gewalt- und Expansionspolitik bedroht sahen. Den Brief, den Barbarossa für die Mailänder Konsuln verfassen ließ, warfen ebenjene auf den Boden und zertraten ihn mitsamt dem Siegel, welches die Verbildlichung der Präsenz und Macht des Kaisers darstellte. Mit dieser symbolischen Aktion wurde der honor imperii, die Ehre des Reichs, verletzt und Barbarossa damit beleidigt. Zahlreichen Aufforderungen zur Unterwerfung unter das Gericht Barbarossas kamen die Mailänder nicht nach, sodass während des Zweiten Italienzuges (1158-1162) Barbarossa und sein Heer Mailand belagerten und die Stadt zur ersten deditio zwangen:

„Nachdem beide Parteien diese Friedensbedingungen angenommen hatten, kam Mailand, um wieder zu Gnaden angenommen zu werden, nachdem es freies Geleit erhalten hatte, in folgender Ordnung und Haltung mit den Seinen an den Hof. Voran der gesamte Klerus und die Angehörigen des kirchlichen Standes, mit ihrem Erzbischof mit vorangetragenen Kreuzen, nackten Füßen und in ärmlichen Gewand; dann die Konsuln und angesehensten Bürger der Stadt, ebenfalls ohne Obergewand, mit nackten Füßen, entblößte Schwerter auf dem Nacken tragend. […] Der erhabene Kaiser nun blickte mit gnädiger Miene auf sie nieder und sagte, er freue sich, daß Gott eine so herrliche Stadt und ein so großes Volk gemahnt habe, endlich einmal den Frieden dem Krieg vorzuziehen; sie hätten ihn so der bitteren Notwendigkeit enthoben, weiter gegen sie zu kämpfen, und er wolle lieber über treue ergebene und gutwillige Untertanen herrschen, als über solche, die nur Zwang dazu gebracht hätte.“
(Otto v. Freising, III, 51, S. 501.)

Mailand im Jahr 1158 / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/c/c1/TopografiaMilano1158.png

Eine solche Inszenierung wirkt auf den ersten Blick befremdlich, war im Mittelalter aber dennoch gängige Praxis. Die öffentlichen, vor Publikum stattfindenden Handlungen, meist innerhalb der weltlichen und geistlichen herrschenden Schicht praktiziert, waren geprägt von Ritualen und symbolischen Handlungen. Ein Konflikt wie dieser begann also meistens mit der Ehrverletzung einer Partei. Beide Parteien wollten in der Folge eine gütliche Einigung erreichen, die über einen oder mehrere Vermittler (mediatores) verhandelt wurde. Verhaltensregeln wurden vor der deditio genau festgelegt, sodass jede Partei genau wusste, was in bestimmten Situationen von ihr erwartet und verlangt wurde. Man kann fast so weit gehen und sagen, dass öffentlich zur Schau gestellte Handlungen inszeniert und sogar choreographiert wurden. Dem Publikum wurde letztendlich eine zur Schau gestellte Entscheidung, die vorher unter den beteiligten Personen verhandelt worden war, vorgestellt. Diese deditio war also ein inszenierter Akt. Die öffentliche Genugtuungsleistung, hier also die Unterwerfung, war dann das Ergebnis der Verhandlungen. Die Öffentlichkeit war signifikant um die Verbindlichkeit der vollzogenen Handlung zu steigern. Der Status, wie er vor dem Konflikt herrschte, wurde durch die Genugtuungsleistung und durch das Verzeihen der anderen Partei, meist gekennzeichnet durch eine Wiederaufheben mittels eines Handschlags oder eines Friedenskusses, wiederhergestellt; keine der Parteien behielt in der Regel irgendeinen Schaden zurück.
Im Normalfall gab es nur eine deditio, weil die zu unterwerfende Partei sich an die abgemachten Bedingungen hielt. Im Falle Mailands jedoch folgte eine zweite Unterwerfung. Der Hoftag von Roncaglia am 11. November 1158 löste Wut bei den Mailändern aus, weil Friedrich und seine Fürsten beschlossen, den Herrschaftsraum Mailands einzugrenzen, indem die Kommune keine Bündnisse mehr eingehen durfte und bestehende Bündnisse mit anderen Kommunen auflösen musste. Eine weitere Einschränkung der Macht Mailands schloss sich zudem noch dadurch an, dass die gewählten Konsuln Friedrich I. einen Treueeid schwören mussten. Zur Durchsetzung dieser Forderungen schickte er eine Gesandtschaft nach Mailand. Diese stellte sich vor das Volk und bestand darauf, dass die Wahl der neuen Konsuln unter ihrer Aufsicht stattfinden müsse. Das Volk sah seine Wahlfreiheit stark eingeschränkt und ein Aufruhr entstand, bei dem die Gesandtschaft um ihr Leben fürchten musste. Schlichtungsversuche kamen zu keinem Ergebnis, sodass die Gesandten Friedrich über die Situation aufklärte. Ein letztes Versöhnungsangebot der amtierenden Mailänder Konsuln wurde abgelehnt, denn die Bedrohung der kaiserlichen Gesandten entsprach einer erneuten Verletzung der Ehre des Kaisers und des Reichs, die Barbarossa nicht ohne weiteres ignorieren konnte. Durch diese erneuten Ehrverletzungen und folglich die Fortsetzung des Konflikts durften die Mailänder nun nicht mehr auf Vergebung hoffen, denn wer den Konflikt erneut begann, wurde härter bestraft.
Wie schon die erste deditio, war auch die zweite von symbolischen Handlungen gekennzeichnet:

„Am folgenden Donnerstag, am ersten des eben genannten März, kamen die Konsuln von Mailand […] und 8 Mailänder Ritter vor den Herrn und durchlauchtesten Kaiser Friedrich in dessen Palast zu Lodi, mit bloßen Schwertern in den Händen, und ergaben sich stellvertretend für die ganze Stadt dem Kaiser; und alle schworen, wenn es dem Kaiser gefalle, würden sie allen kaiserlichen Befehlen gehorchen und alle Mailänder Bürger veranlassen, gleichermaßen zu schwören.
Am folgenden Sonntag kamen 300 Mailänder Ritter zum Kaiser in den erwähnten Palast, darunter 36 Fähnleinträger, die die Fähnlein in die Hände des Kaisers gaben und dessen Füße küssten, und dort befand sich Meister Guintelmus, der erfindungsreichste Mailänder, […] und er übergab dem Kaiser die Schlüssel der Stadt als Zeichen für die ganze Stadt.
Also kamen am Dienstag etwa 1000 Mann Fußvolk aus Mailand mit ihrem Wagen (carroccio) und mit dem großen Banner und außerdem 94 anderen Wimpeln auf dem Wagen; diese alle übergaben sie dem Kaiser sowie zwei Tuben, die sie besaßen, zum Zeichen für das gesamte Gemeinwesen von Mailand, und alle schworen in der erwähnten Weise.
Am folgenden Mittwoch löste der gütige Kaiser die Mailänder vom Bann und befahl den Konsuln, daß sie nun 114 Ritter zu ihm schicken sollten, damit er aus ihnen 40 Geiseln erhalte […]; und allen vom Fußvolk gab er die Erlaubnis, nach Hause zurückzukehren, und befahl ihnen, daß sie so viel von Graben und Mauer Mailands bei jedem Mailänder Tor zerstören sollten, daß er mit seinem Heer in breiter Ordnung einziehen könne.“
(Acerbus Morena, z. J. 1162, S. 147.)



Vereinfachte Darstellung des carroccio / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/e4/Cortenuova1237.JPG
  

Die sich täglichen steigernden Genugtuungsleistungen der Mailänder, weitere Quellen berichten zusätzlich von Schwertern über den Nacken der Ritter, Seilen um die Hälse der einfachen Soldaten und der oben genannten detaillierten Unterwerfung des carroccio, blieben lange ohne jede Reaktion des Kaisers. Erst eine Woche nach der Unterwerfung ordnete Barbarossa an, die Stadt zu verlassen. Wieder eine Woche später ließ er die Stadt anzünden und zerstören. Diese Behandlung Mailands und ihrer Einwohner widerspricht der in der Einleitung genannten kaiserlichen clementia. Allerdings kannte Barbarossa auch keinen Vergleichsfall, bei dem es eine zweite deditio gegen denselben sich Unterwerfenden gegeben hatte. Der Stellenwert einer zweiten Unterwerfung, die letztlich aufgrund der erneuten Ehrverletzungen ausgelöst worden war, ist demnach als viel höher einzuschätzen, denn Barbarossa machte so wiederholt sehr deutlich, dass ganz Mailand sich ihm unterzuordnen habe und seinen Anweisungen folgen müsse. Die gesteigerten Handlungen im Vergleich zur ersten deditio unterstreichen den Wandel in der Behandlung Mailands durch den Kaiser. Aufgrund der weiteren Verletzungen des honor imperii wich er vom Konzept der clementia ab und zeigte seine kaiserliche Strenge. Er stellte mit der Darstellung seiner Härte letztlich sicher, dass die Kommune Mailand sich nicht nochmal ihm gegenüber erheben würde.




ALTHOFF, Gerd: Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt 2003.
- Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997.

GÖRICH, Knut: Friedrich Barbarossa. Eine Biographie, München 2011.
- Die Ehre Friedrich Barbarossas. Kommunikation, Konflikt und politisches Handeln im 12. Jahrhundert (Symbolische Kommunikation in der Vormoderne. Studien zur Geschichte, Literatur und Kunst), Darmstadt 2001.

Die Jahrbücher von Vincenz und Gerlach, übersetzt von Georg Grandaur (Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit 16), Leipzig 1889.
Otto Morena und seiner Fortsetzer Buch über die Taten Kaiser Friedrichs, übersetzt von Franz-Josef Schmale, in: Italienische Quellen über die Taten Kaiser Friedrichs I. in Italien und der Brief über den Kreuzzug Kaiser Fried-richs I. (Ausgewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters FSGA 17a), Darmstadt 1986, S. 34-239.
Otto von Freising und Rahewin: Die Taten Friedrichs oder richtiger Cronica, übersetzt von Adolf Schmidt (Aus-gewählte Quellen zur deutschen Geschichte des Mittelalters FSGA 17), Darmstadt 1965.


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