Wohl jeder, der sich schon einmal mit mittelhochdeutschen Epen beschäftigt hat, dürfte auf jenen Helden gestoßen sein, der nicht nur seinem Onkel Ermrich immer wieder kämpferisch begegnete, sondern auch wundersame Wesen besiegen konnte – Dietrich von Bern. Die Erzählungen von den Abenteuern Dietrichs waren vom 13. bis zum 18. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum sehr beliebt und weit verbreitet. Unser heutiger kurz!-Artikel möchte mit den Erzählungen der sogenannten ‚Aventiurehaften Dietrichepik’ die Heldenepen Dietrichs in den Blick nehmen, in denen er etwa auf Drachen, den Zwerg Bibung, den Riesen Sigenot oder auf den Zwergenkönig Laurin trifft. Neben der Vorstellung der Epen sollen einzelne kleine Abenteuer, die Dietrich von Bern in der ‚Aventiurehaften Dietrichepik’ besteht, kurz vorgestellt werden.
Anders als in den Heldenepen der ‚Historischen Dietrichepik’, in denen mit Dietrich von Bern die Erinnerung an den Ostgotenkönig Theoderich den Großen (gest. 526) fortlebt, hat die ‚Aventiurehafte Dietrichepik’ keine direkten historischen Grundlagen. Die Überlieferung von Dietrichs Kämpfen gegen Riesen oder andere Wunderwesen, also die Begegnung des Helden mit unerwarteten Herausforderungen und gefährlichen Gegnern (aventiurehaft), dokumentiert vielmehr eine der Hauptfunktionen eines Helden: Der abenteuerliche Kampf gegen das in den Ungeheuern repräsentierte Böse, das die Menschenwelt bedroht. Die Epen der ‚Aventiurehaften Dietrichepik’ folgen dabei zwei Grundmustern: Herausforderung und Befreiung. Entweder ist es Dietrich, der zu Kämpfen herausgefordert wird, oder Dietrich selbst ist der Herausforderer, der aktiv um einen Kampf bittet. Daneben spielt insbesondere die Befreiung Bedrängter eine große Rolle. Immer wieder ist es die Rettung von Personen aus den Händen von Ungeheuern, die Dietrich dazu anspornt, sich als Kämpfer zu zeigen. Die große Beliebtheit dieser aventiurehaften Geschichten zeigt sich vor allem in der Überlieferung. Während die ‚Historische Dietrichepik’ es nicht in den Druck schaffte, wurden die abenteuerlichen Wagnisse Dietrichs von Bern gedruckt und blieben so teilweise bis ins 18. Jahrhundert lebendig.
Die Verschriftlichung der ‚Aventiurehaften Dietrichepik’ setzte im frühen 13. Jahrhundert ein. Um 1235 entstand der heute nur noch fragmentarisch überlieferte ‚Goldemar’ Albrechts von Kemenaten. Die heute noch erhaltenen wenigen Strophen erzählen vom jungen Dietrich und seiner Wandlung von einem frauenlosen und immer nach neuen Herausforderungen trachtenden Kämpfer zu einem Frauendiener: Auf der Reise zum Wald Trutmunt kommt Dietrich an die Burg des Zwergenkönigs Goldemar, der dort ein schönes Mädchen gefangen hält. Dietrich fühlt sich von dessen Schönheit angezogen und verlangt nach weiteren Informationen zu der Gefangenen, doch versteckt der Zwergenkönig das Mädchen. Nachdem Dietrich ihn daraufhin zum Kampf herausfordert, Goldemar diesen jedoch ablehnt, bricht das Fragment ab. Folgt man der Heldenbuchprosa könnte es sich bei dem Mädchen im Goldemar um Hertlin, die Tochter des Königs von Portugal, handeln, die von den Zwergen entführt worden war. Dem Roman ‚Reinfried von Braunschweig’ vom Ende des 13. Jahrhunderts zufolge, kann Dietrich Hertlin schließlich nicht nur in einem Kampf gegen den Zwerg Goldemar und verbündete Riesen retten, sondern ehelicht sie auch am Ende der Erzählung. Ganz deutlich tritt schon im Goldemar das Befreiungsschema hervor. Es liegt hier keine mutwillige Herausforderung vor, nach der Dietrich trachtet, sondern die Rettung/Befreiung des gefangenen Mädchens legitimiert die Aventiure Dietrichs als soziale Tat.
Auch in der zweiten Erzählung, die zu Beginn des 13. Jahrhunderts vermutlich im bairisch-österreichischen Raum entstanden ist, trifft Dietrich von Bern auf Riesen. Im sogenannten ‚Eckenlied’ wird der Riese Ecke von der Königin Seburg, die auf Burg Jochgrimm wohnt und Dietrich aufgrund seiner ruhmreichen Taten kennenlernen will, beauftragt, ihn zur Burg zu bringen. Ecke, der auch persönlich ein Interesse an Dietrich hat, da er sich gerne in einem Kampf mit Dietrich messen möchte, macht sich daraufhin auf die Suche. Ecke findet Dietrich schließlich im Tiroler Wald und fordert ihn direkt zum Kampf heraus. Dietrich lehnt den Kampf zunächst ab und willigt erst ein, nachdem Ecke zur Provokation Gotteslästerung begangen hat. Dietrich kann schließlich den Riesen besiegen, schlägt diesem – widerwillig – den Kopf ab und reitet danach in der Rüstung Eckes und mit dem Kopf des Riesen am Sattel weiter. Auf der Weiterreise trifft er auf ein Mädchen, das auf der Flucht vor Eckes Bruder Fasold ist. Nachdem Dietrich von dem Mädchen ein Kraut erhalten hat, das alle seine im Kampf gegen Ecke erlittenen Wunden unverzüglich heilt, kann Dietrich auch Fasold in einem ersten Kampf besiegen. Auch in einem zweiten Kampf, der durch eine Provokation des Riesen Fasold ausgelöst wird, unterliegt der Riese und nur das Bitten des Mädchens sorgt dafür, dass Dietrich diesen dennoch verschont. Es folgen weitere Kämpfe gegen Verwandte Eckes, den Riesen Eckenot sowie zwei Riesinnen, die den Tod Eckes rächen wollen, doch mitten im Kampf gegen die zweite Riesin bricht auch dieser Text ab. Auch im ‚Eckenlied’ spielen Herausforderung und Bedrängnis eine entscheidende Rolle. Während Dietrich zu Beginn die Herausforderung des Riesen Ecke als sinnlose Gewalt und grundlosen Kampf ablehnt, ist es im zweiten Teil des Epos erneut die Befreiung, die der Aventiure Dietrichs einen Sinn gibt und sie zu einer legitimierten sozialen Tat macht. Aufgrund des Trachtens nach bloßer Gewalt und Kräftemessen stirbt Ecke im Kampf gegen den zurückhaltenden und sinnlose Gewalt ablehnenden Dietrich.
Um 1300 entstand mit dem ‚Sigenot’ im vermutlich schwäbisch-alemannischen Raum eine weitere Erzählung um Dietrich von Bern und wieder ist es ein Kampf gegen einen Riesen, der im Vordergrund des Abenteuers steht: In einem Wald trifft Dietrich auf den Riesen Sigenot, der sofort an Dietrichs Schild und Helm erkennt, dass es sich bei ihm um den Mörder seines Verwandten Grim handeln muss. Jegliche Versuche Dietrichs, Sigenot in seiner Rachsucht zu beruhigen, scheitern und der Riese kann den Helden gefangen nehmen. Daraufhin möchte sich Sigenot auch an Dietrichs Vertrauten und Waffenmeister Hildebrand für den Mord an seinem Verwandten rächen und zieht los, um diesen in Bern zu suchen. Sigenot findet Hildebrand auf seinem Weg, kann ihn besiegen und schließlich auch gefangen nehmen. Allerdings kann der Waffenmeister sich losreißen, den Riesen töten und Dietrich unter Mithilfe des Zwergenkönigs Eggerich schlussendlich aus der Gefangenschaft befreien. Dieser Erzählstrang findet sich im ‚Älteren Sigenot’ und liegt auch dem ‚Jüngeren Sigenot’ zugrunde, der jedoch durch weitere abenteuerliche Episoden ergänzt wurde. So besiegt Dietrich noch einen wilden Mann, der den Zwerg Baldung gefangen hält, oder erhält einen Wunderstein, der ihn vor schweren Schäden auf seinen weiteren Reisen schützen soll. Im ‚Sigenot’ steht vor allem die Heldengemeinschaft im Vordergrund, denn während Dietrich im Kampf alleine scheitert, ist es vor allem die Solidarität seines Waffenmeisters Hildebrand, die ihn aus seiner Gefangenschaft befreit.
Dietrich im Kampf gegen den wilden Mann; zu den Füßen des wilden Mannes sitzt der Zwerg Baldung. (https://de.wikipedia.org/wiki/Sigenot#/media/File:Dietrich_im_Kampf_mit_dem_Wilden_Mann,_Stuttgart_um_1470.jpg) |
Die ‚Virginal’ ist ein weiteres Heldenepos um Dietrich von Bern, der ebenfalls um 1300 entstanden sein muss und die Jugendgeschichte Dietrichs behandelt. In der ‚Virginal’ besteht der noch junge Held seine ersten Abenteuer, bei denen er immer auf den Beistand seiner treuen Gefährten hoffen kann. Nachdem Hildebrand seinem Lehrling Dietrich von der Königin Virginal und ihrer Bedrohung durch den Heidenkönig Orkise erzählt hat, der immer wieder plündernd und mordend in das Land Virginals einfällt, macht sich Dietrich mit seinen Getreuen auf den Weg und zieht gegen Orkise. Orkise kann von Dietrich und seinem Gefolge schnell gestellt werden und Hildebrand gelingt es schließlich, Orkise zu töten. Bei den weiteren Kämpfen gegen Heiden, in die unterdessen Dietrich verwickelt ist, steht ihm sein Waffenmeister bei. Nach dem erfolgreichen Bezwingen der Heiden erhalten Dietrich und Hildebrand eine Einladung nach Jerapsunt (Residenz Virginals), die ein Mädchen ausgesprochen hat, das Dietrich und Hildebrand befreien konnten. Zudem schickt Virginal ihren Botenzwerg Bibung los, um die Einladung aussprechen zu lassen. Auf ihrem weiteren Weg kämpfen Dietrich und Hildebrand gegen einen Drachen und können so den Großneffen Hildebrands, Rentwin, befreien, der im Maul des Drachen gefangen gehalten wurde. In der Burg Arona, die den Eltern Rentwins gehört, treffen die beiden Helden dann auf Bibung, der nun die Einladung nach Jeraspunt ausspricht. Zwei Wochen später brechen Dietrich und Hildebrand auf, um Virginal in Jerapsunt zu treffen. Dietrich verirrt sich aber auf dem Weg dorthin und muss weitere Kämpfe bestehen: Zunächst kämpft er gegen den Riesen Wicram, der ihn jedoch besiegen und schließlich in seine Gewalt nehmen kann. Wicram führt Dietrich auf die Burg Muter, wo er von dem dortigen Burgherr Nitger gefangen genommen wird. Ibelin, die Schwester Nitgers, ist Dietrich jedoch wohlgesonnen und lässt eine Nachricht nach Jerapsunt schicken, in der die anderen Helden über die Gefangenschaft Dietrichs informiert werden. Ein ganzer Trupp von Helden macht sich daraufhin auf den Weg, um Dietrich aus der Gefangenschaft Nitgers zu befreien. Insgesamt elf Zweikämpfe werden angesetzt, die erst zu Dietrichs Freilassung führen sollen. Auch Dietrich selbst nimmt an diesen Kämpfen teil, die mit einem Sieg der Helden um Dietrich von Bern und einer Niederlage der Riesen enden. Aufgrund der Niederlage wird Nitger nach den Kämpfen Dietrichs Lehnsmann. Dietrich und seine Helden machen sich daraufhin auf den Weg nach Jeraspunt, wo sie von Virginal schon erwartet werden, müssen aber erst weitere elf Kämpfe gegen Riesen und Drachen bestehen, bevor sie in der Residenz Virginals ankommen. Mit einem großen Fest zu Ehren der Helden, das die Königin Virginal veranstaltet, endet die Erzählung. Auch in der ‚Virginal’ steht der Frauendienst und damit verbunden die Befreiung einer Bedrängten im Vordergrund. Auch hier ist Dietrich nicht auf grundlose Gewalt und mutwillige Abenteuer aus, sondern die Bedrohung Virginals durch Orkise adelt erst sein Vorgehen zu einer sozialen Tat.
Zum Weiterlesen:
Zum Weiterlesen:
- de Boor, Helmut: Die deutsche Literatur im späten Mittelalter 1250-1350 (Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart III.1), neubearbeitet von Johannes Janota, München 1997.
- Heinzle, Joachim: Einführung in die mittelhochdeutsche Dietrichepik, Berlin 1999.
- Lienert, Elisabeth: Mittelhochdeutsche Heldenepik. Eine Einführung (Grundlagen der Germanistik 58), Berlin 2015.
- Millet, Victor: Germanische Heldendichtung im Mittelalter, Berlin 2008.
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