Sonntag, 12. Mai 2019

Marie-Louise Bourgeois – ‚der alten Koͤnigin in Franckreich / bestellten Amme‘

Sie gilt als Wegbereiterin der Geburtshilfe vom Mittelalter in die Neuzeit und war 26 Jahre am französischen Hof als Hebamme tätig: Marie-Louise Bourgeois. In unserem heutigen kurz!-Artikel soll nicht nur das Leben dieser berühmten französischen Hebamme im Vordergrund stehen, sondern auch ihr Fachbuch zur Tokologie (Geburtshilfe) Observations diverses sur la stérilité, perte de fruict, fécondité, accouchements et maladies des femmes et enfants nouveaux naiz vorgestellt werden, das 1609 erschien und durch mehrere Auflagen und Übersetzungen in andere Sprachen einen großen Einfluss auf die Geburtshilfe im 17. Jahrhundert hatte. 

Marie-Louise Bourgeois
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/b/b9/Louise_Boursier.jpg 


Marie-Louise Bourgeois wurde 1563 in Faubourg Saint-Germain, einem historischen Stadtteil von Paris, in dem vor allem die aristokratische Gesellschaft lebte, geboren und wuchs in wohlhabenden Verhältnissen auf. Über ihr frühes Leben ist nichts bekannt. 1584 heiratete sie im Alter von 20 Jahren Martin Boursier, der als königlicher Wundarzt innerhalb der französischen Armee tätig war und in direkter Nachbarschaft zu Marie-Louises Elternhaus lebte. Martin Boursier war beinahe 20 Jahre lang Schüler des berühmten französischen Chirurgen Ambroise Paré im ältesten Hospital von Paris, dem Hôtel-Dieu de Paris, gewesen und auf dem Gebiet der Medizin äußerst bewandert. Als Heinrich IV. von Navarra (1553-1610), der spätere König von Frankreich, 1589 Paris angriff, floh Marie-Louise zusammen mit ihren Kindern aus Paris vor die Stadtmauern, während Martin Boursier nach wie vor wundärztliche Tätigkeiten für die französische Armee verrichtete. Um den Lebensunterhalt ohne ihren Mann bestreiten zu können, verkaufte Marie-Louise zunächst Strickwaren, machte aber bereits früh – zunächst in den Armenvierteln von Paris, später auch beim Großbürgertum der Stadt – erste Erfahrungen mit der Geburtshilfe. Bis heute ist unklar, ob Marie-Louise das nötige medizinische und tokologische Wissen dafür über die Jahre von ihrem Mann erhielt oder ob sie eine der ersten Schülerinnen der 1531 eröffneten Hebammenschule des Hôtel-Dieu de Paris war. 

Nach fast zehnjähriger Tätigkeit als Hebamme erlangte Marie-Louise 1598 ihr Diplom, das es ihr erlaubte, die Geburtshilfe offiziell zu praktizieren, nachdem sie sich einer Prüfung unter dem Vorsitz eines akademisch ausgebildeten Arztes, zweier Chirurgen und zweier Hebammen unterzogen hatte. Die Prüfungskommission und insbesondere die beiden Geburtshelferinnen waren anfänglich skeptisch und darum bemüht, ein Praxisverbot für sie zu erwirken. Sie befürchteten, dass Marie-Louise sich als Ehefrau eines Wundarztes anmaßen könnte, neben der Geburtshilfe auch wundärztlich tätig zu sein. Dadurch wäre sie zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz für die akademisch ausgebildeten Pariser Ärzte geworden, was mit allen Mitteln, wenn auch schließlich erfolglos, verhindert werden sollte. Mit ihrer Lizenz war Marie-Louise in und um Paris als Hebamme tätig und machte sich schnell einen Namen als professionelle und gewissenhafte Geburtshelferin. 

Bald war Marie-Louise in Paris so bekannt, dass Maria de Medici (1575-1642), die seit 1600 mit dem französischen König Heinrich IV. verheiratet war, sie sich als ihre Hebamme auserwählte. Nach mehreren erfolgreich von ihr geleiteten Geburten am königlichen Hof hatte Maria de Medici sich Marie-Louise bewusst ausgesucht, während Heinrich IV. für seine Frau eigentlich eine andere Hebamme vorgesehen hatte. Im Dienst der Königin leitete Marie-Louise die Geburten aller sechs Kinder, die Maria de Medici in den Jahren zwischen 1601 und 1610 zur Welt brachte: Sie half bei der Geburt des Dauphins und späteren Königs von Frankreich, Ludwig XIII., auf Schloss Fontainebleau, der späteren Königin von Portugal, Elisabeth de Bourbon, sowie der französischen Prinzessin, Christina von Frankreich. Auch die Geburten Gastons von Frankreich, dem Herzog von Orléans, und Henrietta Marias von Frankreich, der späteren Ehefrau Karls I. und damit Königin von England, Schottland und Irland, leitete Marie-Louise Bourgeois. Besondere Beachtung erhielt sie nach der Geburt Nicolas Henris‘ 1607, der unter ihrer Aufsicht in Beckenendlage und beinahe ohne jegliche medizinische Unterstützung entbunden wurde – allerdings starb Nicolas Henri bereits im Kindesalter. Bereits nach der Geburt des dritten Kindes erhielt Marie-Louise als Zeichen, Hebamme der Königin von Frankreich zu sein, eine schwarze Lederkappe aus Samt. Ab 1610 bekam sie mit 300 Kronen eine jährliche Pension, während sie vorher nur für jede geleitete Geburt entlohnt worden war: Für die Geburt eines Mädchens war die Entlohnung auf 300 Kronen festgesetzt worden, bei der Geburt eines Jungen wurden Marie-Louise 600 Kronen zugestanden.

1609 erschien das von Marie-Louise Bourgeois verfasste HebammenBuch / Darinn von Fruchbarkeit vnd Vnfruchtbarkeit der Weiber / zeitigen vnd vnzeitigen Geburt / Zustand der Frucht in vnd ausserhalb Mutterleib / zuflligen Kranckheiten so wol der Kindbetterin als desz Kindes / wie auch dero Cur vnd Mitteln / zusampt dem Ampt einer Wehemutter oder Hebammen weitluffig gehandelt wird (hier der Titel der deutschen Übersetzung von 1626). Dieses Lehrbuch der Geburtsheilkunde löste das Hebammenbuch Trotulas von Salerno aus dem 12. Jahrhundert ab, das bis zu dem Zeitpunkt des Erscheinens von Marie-Louises Handbuch noch immer als Standardwerk der Geburtsheilkunde rezipiert wurde. Sie bezeichnete ihr HebammenBuch als ein Form vnnd Muster [ihrer] vervbten Practic vnnd Beruffs und sprach von sich selbst als erste Frau, die als Hebamme über ihre geburtshelferischen Tätigkeiten schrieb. Sie fordert in ihrem Handbuch von jeder Geburtshelferin ein ruhiges, geduldiges, freundliches und empathisches Wesen, weil nur dies der Schwangeren während der Entbindung eine Hilfe sei. Insgesamt müsse alles vermieden werden, was bei der werdenden Mutter Stress auslösen könne, um die Geburt nicht eher einzuleiten als von der Natur vorgesehen. Deswegen müsse die Hebamme im Geburtsraum sowohl vor, während als auch nach der Entbindung für Ruhe sorgen und der werdenden Mutter stets zur Seite stehen und ihr dienlich sein. Marie-Louise teilt in ihrem Hebammenbuch auch ihr Wissen über die unterschiedlichen Geburtspositionen während der Entbindung: Zwar könne die Geburt eines Kindes in liegender, sitzender oder stehender Position der Schwangeren erfolgen, es gebe aber keine ideale Position, die sich immer anwenden lasse. Vielmehr müsse die ideale Geburtsposition während der bevorstehenden Geburt anhand der individuellen Bedürfnisse und Umstände von der Hebamme bestimmt werden. Daneben beinhaltet das geburtsheilkundliche Handbuch zahlreiche Rezepte zur Herstellung von Heilmitteln sowohl für Krankheiten des Neugeborenen als auch für schmerzlindernde Mittel oder Krankheiten der Schwangeren vor, während und nach der Entbindung. Das Buch wurde bereits kurz nach Erscheinen in mehrere Sprachen, u.a. ins Deutsche, Niederländische und Englische, übersetzt und hatte dadurch nicht nur in Frankreich, sondern auch in Deutschland, den Niederlanden und England einen großen Einfluss auf die Geburtshilfe des 17. Jahrhunderts. Zudem hatte das Hebammenbuch einen großen Anteil daran, dass die Geburtshilfe sukzessive als professionell auszuübende Tätigkeit neben der Arbeit der akademisch ausgebildeten Ärzte und Chirurgen bzw. Wundärzte angesehen wurde.

1627 leitete Marie-Louise Bourgeois die Entbindung der ersten Frau des von ihr zur Welt gebrachten Gastons von Frankreich, Marie de Bourbon. Als Marie de Bourbon nur wenige Tage nach der Geburt ihrer Tochter an Kindbettfieber starb, wurden schnell Vorwürfe gegen Marie-Louise erhoben. Ein Autopsiebericht der Toten, der von zehn ausgebildeten Ärzten verfasst wurde, gab ihr schließlich eine Mitschuld am Tod. Marie-Louise verteidigte sich gegen die vorgebrachten Anschuldigungen und argumentierte mit ihrer beinahe 40-jährigen Berufserfahrung, ihrer stets professionellen und gründlichen tokologischen Arbeit sowie ihrem medizinischen Wissen auf dem Gebiet der Geburtsheilkunde, das sie auch schon in Büchern veröffentlich habe. Lediglich die von den akademisch ausgebildeten Ärzten empfundene Konkurrenz war der Grund, dass hier, jedoch schlussendlich erfolglos, gegen die Hebamme vorgegangen wurde. 

Marie-Louise Bourgeois starb 1636 im Alter von 73 Jahren nach weit über 2000 Entbindungen, die sie in ihr Hebammenbuch eingetragen hatte, und nach 26 Jahren Tätigkeit am königlichen französischen Hof als der alten Knigin in Franckreich / bestellten Amme.

Zum Weiterlesen: 
  • Dieterich, Susanne: Weise Frau. Hebamme, Hexe, Doktorin. Zur Kulturgeschichte der weiblichen Heilkunst, Karlsruhe 2016.
  • Dunn, P.M.: Louise Bourgeois (1563-1636). Royal Midwife of France, in: Archives of Disease in Childhood. Fetal and Neonatal Edition 89 (2004), S. 185-187.
  • Sheridan, Bridgette: Whither Childnearing. Gender, Status, and the Professionalization of Medicine in Early Modern France, in: Kathleen P. Long (Hg.): Gender and Scientific Discourse in Early Modern Culture, Ashgate 2010, S. 239-258.

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