Sonntag, 2. Juli 2017

Die Burchardiflut von 1634

Betrachtet man heute eine Karte der Nordfriesischen Inseln, stößt man unter anderem auf die Insel Pellworm, die Halbinsel Nordstrand sowie die Hallig Nordstrandischmoor. Dies war jedoch nicht immer so: Bis ins 17. Jahrhundert existierte an der Stelle der gerade genannten Inseln die damals 220 km² große Insel Strand, manchmal auch Alt-Norstrand genannt. Im Verlauf einer immensen Sturmflut im Oktober 1634 jedoch wurde diese Insel auseinandergerissen und ganze Teile von ihr versanken im Meer. Da zwei Tage nach der Flut – am 14. Oktober – der Namenstag des Bischofs Burkhard von Würzburg (683-755) gefeiert wurde, wurde sie – wie damals üblich – nach ihm benannt und ging als Burchardiflut in die Geschichte ein. Um dieses Ereignis und das Schicksal der Insel Strand geht es in unserem neuen kurz!-Artikel.

Die Nordfriesischen Inseln heute
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In den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts lebten auf der Insel Strand circa. 8.500 Menschen, die größtenteils als Bauern oder Landarbeiter tätig waren. Strand galt als relativ wohlhabend, da das Land sehr fruchtbar war und Erzeugnisse häufig gewinnbringend verkauft werden konnten. Die Insel, die bei Flut teilweise unter dem Meeresspiegel lag, war zum Schutz vor den Wassermassen ringsherum von Deichen umgeben. In den Chroniken dieser Jahre finden sich zahlreiche Berichte über mehrere größere und kleinere Sturmfluten, die die Westküste des heutigen Schleswig-Holsteins getroffen und die Insel Strand und ihre Befestigungen beschädigt zurückgelassen hatten. Auch finden sich erste Hinweise auf untergegangene Landmassen und Behausungen, die von den Bewohnern sicherheitshalber aufgegeben wurden. So ist die Rede von einer Reihe von Überschwemmungen im Jahr 1612, bei denen große Flächen in den Wintermonaten kontinuierlich unter Wasser standen. 1615 kamen vermutlich mehr als 300 Menschen bei einer Sturmflut ums Leben. Während der Fastnachtsflut im Winter 1625 sollen außerdem großflächige Eisschollen in die Deiche der Insel geschwemmt worden sein, die dadurch in ihrer Stabilität beschädigt wurden.

Doch nicht nur durch Sturmfluten war die Region bereits im Vorfeld der Burchardiflut geschwächt worden: Zwischen 1598 und 1603 und noch einmal 1630 hatte die Pest auf Strand gewütet und zahlreichen Bewohnern das Leben gekostet. Durch diese Epidemie fehlten Jahre lang genügend Arbeitskräfte, um die Deiche kontinuierlich und ausreichend in Stand zu halten. Zusätzlich war Strand in den Jahren 1628 und 1629 zu einem Schauplatz des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) geworden. Die Bewohner stellten sich in diesem Konflikt gegen die Truppen ihres Herzogs Friedrich III. von Schleswig-Holstein-Gottorf (1597-1659), um eine Einquartierung von Soldaten auf der Insel zu verhindern und um gegen die Eingriffe des Herzogs in die inseleigene Wehrverfassung zu protestieren. Im Verlauf der Kämpfe gelang es ihnen 1628 ein herzogliches Heer zurückzuschlagen, wobei sie von einer dänischen Flotte unterstützt worden waren. Ein Jahr später jedoch mussten sie sich geschlagen geben und feststellen, dass ihre Deiche und sonstigen Befestigungen erneut schwer beschädigt worden waren. Die Reparaturen gingen nur langsam voran und bereits im Sommer des Jahres 1634 – dem Jahr der Flut – soll es zu ersten gefährlichen Deichbrüchen gekommen sein.

Am späten Abend des 11. Oktobers begann schließlich die Katastrophe, als sich ein mit orkanartigen Böen einhergehendes Sturmtief aus Südwest unvorhergesehen der Küstenregion näherte und später bei Springflut nach Nordwest drehte und Strand unmittelbar traf. Es gibt mehrere überlieferte Augenzeugenberichte der Sturmflut, die die Geschehnisse verdeutlichen. So beschreibt der niederländische Wasserbauingenieur Jan Adriaanszoon Leeghwater (1575-1650), der sich zum Zeitpunkt der Flut auf der Insel aufhielt, den Beginn folgendermaßen: „Gegen den Abend [hat] sich ein großer Sturm und Unwetter von Südwest her aus der See erhoben […] Da begann der Wind aus dem Westen so heftig zu wehen, daß kein Schlaf in unsere Augen kam. Als wir ungefähr eine Stunde auf dem Bett gelegen hatten, sagte mein Sohn zu mir „Vater, ich fühle das Wasser auf mein Angesicht tropfen“. Die Wogen sprangen am Seedeich in die Höhe auf das Dach des Hauses. Es war ganz gefährlich anzuhören. In Begleitung seines Sohnes flüchtete er daraufhin aus seinem Haus und suchte gemeinsam mit circa 40 anderen Personen Zuflucht im höher gelegenen Herrenhaus. Doch auch hier befanden sich die Flüchtenden bald in Lebensgefahr: „Der Wind drehte sich ein wenig nach Nordwesten und wehte platt gegen das Herrenhaus, so hart und steif, wie ich’s in meinem Leben nicht gesehen habe. An einer starken Tür, die an der Westseite stand, sprangen die Riegel aus dem Pfosten von den Meereswogen, so daß das Wasser das Feuer auslöschte und so hoch auf den Flur kam, daß es über meine Kniestiefel hinweglief, ungefähr 13 Fuß höher als das Maifeld des alten Landes […] Am Nordende des Herrenhauses, welches dicht am Seetief stand, spülte die Erde unter dem Haus weg […] Infolgedessen barst das Haus, die Diele und der Boden auseinander […] Es schien nicht anders als solle das Herrenhaus mit allen, die darin waren, vom Deich abspülen.

Leeghwater und sein Sohn überlebten, doch Schätzungen zufolge kamen in der Nacht der Burchardiflut zwischen 8.000 und 15.000 Menschen in der gesamten Küstenregion zu Tode. 

Zeitgenössische Darstellung der Burchardiflut
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/ac/Erschrecklichewasserfluth.jpg
Auf Strand brach der erste Deich bereits um 22 Uhr, dabei sollte das Hochwasser erst um zwei Uhr nachts seinen Höchststand erreichen. Heute geht man davon aus, dass der Wasserstand den regulären Stand bei Flut um circa vier Meter überstieg. Dies führte dazu, dass die Deiche nicht nur an insgesamt 44 Stellen und an allen Seiten der Insel brachen, sondern auch, dass 1.300 Häuser, 30 Mühlen und 17 Kirchen vollständig zerstört wurden. Sie wurden entweder überschwemmt, stürzten aufgrund des Drucks der Wassermassen ein oder brannten nieder, als offene Feuerstellen außer Kontrolle gerieten. Allein auf Strand kamen Tausende Menschen sowie 50.000 Stück Vieh ums Leben. Auch die Ernte eines ganzen Jahres war zerstört.

Am Morgen des 12. Oktober beschrieb der Augenzeuge Leeghwater seine Eindrücke folgendermaßen: „Des Morgens […] da waren alle Zelte und Hütten weggespült, die auf dem ganzen Werk waren, sechs- oder siebenunddreißig an der Zahl, mit allen Menschen, die darin waren. […] Große Seeschiffe waren auf dem hohen Deich stehengeblieben, wie ich selber gesehen habe. […] Ich bin auch den Strand allda geritten, da hab ich wunderliche Dinge gesehen, viele verschiedene tote Tiere, Balken von Häusern, zertrümmerte Wagen und eine ganze Menge Holz, Heu, Stroh und Stoppeln. Auch habe ich dabei so manche Menschen gesehen, die ertrunken waren.

Auch nach Abzug des Sturmtiefs kam es zu weiteren Deichbrüchen, da das Wasser nicht ablaufen konnte und so kontinuierlich gegen die bereits beschädigten Deiche drückte. Immer mehr Landflächen mussten deshalb aufgegeben werden und nach und nach versanken ganze Teile im Meer. Dies bedeutete letztlich das Auseinanderbrechen der Insel. Die neu entstandenen Inseln – Pellworm, Nordstrand und die Hallig Nordstrandischmoor – haben heute zusammen eine Fläche, die nur noch circa ein Drittel der alten Insel Strand ausmacht. 


Alt-Nordstrand auf einer Karte von 1662. Die alten Umrisse sind noch eingezeichnet, ein Großteil der Insel ist aber schon als unter Wasser liegend gekennzeichnet.
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/da/Alt-nordstrand_auf_bleau-karte.jpg
Ein weiterer Augenzeuge, ein Pfarrer der Insel, fasste seine Eindrücke nach der Flut ebenfalls zusammen: „Wüste liegen mehr denn die halben Wohnstädte, unnd sind die Häuser weggeschölet; wüste stehen die übrigen Häuser, unnd sind Fenstere, Thüren und Wende zerbrochen. Wüste stehen ganze Kirchspielen, unnd sind in etlichen wenig Haußwirthe mehr übrigen. Wüste stehen die Gotteshäuser, unnd sind weder Prediger noch Haußwirthe viel vorhanden.

Es sollte schließlich Jahre dauern, bis ein Großteil der übrig gebliebenen Felder erneut bestellt und die Deiche wiederaufgebaut werden konnten. Herzog Friedrich III. musste letztlich auf eine Vielzahl ausländischer Arbeitskräfte setzen, da zahlreiche Bewohner die Insel nach den schrecklichen Erlebnissen für immer verlassen hatten. Auch hofften sie somit einer erneuten Strafe Gottes – als welche die Burchardiflut von den Zeitgenossen gedeutet wurde – entgehen zu können. Aufgrund der Vielzahl von Todesopfern spricht man noch heute von ihr als Grote Mandränke (großes Ertrinken).

Zum Weiterlesen:
Allemeyer, Marie Luisa: „In diesser erschrecklichen unerhörten Wasserfluth, kan man keine naturlichen Ursachen suchen“. Die Burchardi-Flut des Jahres 1634 an der Nordseeküste, in: Gerrit Jasper Schenk (Hg.): Katastrophen. Vom Untergang Pompejis bis zum Klimawandel, Ostfildern 2009, S. 93-108.
Hinrichs, Boy u. a. (Hgg.): Flutkatastrophe 1634, 2. Aufl., Kiel 1991.
Jakubowski-Tiessen, Manfred: „Erschreckliche und unerhörte Wasserflut“. Wahrnehmung und Deutung der Flutkatastrophe von 1634, in: Ders. u. Hartmut Lehmann (Hgg.): Um Himmels Willen. Religion in Katastrophenzeiten, Göttingen 2003, S. 179-200.

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