Sonntag, 15. November 2015

Die Ehefrauen Heinrichs VIII., Teil II: Anne Boleyn und die Scheidung von Katharina von Aragon


Heinrich VIII. als junger Mann (um 1509), https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_VIII._%28England%29#/media/File:Henry_VIII_%28reigned_1509-1547%29_by_English_School.jpg

Dieses Bild zeigt den schon fast legendären englischen König Heinrich VIII. (1491-1547) im Alter von etwa 18 Jahren. Bekannt wurde er unter anderem dafür, dass er die Reformation in England entscheidend vorantrieb, aber auch für seine insgesamt sechs Ehen, von denen zwei mit der Enthauptung seiner Gattinnen endeten. Während meistens Heinrich selbst im Fokus der Aufmerksamkeit steht, werden wir uns in unserer kurz!-Reihe mit seinen Ehefrauen beschäftigen. Im diesem Teil der Reihe wird es um seine erste große Obsession, Anne Boleyn (1501/1507-1536), gehen, die er zu seiner zweiten Ehefrau machte.
 


Anne Boleyn, https://de.wikipedia.org/wiki/Anne_Boleyn#/media/File:Anneboleyn2.jpg

Anne Boleyn, Tochter von Thomas Boleyn und Elizabeth Howard, entstammte einer Familie von Aufsteigern, die es durch geschickte Heiratspolitik geschafft hatte, in die oberen Reihen des Adels aufzusteigen. Ihr Vater war, was seine Kinder anging, von denen neben Anne zwei weitere, Mary und George, das Erwachsenenalter erreichten, recht ambitioniert. Anne erhielt vermutlich eine gute Ausbildung und Unterweisungen in Tanz, Gesang, Musik und der Nähkunst, wie es zu dieser Zeit typisch war. Im Jahr 1513 wurde sie nach Brüssel an den Hof von Margarete von Österreich (1480-1530), der niederländischen Regentin, geschickt, deren Aufmerksamkeit sie bald durch ihre Intelligenz und ihr Auftreten erregen konnte. Kurz darauf wechselte Anne jedoch an den Hof der Königin von Frankreich, wo sich auch ihre Schwester Mary aufhielt und sie sieben Jahre verbrachte. 

1521 verlangte Thomas Boleyn die Rückkehr seiner Tochter nach England, sodass Anne Anfang des Jahres 1522 in ihr Heimatland zurückkehrte, das ihr nach neunjähriger Abwesenheit eher fremd vorgekommen sein dürfte. Dort angekommen, trat sie in den Haushalt von Königin Katharina (1485-1636, mehr über sie erfahrt ihr im ersten Teil unserer kurz!-Reihe über Heinrichs VIII.Frauen) ein. Zwar war sie mit ihren dunklen Haaren und ihrem Teint nicht das, was dem klassischen Schönheitsideal der Zeit entsprach, doch fiel sie schnell durch ihre Anmut, Selbstbeherrschung und ihr Gespür für Mode auf. Zur Zeit ihrer Rückkehr war jedoch eher ihre Schwester in aller Munde, die inzwischen zur Mätresse des Königs geworden war. So konnte Anne persönlich miterleben, wie diese Beziehung zu Heinrich VIII. zunächst den weiteren Aufstieg der Familie beförderte, dass es Mary dann aber nicht gelang, Vorteile für sich selbst zu erwirken, als das Verhältnis 1525 zu Ende ging. Diese Erfahrung prägte Anne insofern, dass sie versessen darauf war, eine vorteilhafte Ehe einzugehen. Deshalb schlug sie mit dem Grafen von Ormond den Kandidaten aus, den ihr Vater für sie im Sinn hatte. Stattdessen ging sie auf eigene Faust (äußerst ungewöhnlich für eine Frau dieser Zeit) eine geheime Verlobung mit Henry Percy ein, dem Erben der Grafschaft Northumberland. Als Heinrich VIII., dem Anne zu dieser Zeit wohl noch nicht aufgefallen war, davon erfuhr, befahl er Kardinal Thomas Wolsey, dem Erzbischof von York, die Verlobung aufzulösen. Henry Percy wurde zunächst vom Hof verbannt, musste eine andere Ehe eingehen und auch Anne wurde nach Hever, dem Familiensitz der Boleyns, geschickt. Seit dieser Zeit hegte sie einen Groll gegen den Kardinal.

Erst 1525 wurde Anne an den Hof der Königin zurückgeholt, wo sie immer mehr von Männern umworben wurde. Dennoch blieb sie standhaft auf der Suche nach einem geeigneten Ehemann. Auch Heinrich VIII. hielt nach dem Ende des Verhältnisses mit Mary Boleyn die Augen nach einer neuen Mätresse offen und sein Blick fiel diesmal auf Anne, die rasch auf dessen Annäherungsversuche einging, aber dennoch distanziert blieb, da sie nicht das gleiche Schicksal erleiden wollte wie ihre Schwester. Deshalb zog sie sich 1526 erneut nach Hever zurück. Heinrichs Ehrgeiz wurde durch ihre Distanziertheit offenbar nur gesteigert. Anne machte von Anfang an deutlich, dass sie kein Interesse daran hatte, seine Mätresse zu werden, ermutigte ihn aber gleichzeitig zu weiteren Flirts. Es ist wahrscheinlich, dass sie ebenfalls große Zuneigung, wenn nicht sogar Liebe für den König empfand, doch ließ sie sich nicht überzeugen. Die einzige Möglichkeit, die Heinrich VIII. nun noch sah, um sein Ziel zu erreichen, war Anne zu seiner Frau zu machen, was er ihr Anfang des Jahres 1527 auch anbot. Ein kirchliches Gericht sollte nun zusammenkommen, um über die Scheidung Heinrichs von Katharina von Aragon zu beraten, die ja die Witwe seines Bruders war. 

Als die Königin von diesem Prozess erfuhr, wandte sie sich sowohl an ihren mächtigen Neffen, den römisch-deutschen Kaiser Karl V. (1500-1558) als auch an Papst Clemens VII. (1478-1534). Ersterer setzte sich vehement gegen die Scheidung ein, letzterer jedoch, stimmte einer Untersuchung in England durch einen Legaten zu. Kardinal Wolsey wurde damit beauftragt, Argumente für eine Scheidung zu sammeln und dafür war die Frage nach Katharinas Jungfräulichkeit beim Eintritt in die Ehe mit Heinrich VIII. entscheidend. Die beiden Ehepartner wurden vor das Gericht zitiert, Katharina beharrte auf ihrer Jungfräulichkeit, flehte ihren Mann an, sie als Ehefrau zu behalten und verließ dann den Verhandlungsraum. Sie kehrte nicht wieder vor das Gericht zurück. Der päpstliche Legat verwies den Fall wieder nach Rom und das Versagen Kardinal Wolseys, der mit der Scheidung betraut worden war, trat offen zu Tage.

Nun sah Anne ihre Stunde gekommen, Rache an Wolsey zu nehmen, der ihre erste Verlobung beendet hatte, indem sie ihn beim König schlecht machte. Der Kardinal machte den großen Fehler, Annes Einfluss auf Heinrich VIII. zu unterschätzen. Im Oktober 1529 musste Wolsey sich vom Hof zurückziehen, wurde im folgenden Jahr verhaftet und verstarb kurz darauf. Die nächsten Jahre waren eine Zeit der Stagnation und Enttäuschungen für Heinrich und Anne. Sie lebten quasi wie König und Königin zusammen, doch waren sie nicht verheiratet und Anne hatte auch nicht den entsprechenden Titel inne. Die Situation machte dem Paar zu schaffen und es kam immer wieder zu Auseinandersetzungen.
Zu Beginn des Jahres 1533 wendete sich das Blatt endlich: Anne war schwanger und Heinrich heiratete sie in einer kleinen, geheimen Zeremonie. Nun war sie zwar Frau des Königs, was sie de facto jedoch nicht zur Königin machte. Heinrich sah sich, inspiriert durch Annes reformatorische Sicht auf die Kirche, zu einem radikalen Schritt bereit: In Erlassen schränkte er die Rechte des Klerus immer weiter ein und erhöhte seine eigene Stellung innerhalb der Englischen Kirche. Ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Reformation in England und damit auch zur erfolgreichen Scheidung war die Berufung des reformerischen Thomas Cranmer zum Erzbischof von Canterbury. Der endgültige Bruch mit Rom erfolgte zwar erst Anfang 1534 in Form der Suprematsakte, die Heinrich zum Oberhaupt der Kirche von England machte, doch strebte Cranmer bereits 1533 einen erneuten Prozess an, in dem die Ehe Heinrichs VIII. und Katharinas schließlich für ungültig erklärt wurde.
Nun stand auch einer Krönung Annes nichts mehr im Wege, sodass Ende Mai und Anfang Juni desselben Jahres große Feierlichkeiten stattfanden. Bereits kurz nach der Krönung wurde Anne jedoch klar, dass ihr Status erst dann gesichert war, wenn sie dem König einen männlichen Thronfolger gebar, da Heinrich zu dieser Zeit wieder begann, Verhältnisse zu anderen Frauen zu pflegen. Sie setzte alle ihre Hoffnungen in die Geburt ihres ersten Kindes, doch Ende August brachte die neue Königin eine gesunde Tochter, die spätere Königin Elisabeth (1533-1603), zur Welt. Bald darauf kühlten Heinrichs Gefühle für seine zweite Frau weiter ab.

Ende des Jahres 1533 wurde Anne erneut schwanger, erlitt jedoch bald eine Fehlgeburt. Sie musste mit ansehen, wie ihr Einfluss auf ihren Gemahl zunehmend schwand. 1535 wurde sie schließlich erneut schwanger. Um Weihnachten erreichte den Hof zudem die Nachricht, dass Katharina erkrankt sei und wohl nicht mehr lange leben würde. Es schien bergauf zu gehen für Anne. Am 7. Januar 1536 starb Katharina schließlich. Bis zu ihrem Tod hatte sie Heinrich als ihren Ehemann und sich selbst als Königin von England angesehen und für ihre und die Rechte ihrer Tochter gekämpft. Anders als erwartet, brachte der Tod ihrer Vorgängerin Anne nichts Gutes: Am Tag von Katharinas Beisetzung erlitt Anne erneut eine Fehlgeburt; der Fötus wäre männlich gewesen. Sie bekam daraufhin den ganzen Zorn des Königs zu spüren, der sich immer mehr einer anderen Frau, Jane Seymour, einer Hofdame Annes, zuwandte (mehr über Jane Seymour erfahrt ihr im nächsten Teil unserer kurz!-Reihe). Auch Annes Feinde, von denen sie eine ganze Reihe besaß, brachten sich nun in Stellung, um ihren Sturz voranzutreiben. Es gab bei Hof viele Gerüchte über sie, die auch vor Anschuldigungen der Hexerei und ähnlichem nicht Halt machten und zusätzlich Heinrich spielte mit dem Gedanken, Jane Seymour zu seiner neuen Frau zu machen. 

Am 30. April wurde ein gewisser Mark Smeaton, Musiker aus dem Haushalt der Königin, festgenommen und die Nacht über, möglicherweise unter Folter, verhört. Er lieferte ein Geständnis, Ehebruch mit Königin Anne begangen zu haben. Im Zuge der Ermittlungen gegen sie wurden weitere Männer, unter ihnen auch ihr eigener Bruder George, verhaftet und verhört. Am 2. Mai wurde auch Anne in den Tower of London gebracht, jedoch weitgehend im Unklaren darüber gelassen, was genau man ihr vorwarf. Nach fast zwei Wochen unter Arrest musste Anne klar gewesen sein, dass ihre Verurteilung reine Formsache war. Auch die Männer, die man des Ehebruchs mit ihr beschuldigte, wurden verurteilt, obwohl keiner von ihnen, mit Ausnahme Mark Smeatons, ein Geständnis abgelegt hatte. Schließlich wurde Anne des Hochverrates für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Unmittelbar nach fällte das Gericht das gleiche Urteil auch über ihren Bruder George, da man ihm ein inzestuöses Verhältnis zu Anne vorwarf. Die Ehe zwischen Heinrich VIII. und Anne wurde durch Thomas Cranmer, ihren einstigen Verbündeten in Fragen der Reformation, annulliert und Annes angebliche Liebhaber, auch ihr Bruder, wurden in Sichtweite ihres Fensters im Tower hingerichtet. Ihr war nun klar, dass sie vollständig geschlagen war und dennoch entschloss sie sich, der Vollstreckung ihres Urteils erhobenen Hauptes und einer Königin würdig entgegenzutreten. Unmittelbar vor ihrem Tod hielt sie erneut eine ihrer viel bewunderten Reden und wurde schließlich nach den letzten Worten „To Christ I commend my soul“ enthauptet. 

Nur wenige Tage nach ihrem Tod heiratete Heinrich VIII. Jane Seymour und erklärte Elisabeth zum Bastard. Dennoch ist Anne diejenige von Heinrichs sechs Ehefrauen, deren Erbe und Erinnerung überdauerte. Sie war nicht nur die Mutter der legendären Königin Elisabeth, sondern auch eine der Mitbegründerinnen der englischen Reformation. Zwar mag ihr Charakter ambivalent gewesen sein, sie wurde entweder gehasst oder vergöttert, doch man kann ihr kaum absprechen, dass sie eine der außergewöhnlichsten Frauen ihrer Zeit gewesen sein muss. Zwar war der Preis, den sie schließlich dafür bezahlte hoch, doch war es ihr gelungen, ihr selbst gewähltes Ziel Königin von England zu werden, zu erreichen.

Zum Weiterlesen:
Norton, Elizabeth, Anne Boleyn. Henry VIII's Obsession, Stroud 2009.
Starkey, David, Six Wives. The Queens of Henry VIII, London 2004. 

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