Im ersten Teil unseres Porträts über
Vittoria Colonna haben wir bereits erfahren, wie Vittoria aus politischen
Gründen mit Ferrante d’Avalos verheiratet wurde. Doch während dieser im Krieg
für die spanische Krone gegen die Franzosen kämpfte, blieb Vittoria auf Ischia
zurück. Als Ferrante 1525 in der Schlacht von Pavia fiel, verarbeitete Vittoria
den Tod ihres Ehemannes in ihrer Dichtung und wandte sich immer mehr der
Spiritualität und Reformation zu.
Colonna wollte sich nach dem Tod
Ferrantes zunächst in das römische Kloster San Silvestro in Capite zurückziehen
und dem Orden als Schwester beitreten, um sich ganz und gar dem religiösen
Leben zu widmen. Dies wurde ihr aber von ihrem Bruder Ascanio (1500-1557) und
Papst Clemens VII. (1523-1534) untersagt, wohinter wahrscheinlich politische Motive
standen. Denn Colonna genoss großes Ansehen bei Kaiser Karl V. (1500-1558),
nicht zuletzt durch die Verdienste ihres Ehemannes. Auch hatte sie ein besseres
Verhältnis zu Papst Clemens VII. als ihr eher als aufbrausend und unvernünftig
geltender Bruder Ascanio, der nach dem Tod des Vaters 1520 Familienoberhaupt geworden
war, weswegen Vittoria eine Art Vermittlerrolle zwischen den verschiedenen
Parteien einnahm. Tatsächlich sollte die Beziehung zwischen dem Hause Colonna
und Papst Clemens VII. jedoch in den folgenden Jahren angespannter werden und
schließlich unter Papst Paul III. (1534-1549) im sogenannten Salzkrieg enden,
da Ascanio sich weigerte die von Paul III. erhöhte Salzsteuer zu zahlen.
Vittoria wandte sich dennoch bis zu
ihrem Tod vermehrt religiösen Fragen zu. In den 1530er Jahren setzte sie sich
aktiv für den 1526 neu gegründeten Kapuzinerorden ein. Der Orden verfolgte das
Ziel zum ursprünglichen Armutsideal und zur Predigt der Franziskaner zurückzukehren.
Vittoria erhoffte sich von der neuen religiösen Bewegung eine Erneuerung für
die katholische Kirche. Zunächst erlaubte Papst Clemens VII. den Orden zwar, doch
1534 zwang er die Kapuziner erst in den Orden der Observanten zurückzukehren
und vertrieb sie wenig später aus der Stadt. Erst unter Papst Paul III. erhielt
der Orden 1538 schließlich wieder die päpstliche Anerkennung. Dieser Einsatz bot
Vittoria eine erste Gelegenheit, sich aktiv für eine Erneuerung der Kirche
auszusprechen.
In Rom lernte Vittoria Michelangelo
Buonarotti (1475-1564) kennen, mit dem sie eine enge Freundschaft verbinden
sollte, wovon nicht nur der Austausch von Briefen und Sonetten zeugt, sondern
auch eine Reihe von Zeichnungen, die Michelangelo für Vittoria angefertigt hat,
u. a. die Crocefissione von 1536
sowie eine Pietà und eine Maddalena. Auch ließ Vittoria ihm ein
Manuskript ihrer Gedichte zukommen. Oft ist sie daher zur Muse Michelangelos
stilisiert worden – ihre Freundschaft war aber wohl platonischer Natur.
Michelangelo, Pietà für Vittoria Colonna / Quelle: http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/58/Pietà_per_Vittoria_Colonna.jpg |
1537 begab sich Vittoria nach Ferrara
an den Hof von Renée de France (1510-1574), die im Frühjahr 1536 bereits den
Reformator Johannes Calvin (1509-1564) hatte begrüßen dürfen und selbst reformatorisches
Gedankengut verfolgte. Ferrara war jedoch vermutlich nur eine Zwischenstation
auf der Reise nach Venedig, von wo aus Vittoria mit einem Schiff auf eine
Pilgerreise ins Heilige Land aufbrechen wollte. Doch Papst Paul III.
verhinderte die Fahrt. Der Literaturwissenschaftler Giorgio Patrizi vermutet
zudem, dass Vittoria in Ferrara Marguerite de Navarre (1492-1549), Schwester
des französischen Königs, selbst Schriftstellerin und ebenfalls Befürworterin
der Reformation, kennen gelernt habe. In jedem Fall sollten die beiden
mächtigen Frauen einen regen Briefverkehr miteinander unterhalten, von dem
heute jedoch nur noch fünf Briefe überliefert sind.
In Ferrara befand sich zu dieser Zeit
auch der Prediger Bernardino Ochino (1487-1564), den Vittoria bereits 1534 in Rom
kennen gelernt hatte. Die Beziehung zwischen Ochino und Vittoria sollte in den
folgenden Jahren enger werden und Vittoria reiste ihm von Stadt zu Stadt nach,
um seinen Predigten lauschen zu können. Ochino sollte zudem einer der ersten
aus Vittorias näherem Umfeld werden, der der Inquisition zum Opfer fiel: 1542
floh er in die Schweiz. Ein Buch, das Ochino ihr aus dem Exil geschickt hatte,
übergab Vittoria, vielleicht auf Anraten ihres Freundes Kardinal Reginald Pole
(1500-1558) um sich selbst vor Vorwürfen der Häresie zu schützen, dem Kardinal Marcello
Cervini (1501-1555), Mitglied der römischen Inquisition und späterer Papst
Marcellus II. (1555).
Derweil verarbeitete und diskutierte
Vittoria das religiöse Gedankengut der italienischen Reformationsbewegung auch
in ihrer Dichtung, die von Anfang an von einer tiefen Spiritualität
gekennzeichnet war. Im Jahr 1538 wurde
schließlich die erste Druckausgabe ihrer sogenannten Rime amorose in Parma vom Verleger Antonio Viotti veröffentlicht,
der sich davon einen großen Erfolg versprach – jedoch gegen den Willen
Vittorias. Denn als Frau selbst zu veröffentlichen galt in der Renaissance als
unanständig, da man sich durch eine Veröffentlichung selbst der Öffentlichkeit preisgab,
was der Prostitution gleichkam: Die Grenze zwischen einer donna pubblica, einer Prostituierten, und einer donna che pubblica, einer Frau, die
selbst veröffentlicht, war schmal. Es war dies die erste von zahlreichen
Veröffentlichungen in den 1540er und 50er Jahren, davon allein zehn zu ihren
Lebzeiten – alle ohne Einverständnis der Autorin. Jedoch zeugt dies vom
immensen Erfolg und Bekanntheitsgrad, die Vittoria zu Lebzeiten genoss. Sie war
die erste Frau überhaupt, der eine eigene Druckedition und ein Kommentar zu
ihren Gedichten noch zu Lebzeiten gewidmet wurde (1542 von Rinaldo Corso). In
ihrer Dichtung wandte sich Vittoria immer weiter von der Liebesdichtung zu
ihrem verstorbenen Ehemann ab und stärker der Spiritualität zu, woraus die
sogenannten Rime spirituali hervorgingen,
in denen sie in petrarkistischen Sonetten mit mystischen Anklängen ihre Liebe
zu Christus beschrieb.
Der oben bereits erwähnten Marguerite
de Navarre ließ Vittoria eine handschriftliche Kopie ihrer Gedichte zukommen,
die aber zunächst von Anne de Montmorency (1493-1567), französischer Grand Connétable,
das heißt der oberste Beamte und Oberbefehlshaber der französischen Armeen,
zurückgehalten und König François I. übergeben wurden, da er glaubte, dass
Vittorias Verse reformatorisches und damit ketzerisches Gedankengut enthielten.
Der Ruf Vittoria Colonnas als Anhängerin der italienischen Reformationsbewegung
war also auch nach Frankreich gedrungen. Doch die Vorwürfe wurden fallen
gelassen.
1541 brach schließlich der Konflikt
zwischen Papst Paul III. und Vittorias Bruder Ascanio offen im sogenannten
Salzkrieg aus. Vittoria hatte versucht beschwichtigend zwischen Ascanio und
Paul III. zu vermitteln und auch Kaiser Karl V. hatte sie ermutigt, ihren
Bruder zur Vernunft zu bringen – doch ohne Erfolg. In Folge des Krieges verlor
die Familie Colonna alle Besitztümer im Kirchenstaat und Vittoria musste nach
Orvieto und schließlich nach Viterbo flüchten.
In Viterbo hatte sich zudem ein Kreis
von Intellektuellen und Theologen um Kardinal Reginald Pole gebildet, der
reformatorische Fragestellungen diskutieren wollte. Der englische Kardinal Pole
hatte seine Heimat verlassen müssen, als er sich gegen die von Heinrich VIII.
(1491-1547) ausgelöste Kirchenspaltung stellte. Vittoria hegte große
Bewunderung für den Kardinal und hatte für ihn beinahe mütterliche Gefühle.
Über Vittorias Ansichten in der
sogenannten Ecclesia viterbensis geben
die Prozessberichte im Inquisitionsverfahren gegen Pietro Carnesechi
(1508-1567) Auskunft, der wie Vittoria ein weiterer Anhänger der italienischen
Reformation um den Kreis in Viterbo war. Es ist bemerkenswert, wie beharrlich
das Inquisitionstribunal Carnesechi über Vittoria ausfragte, um zu erfahren, ob
diese eventuell ketzerisches reformatorisches Gedankengut verfolgt habe. Carnesechi
wurde übrigens für schuldig erklärt und 1567 hingerichtet. Es ist schwierig,
Vittoria in die Reformbewegungen einzuordnen und zu beurteilen, in wie weit sie
als Häretikerin aus Sicht der katholischen Kirche bezeichnet werden kann. Zwar
geht deutlich aus ihren Versen der Glaube an die Rechtfertigungslehre ex sola fide hervor, das heißt die Vorstellung der Reformatoren sich die Gnade Gottes
nicht durch Werke erkaufen, sondern nur durch den Glauben von Gott erhalten zu
können, andererseits verehrte sie aber beispielsweise Heilige, allen voran die
Jungfrau Maria und Maria Magdalena.
Ende 1544 verließ Vittoria Viterbo wieder
und kehrte nach Rom zurück, wo sie ihre letzten beiden Lebensjahre verbrachte.
Aufschluss über diese Zeit bietet ein Bericht des portugiesischen Malers
Francisco de Hollanda (1517-1585), der von 1539 bis 1548 für Karl V. aus Rom
Bericht erstattete. In seinen Dialoghi treten
Michelangelo und Vittoria als Gesprächspartner in einer Debatte um die Malerei
und deren pädagogischen Wert auf.
Am 25. Februar 1547 schließlich starb
Vittoria Colonna, wenige Monate vor dem Tod Pietro Bembos. Man könnte sagen,
dass das Jahr 1547 einen Umbruch in der Geschichte Italiens markierte. Zwei
Jahre zuvor waren durch das Konzil von Trient die Bemühungen um eine Aussöhnung
zwischen katholischer Kirche und Reformation endgültig gescheitert. Die Gegenreformation
nahm nun ihren Lauf und nicht zuletzt durch die Bedrohung der Inquisition wurde
es schwieriger und gefährlicher, unorthodoxe Ansichten zu verfechten. So wurden
auch die Werke Vittorias immer seltener veröffentlicht, vielleicht weil sich
Verleger nicht den Vorwürfen der Häresie ausgesetzt sehen wollten. Zwar wurde
Vittoria im Laufe der Jahrhunderte nie ganz vergessen, doch eine wirkliche
Rezeption setzte erst wieder im 19. Jahrhundert ein.
Zum Weiterlesen
Zum Weiterlesen
- Einen guten Überblick über die
Biographie Vittoria Colonnas liefert der Eintrag unter ihrem Namen im Dizionario Biografico degli Italiani von
1982:
Patrizi,
Giorgio: „COLONNA, Vittoria.“ In: Dizionario
Biografico degli Italiani. Bd.
27. Rom: Treccani, 1982. (auch online unter:
http://www.treccani.it/enciclopedia/vittoria-colonna_(Dizionario_Biografico)
zuletzt aufgerufen am 1. Juni 2015)
- Ein Standardwerk ist der Katalog der
Ausstellung Vittoria Colonna. Dichterin
und Muse Michelangelos des kunsthistorischen Museums Wien. Neben zahlreichen
Abbildungen finden sich dort auch Artikel zu den wichtigsten Aspekten von
Vittorias Leben und Schaffen.
Ferino-Pagden, Sylvia
[Hrsg.]: Vittoria Colonna: Dichterin und
Muse Michelangelos. Katalog des Kunsthistorischen Museums Wien, 25 Februar
- 25 Mai 1997. Wien: Skira, 1997.
- Die Gedichte Vittoria Colonnas wurden
1982 in einer Gesamtausgabe von Alan Bullock veröffentlicht.
Colonna,
Vittoria: Rime. Hrsg. von Alan
Bullock. Roma:
Laterza, 1982.
- Eine deutsche Übersetzung der Gedichte
Colonnas stammt aus dem 19. Jahrhundert, jedoch ist diese Übertragung der
Gedichte stark von der Romantik durchsetzt:
Colonna, Victoria: Sonette. Übersetzt von Bertha Arndts. In
zwei Bänden. Schaffenhausen: Huerter’sche
Buchhandlung, 1858. (auch online
unter:
http://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb10755234_00005.html
zuletzt
aufgerufen am 1. Juni 2015)
- Empfehlenswert sind auch die englische
Übersetzung und der dazugehörige Kommentar von Abigail Brundin.
Colonna,
Vittoria: Sonnets for Michelangelo. A
Bilingual Edition.
Hrsg. und übersetzt von Abigail Brundin. Chicago: University of Chicago
Press, 2005.
*Dieser Artikel stammt von Gastautor Daniel
Fliege. Daniel studiert Literaturwissenschaft an der Universität Paris
Sorbonne (Paris IV) als Stipendiat der École normale supérieure (Paris Ulm). Er
beschäftigt sich mit der romanischen Lyrik des Mittelalters und der
Renaissance, insbesondere mit der höfischen Liebe und dem Petrarkismus.
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