Sonntag, 30. September 2018

'in arte medicine experta' – Jacoba Felicie gegen die Pariser medizinische Fakultät

Auch wenn Frauen im Mittelalter aufgrund der generellen Exklusion von den Universitäten das Studium der Medizin verboten war, gab es Frauen, die sich – ohne je an einer Universität Medizin studiert zu haben – um die medizinische Versorgung erkrankter Mitmenschen kümmerten. Hildegard von Bingen, die sich als Äbtissin und infirmaria (Krankenschwester) selbst um erkrankte Nonnen im von ihr gegründeten Kloster Ruperstberg kümmerte, kann sicherlich als die bekannteste Heilerin des Mittelalters gelten. Daneben gab es jedoch auch andere Frauen, die v.a. in den Städten erkrankte Menschen behandelten. Dass diese Heilerinnen häufig mit großen Widerständen zu kämpfen hatten, zeigt ein juristisches Verfahren, dass im 14. Jahrhundert in Paris gegen Jacoba Felicie angestrengt wurde. Die Pariser Fakultät hatte zwischen 1312 und 1322 gleich mehrere juristische Prozesse gegen Frauen und Männer eingeleitet, die ohne Approbation auf dem Gebiet der Medizin tätig waren. Angeklagt wurde auch Jacoba Felicie, die beschuldigt wurde, in und um Paris mehrere schwer kranke Menschen besucht und widerrechtlich geheilt zu haben. Verlauf und Ausgang dieses juristischen Verfahrens sollen im Vordergrund dieses kurz!-Artikels stehen.

Versammlung der Doktoren der Universität Paris; Illustration aus den Chants royaux,
BNF Paris, Fraçais 1537, fol. 27v (16. Jh.)
(
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/0/08/Meeting_of_doctors_at_the_university_of_Paris.jpg)

Über das frühere Leben Jacoba Felicies ist heute kaum etwas bekannt. Allerdings wird sie in den Prozessakten als nobilem mulierem dominam Jacobam Felicie aufgeführt, was die Vermutung zulässt, dass sie von hoher gesellschaftlicher Abstammung war. Aufgrund ihrer medizinischen Tätigkeiten in der Stadt war die Pariser medizinische Fakultät auf sie aufmerksam geworden und brachte am 11. August 1322 eine sieben Punkte umfassende Anklageschrift gegen sie vor. Jacoba Felicie wurde angeklagt, in und um Paris zahlreiche Personen medizinisch versorgt zu haben, ohne jemals vorher von einer medizinischen Fakultät approbiert worden zu sein (non fuerit approbata in aliquo studio solemni Parisius et alibi). Dabei habe sie sich angemaßt, ihre PatientInnen ad modum phisicorum et medicorum (nach der Art der universitär ausgebildeten Ärzte) zu behandeln: Es seien von ihr zur Krankheitsdiagnostik nicht nur die Harnschau vorgenommen (urinas [...] videndo) und der Puls gemessen (palpando pulsum), sondern auch die Körper der PatientInnen abgetastet (corpus tangendo et tenendo) worden. Schließlich habe sie Medikamente verschrieben, um so die unterschiedlichen Krankheiten zu therapieren. 

Bei den genannten Punkten handelt es sich um die Hauptanklagepunkte, die die Fakultät gegen Jacoba vorbrachte. Das Hauptvergehen sahen die Ärzte der Fakultät vor allem darin, dass sie ihre PatientInnen so behandelte, wie akademisch ausgebildete Doktoren dies taten, ohne je selbst eine akademische Ausbildung durchlaufen zu haben. Bemerkenswert ist, dass ihr nicht etwa vorgeworfen wurde, über mangelndes medizinisches Fachwissen zu verfügen – ein Vorwurf, der in juristischen Verfahren gegen Frauen sonst üblich war. 

Die Doktoren brachte noch weitere Anklagepunkte gegen Jacoba vor. So solle sie bereits vor der eigentlichen medizinischen Behandlung entlohnt worden sein und damit gegen die gängige ärztliche Praxis verstoßen haben. Zudem macht die Anklageschrift deutlich, dass im Vorfeld des juristischen Verfahrens bereits Warnungen ausgesprochen wurden, mit denen die Fakultät versuchte, das heilkundliche Tun Jacobas zu unterbinden. So habe sie vorausgegangene Warnungen (monitione et inhibitione sibi factis), die Androhung der Exkommunikation (pena excommunicationus) sowie eine Strafzahlung von 60 Pariser Pfund missachtet und ungeachtet dessen ihre medizinischen Tätigkeiten einfach fortgesetzt.

Nachdem die Anklageschrift vorgebracht worden war, wurden insgesamt acht ZeugInnen, von denen die meisten zuvor von Jacoba medizinisch behandelt worden waren, befragt. Clementia de Belvaco sagte zu ihrer Behandlung aus: Zuerst habe Jacoba die Harnschau vorgenommen, ihren Puls gefühlt und dann einen Heiltrank aus pluribus herbis (mehreren Kräutern) hergestellt. Auch eine Patientin namens Johanna wurde im Verfahren vernommen. Sie habe sich während einer fieberhaften Erkrankung an Jacoba gewandt und um ihre Hilfe gebeten. Vor ihr hätten schon andere Ärzte versucht, sie zu heilen, aber diese Versuche seien alle gescheitert. Jacoba habe daraufhin ihren Urin untersucht, den Puls gefühlt, ihr ein Wasser-Sirup-Gemisch gereicht und sie aufgefordert, die Toilette aufzusuchen. In kurzer Zeit sei sie genesen. Danach gefragt, ob sie noch von anderen PatientInnen wisse, antwortete sie, dass sie zwar keine anderen Besuche von Jacoba bei Kranken gesehen, aber davon gehört habe, dass andere erkrankte Menschen in und um Paris von ihr geheilt werden konnten (alios quos non novit in civitate Parisius et in villa ac in suburbiis). Interessant ist die Aussage Johannas, dass Jacoba keinerlei Entlohnung für ihre medizinischen Tätigkeiten verlangt habe (nunquam aliquid tradidit pro sanando eandem), während die Pariser Fakultät als Anklagepunkt vorgebracht hatte, dass sie bereits vor der eigentlichen Behandlung Geld gefordert hätte. 

Jacoba behandelte in Paris jedoch nicht nur Frauen, sondern auch Männer: Johannes Faber, der wegen Kopf- und Ohrenschmerzen behandelt worden war, sagte im Verfahren aus, Jacoba habe ihm nach der Krankheitsdiagnostik mehrere Heiltränke, una erat viridis et secunda et tertia clariores (einen grünen und zwei helle/klare), verordnet. Ein anderer ehemaliger Patient, Odo de Cormessiaco, gab an, dass er sich zunächst an alii magistri in medicina (andere Ärzte) gewandt habe. Diese hätten ihn aber alle nicht von seinen Leiden befreien können. Daraufhin habe er Jacoba Felicie um medizinische Hilfe gebeten und sei von seiner Krankheit geheilt worden. Er schließt seine Zeugenaussage mit einem eindeutigen Lob auf Jacoba: ipsa est sapientior in arte cirurgia et medicine quam magister medicus et cirurgicus qui sit Parisius (Auf den Gebieten der Medizin und der Chirurgie ist sie verständiger als die Ärzte und Chirurgen in Paris). Insgesamt bekräftigten alle ehemaligen PatientInnen in ihren Aussagen die Anwendung der Behandlungsverfahren, die von der Pariser Fakultät gegen Jacoba vorgebracht wurden. Daneben lobten sie immer wieder ihr heilkundliches Vorgehen und verneinten, bereits vor der Behandlung eine Entlohnung verrichtet zu haben.

Als Jacoba sich nach den Zeugenbefragungen am 2. November 1322 selbst zu den Vorwürfen äußerte, verteidigte sie sich aus der Position einer Medizinexpertin heraus. Sie sagte aus, dass sie nachvollziehen könne, dass die Pariser Fakultät mit Warnungen und der Androhung der Exkommunikation vorgehe. So sei dies die einzige Möglichkeit, um contra ydiotas et fautos ignaros, insipientes artem medicinalem (gegen Ungebildete, unkundige Narren und auf dem Gebiet der Medizin Unwissende) vorzugehen. Jacoba selbst bezeichnete sich jedoch als eine in arte medicine experta (Expertin der Medizin) und machte damit deutlich, dass sie sich nicht zu der vorgenannten Gruppe zählen würde. Deswegen seien die Beschuldigungen gegen sie nichtig. Daneben argumentierte Jacoba, insbesondere in Bezug auf die medizinische Behandlung von Frauen durch männliche Ärzte, mit der Moral: Es sei besser, wenn eine medizinisch erfahrene Frau erkrankte Frauen besuche, untersuche und nach den ‚Geheimnissen‘ des weiblichen Körpers (secreta nature et abscondita ejus) forsche. Denn aufgrund zahlreicher Vorbehalte gegenüber männlichen Ärzten, könne und dürfe es Männern nicht gestattet werden, die Krankheiten der Frauen zu erforschen bzw. noch weniger die Hände, Brüste sowie Bauch und Füße der Frauen (nec palpare manus, mammas, ventrem et pedes) zu berühren. Ein Mann solle die mulierum secreta soweit wie möglich meiden, da einige Frauen lieber sterben würden, als ihre Krankheiten einem Mann anzuvertrauen (quam secreta infirmitatis sue homini revelare). Würde man ihr jedoch verbieten, weiter zu praktizieren, müssten und würden die zahlreichen Frauen, die sich nicht von Männern behandeln lassen wollten, unwillentlich sterben (non voluerint quod morerentur).

Für ihre Verteidigung zog Jacoba auch einen Vergleich zwischen den medizinischen Heilerfolgen der akademischen Ärzte und ihren eigenen heran. Sie habe viele schwer erkrankte Personen beiderlei Geschlechts aufgesucht, die vorher schon von plurimorum magistrotum in arte medicine expertorum (vielen Meistern auf dem Gebiet der Medizin) behandelt worden waren. Während die Therapien der akademischen Ärzte jedoch alle fehlschlugen, habe sie häufig in kurzer Zeit mit ihrer medizinischen Behandlung helfen können.

Noch am selben Tag antwortete die Pariser Fakultät auf die Verteidigung Jacobas und verkündete das Urteil. Im Urteilsspruch wird von der Fakultät bei der Bewertung des Falls eine Parallele zur Jurisprudenz gezogen. Da in jure ne mulier possit esse advocatrix et testis in causa criminali (im Rechtswesen keine Frau als Richterin oder Anwältin tätig sein dürfe), könne dies auch in der Medizin nicht erlaubt werden. Auffällig ist, dass hier von der Fakultät Jacobas Geschlecht als deutliches Exklusionskriterium angeführt wird. Erstaunlich ist zudem, dass die Pariser Fakultät nun im Urteil doch die medizinische Kompetenz Jacobas anzweifelte, die im gesamten Verfahren bisher nie infrage gestellt worden war. So wurde ihr nun zur Last gelegt, dass sie ignara artis medicine et non litterata (ungelernt in der Medizin und illiterat) sei. Aufgrund ihrer Illiteralität könne sie sich, entgegen der eigenen Angaben, kein medizinisches Wissen aus Büchern angeeignet haben und gebe nur vor, über solches zu verfügen. Hinter dem jetzt erst vorgebrachten Vorwurf der Illiteralität kann eine Verleumdungskampagne der Fakultät gegen Jacoba vermutet werden, denn im gesamten Prozess war dieser Vorwurf vorher nie erhoben worden. Die Pariser Fakultät verurteilte Jacoba schließlich zu einer Geldstrafe von 60 Pariser Pfund. Zudem wurde ihr verboten, zukünftig heilkundlich tätig zu sein und weil der Erzbischof das Praktizieren der Medizin ohne Erlaubnis als Todsünde (peccatum mortale) ansah, wurde Jacoba exkommuniziert.

Am juristischen Verfahren der Pariser Fakultät gegen Jacoba Felicie wird deutlich, wie sehr die akademisch ausgebildeten Ärzte im Mittelalter bestrebt waren, gegen nicht an den Universitäten ausgebildete HeilerInnen vorzugehen. Die Fakultäten taten alles dafür, um die gesamte medizinische Praxis unter ihrer Kontrolle zu behalten. Im Fall gegen Jacoba nutzten die Doktoren den Prozess, um die Fakultät als einen Ort zu inszenieren, an dem über heilkundliches Wissen sowie über medizinisch Praktizierende geurteilt wurde. Vor allem der Anklagepunkt der verfrühten Entlohnung zeigt, dass Jacoba von den Ärzten als ökonomische Konkurrentin wahrgenommen wurde, deren Tätigkeiten es schnellstmöglich einzudämmen galt.

Zum Weiterlesen:

  • Prozessakten: Denifle, Heinrich (Hg.): Chartularium Universitatis Parisiensis. Band 2, Sectio Prior 1286-1350, Paris 1891 (v.a. S. 255-262)
  • Schütte, Jana Madlen: Medizin im Konflikt. Fakultäten, Märkte und Experten in deutschen Universitätsstädten des 14. bis 16. Jahrhunderts (Education and Society in the Middle Ages and Renaissance 53), Leiden 2017 (v.a. S. 230-237).    
  • Green, Monica H.: Getting to the Source. The Case of Jacoba Felicie and the Impact of the Portable Medieval Reader on the Canon of Medieval Women's History, in: Medieval Feminist Forum 42 (2006), S. 49-62.

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