Radierung von Wenceslaus Hollar (1607-1677), https://en.wikipedia.org/wiki/Jenny_Geddes#/media/File:Riot_against_Anglican_prayer_book_1637.jpg |
Dieses Bild zeigt eine populäre Szene der Stadtgeschichte von Edinburgh: den sogenannten war of the chairs (Krieg der Stühle) am 23. Juli 1637 in der St. Giles’ Cathedral. In dessen Zuge wurde der Dekan der Kirche von einem wütenden Mob aus Besuchern seines Gottesdienstes mit Stühlen und Wurfgeschossen attackiert. Eine zentrale Rolle spielte dabei, zumindest legendenhaften Erzählungen nach, eine Marktfrau namens Jenny Geddes. Wie es zu diesem Ereignis kam, das sich zu einem stadtweiten Aufstand entwickelte und in einer regelrechten Serie von weiteren Konflikten zwischen England und Schottland gipfelte und welche Rolle Jenny Geddes dabei gespielt hat, soll in diesem kurz!-Artikel genauer untersuchen.
Nachdem Elisabeth I. (1533-1603) ohne Erben verstorben war, hatte der schottische König James VI. (1566-1725) als James I. auch den englischen Thron bestiegen und damit die beiden Throne unter sich vereint. Beide Königreiche blieben allerdings souveräne Staaten mit eigenen Parlamenten und Gesetzen, die lediglich vom selben König regiert wurden. Seine Herrschaft fiel in unruhige Zeiten: Die Reformation war in weiten Teilen Europas weit fortgeschritten und hatte auch vor Schottland nicht Halt gemacht. Während sie im Nachbarland England jedoch zunächst unter König Heinrich VIII. (1491-1547) und anschließend von dessen Tochter Elisabeth I. von oben her durchgesetzt worden war, war sie in Schottland eher eine Bewegung der Untertanen, die sich dabei stark an der Bibel orientierten und die Obrigkeit von Bischöfen ablehnten. James’ Mutter, Maria Stuart (1542-1587), war als katholische Königin Schottlands von ihren protestantischen Großen 1567 zur Abdankung gezwungen worden. Ihr folgte ihr erst 13 Monate alte Sohn James VI. nach, der nach dem mehrheitlichen Willen der schottischen Nobilität nun also protestantisch erzogen wurde. Als er schließlich auch die englische Krone erlangte, erwog er zunehmend einen Zusammenschluss der beiden Königreiche und damit einen Anschluss der schottischen Kirche an die Church of England, deren Pomp und Rituale er schätzte. Diese versuchte er nun mit einem Paket von Maßnahmen, den sogenannten Fünf Artikeln von 1618, auf die schottische Kirk auszudehnen, wogegen sich jedoch heftiger Widerstand in Bevölkerung und Geistlichkeit regte und die in weiten Teilen Schottlands boykottiert wurden.
Als James I. 1625 starb, folgte ihm sein Sohn Charles I. (1600-1649) auf den englischen und schottischen Thron nach. Dieser war zwar in Schottland geboren worden aber in England aufgewachsen. Daher war er zu einem englischen Protestanten erzogen worden und im Gegensatz zu seinem Vater besaß er weit weniger politisches und religiöses Feingefühl. Für den sogenannten Presbyterianismus, die in Schottland am weitesten verbreitete Form des Protestantismus mit seiner starken Orientierung an der Heiligen Schrift, hatte er kaum Verständnis. Noch mehr als vor ihm sein Vater war er an einem Anschluss der schottischen Kirk an die englische Kirche interessiert. 1633, erst acht Jahre nach Beginn seiner Herrschaft, begab Charles I. sich schließlich nach Edinburgh, um sich dort auch formell zum König Schottlands krönen zu lassen. Möglicherweise hatte er zunächst gar keine Krönung in seinem Geburtsland im Sinne gehabt, doch blieb ihm nichts anderes übrig, da seine schottischen Untertanen sich weigerten, ihm die Krönungsregalien und die Kronjuwelen des Landes nach London zu senden. Die Zeremonie wurde nach englischem Ritus abgehalten und William Laud, der Erzbischof von Canterbury und damit höchster Geistlicher der Church of England leitete die Krönung. Zudem wurde Edinburgh zum Bistum ernannt und die Kirche St. Giles im Stadtzentrum zur anglikanischen Kathedrale - ein Affront gegen die schottische Kirk, der nur noch dadurch verschlimmert wurde, dass der König zahlreiche anglikanische Bischöfe in den schottischen Kronrat berief.
Die Abläufe und Gebete von Gottesdiensten waren in der Anglikanischen Kirche bereits seit 1549 im Book of Common Prayer festgelegt. In Schottland dagegen griff man bis dato eher auf improvisierte Gebete zurück. Charles I. strebte eine Vereinheitlichung an und beauftragte William Laud und eine Kommission aus schottischen Bischöfen damit, ein ähnliches Gebetbuch auch für die schottische Kirk zu erarbeiten.
Das Booke of Common Prayer and Administration of the Sacraments für die Church of Scotland aus dem Jahre 1637, https://upload.wikimedia.org/wikipedia/en/e/e6/Book_of_common_prayer_Scotland_1637.jpg |
Erstmals wurde dieses neue liturgische Werk am 23. Juli 1637 in St. Giles verwendet. Als nun James Hannay, der Dekan der Kathedrale St. Giles, begann, aus dem Gebetbuch vorzulesen, machte sich Empörung unter den versammelten Gläubigen breit. Der Legende nach war es eine Straßenhändlerin namens Jenny Geddes (möglicherweise 1600-1660), die ihrer Verärgerung als Erste Luft machte. Mit den Worten "Devil cause you colic in your stomach, false thief: dare you say the Mass in my ear?” (mit Mass ist hier die anglikanische Messe gemeint) schleuderte sie ihren Stuhl nach dem hilflosen Dekan. Ihrem Beispiel folgten weitere Gottesdienstbesucher und warfen Stühle und andere Wurfgeschosse nach dem Geistlichen. Erst durch den Einsatz bewaffneter Männer gelang es, den wütenden Mob aus der Kirche zu treiben, doch auch draußen vor der Kirche ging der Aufruhr weiter. Auch andernorts in Schottland spielten sich ähnliche Szenen ab als das neue Gebetbuch erstmals Verwendung fand und es wurden Forderungen nach dessen sofortiger Abschaffung laut.
Als der König, der sich in London aufhielt, über diese Ereignisse informiert worden war, befahl er eine härtere Durchsetzung der im Gebetbuch vorgeschriebenen Liturgien. Der Widerstand in Edinburgh wuchs jedoch weiter. Bald erreichten Charles I. Petitionen gegen die Verwendung des Buches, deren Urheber er jedoch bestrafen ließ. Er forderte bedingungslose Unterwerfung unter seinen Willen. Dies wiederum führte zu Demonstrationen in Edinburgh und gemeinsam unterzeichneten Repräsentanten des schottischen Adels, des Klerus und des Volkes (sie wurden The Tables genannt) eine Erklärung (The National Covenant) zur Einhaltung der wahren Religion, die sie durch die jüngsten Neuerungen verletzt sahen. Anschließend sammelten sie tausende Unterschriften von Menschen aller sozialer Schichten im ganzen Land und das Dokument erhielt abgesehen von seinem religiösen Inhalt auch eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für das Nationalgefühl der Schotten, die sich dagegen wehrten, zu einer English Province gemacht zu werden. Sie fühlten sich von Charles I. betrogen, der als gebürtiger Schotte das englische Reich und die englische Kirche über seine eigenen Landsleute gestellt hatte. Als neues Symbol der Einigkeit trat anstelle des Königs nun die schottische Kirk.
Bald regierten de facto die Tables Schottland, was den König beunruhigte. Dennoch stimmte er im November 1638 Verhandlungen durch Unterhändler zu und im Ergebnis konnte die Absetzung der schottischen Bischöfe und auch die Abschaffung des Gebetbuches erreicht werden. Diese Beschlüsse erklärte Charles I. dann jedoch für nicht rechtskräftig, da sie nicht im Beisein seiner Bevollmächtigten getroffen worden waren. Eine militärische Auseinandersetzung schien unausweichlich und im Sommer 1639 standen sich eine hastig ausgehobene englische und eine gut organisierte schottische Armee an der englisch-schottischen Grenze gegenüber. Ehe es jedoch zum Kampf kam, einigten sich die beiden Parteien: Der König musste einwilligen, die Beschlüsse der Verhandlungen von 1638 anzuerkennen. Das schottische Parlament ging allerdings noch einen Schritt weiter und sagte sich von der Kontrolle des Königs los. Dies sollte den Beginn einer Serie von Kriegen und Auseinandersetzungen zwischen England und Schottland, aber auch Irland sein, die bis 1651 andauerten und schließlich mit der zeitweisen Abschaffung der Monarchie und dem Versuch Oliver Cromwells (1599-1658), in England eine Republik zu etablieren, endeten.
Ob die Marktfrau Jenny Geddes tatsächlich den War of the Chairs entfachte, oder ob es sich dabei lediglich um eine lieb gewonnene aber legendenhafte Episode in der Stadtgeschichte Edinburghs handelt, ist wohl kaum festzustellen. Ihr, oder vielmehr ihrem legendären Stuhl, ist in der Kirche St. Giles sogar ein Denkmal gesetzt worden. Nichtsdestotrotz hatte der Widerstand, der sich am 23. Juli 1637 ausgehend von der St. Giles’ Cathedral in der Stadt und schließlich in weiten Teilen Schottlands verbreitete, weitreichende Folgen für die Geschichte Schottlands und Englands.
Zum Weiterlesen:
Maclean, Fitzroy, Kleine Geschichte Schottlands, Herford 1986.
Oliver, Neil, A History of Scotland, London 2009.
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