Betrachtet
man heute eine Karte der Nordfriesischen Inseln, stößt man unter anderem auf
die Insel Pellworm, die Halbinsel Nordstrand sowie die Hallig
Nordstrandischmoor. Dies war jedoch nicht immer so: Bis ins 17. Jahrhundert
existierte an der Stelle der gerade genannten Inseln die damals 220 km² große Insel
Strand, manchmal auch Alt-Norstrand genannt. Im Verlauf einer immensen
Sturmflut im Oktober 1634 jedoch wurde diese Insel auseinandergerissen und ganze
Teile von ihr versanken im Meer. Da zwei Tage nach der Flut – am 14. Oktober –
der Namenstag des Bischofs Burkhard von Würzburg (683-755) gefeiert wurde,
wurde sie – wie damals üblich – nach ihm benannt und ging als Burchardiflut in die Geschichte ein. Um
dieses Ereignis und das Schicksal der Insel Strand geht es in unserem neuen
kurz!-Artikel.
Die
Nordfriesischen Inseln heute
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In den ersten Jahrzehnten des 17. Jahrhunderts lebten auf der Insel Strand circa. 8.500 Menschen, die größtenteils als Bauern oder Landarbeiter tätig waren. Strand galt als relativ wohlhabend, da das Land sehr fruchtbar war und Erzeugnisse häufig gewinnbringend verkauft werden konnten. Die Insel, die bei Flut teilweise unter dem Meeresspiegel lag, war zum Schutz vor den Wassermassen ringsherum von Deichen umgeben. In den Chroniken dieser Jahre finden sich zahlreiche Berichte über mehrere größere und kleinere Sturmfluten, die die Westküste des heutigen Schleswig-Holsteins getroffen und die Insel Strand und ihre Befestigungen beschädigt zurückgelassen hatten. Auch finden sich erste Hinweise auf untergegangene Landmassen und Behausungen, die von den Bewohnern sicherheitshalber aufgegeben wurden. So ist die Rede von einer Reihe von Überschwemmungen im Jahr 1612, bei denen große Flächen in den Wintermonaten kontinuierlich unter Wasser standen. 1615 kamen vermutlich mehr als 300 Menschen bei einer Sturmflut ums Leben. Während der Fastnachtsflut im Winter 1625 sollen außerdem großflächige Eisschollen in die Deiche der Insel geschwemmt worden sein, die dadurch in ihrer Stabilität beschädigt wurden.
Doch
nicht nur durch Sturmfluten war die Region bereits im Vorfeld der Burchardiflut
geschwächt worden: Zwischen 1598 und 1603 und noch einmal 1630 hatte die Pest
auf Strand gewütet und zahlreichen Bewohnern das Leben gekostet. Durch diese
Epidemie fehlten Jahre lang genügend Arbeitskräfte, um die Deiche
kontinuierlich und ausreichend in Stand zu halten. Zusätzlich war Strand in den
Jahren 1628 und 1629 zu einem Schauplatz des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648)
geworden. Die Bewohner stellten sich in diesem Konflikt gegen die Truppen ihres
Herzogs Friedrich III. von Schleswig-Holstein-Gottorf (1597-1659), um eine
Einquartierung von Soldaten auf der Insel zu verhindern und um gegen die
Eingriffe des Herzogs in die inseleigene Wehrverfassung zu protestieren. Im
Verlauf der Kämpfe gelang es ihnen 1628 ein herzogliches Heer zurückzuschlagen,
wobei sie von einer dänischen Flotte unterstützt worden waren. Ein Jahr später
jedoch mussten sie sich geschlagen geben und feststellen, dass ihre Deiche und
sonstigen Befestigungen erneut schwer beschädigt worden waren. Die Reparaturen
gingen nur langsam voran und bereits im Sommer des Jahres 1634 – dem Jahr der
Flut – soll es zu ersten gefährlichen Deichbrüchen gekommen sein.
Am
späten Abend des 11. Oktobers begann schließlich die Katastrophe, als sich ein
mit orkanartigen Böen einhergehendes Sturmtief aus Südwest unvorhergesehen der
Küstenregion näherte und später bei Springflut nach Nordwest drehte und Strand unmittelbar
traf. Es gibt mehrere überlieferte Augenzeugenberichte der Sturmflut, die die
Geschehnisse verdeutlichen. So beschreibt der niederländische
Wasserbauingenieur Jan Adriaanszoon Leeghwater (1575-1650), der sich zum
Zeitpunkt der Flut auf der Insel aufhielt, den Beginn folgendermaßen: „Gegen
den Abend [hat] sich ein großer Sturm und Unwetter von Südwest her aus der See
erhoben […] Da begann der Wind aus dem Westen so heftig zu wehen, daß kein
Schlaf in unsere Augen kam. Als wir ungefähr eine Stunde auf dem Bett gelegen
hatten, sagte mein Sohn zu mir „Vater, ich fühle das Wasser auf mein Angesicht
tropfen“. Die Wogen sprangen am Seedeich in die Höhe auf das Dach des Hauses.
Es war ganz gefährlich anzuhören.“ In Begleitung seines Sohnes
flüchtete er daraufhin aus seinem Haus und suchte gemeinsam mit circa 40
anderen Personen Zuflucht im höher gelegenen Herrenhaus. Doch auch hier
befanden sich die Flüchtenden bald in Lebensgefahr: „Der Wind drehte sich
ein wenig nach Nordwesten und wehte platt gegen das Herrenhaus, so hart und
steif, wie ich’s in meinem Leben nicht gesehen habe. An einer starken Tür, die
an der Westseite stand, sprangen die Riegel aus dem Pfosten von den
Meereswogen, so daß das Wasser das Feuer auslöschte und so hoch auf den Flur
kam, daß es über meine Kniestiefel hinweglief, ungefähr 13 Fuß höher als das
Maifeld des alten Landes […] Am Nordende des Herrenhauses, welches dicht am
Seetief stand, spülte die Erde unter dem Haus weg […] Infolgedessen barst das
Haus, die Diele und der Boden auseinander […] Es schien nicht anders als solle
das Herrenhaus mit allen, die darin waren, vom Deich abspülen.“
Leeghwater
und sein Sohn überlebten, doch Schätzungen zufolge kamen in der Nacht der
Burchardiflut zwischen 8.000 und 15.000 Menschen in der gesamten Küstenregion
zu Tode.
Zeitgenössische Darstellung der
Burchardiflut
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/a/ac/Erschrecklichewasserfluth.jpg
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Auf
Strand brach der erste Deich bereits um 22 Uhr, dabei sollte das Hochwasser
erst um zwei Uhr nachts seinen Höchststand erreichen. Heute geht man davon aus,
dass der Wasserstand den regulären Stand bei Flut um circa vier Meter
überstieg. Dies führte dazu, dass die Deiche nicht nur an insgesamt 44 Stellen und
an allen Seiten der Insel brachen, sondern auch, dass 1.300 Häuser, 30 Mühlen
und 17 Kirchen vollständig zerstört wurden. Sie wurden entweder überschwemmt, stürzten
aufgrund des Drucks der Wassermassen ein oder brannten nieder, als offene
Feuerstellen außer Kontrolle gerieten. Allein auf Strand kamen Tausende
Menschen sowie 50.000 Stück Vieh ums Leben. Auch die Ernte eines ganzen Jahres
war zerstört.
Am
Morgen des 12. Oktober beschrieb der Augenzeuge Leeghwater seine Eindrücke
folgendermaßen: „Des Morgens […] da waren
alle Zelte und Hütten weggespült, die auf dem ganzen Werk waren, sechs- oder
siebenunddreißig an der Zahl, mit allen Menschen, die darin waren. […] Große
Seeschiffe waren auf dem hohen Deich stehengeblieben, wie ich selber gesehen
habe. […] Ich bin auch den Strand allda geritten, da hab ich wunderliche Dinge
gesehen, viele verschiedene tote Tiere, Balken von Häusern, zertrümmerte Wagen
und eine ganze Menge Holz, Heu, Stroh und Stoppeln. Auch habe ich dabei so
manche Menschen gesehen, die ertrunken waren.“
Auch
nach Abzug des Sturmtiefs kam es zu weiteren Deichbrüchen, da das Wasser nicht
ablaufen konnte und so kontinuierlich gegen die bereits beschädigten Deiche
drückte. Immer mehr Landflächen mussten deshalb aufgegeben werden und nach und nach
versanken ganze Teile im Meer. Dies bedeutete letztlich das Auseinanderbrechen
der Insel. Die neu entstandenen Inseln – Pellworm, Nordstrand und die Hallig
Nordstrandischmoor – haben heute zusammen eine Fläche, die nur noch circa ein
Drittel der alten Insel Strand ausmacht.
Ein
weiterer Augenzeuge, ein Pfarrer der Insel, fasste seine Eindrücke nach der
Flut ebenfalls zusammen: „Wüste liegen mehr denn die halben Wohnstädte, unnd
sind die Häuser weggeschölet; wüste stehen die übrigen Häuser, unnd sind Fenstere,
Thüren und Wende zerbrochen. Wüste stehen ganze Kirchspielen, unnd sind in
etlichen wenig Haußwirthe mehr übrigen. Wüste stehen die Gotteshäuser, unnd
sind weder Prediger noch Haußwirthe viel vorhanden.“
Es
sollte schließlich Jahre dauern, bis ein Großteil der übrig gebliebenen Felder
erneut bestellt und die Deiche wiederaufgebaut werden konnten. Herzog Friedrich
III. musste letztlich auf eine Vielzahl ausländischer Arbeitskräfte setzen, da
zahlreiche Bewohner die Insel nach den schrecklichen Erlebnissen für immer
verlassen hatten. Auch hofften sie somit einer erneuten Strafe Gottes – als
welche die Burchardiflut von den Zeitgenossen gedeutet wurde – entgehen zu
können. Aufgrund der Vielzahl von Todesopfern spricht man noch heute von ihr
als Grote Mandränke (großes
Ertrinken).
Zum
Weiterlesen:
Allemeyer,
Marie Luisa: „In diesser erschrecklichen unerhörten Wasserfluth, kan man keine
naturlichen Ursachen suchen“. Die Burchardi-Flut des Jahres 1634 an der
Nordseeküste, in: Gerrit Jasper Schenk (Hg.): Katastrophen. Vom Untergang
Pompejis bis zum Klimawandel, Ostfildern 2009, S. 93-108.
Hinrichs,
Boy u. a. (Hgg.): Flutkatastrophe 1634, 2. Aufl., Kiel 1991.
Jakubowski-Tiessen,
Manfred: „Erschreckliche und unerhörte Wasserflut“. Wahrnehmung und Deutung der
Flutkatastrophe von 1634, in: Ders. u. Hartmut Lehmann (Hgg.): Um Himmels
Willen. Religion in Katastrophenzeiten, Göttingen 2003, S. 179-200.
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