Sonntag, 22. Juni 2014

Wilhelm der Eroberer und der Beginn des englischen Mittelalters

Während das Mittelalter bei uns grob auf die Jahre 500 bis 1500 datiert wird und genaue Zeitpunkte des Beginns und des Endes weiterhin Diskussionen ausgesetzt sind bzw. verschiedene Ereignisse als Randpunkte interpretiert werden, ist die Datierung des englischen Mittelalters in der Forschung an zwei feste Ereignisse gebunden: Das englische Mittelalter begann 1066 mit der Eroberung Englands und der Inthronisation des Normannen Wilhelm I. der Eroberer und endete 1485 mit dem Beginn der Tudor-Dynastie. Wie der Titel dieses Artikels verrät, steht hier der Beginn des englischen Mittelalters und damit verbunden die normannische Landnahme durch Wilhelm I. im Mittelpunkt. 

Das englische Mittelalter genießt noch heute einen anderen Stellenwert in England als das Mittelalter in Deutschland: Die großen Fernsehstationen beispielsweise produzieren Dokumentationen, die zur besten Sendezeit ausgestrahlt werden. Und auch wenn Wilhelm der Eroberer einigen Menschen in Deutschland ein Begriff sein wird, sind vielen dennoch nicht die Umstände bekannt, wie Wilhelm erster anglo-normannischer König Englands wurde und was dieses einschneidende Ereignis für Konsequenzen im bisherigen angelsächsischen England nach sich zog. Selbst an deutschen Universitäten ist die englische Geschichte – gerade die der angelsächsischen Zeit (597-1066) und des englischen Mittelalters – eine zu selten behandelte Thematik.

Dabei ist die Quellenlage zu Wilhelm dem Eroberer und der normannischen Eroberung außergewöhnlich gut, vielfältig und höchst interessant. Das Besondere an der Quellenlage zu diesem Ereignis ist, dass es Quellen von beiden „Seiten“ gibt: der angelsächsischen und der normannischen Seite. Die Angelsachsen waren, kurz gefasst, ein Volk aus Sachsen und Angeln, das ab ungefähr der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts zunächst langsam, dann ab Beginn des 5. Jahrhunderts vermehrt die britische Insel besiedelte. Die Normannen stammten aus dem noch heute so lautenden Gebiet Frankreichs, der Normandie. Aus ebendieser Normandie stammte der spätere König Englands, Wilhelm I. der Eroberer. Aber auch schon sein Vorgänger Eduard I. hatte seine Jugend in der Normandie verbracht und wurde durch diese geprägt, da seine Mutter die Normannenprinzessin Emma gewesen war. 


Der „Teppich von Bayeux“ ist eine der vielleicht schönsten Quellen des Mittelalters und zeigt die normannischen-angelsächsischen Beziehungen von 1046 bis 1066 und verbildlicht zusätzlich den Weg zur normannischen Landnahme. Die letzte Abbildung zeigt die Flucht des englischen Heeres vor Wilhelms Heer. Er ist trotz der Namensgebung kein wirklicher Teppich, sondern eine Stickerei mit Wollfäden in acht Farben, die ungefähr 70 m lang und 50 cm breit ist und aus Leinenband besteht. Seit 1476 befindet sich der Teppich in Bayeux, einer kleineren Gemeinde in der Normandie, und wird auch heute noch dort ausgestellt. Leider wurde entweder ein Teil des Teppichs zerstört oder aber einfach nicht fertiggestellt, denn das Ende fehlt. Entstanden ist der Teppich in Canterbury nach der Schlacht bei Hastings (14.10.1066). Wer der Auftraggeber des Teppichs war, ist und bleibt umstritten: Wilhelms Frau Mathilde, sein Halbbruder und Bischof von Bayeux Odo und Edith, die Frau des vorherigen Königs Eduard, sind als Auftraggeber möglich, aber letztlich nicht nachzuweisen.

Mit dem Tod König Eduards 1066 brach in England ein Nachfolgestreit um die Krone aus, denn Eduard starb kinderlos. Sein einziger Verwandter war Edgar Etheling, ein Urenkel des ehemaligen Königs Ethelred, der, obwohl Kinderregentschaften im Mittelalter nicht selten waren, mit 11 Jahren als Nachfolger zunächst nicht infrage kam, aber dennoch Anspruch auf den Thron hatte.
Die folgenden Ausführungen werden von mehreren Männern bestimmt:
  • Edgar Etheling
  • Svein Esthrithson, König von Dänemark
  • Harold Godwinson, mächtigster Mann im Reich und Bruder der Königin Edith, König Eduards Frau
  • Wilhelm, Herzog der Normandie und Cousin des Königs Eduard mütterlicherseits
  • Harald Hardrada, König von Norwegen und entfernter Verwandter des Königs
Diese Personen meldeten Anspruch auf die Nachfolge, obwohl sie mal mehr, mal weniger legitimiert dazu waren. Wie bereits erwähnt, war Edgar Etheling zu jung für die Nachfolge und schied zunächst aus; Svein Esthritson wurde von Harald Hardrada besiegt und flüchtete. Es blieben also noch Wilhelm, Harold und Harald.

Harold Godwinson war zu um 1066 der mächtigste Mann in England und kam somit der Macht des Königs sehr nahe. Harolds Legitimation zur Königsherrschaft basierte im wesentlichen auf dieser Machtfülle, die er zunächst von seinem Vater Godwin, der bereits zu seiner Zeit einer der ranghöchsten Adligen in ganz England war, verliehen bekam und später weiterausbaute. Als Earl von Ostanglia, Wessex und Herefordshire war er der reichste und größte Großgrundbesitzer Englands neben König Eduard und alleine dadurch berechtigt, die Thronnachfolge für sich zu beanspruchen. Des Weiteren wurde die Stellung von Godwins Familie durch die Heirat Harolds Schwester Edith mit König Eduard gestärkt. Dadurch war Harold der Schwager König Eduards. Zusätzlich war er über seine Mutter Gytha auch mit dem ehemaligen angelsächsischen König Knut entfernt verwandt und somit ein legitimer Nachfolger des Königs. Aufgrund dieser Machtstellung, aber auch durch das angebliche Versprechen Eduards am Sterbebett, dass Harold sein Nachfolger werden sollte (nur angelsächsische Quellen berichten darüber) ernannte ihn das witenagemot, eine Versammlung von Feudalherren und kirchlichen Würdenträgern, nur einen Tag nach dem Tode Eduards am 06. Januar 1066 zum neuen König.


(Eduards Tod und Harolds Krönung)

Wilhelm war Herzog der Normandie und ein Cousin mütterlicherseits von Eduard. Auch er soll das Versprechen von Eduard erhalten haben, dass er sein Nachfolger werden sollte. Dies geschah allerdings schon 1051, als Eduard von Wilhelm in der Normandie aufgenommen und beschützt worden war. Eine spätere Bestätigung des Versprechens wurde von einer normannischen Quelle dokumentiert.
Nachdem Harold zum König gekrönt worden war, musste er sich gegen die anderen Thronprätendenten auf den Thron zur Wehr setzen. Er besiegte im Norden an der Stamford-Bridge zunächst Harald Hardrada am 25. September 1066. Harold, der eigentlich zuerst die Ankunft Wilhelms im Süden erwartet hatte, zog nach der Schlacht an der Stamford-Bridge mit seinem durch die Schlacht erschöpften und dezimierten Heer (auch musste er einen Teil seines Heeres aufgrund der Ernte ziehen lassen) nach Süden und zog am 14. Oktober 1066 direkt gegen Wilhelm, obwohl er andere Möglichkeiten gehabt hätte. Er hätte beispielsweise seine Kräfte zunächst in London sammeln und neue Truppen in seinem Heer aufnehmen können. Dies tat er jedoch nicht und war letztlich wohl einer der Gründe, warum die Schlacht verloren ging.

(Wilhelm fährt mit seiner Flotte nach England)
In der berühmten Schlacht von Hastings (14. Oktober 1066) besiegte und tötete Wilhelm Harold Godwinson und dessen Bruder. Der Tod Harolds war der Wendepunkt: Hätte er überlebt, hätte er seine Kräfte sammeln und den Widerstand gegen Wilhelm erneuern können. So starb mit Harold der mächtigste Widersacher Wilhelms.

(Normannen gegen das englische Heer)
(Der Tod Harolds)
Neben der Erschöpfung und Dezimierung des Heeres führte auch die Ausstattung desselben zur Niederlage Harolds. Auf beiden Seiten standen insgesamt nicht mehr als 7000 Kämpfer, wobei Wilhelms Heer jedoch mehr Reiter und Ritter besaß. Ein weiterer elementarer Vorteil war der Einsatz von Steigbügeln in Wilhelms Heer, wodurch die Reiter besser zu Pferd kämpfen konnten. 

Aufgrund seines Erfolges in den Schlachten und des Umstands, dass er mittlerweile einziger Thronprätendent war, wurde Wilhelm der Eroberer am Weihnachtstag 1066 zum neuen König Englands gekrönt.

Um zum Ausgangspunkt zurückzukommen: Warum beginnt also gerade hier das englische Mittelalter? Dies lässt sich zum einen damit erklären, dass mit Wilhelm nun erstmals ein Normanne englischer König wurde. Zum anderen ist die pro-normannische Politik Wilhelms im angelsächsischen England ein immenser Einschnitt. Obwohl auch schon Eduard durchaus pro-normannisch eingestellt gewesen war und den Normannen einige Vorteile in England beschert hatte, führte Wilhelm diese Politik viel weiter. Er sah das eroberte Land als Kriegsbeute an, nahm den angelsächsischen Adeligen den Grundbesitz und gab diesen Grundbesitz als Lehen den Normannen. Die Angelsachsen, nach denen die Jahre 597-1066 benannt worden waren (Anglo-Saxon England), wurden entmachtet, die militärische und politische Elite in der Schlacht bei Hastings fast vollkommen ausgelöscht und das angelsächsische England durch die normannische Politik quasi „abgelöst“.

Ein herzlicher Dank geht an die Besitzer der Seite /www.croionberga.de für die tollen Bilder des Teppichs von Bayeux.


Quellen:

Die angelsächsische Chronik (angelsächsisch)

Vita Edwardi Regis (angelsächsisch)

Der Teppich von Bayeux (normannisch)

Gesta Normannorum Ducum (normannisch)
Gesta Guillelmi Ducis Normannorum et Regis Anglorum (normannisch)
Carmen de Hastingae Proelio (normannisch)

Literaturhinweise:
DOUGLAS, David Charles, Wilhelm der Eroberer. Herzog der Normandie, München 2004.
GABLE, Rebecca, Von Ratlosen und Löwenherzen: Eine kurzweilige, aber nützliche Geschichte des englischen Mittelalters, Köln ²2012.
GRAPE, Wolfgang, Der Teppich von Bayeux. Triumphdenkmal der Normannen, Frankfurt am Main 1994.
KRIEGER, Karl-Friedrich, Geschichte Englands. Von den Anfängen bis zum 15. Jahrhundert, München ³2002.
<http://www.croionberga.de/sonstiges/sonstiges-teppich-von-bayeux.htm>, 2014-06-21.
NEWTON, David, The Animated Bayeux Tapestry, <http://www.youtube.com/watch?v=LtGoBZ4D4_E>, 2014-06-21.
 

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