Sonntag, 18. Mai 2014

Thronfolge im Mittelalter

Teil I: Erbkönigtum & Reichsteilung
Jedes Mal, wenn ein König oder ein Kaiser im Mittelalter starb, musste natürlich schnellstmöglich ein Nachfolger gefunden werden. Im Idealfall stand der Nachfolger bereits vor dem Tod des amtierenden Herrschers fest und wurde also frühzeitig designiert, das bedeutet, dass der Thronfolger bereits bestimmt wurde, sodass die Übergangszeit zwischen zwei Königen möglichst kurz andauerte.

Die Thronfolge im Mittelalter war nicht immer eindeutig, häufig sogar gar nicht geregelt. Von einem „Erbrecht“, gemäß einem Gesetz, auf den Thron zu sprechen, ist vor allem für das Frühmittelalter auszuschließen. Der häufigste Fall und wohl auch der Wunsch des amtierenden Königs war es, seinen eigenen Sohn als Nachfolger zu bestimmen. Ein Regelfall war es dennoch nicht.

Was geschah demnach, wenn der Herrscher zwei, drei oder weitere Söhne hatte? Was, wenn der Herrscher keinen einzigen Sohn mehr hatte, weil seine Söhne frühzeitig gestorben waren oder er schlicht keine Söhne gezeugt hatte? Konnte seine Frau oder sogar eine seiner Töchter die Herrschaft übernehmen? Und was geschah, wenn der Herrscher einen Sohn hatte, dieser aber viel zu jung für die Herrschaft war? Wenn kein Familienangehöriger Nachfolger wurde/werden konnte, wer entschied dann über die Nachfolge? Entschied der König allein, wer sein Nachfolger werden sollte?

Diese Serie „Thronfolge im Mittelalter“ beschäftigt sich mit diesen und weiteren Fragen und stellt anhand eines oder mehrerer Beispiele aus dem Mittelalter verschiedene Möglichkeiten der Thronfolge vor.

Die Merowinger – der Beginn der Königsherrschaft in Europa
Die Königsherrschaft in Europa begann mit den Merowingern (frühes 5. Jahrhundert bis 751). Angefangen mit Chlodio etablierte sich zunächst das System des Erbkönigtums und blieb auch nach den Merowingern Richtlinie bei der Thronfolge. Bedingt durch das Erbkönigtum konnten sich Königsdynastien, also die Abfolge mehrerer Herrscher aus einer Familie, bilden. Dies versprach eine Kontinuität und Stabilität innerhalb des Reiches.

Das Begriffsfeld „Erbe, erben“ ist aber mit großer Vorsicht zu benutzen. Der Begriff Erbe impliziert nämlich immer eine rechtliche Dimension, die so aber im Frühmittelalter nicht gegeben war. Dabei handelte es sich bei der Thronfolge nicht um eine rechtliche Situation, sondern vielmehr ging es dabei um Aspekte der Macht und Politik.

Das Erbkönigtum besagte, dass ausschließlich leibliche, männliche Nachkommen des Vaters legitime Nachfolger werden konnten. Anders als in späteren Zeiten war es bei den Merowingern nicht wichtig, wer die Mutter war und welchen Status in der Gesellschaft sie besaß. Zentral war einzig die Person des Vaters. So war es auch möglich, dass zwei Söhne eines Königs, wobei ein Sohn mit einer Konkubine, der andere mit der Ehefrau und Königin gezeugt wurde, dieselben Ansprüche auf die Nachfolge hatten. Woher das Prinzip des Erbkönigtums stammte, ist übrigens nicht ganz eindeutig. Klar ist aber, dass es kein römisches Erbe war, denn in der späten Kaiserzeit war lediglich eine verstärkte Tendenz zur Erblichkeit erkennbar, welche allerdings nicht auf die reine leibliche Sohnesfolge beschränkt war.

Die Verwandtschaft zum König war nicht das einzige Kriterium bei der Auswahl des Nachfolgers, denn die Partizipation der Großen und Mächtigen des Reiches war dabei ebenso wichtig. Deswegen muss jede Thronfolge als Ereignis der damals gegenwärtigen Umstände betrachtet und untersucht werden.

Als Beispiel des Erbkönigtums und der damit verbundenen Probleme dient hier die Nachfolge König Chlodwigs I. (481/82-511): Theuderich I. (511-533) war der Sohn König Chlodwigs I. (481/82-511) und einer namentlich nicht bekannten Konkubine. Chlodwig I. hatte vier weitere Söhne mit seiner Ehefrau und Königin Chrodechilde, Tochter des Burgunderkönigs: Ingomer, Chlodomer, Childebert I. und Chlothar I. Als Chlodwig 511 starb, wurde das Reich unter allen vier lebenden Söhnen (Ingomer starb vorher) aufgeteilt. Alle Söhne hatten demnach also dieselbe Erberechtigung, erhielten einen gerechten Anteil des Reiches und wurden somit gleich behandelt. Diese Reichsteilung von 511 war übrigens die erste ihrer Art und damit auch ein Präzedenzfall. Die Reichsteilung blieb jedoch bis in das 10. Jahrhundert hinein ein maßgeblicher Faktor bei der Erbfolge.

Das Mittel der Reichsteilung lässt sich aus der Lex Salica, dem Volksrecht der Salfranken (auf Anordnung Chlodwigs I. verfasst), ableiten und auf das Frankenreich übertragen. Es besagte, dass das Allod, das Eigengut des Vaters, gleichmäßig auf alle seine leiblichen Söhne verteilt werden sollte.
Schließlich bleibt zu erwähnen, dass die Reichsteilung zwischen mehreren Söhnen meistens blutig in Brüderkriegen endete, wie viele andere Beispiele zeigen. Auch das hier kurz dargestellte Beispiel blieb nicht unblutig: die Brüder kämpften gegeneinander, um das Gebiet des anderen für sich zu gewinnen.

Vorschau: Der zweite Teil dieser Reihe wird von einem anderen Prinzip der Thronfolge handeln: der Primogenitur. Mit der Primogenitur eng verbunden ist die Individualsukzession. Beide Begriffe werden anhand eines Beispiels aus der Zeit der Ottonen untersucht und veranschaulicht. 

Zum Weiterlesen:
Martina Hartmann: Aufbruch ins Mittelalter. Die Zeit der Merowinger, Darmstadt ²2011.
Walter Pohl (Hg.): Der frühmittelalterliche Staat - europäische Perspektiven, (Forschungen zur Geschichte des Mittelalters 16), Wien 2009.

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