Sonntag, 12. Juli 2015

Heinrich V. – Gescheiterter Hoffnungsträger oder hoffnungsloser Gescheiterter? Teil II

Der erste Teil der Reihe „Heinrich V. – Gescheiterter Hoffnungsträger oder hoffnungsloser Gescheiterter?“ umfasste Heinrichs Weg zum König- und Kaisertum sowie sein erfolgreiches Bestreben, die Fürsten des Reiches nach konfliktreichen Jahrzehnten unter seinem Vater Heinrich IV. wieder zu einen und schloss mit dem Ausblick auf das Jahr 1115 und dem vermeintlichen Ende der erfolgreichen Herrschaftszeit Heinrichs V.:Statuto itaque tempore dum ipse Mogontiae presens condictum frustra prestolatur conventum – nam preter paucos episcopos nemo principum adventabat […].“(Ekkehard von Aura, Chronica ad a. 1115, Rec. III, S. 314f.) („Während er selbst zur festgesetzten Zeit in Mainz zugegen war und den angesagten Hoftag vergebens erwartete – denn außer einigen wenigen Bischöfen kam keiner der Fürsten […].“) Dieser zweite Teil der Reihe widmet sich den Ursachen des Niedergangs der Fürstenunterstützung gegenüber Kaiser Heinrich V. sowie dem Wandel des Herrschaftsverständnis Heinrichs.

obere Reihe links: Heinrich V., mittig sein Vater Heinrich IV.; Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/3e/Heinrich_im_Evangeliar_von_St._Emmeram.jpg


Das Jahr 1112 markierte einen ersten Einschnitt in die Beziehungen zu einigen Fürsten. Besonders markant war zunächst der Bruch mit Erzkanzler Adalbert (gest. 1137, seit 1106 Kanzler und seit 1111 Erzbischof von Mainz). Am 8. Oktober 1112 unterzeichnete Adalbert, gleichsam Erzbischof von Mainz und darüber hinaus einer der engsten und wichtigsten Vertrauten in der Anfangsphase von Heinrichs Herrschaftszeit, in seiner Funktion als Kanzler[1] Heinrichs, die letzte Urkunde. Kurz nach dieser Urkundenausstellung wurde Adalbert von Heinrichs Truppen festgenommen und erst nach drei Jahren strenger Haft in einem desolaten Zustand und nur auf Druck der Mainzer Bürger sowie einiger Fürsten wieder freigelassen. Heinrich fügte in einem Rundschreiben Verrat, Mordpläne und Verschwörung als Gründe der Festnahme an. Der eigentliche Grund lag jedoch in der konkurrierenden Territorialpolitik, denn Adalbert wollte sich nicht den Forderungen Heinrichs unterwerfen und musste nun mit den Konsequenzen leben. Der Plan Adalberts aus dem Jahre 1111, den schwer erkrankten König hinter seinem Rücken durch seinen Neffen, den Staufer Friedrich (1090-1147), zu ersetzen, spielte ebenfalls eine Rolle in dem zerrütteten Verhältnis. In diesem Konflikt legte Heinrich kaum Wert auf die Meinung der Fürsten – er handelte autokratisch und damit entgegen seiner konsensualen Herrschaft der Anfangsjahre.
Dem Bruch mit Adalbert folgten noch im selben Jahr Kämpfe mit den sächsischen Fürsten. Nachdem er sich zunächst sehr um das Herzogtum bemüht und die alten Gräben erfolgreich überwunden hatte, verschlechterte sich die Beziehung zu den sächsischen Großen aufgrund seines veränderten Herrschaftsverständnisses erneut: Erbarmungslos behandelte er sächsische Große wie Herzog Lothar von Sachsen und Markgraf Rudolf von Stade, die als Konsequenz ihres aggressiven Eingreifens gegen einen Ministerialen Rudolfs vor den Augen Heinrichs aus ihren Ämtern enthoben wurden. Auch der Konflikt um das Erbe eines sächsischen Grafen, das sowohl Heinrich selbst als auch Pfalzgraf Siegfried für sich beanspruchten – Heinrich griff hier in die Erbfolge ein – spiegelt sein aggressiveres und eigensinnigeres Vorgehen gegenüber den Großen seines Reiches wider. Immer wenn Heinrichs Ansprüche auf Territorien, Besitzungen und Rechte auf die Ansprüche anderer trafen und er seine Vorstellungen autokratisch durchzusetzen versuchte, kam es zu Konflikten. Diese ersten Konflikte verursachten jedoch keine allgemeine Bruchstelle in den Beziehungen zwischen Heinrich und den Fürsten. Die Urkunden belegen, dass nur sehr wenige Fürsten, vor allem aber die sächsischen, nicht mehr an den Hof des Kaisers kamen. Allerdings wurden die Fürsten durch diese Vorkommnisse sensibilisiert und beachteten Heinrichs Handeln wohl genauer als zuvor.
Im Gegensatz zu diesen Brüchen, die nur wenige weitere Fürsten beeinflussten, resultierte der große Konflikt mit Erzbischof Friedrich von Köln (~1075-1131 und seit 1100 Erzbischof Kölns) und dessen Abwenden vom König in der zweiten Hälfte des Jahres 1114 in einer drastisch abnehmenden Königsurkundenanzahl, die gleichsam einem großen Vertrauensverlust für Heinrich entsprach. Diese Königsurkunden sind ein starker Indikator für Kontinuitäten von Beziehungen zwischen Heinrich und den Fürsten, wenn diese regelmäßig in den Urkunden genannt wurden, können aber auch Brüche in solchen Beziehungen ausdrücken. Nur noch selten ließen sich die Großen des Reiches Urkunden vom König ausstellen und noch seltener kamen die Fürsten an Heinrichs Hof. Friedrich scharte die niederrheinischen Großen um sich und verbündete sich mit der sächsischen Opposition. Viele Fürsten schlossen sich entweder an oder erschienen nicht mehr am königlichen Hof, um die Mitarbeit mit Heinrich zu verweigern. Lediglich seine treuesten Anhänger, vorrangig die süddeutschen Fürsten, die ihn auch schon zum Königtum verholfen hatten, verblieben größtenteils noch an Heinrichs Seite. Den vorrangigen und wahrscheinlichsten Grund  für das Abwenden Friedrichs lieferte jener Ende 1114 selbst in einem Brief an Bischof Otto von Bamberg: Dort argumentierte er mit der libertas ecclesiae, also der Freiheit und Unabhängigkeit der Kirche. Seine Argumentation enthielt mehrere Kritikpunkte: Die Reichskirche befand sich durch die Vakanz einiger Bischofssitze, wie in Worms seit 1107 und Mainz nach Adalberts Verhaftung, die zudem in Heinrichs unmittelbar bevorzugtem Herrschaftsgebiet lagen, in einem schlechten Zustand. Worms und Mainz wurden während der Vakanzen von kaisertreuen Personen verwaltet, wodurch Heinrich sich sowohl finanziell als auch politisch einen Vorteil verschaffte und sich bereicherte. Zudem kritisierte Friedrich die kirchliche Verwaltung am Hof Heinrichs. Wo früher die Großen des Reiches starken Einfluss auf Bischofserhebungen hatten, setzte Heinrich seit 1111 auffallend häufig auf Alleingänge, erhob seine Vertrauten in wichtige Ämter und wurde, wie die Beispiele Adalberts und der Sachsen zeigten, zunehmend autokratischer.
Warum Heinrich seine erfolgreiche konsensuale Herrschaftsform fast vollkommen aufgab und zunehmend autokratischer handelte, ist nur schwierig zu erklären. Seit einem der Höhepunkte seiner Herrschaft, der Kaiserkrönung 1111, schien sich Heinrichs Herrschaftsverständnis verändert zu haben. Sah Heinrich sich nun als Kaiser, als höchste weltliche und kirchliche Instanz, nicht mehr auf seine Fürsten angewiesen? Die Frage lässt sich schlussendlich kaum klären und bietet Raum für Spekulationen.
Heinrichs Stellung im Reich wurde durch das Bündnis Friedrichs mit der sächsischen Opposition immer schwächer: Im gesamten Jahr 1115 sind lediglich sieben Königsurkunden überliefert. Deswegen mutete seine Reise nach Italien Anfang 1116, als er das Erbe von Mathilde von Canossa antreten wollte, eher als eine Flucht aus seinem Reich nördlich der Alpen an. Während seiner zweieinhalb jährigen Abwesenheit verwalteten loyale Anhänger Heinrichs das Reich, konnten aber nicht deeskalierend wirken. Die Fürsten, die sich spätestens seit 1114 in zwei Lager pro und contra Heinrich aufgespalten hatten, übernahmen immer mehr Eigenverantwortung und besonders Verantwortung für das Reich: Sie schlossen sich in einer parteiübergreifenden Fürstengemeinschaft zusammen und wollten die jahrelangen Konflikte und Kämpfe endgültig beenden. Die allgemeine Sehnsucht nach Frieden verband einen Großteil der Fürsten – selbst einige der engsten Anhänger und zudem auch Verwandte Heinrichs, nahmen an Verhandlungen der Fürsten teil. Der Stellenwert dieser Fürstengemeinschaft wird dadurch ersichtlich, dass sie Heinrich androhen konnte, ihn bei Nichterscheinen auf einem von ihnen angesetzten Hoftag abzusetzen. Somit wurde Heinrich zu einer Rückkehr aus Italien gezwungen.
Das nach der Kaiserkrönung von konsenusal zu autokratisch gewandelte Herrschaftsverständnis führte über Unverständnis zu Wut und Opposition bis hin zu einer parteiübergreifenden Fürstengemeinschaft, die sich für das Reich und in diesem Fall gegen Heinrich einsetzte. Als Heinrich 1119 aus Italien zurückkehrte, stand er fast alleine da. Lediglich die süddeutschen Fürsten hielten ihm weiterhin die Treue. Allerdings gab es auch unter ihnen Personen, die sich nun in vermittelnder Stellung befanden oder sich in ihr Bistum zurückzogen und Heinrich nicht mehr aktiv unterstützten. Wie Heinrich sich nach seiner Rückkehr gegenüber der Fürstengemeinschaft verhielt bzw. verhalten konnte, und wohin der Weg der Fürstengemeinschaft noch führte, erfahrt ihr im nächsten Teil der Reihe.


Zum Weiterlesen:
Jürgen DENDORFER, Fidii milites? Die Staufer und Kaiser Heinrich V., in: Ders., Hubertus Seibert (Hgg.): Grafen, Herzöge, Könige: der Aufstieg der frühen Staufer und das Reich (1079-1152), Ostfildern 2005, S. 213-265. [Download]
Stefan WEINFURTER, Reformidee und Königtum im spätsalischen Reich. Überlegungen zu einer Neubewertung Kaiser Heinrichs V., in: Weinfurter, Stefan (Hrsg.): Reformidee und Reformpolitik im spätsalisch-frühstaufischen Reich (Quellen und Abhandlungen zur mittelrheinischen Kirchengeschichte 68), Mainz 1992, S. 1 – 45.
Stefan WEINFURTER, Das Jahrhundert der Salier (1024-1125), Ostfildern 2008.


[1] Der Kanzler des Königs leitete die Kanzlei, die für die Urkundenausstellung verantwortlich war.

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