Sonntag, 9. April 2017

Martin Luther und das Ende der Welt

Martin Luther schlägt seine 95 Thesen an die Türe der Wittenberger Schlosskirche, Gemälde von Ferdinand Pauwels, 1872.
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/2/20/Luther95theses.jpg

Der Thesenanschlag Martin Luthers (1483-1546) an der Schlosskirche zu Wittenberg am 31. Oktober 1517 ist wohl eine der bekanntesten Szenen der deutschen Geschichte. Zwar ist heute umstritten, ob dieses Ereignis tatsächlich so stattgefunden hat, unstrittig ist aber, dass es den Beginn großer Veränderungen mit sich brachte, die nicht nur die römische Kirche, sondern auch das Leben vieler Menschen tiefgreifend verändern sollten. In diesem Jahr jährt sich die Veröffentlichung von Luthers Schrift Disputatio pro declaratione virtutis indulgentiarum (wie die Thesen im lateinischen Original heißen) zum 500. Mal. Für den Reformator wäre dies wohl eher überraschend, schließlich rechnete er zu seinen Lebzeiten selbst bereits dreimal mit dem Weltuntergang (1532, 1538 und 1542). Doch was hatte diese Erwartung des nahenden Endes aller Tage mit seinem großen Erfolg zu tun und wie beeinflusste sie ihn in seinem Handeln? Mit diesen Fragen wird sich unser heutiger Artikel auseinandersetzen. Dabei soll nicht die Theologie Luthers an sich im Vordergrund stehen, sondern vielmehr deren Einordnung in die Zeit und Ideenwelt des Reformators.


 Heute wird Luther oft als eine der ersten frühneuzeitlichen Persönlichkeiten dargestellt, die durch ihr aufgeklärtes und fortschrittliches Denken das Ende des Mittelalters einläuteten. Befasst man sich allerdings mit Luthers Glauben an das Ende der Welt, so wird deutlich, dass er ein Kind des Spätmittelalters war und die weit verbreitete Auffassung teilte, dass die Apokalypse unmittelbar bevorstünde. Nach Angaben aus dem Alten Testament sollte die Welt lediglich rund 6000 Jahre alt werden, wobei das sechste Jahrtausend nicht zur Vollendung kommen sollte. Als Zeichen für die nahende Wiederkunft Gottes und die Wiedererrichtung seines Reiches wurden unter anderem eine zunehmende Abkehr der Menschen von Gott, der Verfall der Sitten und ein Wandel der sozialen Ordnung betrachtet. Als weitere “Wehen der Endzeit” galten außerdem Hungersnöte, Naturkatastrophen und Kriege (Mat 24, 7-8). Ehe das Reich Gottes schließlich kommen sollte, musste jedoch zunächst der Antichrist, Widersacher Gottes, überwunden werden, “der sich erhebt über alles, was Gott oder Gottesdienst heißt, sodass er sich in den Tempel Gottes setzt und vorgibt, er sei Gott.” (2. Thess 2, 4).

Betrachtet man nun die Gegebenheiten zu Luthers Lebzeiten, so könnte man durchaus sagen, dass sich für die meisten dieser Kriterien Beispiele finden lassen: Nach dem Untergang des Oströmischen Reiches im Jahre 1453 strebten die Osmanen eine Ausbreitung ihres Reiches nach Westen an, überzogen die angrenzenden Reiche mit Krieg und kamen dem Heiligen Römischen Reich dabei gefährlich nahe. Gleichzeitig forderten wiederkehrende Pestwellen immer neue Opfer und vor allem die Landbevölkerung litt zunehmend unter steigenden Abgabenlasten, die sie aufgrund von häufigen Missernten oftmals nur schwerlich leisten konnten. Gleichzeitig strebte das Papsttum nach einer Ausweitung seiner Macht und zeigte dies durch die Errichtung von Prachtbauten wie dem Petersdom oder der Sixtinischen Kapelle, während religiöse Aspekte des Nachfolgers Petri auf Erden zunehmend in den Hintergrund zu treten schienen und die Päpste ein teilweise ausschweifendes und wenig sittsames Leben führten. Das Ergebnis dieser Entwicklungen waren politische, gesellschaftliche, aber auch religiöse Spannungen, die apokalyptische Ideen weiter befeuerten. Obwohl die Wiederkunft Gottes schließlich das Ende des Übels in die Welt bringen sollte, war die Vorstellung vom baldigen Ende der Zeit doch beunruhigend und die Menschen suchten nach Heil und Erlösung. Dabei waren sie auch bereit, sich dies zunächst in Form von Ablässen zu erkaufen. Gegen diese Praxis wandte Martin Luther sich in seinen 95 Thesen.

Luther selbst war überzeugt davon, dass er in der letzten Zeit lebte. Gleichzeitig war er getrieben von Fragen nach Gottes- und Gnadengewissheit aber auch von der Überzeugung seiner eigenen Unzulänglichkeit. Wie so viele seiner Zeitgenossen war auch er auf der Suche nach Heil, das er zunehmend im Studium der Bibel fand. Dies führte dazu, dass er dem gängigen Bild eines strafenden und furchteinflößenden Gottes das eines gnädigen Herrn entgegenstellte. Nicht äußerliche religiöse Zeichen, wie sie in der Römischen Kirche stark ausgeprägt waren, sondern die innere Haltung Gott gegenüber und das gute Gewissen jedes einzelnen wurden für ihn entscheidend. Diese Erkenntnisse empfand Luther jedoch nicht als neuartig, sondern vielmehr als eine Rückkehr zu den Ursprüngen des Christentums. Anstatt sich auf das zu verlassen, was der Papst und die Römische Kirche lehrten, plädierte er dafür, sich wieder allein auf die Heilige Schrift zu besinnen. Er gelangte zunehmend zu der Erkenntnis, dass die Wiederentdeckung des wahren Evangeliums und die Wiedererrichtung der göttlichen Ordnung Voraussetzungen dafür waren, dass Gott wiederkehren könne. Luther musste schon bald feststellen, dass seine Kritik zwar von den Mächtigen in der Römischen Kirche gehört wurde, aber keinesfalls Zustimmung fand. Stattdessen wurde ein Häresieprozess gegen ihn angestrebt. Er gelangte zu der Überzeugung, dass die eigentliche Bedrohung für den christlichen Glauben am Ende der Zeit nicht von außen, sondern aus der Kirche selbst kommen würde. Für Luther, der vom nahenden Weltuntergang überzeugt war, waren alle Zeichen für die biblische Apokalypse erkennbar. Einzig der Antichrist als Widersacher Gottes musste sich noch offenbaren. Schließlich kam Luther zu dem Schluss, dass dies der Papst selbst sein musste. Vor allem die Idee der Unfehlbarkeit des Papstes, die zu diesem Zeitpunkt zwar noch nicht von einem Konzil bestätigt worden war (dies geschah erst 1870 auf dem 1. Vatikanischen Konzil), aber dennoch von der Römischen Kirche beansprucht wurde, war für den Reformator ein eindeutiges Indiz: An der Spitze der Kirche stand ein Mann, der beinahe gottgleiche Macht für sich reklamierte, gleichzeitig aber eine Rückkehr zum ursprünglichen Christentum und zur Wiederbesinnung auf die Heilige Schrift verweigerte. Luther gelangte zu der Ansicht, dass der Papst die Menschen vom Glauben an Christus weg und zum Glauben an sich selbst hintreibe, genau wie es im Zweiten Brief des Paulus an die Thessalonicher (siehe oben) beschrieben worden war. Bald veröffentlichte er seine Vermutung und fortan tauchten immer wieder Darstellungen des Bischofs von Rom als Antichrist auf reformatorischen Flugblättern auf.

Christus treibt die Wucherer aus dem Tempel, Holzschnitt von Lucas Cranach dem Älteren, 1521. http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/images/Moneychangers.jpg

Für Luther selbst bedeutete diese Erkenntnis, dass er von nun an unermüdlich dafür kämpfte, das ursprüngliche Christentum zu erneuern und die seiner Ansicht nach ursprüngliche und einzig an der Bibel orientierte Lehre zu reetablieren. Er fühlte sich in seinem Handeln durch den Gedanken bestärkt, dass er selbst als eine Art Wegbereiter für die Wiederkunft des Herrn fungieren konnte.

Auch in der öffentlichen Wahrnehmung half der Glaube an das baldige Ende der Welt der Verbreitung von Luthers reformatorischen Ideen: So wurde er von vielen, die seinen Ideen zugeneigt waren, als Werkzeug Gottes oder aber als letzter Prophet vor der Apokalypse betrachtet. Auf Darstellungen wurde er beinahe wie ein Heiliger abgebildet, mit einer Art Nimbus und einer Taube. Diese öffentliche Wahrnehmung verlieh ihm und seinen Lehren zusätzliche Autorität.

Martin Luther als Heiliger, Holzschnitt von Hieronymus Hofer, nach 1519.
http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/images/Luther-Holy%20Man.jpg

Der Glaube an das unmittelbar bevorstehende und von Luther sogar noch zu seinen Lebzeiten erwartete Ende der Welt war in der spätmittelalterlichen Gesellschaft also weit verbreitet und bildete einen fruchtbaren Nährboden für die Ideen Luthers, der zunächst keine Kirchenspaltung im Sinne hatte, sondern lediglich die Römische Kirche dazu ermahnen wollte, sich wieder mehr der Schrift und den ursprünglichen Lehren zuzuwenden. Als dies scheiterte und Luther zu der Überzeugung gelangte, dass der endzeitliche Widersacher Gottes mit dem Papst gleichzusetzen sei, trat er immer unerbittlicher auf und kämpfte unermüdlich für die Rückbesinnung auf die Anfänge des Christentums, um so alles für die Wiederkehr Gottes und die Apokalypse vorzubereiten. Damit trug der weit verbreitete Glaube, dass die Endzeit nahe war, entscheidend zur Durchschlagskraft der Reformation bei.

Zum Weiterlesen:
Leppin, Volker, Die Reformation, Darmstadt 2013.
Obermann, Heiko A., Luther. Mensch zwischen Gott und Teufel, Berlin 2016. 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen