Sonntag, 16. September 2018

Dietrich Holzschuh oder das Warten auf den Friedenskaiser


Am 13. Dezember 1250 starb Friedrich II. (1194-1250), letzter römisch-deutscher Kaiser aus dem Adelsgeschlecht der Staufer, auf der Burg Castel Fiorentino bei Lucera in Italien. Nach dem Tod des umstrittenen Herrschers, der von päpstlicher Seite unter anderem als Ketzer und Antichrist geächtet worden war, während seine Anhänger in ihm einen herausragenden Herrscher und den zu erwartenden Messias gesehen hatten, gab es schon bald Gerüchte über eine mögliche Wiederkehr des Staufers. Mehrere Personen, die behaupteten, Friedrich II. zu sein, traten vor allem in den deutschsprachigen Gebieten in Erscheinung. Einer von ihnen war Dietrich Holzschuh, auch bekannt als Tile Kolup. Unser neuer Artikel beschäftigt sich mit der Geschichte des bekanntesten der „falschen Friedriche“ und versucht zu erklären, warum so viele an dem Tod Friedrichs zweifelten und in ihm den sogenannten Friedenskaiser zu erkennen glaubten. 

Friedrich II. mit seinem Falken. Aus seinem Buch De arte venandi cum avibus, Süditalien zwischen 1258 und 1266, Vatikanische Apostolische Bibliothek (Cod. Pal. Lat. 1071, fol. 1v.)  https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/d/db/Frederick_II_and_eagle.jpg

Friedrich II. war der Enkelsohn von Friedrich I. Barbarossa (um 1122-1190) und Sohn Kaiser Heinrichs VI. (1165-1197) und dessen Frau Konstanze von Sizilien (1154-1198). Seit 1198 war er König von Sizilien, seit 1212 römisch-deutscher König und schließlich von 1220 bis zu seinem Tod römisch-deutscher Kaiser. Die Jahre seiner Herrschaft, die er hauptsächlich in Italien verbrachte, kennzeichnen verschiedene Ereignisse: So beendete er 1215 den seit 1198 andauernden Thronstreit zwischen Staufern und Welfen zu seinen Gunsten und es gelang ihm, sein Nord- und Südreich miteinander zu vereinigen. Aus einer Vielzahl von Konflikten mit dem Papsttum resultierte 1227 seine Exkommunikation durch Papst Gregor IX., welche jedoch 1230 wieder aufgehoben wurde. Im Jahr 1239 spitzten sich die Konflikte zwischen dem weltlichen und dem geistlichen Herrscher jedoch erneut zu und Friedrich II. wurde 1245 unter Papst Innozenz IV. auf dem Konzil von Lyon als Kaiser für abgesetzt erklärt und erneut exkommuniziert. Im römisch-deutschen Reich wurden daraufhin Gegenkönige gewählt und Friedrich II. geriet mehr und mehr in Bedrängnis.

Als Friedrich schließlich im Dezember 1250 vermutlich an Typhus starb, folgten auf sein Ableben Berichte, die seinen Tod als den eines Ketzers schilderten, der vergiftet worden war, qualvoll verstarb und als gottloser Mensch einen stinkenden Leichnam zurückließ. Im Februar 1251 wurde er in der Kathedrale von Palermo beigesetzt. Die vor seinem Tod bereits weit verbreitete Endzeitstimmung im Angesicht der politischen und religiösen Krisen der Zeit sollte auch nach dem Tod Friedrichs zunächst weiterhin Bestand haben. Denn an seine Herrschaft schloss sich das sogenannte Interregnum (Zwischenherrschaft) an, das erst 1273 mit der Wahl Rudolfs von Habsburg (1218-1291) zum römisch-deutschem König enden sollte.

Während Friedrichs Herrschaft von vielen seiner Zeitgenossen und vor allem von Vertretern des Papsttums äußerst negativ bewertet wurde, setzte unmittelbar nach seinem Tod gleichzeitig eine Form der Mythifizierung seiner Kaiserzeit ein. Der englische Chronist Matthäus Paris bezeichnete Friedrich in seinem 1251 oder 1252 verfassten Nachruf gar als principum mundi maximus, also als den Größten unter den Fürsten der Erde, sowie als Staunen der Welt und deren wunderbaren Verwandler (stuporquoque mundi et immutator mirabilis). Aus dieser Bewertung heraus gewannen die bereits existierenden Friedenskaiser-Vorstellungen neues Gewicht und in Friedrich II. wurde schon bald ein potentieller Kandidat für die Erfüllung dieses Szenarios gesehen.

Bei dem sogenannten Friedenskaiser handelte es sich um die vor allem im Mittelalter weit verbreitete Vorstellung einer apokalyptischen Herrschergestalt, die messiasartig das Ende der Welt vorbereiten werde. Spuren dieser Vermutung finden sich beispielsweise schon in der aus dem 10. Jahrhundert stammenden Schrift De ortu et tempore Antichristi des Theologen und Gelehrten Adso von Montier-en-Der. So würde der Friedenskaiser zunächst dafür sorgen, dass die Herrschaft des Heiligen Römischen Reiches über die ganze Welt ausgedehnt werde. In diesem Prozess sollten alle Heiden zum Christentum bekehrt werden. Anschließend würde er sich nach Jerusalem begeben, um dort die Insignien seiner Herrschaft am Ölberg niederzulegen. Der Verzicht auf die Regierungsgewalt und das daraus resultierende Ende des Heiligen Römischen Reiches würde die schreckensvolle Herrschaft des Antichristen einläuten, bevor diese wiederum durch das Weltgericht Gottes beendet würde. Der Inhalt dieser Sage war vielen bekannt, zeitlich und regional wies sie jedoch einige Varianten auf. Außerdem konnte sie durchaus mit verschiedenen Herrschern verknüpft werden. Auch in Karl dem Großen (747/48-814) und seit dem 16. Jahrhundert vor allem in Friedrich I. Barbarossa wurde der Friedenskaiser teilweise gesehen. Im süddeutschen Raum war der Glaube verbreitet, dass der zu erwartende Friedenskaiser den Namen Friedrich tragen werde. Der Name Friedrich bedeute schließlich schon der ‚Friedensreiche‘. Im Spätmittelalter lässt sich ein weiterer Wandel in der Vorstellung vom Friedenskaiser ausmachen. Nun sollte der Friedensbringer nicht mehr aus der Reihe verstorbener Könige wiederkehren, sondern vielmehr aus dem Volk stammen. 

Neuzeitliche Darstellung von Dietrich Holzschuh, undatiert.
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/5/55/Tile_kolup-1-.gif

Von dieser Auffassung profitierte zunächst auch Dietrich Holzschuh. Weder sein Geburtsjahr, seine Herkunft noch Ereignisse aus seinen frühen Lebensjahren sind bekannt. Erstmals trat er 1283 oder 1284 in Köln in Erscheinung, wo er sich zunächst heimlich und dann in größerer Öffentlichkeit als wiedergekehrter und in Wirklichkeit gar nicht verstorbener Friedrich II. ausgab. In Köln glaubte man ihm jedoch nicht, vielmehr verspottete ihn die Bevölkerung, nahm ihn gefangen, tauchte ihn in eine Kloake und vertrieb ihn letztlich unter Jubel aus der Stadt. Der selbst ernannte rex Fridericus zog daraufhin nach Neuss, wo er seine Rolle weiterspielte und zunehmend professionalisierte. Beispielsweise erklärte er seine mehr als dreißigjährige Abwesenheit – von 1250 dem vermeintlichen Todesjahr bis 1284 – damit, dass er eine sehr lange Pilgerreise unternommen habe. Außerdem verfügte er mittlerweile über ein gefälschtes Siegel, mit dem er im Namen Friedrichs Urkunden ausstellte. Auch Privilegien vergab er. Bis heute ist unklar, wie er seinen Lebenswandel in Neuss finanzierte, aber es gelang ihm, eine Art von eigener Hofhaltung aufzubauen. Hohe Adelige, Bischöfe und Fürsten besuchten ihn in regelmäßigen Abständen und es kann vermutet werden, dass diese zumindest nicht ausschlossen, dass Dietrich Holzschuh tatsächlich der wiedergekehrte Friedrich II. sein könnte. Vielleicht wollten sie es aber im Angesicht der Politik des rechtmäßigen Königs Rudolf von Habsburg auch gerne glauben, da seine Politik zunächst auf wenig positive Resonanz stieß und Rudolf vor allem von den Städten hohe Steuersummen forderte. Dietrich Holzschuhs Hochstapelei funktionierte unter diesen Umständen über ein Jahr. Als jedoch Rudolf von Habsburg Neuss belagerte und die politischen Unruhen dort zunahmen, floh Holzschuh im Sommer 1285 nach Wetzlar. Der Flucht vorausgegangen war zudem die Forderung Rudolfs, den Hochstapler auszuliefern. In Wetzlar wollten sich die dortigen Einwohner jedoch nicht schützend vor Holzschuh stellen, weshalb sie ihn schließlich an den König und den Erzbischof von Köln, dem Neuss unterstand, auslieferten. Rudolf ließ Holzschuh am 07. Juli 1285 in Wetzlar als Ketzer und Hochstapler verbrennen. 

Zwar handelt es sich bei Dietrich Holzschuh um den bekanntesten der falschen Friedriche, der einzige war er aber in einer Zeit vieler Krisen bei weitem nicht. Bereits 1257 wurden in Italien Wetten abgeschlossen, dass Friedrich II. gar nicht tot sei. 1261 gab sich ein Mann in Sizilien als der verstorbene Kaiser aus und wurde dafür gehängt. Gleichzeitig zu Holzschuh behauptete ein Mann namens Heinrich im Elsass ebenfalls der lang erwartete Friedenskaiser zu sein. In der Bevölkerung lebte der Glauben an den Friedenskaiser und die Aussicht auf Rettung lange weiter. Noch 1546 gab ein Mann in Thüringen am Kyffhäuserberg vor, der letzte Staufer zu sein. Danach enden die Berichte, wodurch auch die Erinnerung an Friedrich II. nachließ.

Zum Weiterlesen:
Houben, Hubert: Kaiser Friedrich II. (1194-1250). Herrscher, Mensch, Mythos, Stuttgart u. a. 2008.
Möhring, Hannes: Der Weltkaiser der Endzeit. Entstehung, Wandel und Wirkung einer tausendjährigen Weissagung, Stuttgart 2000.
Thomsen, Marcus: „Ein feuriger Herr des Anfangs …“. Kaiser Friedrich II. in der Auffassung der Nachwelt, Stuttgart 2005.

1 Kommentar:

  1. Über die Geschichte der falschen Friedriche und den Friedenskaiser hat Zeitsprung FM auch eine sehr hörenswerte Podcast-Episode gemacht. Ich verlinke die einfach mal :)

    https://www.zeitsprung.fm/podcast/zs148/

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