Die Geschichte hat immer wieder eindrucksvoll unter Beweis gestellt, dass nichts für die Ewigkeit geschaffen ist. So sind im Laufe der Jahrhunderte auch Kaiser- und Königreiche sowie Reiche und Staaten mit anderen Herrschaftsformen zerfallen. Das Römische Reich, Byzanz, das Mittelmeerreich Aragón, das Königreich Galizien, die UdSSR oder Jugoslawien sind nur einige Beispiele aus verschiedenen Epochen. In einer Reihe mit diesen doch sehr bekannten Beispielen steht auch das weniger bekannte Königreich Alt-Clud, später auch Strathclyde genannt. Dieser kurz!-Artikel widmet sich ausführlich Strathclyde, betrachtet die Geschichte dieses verschwundenen Königreiches und geht der Frage nach, wann und warum es schließlich von der Landkarte verschwunden ist.
Dumbarton Rock und Dumbarton Castle / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/93/Dumbarton_Castle_-_geograph.org.uk_-_501609.jpg |
Strathclyde war ein nachrömisches, spätantikes und mittelalterliches Königreich im südlichen Schottland und bestand vom 5. bis zum 12. Jahrhundert. Dabei ist die Bezeichnung „Strathclyde“, was „im Tal des (Flusses) Clyde“ heißt, nicht der ursprüngliche Name des Reiches, sondern vielmehr eine beschreibende Hilfsbezeichnung, die aber ab dem Ende des 9. Jahrhunderts so in den Quellen auftaucht. Auch die Benennung „Alt-Clud“, die britische Bezeichnung für Dumbarton Rock, dem wahrscheinlichen zentralen Ort der Herrschaftsausübung, ist vermutlich nicht der Name gewesen. Der tatsächliche Name des Königreiches, falls es einen solchen gab, und auch die Grenzen werden in den bekannten Quellen jedoch nicht benannt und sind somit weitgehend unbekannt. Die Zeit bis zum 8. Jahrhundert gestaltet sich besonders für den Norden Birtanniens als sehr quellenarm. Die erhaltenen Quellen aus der Frühzeit Alt-Cluds stammen aus walisischen, irischen und gälischen Schriftstücken und sind auch heute noch teilweise sprachlich unverständlich.
Die Lage des Hadrians- und des Antoniuswalls um 155 / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/7/70/Roman.Britain.north.155.jpg |
Die Frage nach der Entstehung des Königreiches führt zurück in die Zeit des Römischen Reiches und des Baus des Hadrians- und Antoniuswalls im Norden des heutigen Großbritanniens. Der römische General Theodosius ließ nach 369 zwischen den beiden Wällen, die in der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts errichtet wurden, einige Stämme als „Puffer“ ansiedeln, die eine Invasion aus dem Norden aufhalten und gleichzeitig den Handelsverkehr antreiben sollten. Die erhoffte Befriedung dieses Gebietes hielt bis in das Jahr 405: Für dieses Jahr nennt ein Eintrag in einem irischen Annalenwerk eine Schlacht im strath Cluatha (Clydetal), also mitten in der Pufferzone. Die Teilnehmer an dieser Schlacht sind allerdings unbekannt. Nur fünf Jahre später zogen sich die Römer zurück. Ob ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Ereignissen besteht, kann nur gemutmaßt werden. Allerdings traten die Stämme dort zum ersten Mal richtig in Erscheinung und könnten für den Rückzug der Römer mitverantwortlich gewesen sein. Nachdem die Römer Großbritannien verlassen hatten, erschienen die Stämme als eigenständige Königreiche mit ihren eigenen Königen, die nicht durch die primogenitur (das Recht des Erstgeborenen), sondern durch tanistry festgelegt wurden. Der Nachfolger wurde demtnsprechend ernannt, er musste aber nicht zwingend der Erstgeborene sein. Einige dieser genannten Königreiche sind gut dokumentiert, wie Galwyddel (Galloway) oder Rheged. Alt-Clud spielte zu diesem Zeitpunkt noch keine Rolle, sollte aber von der Gründung eigenständiger Reiche profitieren. Erst ein Brief eines Bischofs Patrik, dessen Werdegang für diese Zeit erstaunlich gut dokumentiert ist, an einen Coroticus belegt die Entstehung eines Reiches Alt-Clud. Dieser Coroticus, auch als Ceredig Gueldig bekannt, wird darin nicht als nur König von Alt-Clud tituliert, sondern es wird ebenfalls deutlich, dass er Christ war und auch die reicheren und angeseheneren Menschen in Alt-Clud sich als solche sahen. Auch die Gründungen christlicher Kirchen in Glasgow durch Bischof Mungo und die Verbindung des späteren Königs Rhydderch Hael mit Columban (580-618) weisen auf eine frühe keltische Christianisierung der Briten in Alt-Clud hin. Coroticus profitierte vom Tod eines Widersachers und fügte schließlich zwei kleinere Reiche zum größeren Alt-Clud zusammen. Es werden zwar weitere Personen als Nachfolger genannt, jedoch kennen wir mit Erbin, Cinuit, Gereint und Tutagual ausschließlich ihre Namen und keine Handlungen.
Erst im 6. Jahrhundert veränderte sich die Situation im ehemaligen „Pufferraum“. Die ansässigen Stämme der Briten und Skoten[1] sollten Konkurrenz erhalten, denn die germanischen Angeln[2] (Vorreiter der Angelsachsen) und die Pikten[3] siedelten sich ebenfalls in diesem Gebiet an. Besonders die Angeln versuchten sukzessive ihren Machtbereich mit Gewalt auf Kosten der Briten und Skoten auszudehnen. Das 7. Jahrhundert war ebenfalls von diesen Konflikten geprägt, die zusätzlich auf religiöser Ebene geführt wurden. Die keltische Kirche der Briten fürchtete die römische Mission des Augustinus von Canterbury, der auf dem Weg in den Norden war. Alt-Clud musste daraufhin empfindliche Niederlagen einstecken: Zunächst konnten die Angeln vorrücken und Dumbarton Rock vom restlichen Herrschaftsbereich abschneiden. Außerdem entschied die Synode von Whitby, eine Versammlung von kirchlichen Vertretern, dass die römische Mission der keltischen Mission vorzuziehen sei. Auch wenn die Briten also auf dem Schlachtfeld und auf der Synode von Whitby zwei empfindliche Niederlagen erlitten, so war der Konflikt zwischen den Angeln und ihnen jedoch nicht beigelegt: 685 wurden die Angelsachsen unter Ecgfrith, König von Northumbrien, von einem Bündnis der Pikten mit Alt-Clud in der Schlacht von Nechtansmere besiegt und der Konflikt zunächst stillgelegt. Trotz des Sieges sollte Alt-Clud in eine untergeordnete Rolle im Norden Britanniens gedrückt werden: Im 8. Jahrhundert verschanzten sich die Angeln in Northumbrien, die Pikten und Skoten verbündeten sich und wuchsen zusammen und das piktisch-gälische Königreich Alba entstand. Für Alt-Clud wurde es immer schwieriger, mit diesen größeren Königreichen Schritt zu halten.
Die Königreiche um 800 / Quelle: wikipedia.de / Urheber: Von Britain 802.pdf: Lotroothis work: Furfur - Britain 802.pdf, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=32288835 |
Doch die größte Krise stand noch bevor. Ende des 8. Jahrhunderts begannen die Wikingereinfälle und wenig später konnten diese den hohen Nordens Britanniens einnehmen. Dumbarton Rock wurde 870/871 zerstört, Alt-Clud geplündert, die Menschen verschleppt und versklavt. Diejenigen, die konnten, ergriffen die Flucht. Alt-Clud stand fortan unter der Herrschaft des Königreiches Albas und wurde von nun an Strathclyde genannt. So verlor es zunächst sukzessive seinen ursprünglichen Charakter als britisches Königreich mit keltischen Wurzeln. Doch das sollte nicht heißen, dass das Königreich schon von der Landkarte verschwand. Die nächsten Jahrhunderte waren dennoch weiterhin durch ein ständiges Auf und Ab geprägt.
Die Lage des Königreichs Strathclyde von ungefähr 900 bis 1100 / Quelle: https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f5/Strathclyde.kingdom.influence.areas.png |
Die Wikingereinfälle bedrohten nicht nur die nachrömischen Königreiche im hohen Norden, sondern auch die östliche Küste Britanniens. Der angelsächsische König Athelstan (924-939) rückte in den Norden vor, überrannte Northumbrien, besiegte die Wikinger und setzte sein Machtstreben auch gegenüber den Königreichen im Norden durch, indem er auf einem Fünfkönigstreffen unter anderem Schottland und auch Strathclyde dazu zwang, sich zu unterwerfen. Durch die Niederlage der Wikinger gegen Athelstans Angelsachsen, konnten Strathclyde und auch Alba das hinterlassene Vakuum nutzen, um ihre Reiche wieder zu vergrößern. Obwohl sie vom Hegemonialstreben Athelstans profitierten, verbündeten sich die Waliser, Schotten und die nordischen Könige aus Angst, vollständig besiegt zu werden, gegen den angelsächsischen König. Doch sowohl Athelstan, als auch sein Nachfolger und Bruder Edmund I. (939-946) besiegten dieses Bündnis und verwüsteten Strathclyde. Dieses verlor nicht nur seine Unabhängigkeit, sondern wurde nun auch „gälisiert“ und erhielt anstatt des britisch-cumbrischen, einen schottischen-gälischen Charakterzug. Dennoch behielt Strathclyde seine Identität und einen Großteil seiner Macht.
Das letzte Kapitel Strathclydes war geprägt von den Auseinandersetzungen zwischen Schottland und England. Wilhelm der Eroberer unterwarf nicht lange nach seiner Krönung Northumbrien, marschierte in Schottland ein und machte dieses zum Lehen Englands. Während das Königreich Alba in das schottische Reich integriert wurde, wurde Strathclyde aufgrund der Lage immer wieder in die Rivalität miteinbezogen und zum Spielball der beiden großen Königreiche England und Schottland. Es wurde häufig verwüstet und geriet abwechselnd unter schottische oder englische Oberhoheit – doch Strathclyde sollte noch ein wenig weiter existieren, obwohl es seit der Zerstörung von Dumbarton Rock 870/871 durch die gälische Kultur und Sprache, und nun durch den englischen Druck bedrängt wurde. Im 12. Jahrhundert verdrängte das Gälische zwar immer mehr das Britonische, doch Strathclyde bestand auch weiterhin als eine eigene Verwaltungseinheit.
Das Ende Strathclydes war also kein abruptes, sondern ein schleichendes Ende. Kein Krieg oder keine Schlacht konnte Strathclyde von der Landkarte löschen. Doch der Druck der anderen Kulturen und Sprachen und der allmähliche Verlust der eigenen Kultur nach 870/871 sorgten dafür, dass die eigene Sprache und Kultur nicht endlos an die weiteren Generationen weitergegeben werden konnten. Immer wieder war die britische Bevölkerung von Alt-Clud/Strathclyde äußeren kulturellen Einflüssen unterworfen: Als Teil des Römischen Reiches beeinflussten Latein und später die christliche Kultur das Königreich. Anschließend, in den quellenarmen Jahrhunderten, drängte das Gälische vom Norden und Westen in den Kulturbereich ein. Die Wikingerzeit brachte nicht nur die heidnische nordische Kultur, sondern auch das Englische aus dem Süden. Und schließlich stand das Reich unter dem normannisch-französischen Einfluss Wilhelm des Eroberers. So verschwand nicht nur die britonisch-cumbrische Sprache also stetig, sondern auch Strathclyde selbst schließlich von den Landkarten – bis 1975. Denn von 1975 bis 1996 tauchte der Name nochmal auf Landkarten auf: Strathclyde wurde zu einer Region im Westen Schottlands und umfasste den Firth of Clyde und Glasgow, genau dort also, wo der Heilige Mungo um 580 eine Kirche im Auftrag des Königs von Alt-Clud gründete.
[1] Die Skoten waren ein in Irland ansässiger keltischer Stamm in der Spätantike und dem Frühmittelalter. Ihr Königreich hieß Dalriada und vereinigte sich 843 mit dem der Pikten.
[2] Die Angeln stammten ursprünglich aus dem Gebiet des heutigen Schleswig-Holsteins. Ein Teil dieses Volkes wanderte im 5. Jahrhundert nach Britannien aus. Dort wiederum spaltete sich eine weitere Gruppe ab und siedelte sich im 6. Jahrhundert dann auch im Norden an. Sie gründeten das Königreich Deira in Northumbrien.
[3] Der Begriff „Pikten“ umschreibt ursprünglich eine Gruppe von Völkern in Schottland. Die hier beschriebenen Pikten stammen aus dem Gebiet des Antoniuswalls und sind nach dem Rückzug der Römer in die „Pufferzone“ gezogen und haben sich dort angesiedelt. Seitdem gab es also sowohl „nördliche“, als auch „südliche“ Pikten.
Zum Weiterlesen:
Ken Dark, Britain and the End of the Roman Empire, Stroud 2002.
Norman Davies, Verschwundene Reiche, Darmstadt 2013, S. 40-100.
Alan MacQuarrie, "The Kings of Strathclyde", in: Alexander Grant & Keith J. Stringer (Hrsg.), Medieval Scotland: Crown, Lordship and Community, Essays Presented to G.W.S. Barrow, Edinburgh University Press, Edinburgh 1993.
Zum Weiterlesen:
Ken Dark, Britain and the End of the Roman Empire, Stroud 2002.
Norman Davies, Verschwundene Reiche, Darmstadt 2013, S. 40-100.
Alan MacQuarrie, "The Kings of Strathclyde", in: Alexander Grant & Keith J. Stringer (Hrsg.), Medieval Scotland: Crown, Lordship and Community, Essays Presented to G.W.S. Barrow, Edinburgh University Press, Edinburgh 1993.
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