Sonntag, 14. Oktober 2018

Die Hexenprozesse von Salem

In the latter end of the year 1691, Mr. Samuel Paris, Pastor of the Church in Salem-Village, had a Daughter of Nine, and a Neice of about Eleven years of Age, sadly Afflicted of they knew not what Distempers; and he made his application to Physitians, yet still they grew worse: And at length one Physitian gave his opinion, that they were under an Evil Hand […]. These Children were bitten and pinched by invisible agents; their arms, necks, and backs turned this way and that way, and returned back again, so as it was impossible for them to do of themselves, and beyond the power of any Epileptick Fits, or natural Disease to effect. Sometimes they were taken dumb, their mouths stopped, their throats choaked, their limbs wracked and tormented so as might move an heart of stone, to sympathize with them, with bowels of compassion for them.


So beschrieb der puritanische Geistliche Reverend John Hale (1636-1700), der Zeuge der Ereignisse war, in seinem 1697 erschienenen Werk A Modest Enquiry Into the Nature of Witchcraft die Symptome der beiden ersten Opfer von Hexerei, die in Salem in der englischen Kolonie Massachusetts auftraten. Infolgedessen kam es zu einer Massenhysterie sowie einer Reihe von Hexenprozessen. Mit ihren Gründen, dem Hergang und ihren Folgen wollen wir uns in unserem heutigen kurz!-Artikel beschäftigen. Dabei sollen vor allem die ersten drei Beschuldigten, Tituba, Sarah Good und Sarah Osborne im Vordergrund stehen, deren Befragungen vom 1. bis zum 7. März 1692 stattfanden.

Darstellung der Hexenprozesse von Salem in Pioneers in the Settlement of America von William A. Crafts, 1876, https://cdn.britannica.com/85/115885-050-286DCD84.jpg 
Denkt man an Hexenverfolgungen, so wird den meisten sicherlich Europa als Schauplatz in den Sinn kommen (mehr dazu könnt ihr in unseren Artikeln zum Hexenhammer und den Stationen einer Hexenverfolgung erfahren), doch auch in der Neuen Welt kam es nach deren Kolonialisierung durch Europäer zu Hexenprozessen. So auch in Salem, wo sich seit den 1620er Jahren überwiegend streng puritanische Siedler aus England niedergelassen hatten. Diese waren vor religiöser Stigmatisierung geflohen und strebten in ihrer neuen Heimat den Aufbau einer Gesellschaft nach ihren religiösen Vorstellungen an. Im Laufe der Zeit waren zu den puritanischen Bauern jedoch auch Siedler, überwiegend Kaufleute mit offeneren religiösen Ausrichtungen, hinzugekommen, was zu Spannungen in Salem führte. Zudem sah sich die noch junge Gemeinde ständig durch Indianerangriffe bedroht, was die Bewohner in Angst versetzte. Hinzu kamen auch Auseinandersetzungen um die Bezahlung des ortsansässigen Predigers Samuel Parris, dessen Tochter und Nichte die ersten Opfer von Hexerei werden sollten. Auch Erbstreitigkeiten in der Familie Putnam, deren Tochter Ann Putnam ebenfalls zu den Betroffenen zählte und selbst über 60 Personen der Hexerei bezichtigte stifteten Unruhe in der Dorfgemeinschaft. Die Gemeinde befand sich zu dieser Zeit außerdem in einem Zustand des machtpolitischen Vakuums, da die Ernennung eines neuen Gouverneurs noch ausstand und die städtische Elite durch innere Streitigkeiten geschwächt war.

In dieser Gemengelage aus politischer Unsicherheit, religiösen und weltanschaulichen Differenzen, sozialen und persönlichen Spannungen zwischen Bauern und Händlern sowie der Furcht vor den Ureinwohnern traten nun die oben beschriebenen Anfälle bei der Tochter und Nichte des puritanischen Predigers Samuel Parris auf und breiteten sich bald auf weitere Mädchen aus. Die Betroffenen beschuldigten schnell drei Frauen, von diesen verhext worden zu sein: Tituba, eine möglicherweise aus Süd- oder Mittelamerika stammende Sklavin im Haushalt von Samuel Parris, Sarah Good, eine Bettlerin, die des Öfteren Selbstgespräche führte, sowie Sarah Osborne, eine alte Frau, der nachgesagt wurde, sie habe die Kinder ihres ersten Mannes um deren Erbe betrogen. Bei allen dreien handelte es sich offenkundig um Frauen, die außerhalb der Gesellschaft standen, was sie zu leichten Opfern für Anschuldigungen machte. Bald wurden neben den drei oben genannten noch weitere Frauen der Hexerei bezichtigt, unter ihnen auch in der puritanischen Gemeinde hoch angesehene Personen, die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der verhexten Mädchen geäußert hatten.

Am 1. März 1692 begannen die Befragungen der ersten drei Beschuldigten, in deren Verlauf Sarah Good ihre Mitangeklagte Sarah Osborne beschuldigte, eine Hexe zu sein, um sich selbst zu entlasten. Dadurch bestätigte sie indirekt, dass Hexerei die Ursache für die Anfälle der Mädchen sei. Die Sklavin Tituba gestand zwar, Hexerei angewandt zu haben, diese sollte jedoch keinen bösen Zweck erfüllen, sondern den betroffenen Mädchen helfen, die eigentliche Hexe zu entlarven. Sie gab zu, that without the knowledge of their Master or Mistress, they had taken some of the Afflicted persons Urine, and mixing it with meal had made a Cake, and baked it, to find out the Witch […] (A Modest Enquiry Into the Nature of Witchcraft, Chapter II) und beschuldigte die beiden anderen Frauen. 

Bald bildete sich bei den Befragungen der Angeklagten ein Muster heraus, das sich auch durch die weitere Verhandlung ziehen sollte: Während die Ankläger die Beschuldigten befragten, behaupteten die von der Hexerei Betroffenen, in genau diesem Moment wieder heimgesucht zu werden, woraufhin die Angeklagten abgeführt und in Ketten gelegt wurden. In einer weiteren Anhörung legten schließlich andere Gemeindemitglieder, die nicht direkt betroffen waren, Zeugnisse mit teilweise realen, erfundenen, aber auch konspirativen Inhalten gegenüber den Beschuldigten ab. So wurde Sarah Good beispielsweise vorgeworfen, sie habe einige Jahre zuvor Kühe getötet (ohne dass dabei der Hexereivorwurf erhoben wurde), bei anderer Gelegenheit soll sie ihren Opfern in geisterhafter Gestalt erschienen sein. Schnell geriet auch Sarah Goods vierjährige Tochter Dorothy in den Fokus der Ankläger, die ebenfalls der Hexerei beschuldigt wurde. In einer Befragung bestätigte das Mädchen, eine Hexe zu sein und ihre Mutter dabei beobachtet zu haben, mit dem Teufel verkehrt zu haben. Daraufhin wurde das Kind ebenfalls inhaftiert. Sarah Good selbst gebar in Gefangenschaft eine weitere Tochter, die jedoch kurz nach der Geburt wohl an Unterernährung in Haft verstarb.

Zeichnung von Tituba aus dem 19. Jahrhundert von Alfred Fredericks, https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/fa/TitubaandtheChildren-Fredericks.jpg

Sarah Osborne wurde schwer von ihrem eigenen Ehemann belastet, dessen Aussage zufolge sie seit einem Jahr und zwei Monaten nicht zur Kirche gegangen sei. Ähnliches war auch Sarah Good zur Last gelegt worden. Noch bevor ein Urteil in dem Prozess gesprochen werden konnte, forderte er sein erstes Opfer: Die Angeklagte Sarah Osborne verstarb am 10. Mai im Gefängnis. Ihr Schicksal teilten im Verlauf des Verfahrens noch mindestens vier weitere Beschuldigte. 

Tituba, die sich mit deutlichen Vorverurteilungen konfrontiert sah, berichtete in Befragungen von Flügen auf Besenstielen, die gemeinsam mit ihren Mithexen Sarah Good und Sarah Osborne stattgefunden haben sollen. Sie blieb jedoch zunächst dabei, den Kindern kein Leid zugefügt zu haben und beschuldigte neben ihren beiden Mitangeklagten noch zwei weitere Frauen, die sie jedoch nicht namentlich benannte. Dann änderte sie jedoch ihre Aussage und gab zu, die Kinder verletzt zu haben, weil ihr selbst ein Mann erschienen sein soll, der ihr Gewalt angedroht habe und ihr gebot, ihm zu dienen. Sie berichtete ebenfalls, dass ihr wechselnde Tiergestalten erschienen, die sowohl den Mann als auch Sarah Good begleitet haben sollen, sowie von der Sichtung einer Frauengestalt mit zwei Flügeln. Von dieser wusste auch eine der Besessenen, Abigail William, zu berichten, die außerdem bestätigte, dass diese sich in Sarah Osborne verwandelt haben solle. Generell spann Tituba ein Netz aus geisterhaften Geschichten von Hexerei und Erscheinungen, ohne jedoch irgendwen abgesehen von Good und Osborne zu beschuldigen. Ihr mag wohl bewusst gewesen sein, dass sie in den Augen ihrer Ankläger schon als schuldig verurteilt war und entschied sich daher, um einer peinlichen Befragung zu entgehen, ihnen lieber genau das zu erzählen, was sie hören wollten, auch wenn sie sich in ihrem Zeugnis oft widersprach, was das Gericht jedoch nicht wirklich hinterfragte.

Im Verlauf der Befragungen erlitten weitere Mädchen die vermeintlich durch Hexerei ausgelösten Anfälle und bezichtigten mehr und mehr Personen, diese verursacht zu haben. So weitete sich der Kreis der Verdächtigten und Verhafteten aus. Der neu ernannte englische Gouverneur Sir William Phips, der Ende Mai 1692 in Salem eingetroffen war, richtete einen Sondergerichtshof ein, um die Fälle zu verhandeln. Die erste Verurteilte war eine Frau namens Bridget Bishop. Sie wurde am 2. Juni der Hexerei für schuldig befunden und am 10. Juni gehängt. Ende des Monats fiel schließlich auch das Urteil gegen Sarah Good, deren Hinrichtung am 19. Juli an der Seite von vier weiteren Verurteilten stattfand. Bis zum Ende der Prozesse, die sich bis Mai 1693 hinzogen, wurden insgesamt 19 Personen, 14 Frauen und fünf Männer am Galgen hingerichtet. Ein weiterer Beschuldigter wurde mit Steinen zu Tode gequetscht. Fünf Verdächtige sowie zwei in Gefangenschaft geborene Kinder überlebten die Haft nicht. Zudem kam es zu weiteren Verurteilungen, denen jedoch keine Bestrafung mehr folgte. 

Bereits relativ kurze Zeit nach dem Ende der Hexenverfolgung in Salem wurde Kritik an den Vorgängen laut. So verurteilte beispielsweise Reverend John Hale, der bei den Prozessen anwesend war und diese zunächst auch unterstützte (seine Meinung änderte sich, als seine eigene Ehefrau beschuldigt wurde), in seinem oben zitierten Werk von 1697 deren Hergang und die obersten Ankläger. Auch Ann Putnam, die selbst zahlreiche Personen der Hexerei bezichtigt hatte, entschuldigte sich im Jahr 1706 öffentlich für ihre Rolle in den Prozessen und machte klar, dass sie nun zu der Ansicht gelangt sei, die von ihr Beschuldigten und daraufhin zum Tode Verurteilten seien unschuldig gewesen und dass sie zu dieser Zeit selbst von Satan geleitet worden sei. Schon um die Jahrhundertwende wurden auch erste Petitionen mit der Forderung ins Leben gerufen, die Urteile rückwirkend aufzuheben, was in den folgenden Jahren für einzelne Verurteilte, vor allem solche, die zwar verurteilt, aber nie bestraft worden waren, auch geschah. Doch erst Mitte des 20. Jahrhundert folgte eine offizielle Entschuldigung des Staates Massachusetts. Heute sind die „Hexen von Salem“ in der Stadt allgegenwärtig. Nicht nur ein Denkmal, sondern auch ein Museum, erinnert an die Ereignisse und Opfer von 1692.


Zum Weiterlesen:
Quensel, Stephan, Hexen, Satan, Inquisition. Die Erfindung des Hexen-Problems, Wiesbaden 2017.
Rosenthal, Bernard, Salem Story. Reading the Witch Trials of 1692 (Cambridge Studies in American Literature and Culture, 73), Cambridge 1995 (Nachdruck).
Salem Witch Trials Documentary and Archive Transcription Project, http://salem.lib.virginia.edu/home.html, Sammlung von Dokumenten zu den Hexenprozessen von Salem.

1 Kommentar:

  1. Ein schönes Beispiel für die Verwirrungen dieser Zeit. Einerseits der stark vorhandene Glaube an das Übernatürliche, andererseits die aufkommende Aufklärung samt ihrer Ideen von gerechter Justiz. Das Ergebnis sind dann oft so obskure Prozesse wie hier. Ganz ähnliche Geschichten gibt es ja aus dem Bereich der Vampirlegenden oder auch Werwölfe.

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