Als der Straßburger Drucker Johann Grüninger im Juli 1497 eine Inkunabel mit dem Titel Dis ist das buch der Cirurgia. Hantwirckung der wundartzny herausgab, war damit das erste gedruckte Chirurgiebuch in deutscher Sprache erhältlich geworden. Zudem beinhaltet die vom Straßburger Wundarzt Hieronymus Brunschwig verfasste Inkunabel fast 50 ganzseitige und zahlreiche kleinere Abbildungen, die es zum ersten so vielfältig illustrierten Medizinbuch machten. In unserem heutigen kurz!-Artikel soll nicht nur diese spätmittelalterliche Hantwirckung der wundartzny, sondern auch ihr Straßburger Verfasser im Mittelpunkt stehen.
Titelblatt der Cirurgia Brunschwigs mit der Darstellung eines 'Wundenmanns' https://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/b/b3/Brunschwig_1497.jpg |
Hieronymus Brunschwig wurde vor 1450 im elsässischen Straßburg geboren. Schon mit zehn Jahren soll er sein Interesse für die Medizin entdeckt haben, dem er auch in seinen folgenden Lebensjahren weiter nachging. Gerade die zum Heiligen Römischen Reich gehörende Stadt Straßburg bot in medizingeschichtlicher Hinsicht für dieses Interesse einen guten Ausgangspunkt: Aufgrund der geographischen Nähe zu Frankreich und dem von dort ausgehenden weitreichenden Einfluss der medizinischen Fakultäten der Universitäten (besonders Montpellier), waren die medizinischen Kenntnisse der Wundärzte hier überdurchschnittlich gut. Am Ende des 15. Jahrhunderts etablierte sich hier sogar eine eigene Gruppe von Chirurgen, die, obwohl Straßburg keine eigene Universität hatte, der akademischen Lehre sehr nah stand. So verwundert es nicht, dass die Straßburger Chirurgen etwa eigene Ausbildungsvorgaben für Chirurgieanwärter festlegten: Diese mussten nach einer dreijährigen Arbeitszeit bei ihrem Meister weitere fünf Jahre als Assistent arbeiten, um zu einer Prüfung beim Stadtchirurgen zugelassen zu werden. Selbst nach bestandener Prüfung musste der Anwärter dann weitere zwei Jahre als Geselle arbeiten, um schließlich nach einer insgesamt 10-jährigen Ausbildung selbständig als Wundarzt bzw. Chirurg tätig sein zu dürfen. Hieronymus Brunschwig selbst studierte in Bologna, Padua und Paris Medizin. Zudem ist überliefert, dass er von vil herfarnden arztzten gelernet hat. Dies lässt vermuten, dass er in Straßburg immer wieder auf schon praktizierende Wundärzte traf und von diesen das Handwerk (Hantwirckung) der Chirurgie zu erlernte. Daneben ist aus seinen eigenen Aufzeichnungen bekannt, dass er umherreiste, um von bereits praktizierenden Ärzten und Chirurgen weitere Fähigkeiten zu erlernen. So reiste er etwa durch das Heilige Römische Reich und war unter anderem in Würzburg und Koblenz tätig. 1473 kehrte er nach Straßburg zurück. Als dort zur gleichen Zeit die Pest ausbrach, bemühte er sich trotz unmenschlicher Bedingungen um die medizinische Versorgung von Pestkranken. Brunschwig selbst bezeichnete sich Zeit seines Lebens als wundartzet der keyserlichen fryen stat straßburg, was belegt, dass er dort vor allem als Chirurg tätig war. Daneben begann und beendete er in Straßburg auch die Arbeit an seiner Cirurgia bzw. Hantwirckung der wundartzny.
Innerhalb seiner Cirurgia erscheint der Verfasser Brunschwig im ersten Teil nicht nur als Chirurg, sondern auch als Medizinpädagoge. Immer wieder betont er die Grundlagen der Karriere eines Chirurgen, hebt die Wichtigkeit guter Charaktereigenschaften hervor und nennt natürliche Qualifikationen, die ein angehender Wundarzt erfüllen müsse: So brauche der Cirurgicus […] eins sittigen temperierten gemütz und dürfe nit zuo gehe (ungestüm) noch zuo schnell in sinen wercken sein. Daneben seien auch ein scharpf gesicht suptile glider wol geformiert vnd klein lange finger eine unbedingte körperliche Voraussetzung. Vom Charakter müsse der Cirurgicus stets warhafftig vnd vffrichtig mit tugentlichen sitten vnd geberden sein und dürfe weder als winschluch oder ein Ebrecher auftreten. Anstand, Ehrlichkeit und Bescheidenheit versteht Brunschwig als die Grundtugenden eines Wundarztes, dem es nicht zustehe, etwas zü ton vmme gelz willen das vnmüglich oder nit wol gesin mag. Daneben dürfe der angehende Chirurg seine Fähigkeiten auch nicht überschätzen. Vielmehr sei es seine Pflicht, sich Unkenntnis frühzeitig einzugestehen und einen andern oder zweiten guotten wunt artzeten zur Hilfe herbeizurufen. Bei der Beratung mit einem anderen Cirurgicus dürfe aber vor dem siechen (der Kranke/Patient) keinerlei zwietracht entstehen, da do von dem siechen groszer schreck vff erstat. Nur durch solches Verhalten ergebe sich für den Wundarzt groszer nutz vnd ere.
Nach den einleitenden Worten zu den Aufgaben und Pflichten eines Chirurgen widmet sich Brunschwig in sieben Traktaten, die wiederum durch Unterkapitel gegliedert sind, verschiedenen Fachbereichen der Chirurgie. So werden im ersten Traktat nicht nur Klassifikationen von verschiedenen Arten von Wunden gegeben und verschiedene Behandlungs- und Operationsmöglichkeiten überblicksartig dargestellt, sondern auch chirurgische Instrumente aufgezählt und deren Funktion erläutert. In mehreren Kapiteln des zweiten Traktats bemüht sich der Straßburger Wundarzt darum, für die unterschiedlichsten Arten von Verletzungen und Wunden Behandlungsmöglichkeiten in leicht verständlicher Sprache anzugeben und bietet eine Einführung in die Basispraktiken der Chirurgie. Während kleine Wunden durch die hut bisz vff das fleisch mit Pflastern geheilt werden könnten, bräuchten größere und tiefere Wunden durch das fleisch bisz wff das gebein eine aufwändigere Behandlung. Der Verfasser schlägt hier das Vernähen der Wunden vor: So werd die wund gehefftet also dz du fügest die lefftzen (Hautschichten) oder oeberteil der wunden zuo samen. Dabei müsse der Chirurg darauf achten, dass keinerlei wuost oder vnreinikeit von stoub in die zu vernähende Wunde gelange. Auch für verletzte Blutgefäße, Sehnen und Nerven werden Behandlungsmöglichkeiten angeführt. Zudem thematisiert Brunschwig in diesem Zusammenhang die unterschiedlichen Arten des Aderlasses. Einen breiten Raum nehmen im zweiten Traktat der Cirurgia auch Ausführungen zur Versorgung mechanischer Wunden ein. Brunschwig gibt dabei Ratschläge zur Behandlung von Verletzungen durch Schläge, Quetschungen oder Prellungen, gibt Anweisungen zum richtigen Umgang mit durch etwa scharfe Gegenstände verletzten Knochen und führt Möglichkeiten der Behandlung von Messerstichen auf. Daneben gibt es im zweiten Traktat auch Kapitel, die sich mit der usziehung der pfil büchsen klotz oder wz in des menschen lichnam lit beschäftigen. Im Vordergrund steht hier das Entfernen von Fremdkörpern wie Pfeilen, Kugeln und anderen Gegenständen. In diesem Zusammenhang wird auch der Umgang mit einem Patienten, der geschossen ist mit einem […] vergiftenn pfil, erläutert.
Die folgenden Traktate drei bis sechs bauen dann direkt auf das in den ersten beiden Traktaten vermittelte allgemeine Wissen über Chirurgie, Verletzungen und wundärztliche Behandlungsmöglichkeiten auf. Der Straßburger Wundarzt behandelt hier Spezialfälle der in den ersten beiden Traktaten angesprochenen Wunden, die er nach der Systematik a capite ad calcem – vom Scheitel bis zur Sohle – anordnet: Zunächst steht die Versorgung von wunden des houbtes im Vordergrund. Hier geht Brunschwig beispielsweise sowohl auf die einfeltigen wunden on verlierung der substantz vnd brechung der hirn schaln, als auch auf die Verletzungen mit schlegen vnd zerknytschung vnd quetschung der hirn schalen ein. Es folgen Ausführungen zu etwa den wunden der ougen, wunden in der nasen, wunden im elenbogen, wunden in der brust und den wunden des buchs vnd gederm. Auch die heilung aller beinbruch, die bruchen des schulter beins und die Versorgung der verruckung der rip werden hier angesprochen. Mit dem siebten Traktat – ein Traktat, das als Antidotar bezeichnet werden kann, weil hier Rezepte und Zubereitungsverfahren für Salben, Tränke und andere Heilmittel, die innerhalb der vorangegangenen Traktate angesprochen wurden, aufgelistet sind – endet die Cirurgia.
Bei allen seinen medizinisch-chirurgischen Ausführungen bemüht Brunschwig sich um eine einfache Sprache; von ihm verwendete Latinismen oder Gräzismen werden direkt in der Landessprache erklärt oder übersetzt, um den Lerneffekt zu steigern. Das zeigt, dass Brunschwig mit seiner Cirurgia neben angehenden Wundärzten und bereits praktizierenden Chirurgen primär auch die Personen ansprechen wollte, die diese Sprachen nicht beherrschten. Zudem war das Buch wohl auch für die Chirurgen gedacht, die weit entfernt von großen Städten wohnten und sich somit nicht so schnell mit Kollegen austauschen konnten. Das Buch sollte hier an die Stelle des nur schwer erreichbaren Kollegen treten. Die zahlreichen Holzschnitte der Cirurgia zeigen das Bemühen Brunschwigs um einen hohen Lerneffekt bei den Lesern: Die Illustrationen leiten entweder neue Kapitel ein oder unterstützen den dazugehörigen Text didaktisch. Bei den Ausführungen zum chirurgischen Instrumentarium erhöht etwa ein ganzseitiger Holzschnitt, auf dem alle erläuterten Instrumente aufgeführt sind, den Lerneffekt, während 'Wundenmänner' und der Holzschnitt mit der Darstellung eines menschlichen Skeletts zusätzlich zum Text Anatomiewissen veranschaulichen und vermitteln. Auch wenn die Illustrationen mit Chirurgen diese nie direkt bei einem chirurgischen Eingriff erscheinen lassen, zeigen die Bilder dennoch das zeitgenössische medizinische Milieu (Wundärzte, Apotheker, Patienten) und machen den angehenden Wundarzt so mit seiner Arbeitsumgebung vertraut.
Skelett-Holzschnitt aus der Cirurgia Hieronymus Brunschwigs https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/e/ee/Das_Buch_der_Cirurgia_des_Hieronymus_Brunschwig%2C_1497_Wellcome_M0014449.jpg?uselang=de |
Dass die Cirurgia nicht nur eine Sammlung eigener Kenntnisse und Erfahrungen Brunschwigs, sondern vor allem eine Sammlung des über Jahrhunderte bis in seine Gegenwart rezipierten medizinischen Wissens ist, zeigen die zahlreichen Authentizitätsbeweise, die immer wieder angebracht werden, um die Glaubwürdigkeit seiner Ausführungen zu belegen. Beinahe hundertmal bezieht er sich auf den griechischen Arzt Galenos von Pergamon und den persischen Arzt Avicenna. Auch andere berühmte Spitzenmediziner der Antike und des Früh- bzw. Hochmittelalters werden immer wieder zitiert, um die Richtigkeit des kompilierten Wissens herauszustellen – hierunter befinden sich etwa Hippokrates von Kos, Lanfrank von Mailand, Roger Frugardi oder Guy de Chauliac. Insgesamt schuf Brunschwig mit seiner Cirurgia nicht nur aufgrund der Verbindung von theoretischer Lehre, praktisch-chirurgischer Lehre und eigenen praktischen Erfahrungen in deutscher Sprache, sondern auch aufgrund der zahlreichen den Text unterstützenden Holzschnitte einen Meilenstein auf dem Gebiet der Medizingeschichte.
Nach der Cirurgia erschienen noch drei weitere Bücher mit medizinischem Schwerpunkt: 1500 lagen der Liber de arte distillandi de Simplicibus (Kleines Destillierbuch) und noch im selben Jahr die Pestschrift Liber pestilentialis de venenis epidemie gedruckt vor. Kurz vor seinem Tod wurde 1512 mit dem Liber de arte distillandi de compositis das Große Destillierbuch und damit das letzte Buch medizinischer Thematik Brunschwigs in Straßburg herausgegeben.
Zum Weiterlesen:
- Brunschwig, Hieronymus: Dis ist das buch der Cirurgia. hantwirckung der wundartzny von hieronimo brunschwig, hg. und mit einem Begleittext versehen von Gustav Klein, in: Das Buch der Cirurgia des Hieronymus Brunschwig. Strassburg. Johann Grüninger 1497 (Alte Meister der Medizin und Naturkunde in Facsimile-Ausgaben und Neudrucken nach Werken des 15.-18. Jahrhunderts), München 1911.
- Benati, Chiara: Dat Boek der Wundenartzstedye und der niederdeutsche chirurgische Fachwortschatz (Göppinger Arbeiten zur Germanistik 771), Göppingen 2012.
- Eis, Gerhard : Art. Brunschwig, Hieronymus, in: Neue Deutsche Biographie 2, Berlin 1955, S. 688.
- Probst, Christian: Hieronymus Brunschwig. Das Buch der Cirurgia. The Book of Surgery: Introduction, Gertenbach 1967.
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