„Gehüllt
in weiße Witwentracht, im weißen Nonnenschleier, so schreitet sie um
Mitternacht durch Burg und Schlossgemäuer“ dichtete Christian zu
Stolberg-Stolberg 1814 und beschrieb damit das Gespenst der Weißen Frau. Der
Sage nach trieb diese über Jahrhunderte ihr Unwesen auf verschiedenen Schlössern des europäischen Adels und kündigte dabei stets ein Unglück oder einen nahenden
Todesfall an. Angeblich trat sie erstmals im 14. Jahrhundert in Erscheinung und
schon bald häuften sich die Berichte über ihr mysteriöses Auftreten. In unserem
heutigen Artikel spüren wir den Ursprüngen der Sage und den möglichen
historischen Vorbildern der Weißen Frau nach, erklären, warum dieses Gespenst
vor allem mit der Dynastie der Hohenzollern in Zusammenhang gebracht wird, und betrachten den
Umgang der Zeitgenossen mit der Gestalt und die Verbreitung dieser.
Ihren
Ausgangspunkt nahm die Sage in der Mitte des 14. Jahrhunderts auf der Plassenburg,
die oberhalb der oberfränkischen Stadt Kulmbach im heutigen Bayern liegt. Hier
starb im Jahr 1340 Graf Otto VI. von Weimar-Orlamünde (1297-1340). Nach seinem
Tod soll sich seine Witwe Kunigunde, Gräfin von Orlamünde (um 1303-1382), in
den Burggrafen von Nürnberg, Albrecht den Schönen (1319-1361), verliebt haben,
der ein Mitglied der Familie der Hohenzollern war. Der Legende nach war
Albrecht durchaus bereit, die Burgherrin zu heiraten, für ihn hinderlich sollen
aber vier Augen gewesen sein, die dieser Beziehung im Weg standen. Während
Albrecht damit seine Eltern meinte, die eine Ehe zwischen Kunigunde und ihm
ablehnten, soll Kunigunde diese Aussage auf ihre beiden kleinen Kinder bezogen
haben. Aufgrund dieses Missverständnisses tötete sie ihre beiden Kinder, indem
sie ihnen mit einer Nadel in den Kopf stach, wodurch sie den begangenen Mord zunächst
vertuschen konnte, da ihre Methode keine offensichtlichen Spuren hinterließ. Albrecht
verdächtigte sie jedoch unmittelbar und trennte sich von ihr wegen der
begangenen Tat. Kunigunde selbst soll in der Folge von Reue ergriffen worden
sein, woraufhin sie sich nach Rom begab und beim Papst um die Vergebung ihrer
Sünden bat. Dieser vergab ihr und forderte sie zusätzlich dazu auf, ein Kloster
zu stiften und ihren Lebensabend dort zu verbringen. Der Sage nach gründete Kunigunde
daraufhin das Kloster Himmelthron, zu dessen Gründungsort sie als Zeichen der
Buße von der Plassenburg auf Knien gerutscht sein soll. Hier starb sie
schließlich 1382 als Äbtissin. Die Plassenburg war zu diesem Zeitpunkt bereits
in den Besitz der Hohenzollern übergegangen.
Grabstein
der Kunigunde von Orlamünde in der St.-Laurentius-Kirche in Großgründlach
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/9/9e/Epiorlamuende4.JPG
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Heute
ist bekannt, dass Gräfin Kundigunde von Orlamünde keineswegs ihre beiden Kinder
ermordet hat, sondern dass sie nachweislich kinderlos starb und sich die
Ereignisse um sie und Albrecht den Schönen niemals so zugetragen haben können.
Dennoch lebte die Sage um das Verbrechen weiter und wurde beispielsweise in der
Chronik des Pfarrers von Melkendorf aus dem Jahre 1559 folgendermaßen
aufgegriffen: „Und dacht, die Kindlein, die ich hätt'/ Werden gewiß die
Augen sein,/ die mich berauben des Buhlen mein!/ Und wurd' das Weib so gar
bethört,/ Daß sie ihre eigen Kinder ermördt,/ Und jämmerlich ihres Lebens
beraubt,/ Daß sie es mit Nadeln in ihr Haubt/ Stach in ihre Hirnschall,/ Die
zart und weich überall.“
Kurze
Zeit nach dem Ableben der Gräfin kam es dann zu den ersten Sichtungen der Weißen
Frau auf der Plassenburg. Der Name ist darauf zurückzuführen, dass Augenzeugen die
Erscheinung als in die damals typisch weiße Witwenkleidung gehüllt beschrieben.
Mit der Zeit wurde das Auftreten der Weißen Frau mit der Deutung verbunden,
dass sie zumeist kommende Todesfälle in der Familie der Hohenzollern
ankündigte, da häufig nach einer Sichtung tatsächlich Mitglieder verstarben.
Dabei soll sich die Weiße Frau mal den nächsten Angehörigen und mal den zum
Tode Geweihten selbst gezeigt haben. Die Beschreibungen, die über sie vorliegen,
schildern, dass sie sich zumeist friedlich verhalten habe und sie bloß durch
die Räume der Burg gewandert sei, sowohl zur Tages- als auch zur Nachtzeit. Im
Zweiten Markgrafenkrieg (1552-1554) soll sie jedoch aktiv für den Schutz der
Plassenburg und den Besitz des Hauses Brandenburg-Kulmbach eingetreten sein,
als Markgraf Georg Friedrich I. von Brandenburg-Ansbach (1539-1603) die Burg in
seinen Besitz nehmen wollte. Die Weiße Frau sei im Angesicht dieser Gefahr
gewalttätig vorgegangen, habe unsichtbare Ketten rasseln lassen, getobt und
schließlich den Koch des Markgrafen erwürgt, wodurch der Markgraf in die Flucht
geschlagen werden konnte. Die Bewohner versuchten der Erscheinung der Weißen
Frau Herr zu werden, indem sie unter anderem erfolglos die Gräber der vermeintlich
getöteten Kinder suchten und hofften, so durch eine nachträgliche feierliche
Bestattung den Geist der Mutter beruhigen zu können.
Nachdem
sie zunächst nur auf der Plassenburg gespukt hatte, soll die Weiße Frau 1598
erstmals im Berliner Stadtschloss – dem Residenzschloss der Hohenzollern –
gesichtet worden sein. Keinem Geringeren als Kurfürst Johann Georg von
Brandenburg (1525-1598) soll sie sich acht Tage vor seinem eigenen Tod als
böses Omen offenbart haben. Diesmal sah man in der Gestalt jedoch nicht die
Gräfin Orlamünde, sondern die Weiße Frau wurde jetzt als der Geist Anna Sydows
identifiziert – einer Mätresse des Vaters von Johann Georg, die der Kurfürst
hatte festsetzen lassen und die schließlich in Haft gestorben war. Im Berliner
Stadtschloss häuften sich nun die Sichtungen: Im Jahr 1619 soll sie Markgraf
Johann Sigismund von Brandenburg (1572-1619) seinen nahenden Tod angekündigt
haben. Kurz vor dem Tod der Kurfürstin von Brandenburg Elisabeth Charlottes von
der Pfalz (1597-1660) wollen Mitglieder der Hofgesellschaft ebenfalls die Weiße
Frau gesehen haben. Der Hofprediger Anton Brusenius will die Gestalt 1688
bemerkt haben, kurz bevor der Große Kurfürst Friedrich Wilhelm I. von
Brandenburg (1620-1688) starb. Insbesondere unter dessen Herrschaft wurde mit
teilweise schwerwiegenden Folgen regelrecht Jagd auf die Weiße Frau gemacht: Ein
Vertrauter des Kurfürsten soll der Gestalt eines Abends auf einer Treppe
begegnet sein und sie verbal angegriffen haben: „Du alte sakramentische
Hure, hast du noch nicht genug Fürstenblut gesoffen, willst du noch mehr haben?“
Die Weiße Frau aber habe sich diese Beleidigung nicht gefallen lassen und den
Mann die Treppe hinuntergestoßen, wobei ihm zahlreiche Knochen brachen. Auch
wurden während dieser Phase zwei vermeintliche Weiße Frauen verhaftet: Einmal
handelte es sich um einen Küchenjungen und einmal um einen Soldaten, die beide
in einem weißen Kleid aufgegriffen worden waren. Zu diesem Zeitpunkt schien das
Hausgespenst der Hohenzollern in aller Munde zu sein, da auch die Frankfurter
Relationen 1651 in einer Ausgabe über das Phänomen berichteten: „Es ließ
sich auch der Zeit zu Berlin die Weiße Frau (welches ein Spectrum oder
Gespenst, so sich vor Absterben jemans aus dem Kurhaus Brandenburg allezeit
sehen lässet und jedesmal gewiss einen Toten aus gedachtem Haus ankündiget) gar
oft, auch bei hellem Tag, auf dem kurfürstlichen Begräbnis, auf dem Altar und
an anderen Orten des Schlosses wieder sehen, weswegen man daselbst sehr
erschrocken […].“
Wie
schon bei der Gräfin Orlamünde versuchte man erneut, das Gespenst zu beruhigen.
Als 1709 bei Bauarbeiten ein weibliches Skelett im Schloss gefunden wurde, ging
man davon aus, dem Spuk auf die Spur gekommen zu sein und ihn beenden zu
können, wenn man das Skelett ordentlich bestatte. Aber auch dieser Versuch
blieb ohne Erfolg.
Die
Weiße Frau erscheint König Friedrich I. 1713 kurz vor seinem Tod. Lithographie
von Ludwig Löffler, 1851.
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/f5/L%C3%B6ffler_-_Wei%C3%9Fe_Frau.jpg
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So
soll sie 1713 mit Leuchter und Altarkreuz vor dem Tod von Friedrich I.
(1657-1713) und 1797 vor dem Tod Friedrich Wilhelms II. (1744-1797) erschienen
sein. Einem Bericht der Hofdame Caroline von Marwitz, die sich unter der
Regierung von Friedrich Wilhelm III. (177-1840) im Schloss aufhielt, ist zu
entnehmen, dass auch vor dem Tod des Königs von Preußen die Weiße Frau
gesichtet worden sei: „Man fing auch in diesem Winter an, von der
Erscheinung der ‚Weißen Frau‘ zu sprechen. Es blieb zwar nur ein Gerücht, und
niemand wollte eingestehen, Näheres davon zu wissen. Ich erinnere mich aber
sehr wohl, dass Gräfin Haacke, Hofdame der Kronprinzessin, eines Abends, als
sie vom Souper nach ihren Zimmern zurückkehrte und eine Treppe hinabging, am
Ende derselben eine Schildwache scheinbar eingeschlafen fand, das Gewehr neben
sich liegend. Nähertretend fand sich, dass der junge, kräftige Soldat
ohnmächtig war. Der Lakai stand ihm bei; erwachend sah er sich scheu um und
versicherte, er habe etwas Schreckliches gesehen: eine Frau in weißen Schleiern
und furchtbar […].“ Es gibt noch viele weitere Berichte über Begegnungen
mit der Weißen Frau, der letzte stammt aus der Nacht vom 26. Mai 1940, als die
Hohenzollern das Berliner Stadtschloss schon längst nicht mehr bewohnten.
Neben
der Plassenburg und dem Berliner Stadtschloss gibt es zahlreiche weitere Orte,
an denen ein dem Typus der Weißen Frau ähnliches Gespenst Mitgliedern der
Familie Hohenzollern erschienen sein soll, darunter unter anderem Schloss
Heidecksburg in Thüringen, wo sie 1806 Prinz Friedrich Ludwig Christian von
Preußen (1772-1806) gesehen haben will, der einen Tag nach der Sichtung in
einer Schlacht fiel. Als weitere Orte wurden Ansbach, die Burg Hohenzollern und
die Eremitage in Bayreuth genannt, von wo die Weiße Frau 1812 sogar durch ihr Auftreten
Napoleon Bonaparte vertrieben haben soll. Später entwickelten sich ähnliche
Sagen von gespenstischen Frauen in weißen, grauen und selten auch schwarzen
Gewändern im deutschsprachigen Raum, so beispielsweise auf Schloss Friedenstein
in Gotha, im Schloss Stettin und auf der Burg Wolfsegg in der Pfalz. Aber auch
in anderen europäischen Ländern existieren ähnliche Geschichten: in Österreich die
Weiße Frau von Bernstein, in Estland die Weiße Dame von Haapsalu, in Großbritannien
The White Lady und in Frankreich La Dame Blanche.
Auch
in Lyrik und Literatur fand das Motiv der Weißen Frau über Jahrhunderte große
Verbreitung, unter anderem im eingangs zitierten Balladenzyklus „Die weiße
Frau“ und zentral im Werk Theodor Fontanes, der ihr ebenfalls ein Gedicht
widmete: „Das ist die Sage: und will Gefahr/ Die Hohenzollern umgarnen,/ Da
wird lebendig ein alter Fluch,/ Die weiße Frau im Schleiertuch/ Zeigt sich, um
zu warnen./ Sie kommt dreimal, geht um dreimal,/ Zögernder immer und trüber,/ Die
Wache ruft ihr Halt-Werda nicht mehr,/ Sie weiß, den Gast schreckt kein Gewehr;
–/ Der Schatten schreitet vorüber.“
Zum
Weiterlesen:
Grässe,
Johann Georg Theodor: Das Sagenbuch des Preußischen Staate, Bd. 1, Glogau 1868.
Kraussold, Lorenz: Die
weiße Frau und der orlamündische Kindermord. Eine Revision der einschlagenden
Dokumente, Erlangen 1869.
Hier online:
Wähler,
Martin: Die Weiße Frau. Vom Glauben des Volkes an den lebenden Leichnam, Erfurt
1931.
Wilpert,
Gero von: Die deutsche Gespenstergeschichte, Stuttgart 1994.
Na da bin ich ja mal gespannt, ob die Besucher des Humboldtforums bald auch von einer Weißen Frau berichten werden ;)
AntwortenLöschenDarüber habe ich auch schon nachgedacht. ;) Sehr interessanter Blog übrigens!
LöschenDanke! Kann ich nur zurückgeben :)
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