Sonntag, 6. Juli 2014

Die Benediktinerregel Benedikts von Nursia

Nam scripsit monachorum regulam discretione praecipuam, sermone luculentam. Mit diesen Worten hat schon Papst Gregor der Große (540-604) in den Dialogi de vita et miraculis patrum Italicorum, welche Viten und Wundertaten von italienischen Heiligen beinhalten, die Benediktinerregel gewürdigt, die zwischen 540 und 550 von Benedikt von Nursia verfasst worden war. Diese, so der Papst, zeichne sich nicht nur durch ihre große Weisheit, sondern auch durch die besondere Klarheit der Worte aus. Was ist nun die Benediktinerregel und was veranlasste Benedikt von Nursia, diese zu verfassen?

Um die Hintergründe der Entstehung der Benediktinerregel besser verstehen zu können, ist es notwendig, auch die Biographie Benedikts von Nursia kurz in den Blick zu nehmen. Die einzige Lebensbeschreibung, die uns heute vorliegt, befindet sich in den bereits erwähnten Dialogen von Papst Gregor dem Großen. Benedikt von Nursia wurde vermutlich 480 in der Umgebung um Nursia geboren. Sein Studium, das er um 500 in Rom begonnen hatte, brach er ab, weil er die Lasterhaftigkeit und die Sittenlosigkeit mit der er sich in Rom konfrontiert sah, ablehnte. Auf der Suche nach Einsamkeit trieb es ihn in die Sabiner Berge nach Enfide (heute Affile, Provinz Latium) und anschließend in die auch in der mittelitalienischen Provinz Latium gelegene Stadt Sublacus (heute Subiaco), wo er drei Jahre ein asketisches Leben in einer Höhle geführt haben soll. Nachdem Benedikt von Nursia von einer in der Nähe von Sublacus gelegenen Mönchsgemeinschaft zu deren Vorsteher berufen worden war, er aber durch seine Strenge an der ihm nahegelegten Aufgabe scheiterte, versammelte er einige Mönche um sich und begab sich mit diesen im Jahr 529 auf den zwischen Neapel und Rom gelegenen Hügel Monte Cassino. Auf diesem Hügel gründete Benedikt das unabhängige und gleichnamige Kloster Monte Cassino, für das er im Verlauf der Gründung auch eine eigene Mönchsregel, die Benediktinerregel, die das klösterliche Leben ordnen und regeln sollte, verfasste.
Benedikt von Nursia nutzte die Magisterregel, eine Mönchsregel, die um 500 bis 535 in der Nähe von Rom auf Latein anonym verfasst wurde, als Grundlage für seine Benediktinerregel. Zudem ließ er sich bei der Abfassung der Mönchsregel von den Kirchenlehrern Cassian von Massilia (gest. um 430/435), Augustinus (gest. 430), Pachomius (gest. 346) und Basilius von Caesarea (gest. um 379) beeinflussen. Insgesamt bemühte sich Benedikt bei der Konzeption seines Regelwerks um eine allumfassende Regel für das monastische Leben in einem Kloster.
Es finden sich nicht nur Regeln zum Abt und zur brüderlichen Gemeinschaft (Kleidung, Nahrung, Mahlzeiten etc.), zum geistigen Leben, zu den Gottesdiensten, zu den Mitarbeitern des Abtes und zur Aufnahme neuer Mitglieder in die Glaubensgemeinschaft, sondern Benedikt führte auch einen Strafkatalog bei Verstößen gegen das klösterliche Leben an, legte dar, wie er sich die Verwaltung eines Klosters vorstellte und gab Vorschriften zur Klausur (von spätlat. clausura; gemeint ist ein Bereich im Kloster, zu dem nur die Mitgliedern der Ordens- bzw. Mönchsgemeinschaft Zutritt haben). Selbst der Tagesablauf eines Mönches im Kloster wurde durch die Benediktinerregel vorherbestimmt. Benedikt von Nursia sah im Müßiggang den Feind der Seele (Cap. 48,1: Otiositas inimica est animae) und richtete den Tagesablauf der Mönche so aus, dass keine otiositas aufkommen konnte. So hatte der Mönch sich von den frühen Morgenstunden (je nach Jahreszeit zwischen 1 Uhr und 2 Uhr) bis in die frühen Abendstunden – die Mönche gingen eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang schlafen – mit dem Gebet (ca. drei Stunden), körperlicher Arbeit (ca. 8 Stunden) und dem Studium religiöser Texte (ca. vier Stunden) zu beschäftigen. Insgesamt gab es somit alltäglich ungefähr acht Stunden Ruhe für einen Mönch des Klosters von Monte Cassino. Der Stellenwert der Arbeit wird auch bei der Definition eines Mönches in der Benediktinerregel deutlich. So seien die Mitglieder der Mönchsgemeinschaft erst dann wahre Mönche, si labore manuum suarum vivunt, sicut et patres nostri et apostoli (Cap. 48,8), wenn diese also wie schon die Väter und die Apostel von der Arbeit ihrer Hände leben.
Zudem galt für den Mönch auch die Trias aus Armut, Keuschheit und Gehorsam. Vor allem Eigenbesitz wurde als großes Laster betrachtet. Deshalb durfte sich weder ein Buch, eine Schreibtafel, noch ein Griffel im Eigentum des Mönchs befinden (Cap. 33,3: neque aliquid habere proprium, nullam omnino rem, neque codicem, neque tabulas, neque graphium, sed nihil omnino). Zudem sollte der Mönch die Keuschheit gleichsam lieben (Cap. 4,61: castitatem amare) und war dazu verpflichtet, Gott und dem Abt des Klosters stets Demut und Gehorsam – dem Gehorsam wird mit 'De oboedientia' sogar ein eigenes Kapitel gewidmet – zu erweisen. Insgesamt ließen sich noch viele weitere Beispiele anführen, die zeigen, dass Benedikt von Nursia in der Benediktinerregel gut durchdachte und praktische Anweisungen formulierte, die allumfassend das klösterliche Leben regeln und ordnen sollten.
Vermutlich wurde die Benediktinerregel zur Zeit Benedikts von anderen Klöstern kaum beachtet. Erst um 620 tauchte die Benediktinerregel in Südfrankreich auf, da die nach der Regel Columbans lebenden Mönche ihre Regel mit anderen monastischen Vorschriften – darunter befand sich auch die Regel Benedikts von Nursia – verbanden. Die Synode von Whitby, eine beratende und gesetzgebende Kirchenversammlung im angelsächsischen Königreich Northumbria, führte 664 dazu, dass die Benediktinerregel in die englischen Klöster Einlass und Alleingeltungsstatus erhielt. Mit der Synode von Aachen 816 und unter dem Reformabt Benedikt von Aniane (vor 750-821) wurde die Benediktinerregel dann verbindliche Mönchsregel für alle Klöster des Frankenreiches.
Die Urschrift der Benediktinerregel aus dem Kloster Monte Cassino, die bis 883 im Kloster aufbewahrt wurde, liegt heute nicht mehr vor. Da das Kloster 883 von den Sarazenen (Sammelbezeichnung für Araber und synonyme Bezeichnung für Muslime, die sich seit dem 4. Jahrhundert in profaner und kirchlicher Literatur durchsetzte) bedroht, von diesen geplündert und zerstört wurde, brachten die Mönche des Klosters das Regelwerk vor der Bedrohung nach Teano, wo es 886 einem Brand zum Opfer fiel. Schon 787 war jedoch eine Abschrift der Urschrift des Regelcodex' auf Wunsch Karls des Großen angefertigt worden. Wenngleich dieses Exemplar, welches nach Aachen geschickt wurde, verschollen ist, sind dennoch Abschriften davon bis heute erhalten. Eine Abschrift fertigten etwa um 817 die Mönche Grimald und Tatto von der Reichenau für das Kloster Inden bei Aachen (heute Abtei Kornelimünster) an. Als 840 Reginbert, der Bibliothekar des Klosters Inden, Abt des Klosters St. Gallen wurde, konnte er dieses Regelexemplar in sein neues Kloster mitnehmen. Noch heute befindet sich diese Kopie des im Kloster Inden hergestellten Regelexemplars als Codex Sangallensis 914 in der Stiftsbibliothek von St. Gallen.  

Literatur:
Faust, Ulrich (Hg.): Die Benediktinerregel. Lateinisch-Deutsch, Stuttgart 2009.

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