Sonntag, 9. August 2015

Der Sturz Heinrichs des Löwen

„Der Herzog übergab sich vollständig der Gnade des Kaisers und warf sich ihm zu Füßen. Der hob ihn vom Boden auf und küßte ihn nicht ohne Tränen, weil ein solcher Gegensatz zwischen ihnen so lange gedauert habe und er [Heinrich] selbst der Grund einer solchen Erniedrigung gewesen sei. Ob die Tränen wahrhaftig waren, steht zu bezweifeln. Denn er scheint sich nicht wirklich über ihn erbarmt zu haben, weil er ihn nicht in den Stand der früheren Ehre zu bringen versuchte. Allerdings konnte er das im Moment wegen eines Eides auch gar nicht tun. Zuvor, als alle Fürsten auf seine Absetzung drängten, schwor ihnen der Kaiser beim Thron seiner Herrschaft, daß er ihn niemals in seine frühere Position einsetzen werde, wenn nicht das Einverständnis aller vorläge. Gleichwohl wurde über ihn verfügt, daß er sein Erbgut, wo immer die Ländereien lagen, ohne jede Einschränkung völlig frei besitzen dürfe.“
(Arnold von Lübeck, Chronica Slavorum II 22, zitiert nach Görich, S. 110.)

Mit diesen Worten beschreibt Arnold von Lübeck in seiner Slawenchronik die Unterwerfung Heinrichs des Löwen (1129/1130 oder 1133/3-1195) unter Kaiser Friedrich I. Barbarossa (um 1122-1190) im November 1181. Mit derartigen Unterwerfungszeremonien wurde im Mittelalter der sogenannte honor, also die Ehre einer Person oder des Reiches wiederhergestellt, nachdem sie verletzt worden war. Dadurch waren ebensolche Zeremonien von einen hohem symbolischen Wert. Doch wie war es überhaupt zu einer Ehrverletzung durch Heinrich den Löwen, Herzog von Sachsen und Bayern gekommen, in deren Folge ihm, wie Arnold von Lübeck berichtet, seine Herzogstitel entzogen wurden? Und was hat es mit den Tränen des Kaisers und dessen Eid gegenüber den Reichsfürsten auf sich, der es ihm nicht erlaubte, Heinrich, mit dem ihn nicht nur Verwandtschaft, sondern auch einst eine enge Freundschaft verbunden hatte, wieder in seine alten Stellungen einzusetzen? Mit diesen Fragen soll sich der heutige Artikel beschäftigen.

Um sich dem Sturz Heinrich des Löwen zu nähern, ist es zunächst unerlässlich, kurz einen Blick auf Geschichte seiner Familie, die Welfen, aber auch auf den Aufstieg der Staufer, denen Kaiser Friedrich I. Barbarossa entstammte (einen ausführlichen Artikel dazu findet ihr hier), zu werfen. Sowohl Heinrich als auch Barbarossa konnten sich auf ihre kaiserliche Abstammung von kognatischer Seite, das heißt mütterlicherseits, berufen. Beide Geschlechter, Welfen und Staufer, leiteten aus dieser Verwandtschaft ihr hohes Rangbewusstsein ab und konkurrierten immer wieder um die Nachfolge auf den Königsthron. Nach dem Tod Lothars III. im Jahr 1137 gelang es den Staufern, sich gegen die Welfen durchzusetzen und mit Konrad III. (1093/1094-1152) den König zu stellen. Ihm folgte 1152 sein Neffe Friedrich I. Barbarossa auf dem Königsthron nach. Dieser wird in einigen Quellen auch als angularis lapis, also als Eckstein, zwischen Staufern und Welfen, bezeichnet, da seine Mutter dem Welfengeschlecht entstammte und er damit ein Vetter Heinrichs des Löwen war. Die beiden späteren Gegenspieler verband also eine enge Verwandtschaft. Auch die Rolle der Welfen bei der Wahl Barbarossas ist nicht zu unterschätzen: Er sicherte sich ihre Unterstützung bereits im Vorfeld, indem er Heinrich dem Löwen das Herzogtum Bayern und seinem Onkel Welf VI. das Herzogtum Spoleto in Italien versprach. 

In den ersten Jahren von Barbarossas Herrschaft wurde sein Vetter Heinrich für ihn zu einer unerlässlichen Stütze. So ist seine häufige Anwesenheit an der Seite Barbarossas mit Hilfe der Zeugenlisten von Urkunden nachzuweisen und auch in der königlichen Italienpolitik spielte der Welfe eine entscheidende Rolle, beispielsweise bei der Belagerung Tortonas im Jahre 1155. Gleichzeitig gelang es dem Löwen, seine eigene Macht auszubauen, sodass er bald Herzog von Bayern und Sachsen wurde, wo er beinahe königsgleich und mit einem „Gestaltungswillen, der die gängigen Muster herzoglichen Handelns sprengte“ (Schneidmüller, S. 55), herrschte. Heinrichs hohes Rangbewusstsein wurde noch einmal verstärkt, als er 1168 Mathilde, die Tochter des englischen Königs Heinrich II. heiratete. Diese Machtfülle des Löwen rief bald den Neid der anderen Großen des Reiches hervor, die sich durch ihn überflügelt sahen. Zu einem ersten handfesten Konflikt zwischen ihm und einem anderen Großen des Reiches kam es bereits 1158, als Bischof Otto von Freising, ein Onkel Barbarossas, beim Kaiser Klage gegen den Löwen führte, weil dieser versuchte durch die Erhebung von Zöllen den Salzhandel in Bayern seiner Kontrolle zu unterwerfen. Nun musste Barbarossa eine Entscheidung zwischen zwei seiner Verwandten treffen, hielt in der Angelegenheit aber zu seinem Vetter Heinrich. 

Die Entfremdung zwischen den beiden begann Quellenberichten zufolge 1176 in Chiavenna, als der Kaiser von Heinrich dem Löwen, indem er sogar vor ihm auf die Knie ging, militärische Unterstützung für die Durchsetzung seiner Italienpolitik forderte, was dieser jedoch verweigerte. Bald darauf erlitt Barbarossa bei Legano eine katastrophale Niederlage im Kampf gegen die oberitalienischen Städte. Und auch im beinahe 20 Jahre andauernden alexandrinischen Schisma hatte Barbarossa sich geschlagen geben müssen und 1177 Alexander III. widerwillig als Papst anerkannt. Diese Schwächung der kaiserlichen Macht ermöglichte es den Großen des Reiches mehr und mehr ihre Teilhabe an der Politik auszubauen, da der Kaiser in zunehmendem Maße auf ihre Unterstützung angewiesen war. Bald begann eine Auseinandersetzung des Bischofs Ulrich von Halberstadt mit Heinrich dem Löwen um entfremdetes Kirchengut, in deren Folge der Bischof, unterstützt von anderen Fürsten, Klage beim Kaiser gegen ihn erhob. Heinrich wurde aufgefordert, sich auf einem für Januar 1179 angesetzten Hoftag in Worms zu den Vorwürfen zu äußern, wo er jedoch nicht erschien. Dieses erste Fernbleiben stellte noch keine große Ehrverletzung dar, da es zu dieser Zeit üblich war, auf diese Art und Weise die Rechtmäßigkeit der Klage nicht anzuerkennen. Auch zu einer erneuten Vorladung noch im selben Jahr erschien er nicht, was nun aber eine deutliche Missachtung von Kaiser, Gericht und Fürsten darstellte, sodass Barbarossa seinen Vetter zur Strafe ächtete. Als dieser auch drei weitere Ladungen vor den Hoftag ignorierte, entzog Barbarossa ihm schließlich seine Reichslehen und beschloss, dass die Herzogtümer Sachsen und Bayern jeweils geteilt werden und an andere Große des Reiches vergeben werden sollten, was bis in den Sommer des Jahres 1181 auch militärisch durchgesetzt wurde. Schließlich musste Heinrich sich im November desselben Jahres in der oben beschriebenen Szene dem Kaiser unterwerfen und ging 1182 für knapp vier Jahre nach England ins Exil. Erst 1185 kehrte er auf seine sächsischen Eigengüter zurück, seine Herzogstitel erlangte er jedoch nicht wieder.



(Kniefall Barbarossas vor Heinrich dem Löwen in Chiavenna 1176. Die Erniedrigung des Kaisers vor dem Herzog wird noch dadurch verdeutlicht, dass der Löwe auf einem Pferd sitzt, während Barbarossa vor ihm kniet. Sächsische Weltchronik, vor 1290, https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_der_L%C3%B6we#/media/File:Angeblicher_Fu%C3%9Ffall_Barbarossas.jpg.)

Lange ging die historische Forschung davon aus, dass Friedrich I. Barbarossa selbst das Ziel verfolgte, seinen Vetter zu stürzen, er in den Worten Knut Görichs ein „Löwenjäger“ war. Dieser stellte jedoch die These auf, dass der Kaiser vielmehr als „Getriebener der Fürsten“ zu betrachten ist. So hält er die oben beschriebenen Tränen Barbarossas keinesfalls für eine reine Inszenierung sondern geht vielmehr davon aus, dass sie echt waren. Der Kaiser hatte erkannt, dass er einen Machtverlust gegenüber seinen Großen erlitten hatte, die ihn dazu getrieben hatten, seinen Vetter und alten Weggefährten Heinrich den Löwen dauerhaft zu stürzen. Sicher musste Barbarossa eine Wiedergutmachung von diesem fordern, um seine Ehre nach der mehrmaligen Missachtung der Vorladungen vor den Hoftag wiederherzustellen, doch war es wohl nicht seine Absicht, ihm seine alten Rechte als Herzog von Sachsen und Bayern langfristig abzuerkennen. Dafür sorgten vielmehr die übrigen Fürsten des Reiches, indem sie dem Kaiser den oben genannten Eid abtrotzten, den Löwen nicht mehr in seinen früheren Stand einzusetzen. So mussten sie von ihm keine Vergeltungsmaßnahmen wegen ihres Vorgehens gegen ihn fürchten. Barbarossa musste auf die Forderung eingehen, da er vor allem für seine Italienpolitik auf deren Unterstützung angewiesen war. Die neuere Forschung schließt sich größtenteils der These Görichs an und hegt starke Zweifel daran, dass es tatsächlich Barbarossas Absicht war, seinen Vetter dauerhaft zu stürzen. Vielmehr musste er ihm auf Betreiben der Fürsten, trotz der engen Verwandtschaft, die Unterstützung entziehen. So wurde „Heinrich der Löwe zum Opfer seiner Standesgenossen“ (Schneidmüller, S. 62) und der Kaiser gewann durch den Sturz seines mächtigsten Großen selbst keine Macht. Als Sieger gingen wohl am ehesten die Reichsfürsten aus der Auseinandersetzung hervor, die ihren Einfluss auf die kaiserliche Politik hatten steigern und einen Rivalen beseitigen können.

Zum Weiterlesen:
Ehlers, Joachim, Heinrich der Löwe. Eine Biographie, München 2009.
Görich, Knut, Jäger des Löwen oder Getriebener des Fürsten? Friedrich Barbarossa und die Entmachtung Heinrichs des Löwen, in: Staufer & Welfen. Zwei rivalisierende Dynastien im Hochmittelalter, hg. v. Werner Hechberger und Florian Schuller, Regensburg 2009, S. 98-117.
Schneidmüller, Bernd, Heinrich der Löwe. Innovationspotentiale eines mittelalterlichen Fürsten, in: Staufer & Welfen. Zwei rivalisierende Dynastien im Hochmittelalter, hg. v. Werner Hechberger und Florian Schuller, Regensburg 2009, S. 50-65.

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